SOL INVICTUS – Necropolis

SOL INVICTUS – Necropolis
Geschätzte Lesezeit: 2 Minute(n)

10

Gesamtnote

10

Moritaten von einer sterbenden Metropole

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Die London Necropolis Railway verband einst den Bahnhof Necropolis nahe der Waterloo Station mit dem außerhalb von London, in Woking gelegenen Brookwood Friedhof. Friedhof, Bahnhof und Bahnstrecke wurden in den 1850er Jahren angelegt, weil die langsam aus allen Nähten platzende Millionenstadt den wachsenden Leichenbergen nicht mehr Herr wurde. Wer ein eindrückliches Bild davon bekommen möchte, was zu dieser Zeit in der Stadt los war, – die Enge, der Gestank, das Elend, die ständige Gefahr – seien die Bücher ihres berühmtesten Chronisten, Charles Dickens, ans Herz gelegt. Nicht nur die Toten, sondern auch die dazugehörigen Trauergesellschaften wurden auf dem Weg zum Friedhof in bis zu drei Waggons durch das nebelgeschwängerte Gaslicht gekarrt. Viel mehr Gothic geht nicht! Heute steht von dem viktorianischen Gemäuer noch die Empfangshalle: Man kann sie, in gespenstisches Zwielicht gehüllt, auf dem Cover von Necropolis sehen.

Ein Bild mit einer stärkeren symbolischen Sogwirkung hätte Tony Wakeford für sein neues Album, dessen Thema der ethische, wie moralische Niedergang Londons zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist, kaum wählen können. Dass er dabei Stimme und Sprache des Neo-Folk wählt, dürfte dabei lediglich für jene eine Neuigkeit sein, die in den letzten 30 Jahren ihr musikalisches Dasein unter einem Felsen gefristet haben. Dass Wakefords Wahl auf das Genre fällt, ist obendrein noch die Untertreibung des Jahrhunderts. Dieser Mann IST das Genre, beziehungsweise dürfte niemand anderer enger damit verbunden sein. Und machen wir uns nichts vor,  das hört man Necropolis an.

Sol Invictus machen sich das dem Album zugrunde liegende Thema musikalisch, wie konzeptionell zu Eigen, wie einen Maßhandschuh. Avangardistische Elemente und unkonventionelle Instrumentierung fügen sich mühelos in seine Strukturen ein. Die insgesamt 15 Aufnahmen greifen nahtlos ineinander. Dabei bilden einminütige Brücken-Songs, gleich Rezitativen, Überleitungen zu den Kernstücken des Albums. Wie schon beim Vorgänger Once Upon A Time werden Sol Invictus auch auf Necopolis wieder von Don Anderson (ex-Agalloch, Khorada) an der Gitarre unterstützt. Zum ersten Mal sind die Stimmen des Green Army Choir zu hören.

Die Aufnahme der komplexen, raffinierten Melodien mit vergleichsweisen sparsamen Methoden vermittelt dem Hörer den Eindruck, die Songs seien seltsam aus der Zeit gefallen. Für ungeübte Ohren mag sich das im ersten Moment etwas “schräg” und gewöhnungsbedürftig anhören. Bei Kennern erzeugt es dieses unvergleichliche Wicker Man-Gefühl, das verbunden mit viktorianischen Anleihen (man achte auf die verschiedenen alten Abzähl- und Kinderreime) Necropolis etwas Einzigartiges, Mystisches und Fesselndes verleiht. Tony Wakefords gravitätische Stimme, die so wenig zum Singen geeignet scheint, der man sich aber gerade deswegen so schwer entziehen kann, kündet mit erzählerischeren Gewalt und Fatalismus von Untergang und Verfall.

Es ist diese Mischung aus bitterem Zorn, tiefem Humanismus und schwarzem Humor, mit der sich Sol Invictus von den ethischen Abgründen der Moderne abwenden. Sie machte von jeher die Besonderheit der Band aus. Auf Necropolis holen die Briten zu ihrem finalen Paukenschlag aus. Es wird möglicherweise das letzte Album der Band sein. Kein Wunder, dass Tony Wakeford hier noch einmal alle Kräfte bündelt. Ein apokalyptischer Geniestreich, wie man ihn heute nicht mehr zu hören bekommt, von der lebendigsten lebenden Legende im musikalischen Underground.

Thank you, Mr. Wakeford!

Necropolis erscheint am 23. März bei Auerbach Tonträger (Prophecy Productions).

Anspieltipps: Brick Lane, Set The Table

Tracklist SOL INVICTUS Necropolis:

01. Necropolis:Portal
02. Nine Elms
03. Old Father Thames
04. See Them
05. Serpentine
06. Still Born Summer
07. Brick Lane
08. Turn Turn Turn
09. The Last Man
10. The Garden Of Love
11. Kill Burn
12. Set The Table
13. Murder On Thames
14. Shoreditch
15. Necropolis:Egress

Sol Invictus - Set the Table

Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.

Weblinks SOL INVICTUS:

Facebook: https://www.facebook.com/solinvictus.official/
Label: http://de.prophecy.de/kuenstler/sol-invictus/

More from Katja Spanier

LASTER – Het Wassen Oog

Musik wie ein Arthouse Film Es gibt diese Momente, da kommt man...
Read More