Von klaren Wassern und nebeligen Küsten – Kauan go tenhi
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Manchmal fehlen einem zum Beschreiben von Musik schlicht die passenden Worte. Schon über eine Woche schiebe ich diese Rezension schon vor mir her. Kaiho ist schon längst erschienen und bei mir hakt’s an der adäquaten Verbalisierung. Vielleicht helfen auch erst einmal ein paar allgemeine Informationen. Bands wie Kauan sind so selten wie Perlen in der Auster. Deren natürliche Vorkommen sind so rar, dass sie sich nur dem Suchenden offenbaren. Obendrein bleiben sie zwischen den ganzen künstlich gezüchteten, grellen Exemplaren leider meist unsichtbar.
Die Band um Anton Belov wurde 2005 in Chelyabinsk, einer russischen Stadt im Ural, der geographischen Grenze zwischen Europa und Asien, gegründet. Mittlerweile ist die Band in die Ukraine umgezogen. Die meisten ihrer Texte sind in finnischer Sprache abgefasst. Musikalisch lassen Kauan Elemente aus Doom Metal, Ambient, Post-Rock etc. in ihre Musik einfließen. Aber diese Beschreibung ist lediglich eine Krücke, um die Musik von Kauan zu beschreiben. Da sich die Band jeglicher Einordnung entzieht, könnte man könnte auch sagen: Kauan machen ihr Ding, ohne sich um solche Einteilungen zu scheren und dieses Dings ist so außergewöhnlich, wie wundervoll auf jedem ihrer bisher erschienenen Alben.
Aller allerspätestens seit Sorni Nai (2015) sind die Russen zu Ikonen des Underground aufgestiegen. Das Konzeptalbum beschäftigt sich mit den ungeklärten Ereignissen am Dyatlov Pass im Winter 1959, bei dem eine Gruppe russischer Studenten im lebensunwirtlichen Ural-Gebirge unter nicht zu klärenden Umständen ums Leben kam. Sorni Nai wurde von der Kritik als konkurrenzloses Meisterwerk gefeiert. Nun ist ihr siebtes Studioalbum Kaiho erschienen. War Sorni Nai ein expressives Werk, das die Beklemmung und den Horror, aber auch die Hoffnung und Kameradschaft seiner Protagonisten aufs Vortrefflichste transportieren konnte, richtet sich der Blick auf Kaiho nach innen.
Anton Belov führt uns zurück in die Kindheit, ihre Orte, die uns Geborgenheit gaben, ihre Euphorie und die unschuldige Idylle. Er führt uns aber auch zu den Gefühlen des Erwachsenseins, das Erwachen der Verantwortung und die Schwere ihres Gewichts. Kaiho ist dabei die Quintessenz des Songwritings, pur, vielschichtig, diffizil und anspruchsvoll. Es wird ruhiger. Die Metal-Anleihen treten zurück und transformieren zu einzelnen drängenden Post-Rock oder flirrenden Shoegaze Schlaglichtern. Ab und an hört sich ein Song an, als würde er von einer alten Schellackplatte abgespielt (Poissa). An anderes Mal erklingt ein vielstimmiger Chor aus Balalaikas (Lahja). Dann wieder hört man das Meer, so schlicht und intensiv, dass man seine Kälte und den rauen Wind beinahe auf der Haut spüren kann (Kasvot). Der Titelsong Kaiho ist pure Introspektion, ein Schweben über nebelige Hügel, ein Wandeln in taubenetztem Gras.
Die Musik hebt dich sanft auf und pflanzt ein unbändiges Gefühl der Sehnsucht und hungriger Euphorie in deine Seele. Anton Belovs Gesang hört sich so unprätentiös und ruhig an, dass er mit den natürlich gewachsenen, dichten Texturen der Musik verschmilzt. Die Genialität von Kaiho offenbart sich in seiner Ruhe und scheinbaren Einfachheit. Tatsächlich verbirgt sich hinter den Arrangements eine Perfektion, die ich bisher vergleichbar nur bei der finnischen Band tenhi gehört habe. Kaiho ist ein erhabenes, vielschichtiges Kleinod, ein anmutiger, harmonischer Gruß vom zerrissenen, östlichen Rand Europas.
Das Album ist am 22.09.2017 bei Kauanmusic (self-release) erschienen.
Anspieltipps: Lahja, Nainen
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Tracklist KAUAN – Kaiho:
01. Lapsenmuisto
02. Kasvot
03. Siiville Nousu
04. Poissa
05. Lahja
06. Nainen
07. Sateen Huuhtoma
08. Kaiho
Weblinks KAUAN:
Official: http://kauanmusic.com/
Facebook: https://www.facebook.com/search/top/?q=kauan
Bandcamp: https://kauan.bandcamp.com/
Hallo Katja,
vielen Dank für Deine tolle Rezension.
Deine Worte schaffen es sehr gut die Art der Musik von Kauan zu beschreiben, wenngleich es auch wirklich schwierig ist, da ich bisher selten eine so filligranen und tiefgründige Musik gehört haben. Will sagen, seitdem ich das Album vor knapp einer Woche gehört habe, komme ich nicht mehr davon los. Es hat mich schlichtweg gepackt. Das passiert mir in letzter Zeit immer weniger, da ich auch schon auf eine lange Musikhörergeschichte zurückblicken kann.
Kauan ist einfach megageil. Mein absolutes Lieblingsstück ist “Siiville Nousu”. Der erste Longplayer. Gerade ab der Hälfte berührt mich das Stück sehr.
Ich hoffe, man kann die Band mal live in Deutschland erleben. Würde sofort hingehen.
Liebe Grüße
Volker