Wir starten in den Samstag mit ein paar Impressionen vom Veranstaltungsort.
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Lotus Thief (11:50) – Occult Witchcraft from California
Das Samstag-Programm startete früh … zu früh für uns. Mit über einer Stunde Verspätung erreichten wir die Höhle, um überrascht festzustellen, dass es die Veranstalter mit der Pünktlichkeit wohl auch nicht so genau genommen hatten. Was zu der Verspätung führte, wissen wir nicht. Was sich jedoch im Verlauf des Tages herausstellen sollte: sie würde uns begleiten, sich weiter ausbauen und auf die kommenden Auftritte auswirken.
Nun packten wir aber die unverhoffte Gelegenheit beim Schopf und sahen uns erst einmal äußerst innovativen, okkulten Post-Black Metal aus San Francisco an. Für Lotus Thief war es der erste Auftritt in Europa. Im Herbst 2016 hatten diese ihren Longplayer Gramarye über das Label veröffentlicht. Die stark ambientlastigen Stücke, die immer wieder von wahren Ausbrüchen harter Riffs, kreischendem Keyboard und zweistimmigem weiblichen Gesang durchbrochen werden, wurden vom Publikum sehr erfreut aufgenommen. Selbiges war erstaunlicherweise beinahe vollzählig wieder vor der Bühne in der Höhle angetreten. Im Ernst, habt Ihr alle dort übernachtet?
The Moon And The Nightspirit (13:20) – Märchenhafte Gespinste aus Feenstaub und Blütennektar
Dem Auftritt von The Moon And The Nightspirit hatte ich mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Zwar haben mir ihre verträumten, filigranen Kompositionen immer sehr gut gefallen. Aber gerade auf ihrem letzten Album Metanoia waren mir wieder einmal die Schwierigkeiten der Band, Akzente zu setzen, aufgefallen. Ein Song gleicht zu sehr dem nächsten und ich machte mich auf 60 Minuten homogen-verträumte Folk-Balladen gefasst. Sehr froh war ich, dass ich mich dann doch geirrt hatte, denn The Moon And The Nighspirit waren wirklich zauberhaft und wie geschaffen für das archaische Ambiente in der Höhle. Dem stellten sie einen zerbrechlichen Kontrapunkt auch Märchen und Schamanismus entgegen. Besonders beeindruckend war dabei Agnes Toths filigrane und dennoch kraftvolle Stimme, die für eine Stunde die Grenzen zu einer anderen Welt aufweichte und für leuchtend-entrückte Gesichter sorgte.
Spiritual Front (14:35) – Der wilde Tanz mit dem Stier
Der Auftritt der italienischen Neo-Folk oder Suicidal-Pop Band, wie sie ihren Stil selbst beschreiben, war eines der unbestrittenen Highlights auf dem Fest. Was für ein unheilvolles, dunkles und erotisierendes Charisma, das Simone Salvatori da, unterstützt von einigen Flamenco-Figuren, auf der Bühne versprüht hatte! Unterstützung bekam er dieses Mal von Francesco Conte, der dem einen oder anderen auch als Gitarrist der italienischen Shoegaze-Formation Klimt 1918 bekannt sein dürfte. Stilecht mit schwarzen Anzügen, Hut und Sonnenbrille angetan, spielten Spiritual Front vor dem Hintergrund eines alten italienischen schwarz-weiß Filmes einen sexy Pasodoble von Set. Songs wie I Walk The (Dead) Line, Slave und Jesus Died In Las Vegas sind aber auch eine sichere Bank, den Stil und die Quintessenz von Spiritual Front in Szene zu setzen. Zum Schluss stellte Simone noch neues Material in Aussicht, das dann wohl, sehr von allen Anwesenden erhofft, zusammen mit dem gesamten Back-Katalog der Band demnächst erscheinen wird.
NOÊTA (15:45) – ätherische Texturen, sinnschwere Klangbilder
Êlea und Ândris waren für ihr erstes Konzert außerhalb ihrer skandinavischen Heimat im Västra Götaland angereist. Die noch sehr junge Band zählt zu den Neuzugängen bei Prophecy Propductions und beiden war die Nervosität deutlich anzumerken. Hinzu kamen technische Schwierigkeiten, die sich am zweiten Festivaltag wie ein roter Faden durch das Programm zogen und dafür sorgten, dass sich der eng getaktete Zeitplan immer wieder nach hinten verschob. Der Ton beim Soundcheck wurde allmählich rauer.
All diesen Widrigkeiten zum Trotz, füllten NOÊTA die Höhle bald mit ihren kargen und doch faszinierend schönen Klangbauten. Insbesondere Êleas eindringlich-verinnerlichte Stimme jagten mir immer wieder Schauer über den Rücken. Unwillkürlich geht der Blick beim Hören dieser Band nach innen und dort wühlt die düstere und poetische Atmosphäre einiges auf. Bei ihrem Set griff das Duo dabei sowohl auf Songs wie Hades von ihrem Debüt psykhe, als auch von ihrem ersten Longplayer Beyond Life and Death zurück, von dem mir an diesem Nachmittag insbesondere In Drowning und fesselnde Darkest Desire in Erinnerung.
Das Publikum war begeistert. Viele schienen hier gerade ein vielversprechende Neuentdeckung zu machen, als NOÊTA doch ziemlich unvermittelt ihren Auftritt stark verkürzen mussten. Die weit voran geschrittene Zeit dürfte wohl ein Grund gewesen sein. Den beiden Musikern war die Enttäuschung anzumerken. Ziemlich knapp fiel dann auch die Verabschiedung nach dem letzten Stück aus. Auch die Zuhörer reagierten mit Unverständnis und versuchten die Band durch energische “Zugabe”-Rufe zurück auf die Bühne zu holen. Auch ich muss zugeben, dass mich dieses Vorgehen, vor allem auch die Art und Weise wie der Band mitgeteilt wurde, dass ihr nächster Song auch ihr letzter sein würde, sehr befremdet hat. Zum ersten Mal bekam ich hier den Eindruck, dass in der großen Prophecy Familie, zwar alle Künstler gleich sind, andere aber vielleicht doch ein bisschen gleicher.
Nach dem anti-normativen Black-Ambient Klängen aus Schweden beschlossen wir, uns eine Pause vom Programm zu gönnen und suchten das nebenan gelegene Restaurant auf. Die österreichische Band Dornenreich, die mit einem speziellen Akustik-Set aufwartete und damit für viele Besucher ein Highlight auf dem Fest darstellte, musste ohne uns auskommen. Nach allem, was wir so hörten, gelang ihnen dies problemlos.
The Vision Bleak with Shadow Philharmonics (18:20) – Tales from the Crypt
Gestärkt und wieder besserer Laune waren wir pünktlich zum Soundcheck von The Vision Bleak zurück. Die Horror-Metal Band um Ulf Theodor Schwadorf (schwer beschäftigt an diesem Wochenende) und Allen B. Konstanz (u. a. Ewigheim) hatte sich Verstärkung geholt. So wurde der Auftritt von Cello und Violine (Aline Deinert, u. a. Die Kammer) an den Saiten unterstützt und im Hintergrund ein Paar gewaltige Kesselpauken aufgebaut. Stimmlich kamen noch ein ausgebildeter Tenor und ein spooky Sopran (wunderschön: Babs Caladmor) hinzu.
Das so vervollständigte Ensemble brannte, allen voran natürlich wie immer Allen B. Konstanz, ein wahres Feuerwerk fetten, barocken Goth-Metal ab, der geradewegs aus einem Hammer-Streifen hätte kommen können. Alle auf der Bühne vertretenen Instanzen griffen wie ein Orchester perfekt ineinander, so dass selbst die Streicher noch deutlich zu hören waren. So bekam man Songs wie Death Ship Symphony, Carparthia oder From Wolf To Peacock vorher noch nie zu hören. Nach gefühlt fünf bis sechs Stücken, war jedoch der Auftritt zu Ende. Ich hätte mir da wirklich mehr gewünscht.
Hexvessel (19:50)– Psychedelische Baumkuschler aus dem Land der tausend Seen
Psychedelic Forest-Rock so bezeichnen Hexvessel ihre Art von Musik und es ist wundervoll. Mit ihren neuen Album When Are Death schien es damit aber passé zu sein und die Finnen wandeln nun mehr auf den ausgetretenen Pfaden von Bowie, The Doors oder Jethro Tull. Tja, nichts ist für die Ewigkeit. Trotzdem, oder gerade deswegen war ich sehr gespannt auf ihren Auftritt. Es wurde wieder eng auf der Bühne, als das Künstlerkollektiv seine Positionen einnahm. Vor der Bühne wurde es auch eng. Der Auftritt von Hexvessel wurde von den meisten Anwesenden mit Freude erwartet. Und das nur zu recht. Durch und durch sympatische Künstler präsentierten wundervoll-versponnene Melodien und Mit-Gröhl-Hymnen. Als Mat McNerney dann auch noch New Hip Moon von seinem anderen Projekt Graves Pleasure anstimmte, sah ich nur noch glückliche Gesichter.
Dool (21:45) – Roh, giftig, auf den Punkt und mitten in die Fresse
Schon bevor die Niederländer im Februar ihr Debüt-Album Here Now There Then heraus brachten, machten sie sich schon einen Namen auf diversen Festivals. Besonders Front-Frau Ryanne van Dorst weiß ziemlich genau, wie sie ihr Publikum an die Klippe der Eskalation führt und ziemlich unsanft hinüber stößt. Mit ihrer ruppigen, energiegeladenen Performance und ihrer mal röhrigen, mal betörenden Stimme zeigte, was female-fronted abseits aller anderen ätherisch säuselnden, hübsch-zurecht gemachten Frauen der Rock- und Metal-Szene bedeuten kann. Sehr beeindruckend. Im Verlauf des Auftritts wurde es vor die Bühne immer enger. Immer mehr Besucher strömten nach dem Hexvessel-Auftritt zurück in die Höhle, um nachzusehen, wer dort so einen Alarm macht. Dool absolvierten den perfekten Rock-Auftritt und agierten in ihren Performance wie aus einem Guss. Gespielt wurden Songs vom aktuellen Album wie She Goat und Oweynagat, jetzt schon Klassiker und wie geschaffen für die Bühne.
Hypnopazuzu (23:35) – Klangpaläste aus avantgardistischem Größenwahn
Wenn man plötzlich bis in den hintersten Winkel der Balver Höhle Sally Carrs (Middle Of The Road) mit ihrer völlig überdrehten Stimme die Hippie-Hymne Chirpy Chirpy Cheep Cheep intonieren hört, wähnt man sich am Ende einer langen Reise, auf deren Weg man leider einmal zu oft falsch abgebogen ist. Ich begab mich näher Richtung Bühne, um dann erleichtert festzustellen, dass Sally doch nur vom Band eingespielt wurde und nicht leibhaftig anwesend war. Zuzutrauen ist David Tibet ja einiges, ja auch so etwas. Inzwischen war der Song dumpfen, atonalen Dröhnen gewichen und die Bühne komplett in schwarz getaucht. Nach und nach nahmen die Live-Musiker und auch Youth (Killing Joke) ihre Positionen ein, bevor der Meister die Bühne betrat. Unter seinem Arm klemmte eine Flasche Weißwein, von der er während des Auftritts immer wieder mit säuerlicher Miene nippte. Ob’s am Wein lag oder ihm was über die Leber gelaufen war – wer kann’s schon sagen.
An der Musik, jedenfalls, kann es nicht gelegen haben. Hypnopazuzu ist schon eher was für solche, die gern dickere Bretter bohren und sich an schwierigen Sachen abarbeiten. Die Band häufte Überbau an, der den Gipfel der Avantgarde noch überhöhen wollte. Musikalische Installationen, bei denen man eine ordentliche Portion Space-Mushrooms verbunden mit einem exakt 93 Jahre währenden Trip benötigt, um sie zu durchsteigen. Bei jedem anderen hätte sich das, was die beiden Underground-Legenden dort auf der Bühne an Klangskulpturen modelliert haben, nach gestelztem, gewollt-prätentiösen Größenwahn angehört. Aber nicht bei David Tibet, der seitdem er sich entschlossen hat den unterschiedlichsten Genres einen bleibenden Stempel aufzudrücken, keinen Deut’ darum schert, dass niemand mit ihm Schritt halten kann.
Nachhall
Auch das dritte Prophecy-Fest bewegte Menschen, die jenseits von Genre-Grenzen auf der Suche nach dem Besonderen sind. Langsam stellt sich eine heimischen und familiäre Atmosphäre ein. Man hält sich die letzte Juli-Woche im Kalender frei und meint, es könne ewig so weiter gehen. Aber auch ein Festival mit einem derartig solitären Charakter wie dem Prophecy-Fest ist vom allgemeinen Besucherrückgang vergleichbarer Veranstaltungen betroffen. So blieb die Besucherzahl hinter den Erwartungen zurück. Nur knapp 1000 statt der angestrebten 1500 Besucher fand ihren Weg nach Balve. Angesichts dieser Situation und weiteren gestalterischen Überlegungen wird das Prophecy-Fest im nächsten Jahr pausieren. Ich hoffe, wir sehen uns dann alle pünktlich im Sommer 2019 wieder!