Die Grand Tour 2017 ist auch schon wieder Geschichte und die Profis haben auf ihren leichten Super-Rennrädern die schweren Berg-Etappen in den Alpen und Pyrenäen hinter sich gebracht. Zeit, um noch mal einen Blick zurück auf das Rahmenprogramm des Grand Départ der Tour de France zu werfen. Dieser fand ja bekanntlich in Düsseldorf statt und hatte aus musikalischer Sicht gesehen ein absolutes Highlight zu bieten. Laut Medienberichten zufolge soll Christian Prudhomme, der Direktor der Tour de France, in Persona auf Kraftwerk zugegangen sein, um für einen Auftritt beim Grand Départ Werbung zu machen. Diese wiederum willigten ein – sicher nicht ganz umsonst – und äußerten laut Medienberichten zufolge den Wunsch, dass die französische Gruppe Air als Support auftreten soll. Ja, Hallo!? Was bitte schön war das für ein Lineup? Dementsprechend fanden auch die wohl knapp 15.000 Karten für die Abendveranstaltung reißenden Absatz und das Konzert war, wie bei Kraftwerk Konzerten üblich, innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.
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Als Abschlussveranstaltung nach dem Prolog in Form eines Einzelzeitfahrens durch die Teilnehmer der Tour, sorgten also Kraftwerk und Air für den musikalischen Epilog eines sehr ereignisschwangeren Tages. Der Tag fing wettertechnisch leider wenig erfreulich an, es regnete ziemlich den ganzen Tag über, was auch beim Einzelzeitfahren zu einigen Stürzen führte. Den Besuchern der ersten Etappe schien dies aber relativ egal zu sein, man merkte deutlich: Deutschland hatte Lust auf die noch vor Jahren, bedingt durch etliche Doping-Skandale, verpönte Tour. Ein Mega-Event, welches den deutschen Radsport berechtigterweise nach vorne bringen wird. Da sich das Einzelzeitfahren mit dem Konzerteinlass zeitlich überschnitt, konnten auch die Musikliebhaber noch einen Blick auf das Rennen werfen, die Akteure pesten direkt am Ehrenhof auf der Rückseite der überdimensionalen Bühne vorbei, welche rückseitig mit dem Cover des 2003 erschienen Tour de France Soundtracks von Kraftwerk verkleidet war. Großartig.
Pünktlich auf die Sekunde, um 19:30 Uhr, betraten Air die Bühne, zuvor hatte es auch schon aufgehört zu regnen und siehe da, es lugte sogar hier und da die Sonne zwischen den Wolken durch. Unterstützung für den Auftritt hatten Jean-Benoît Dunckel und Nicolas Godin von einem Live-Drummer und einem zusätzlichen Keyboarder. Die Bühne war mehr als gut bestückt. Mindestens zwei Moogs waren aus der Ferne zu erkennen, ebenso der Klassiker Korg MS-20 und und und… Mit dem soften Venus aus dem 2003er Werk Talkie Walkie fand der Einstieg ins Konzert direkt sehr synthie-lastig statt. Dies änderte sich aber im Laufe des Auftritts deutlich. Nicht, dass die Synthies weniger geworden wären, aber generell kam der Sound von Air durch die Unterstützung der beiden Gastmusiker deutlich rockiger und psychedelischer rüber als man es von den digitalen Pressungen her gewohnt ist.
Sparsam an Worten zum Publikum, auch das ein Merkmal der beiden Musiker – dafür lieferten Air ihre größten Hits ab, da braucht es auch nicht viele Worte. Gleich vier Tracks des elf Lieder umfassenden Auftritts stammten vom Allzeit-Klassiker Moon Safari und spätestens bei Kelly watch the Stars, der etwas Captain-Future-Soundtrack anmutenden Hitsingle, wusste auch jeder im mittlerweile sehr gut gefüllten Ehrenhof, um wen es sich auf der unfassbar großen Bühne handelte. Ein wirklich guter Auftritt endete nach einer Stunde Spielzeit mit dem fulminant vorgetragenen Song La Femme d’Argent, welcher in einer aufbauschenden Klang-Szenerie und einem meisterlichen Nicolas Godin am Bass, vielen Leuten einen „Eargasmus“ erzeugt haben dürfte. Sehr stark!
Zeit zum durchschnaufen. Für 21:15 Uhr war der Start von Kraftwerk angesagt. Zeit, um sich noch mal mit einem Getränk zu versorgen. Vermutlich jeder der anwesenden Besucher wird einen der Getränkebecher mit nach Hause genommen haben. Auf diesen ist das Cover des Kraftwerk-Albums Tour de France gedruckt, ein gerne genommenes Fan-Utensil für einen kleinen Preis. Gleiches gilt natürlich für die 3D-Brillen, die auf den Konzerten der 3D-Reihe am Eingang verteilt wurden. Jedes Etui der Brillen ist entsprechend für jeden Auftritt mit dem Datum und Motto des Auftritts individuell bedruckt.
Punkt 21:15 Uhr ging es dann auch schon los, direkt mit einem Konglomerat aus dem Album Computerwelt. Nahtlos ineinander übergehende Songs; es schien eine Art Prolog für den Auftritt darzustellen. Eins war sehr schnell festzustellen: überragender Sound. Selten habe ich auf einem Open Air Konzert oder Festival so einen guten Sound gehört und vor allem gespürt. Bis ins Knochenmark hinein erschütterte ein glasklarer Sound mit dezenten Höhen und unglaublich druckvollen Tiefen das Publikum. Über den Rand des kompletten Festivalgeländes hinweg aufgehängte Lautsprecher sorgten für eine vierte Dimension. Neben den visuellen 3D-Effekten sorgten diese Lautsprecher auch akustisch für ein Mittendrin, anstelle nur davor. Beim legendären Autobahn fuhr man fast mit, im alten Mercedes mit dem Kennzeichen D-KR 70.
Spätestens bei Spacelab hatten dann auch die 3D-Brillen ihren ersten brillanten Auftritt, als das Spacelab mittels der 3D-Effekte auf einen zusteuerte und aus der überdimensionalen LED-Leinwand heraustrat. Instinktiv duckten sich einige Leute im Publikum weg, um nicht von der Antenne des schwebenden Himmelskörpers vermeintlich aufgespießt zu werden. Sensationell.
Das Thema Tour de France wurde nicht vernachlässigt, war es ja schließlich auch das Motto des Tages. Gleich einen ganzen Block aus dem Album Tour de France Soundtracks wurde in der Mitte des Auftritts abgehandelt. Wie immer bei den 3D-Konzerten begleitet von beeindruckenden Filmaufnahmen aus alten Tagen der Tour de France. Weiter ging es mit den strahlenden Songs Geigerzähler und Radioaktivität, welche spätestens seit der Nuklearkatastrophe in Fukushima so aktuell sind wie schon in der Entstehungsphase 1975.
Besonders erwähnenswert ist natürlich der Evergreen Roboter, bei dem sich vier Roboter aus dem Bühnenuntergrund majestätisch nach oben erhoben und den Song bewegungstechnisch passend zum 3D-Film im Hintergrund laufend begleiteten. Leider hat jedes gute Konzert irgendwann auch mal ein Ende. Kraftwerk setzten mit Boing Boom Tschak, Techno Pop und Musique Non Stop noch mal ein echtes Gewitter an aneinandergereihten Samples ab. Fazit eines sehr kurzweiligen Tages: Kraftwerk mag der echte „Fan“ immer gerne live sehen, aber gerade die akustisch und visuell aufgemotzte Show macht es erst für jedermann richtig interessant, Kraftwerk zu erleben. Sehr gerne wieder!
Setlist KRAFTWERK @ Düsseldorf, Ehrenhof (01.07.2017):
- Numbers
- Computerwelt
- It’s More Fun to Compute / Home Computer
- Computerliebe
- Die Mensch-Maschine
- Spacelab
- Das Modell
- Autobahn
- Tour de France 1983
- Tour de France Étape 1
- Chrono
- Tour de France Étape 2
- La Forme
- Vitamin
- Nachrichten
- Geigerzähler
- Radioaktivität
- Trans Europa Express
- Die Roboter
- Aéro Dynamik
- Boing Boom Tschak
- Techno Pop
- Musique Non Stop