Rund zwei Jahre ist es her, dass Alice Glass und Ethan Kane entschieden, getrennte Wege zu gehen. Mit Glass verlor Crystal Castles eine von Fans geliebte Ikone, die den Schmerz und Frust einer ganzen Generation widerspiegelte. Für viele stellte sich deshalb die Frage, ob die Electro-Formation aus Kanada überhaupt weiter existieren konnte. Zwar war Ethan Kane immer der Triebmotor der Band, da er die Musik komponiert und auch einen Großteil der Texte schreibt, doch die Band wäre nur halb so interessant ohne die ekstatischen, leidenden Vocals und Performances der ehemaligen Sängerin. Doch fünf Monate nach der Trennung erschien ein neues Lied, Frail, mit der damals noch mysteriös wirkenden Edith – eine Ansage, dass die Band auch ohne Glass erfolgreich funktionieren kann. Mittlerweile haben Crystal Castles mit Amnesty (I) ein unglaublich melodisches und besonders wütendes Werk im Sommer 2016 veröffentlicht, das bewiesen hat, dass Alice Glass ersetzbar ist – eigentlich auch gar nicht verwunderlich, wenn man in Betracht zieht, dass viele Vocal-Parts durch verschiedene Effekte verzerrt werden.
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Nach einer Tour in Nordamerika war es im November 2016 endlich Zeit, dass auch Europa in den Genuss kam, das neue Material samt neuer Sängerin live erleben zu können. Es war auch eine Beweisprobe, ob Edith Frances die Energie, die Alice Glass zu jemand Außergewöhnlichem machte, ebenfalls verkörpern konnte.
Eigentlich war das Konzert am 02.11.2016 in Köln für die Essigfabrik angesetzt gewesen, doch anscheinend war die Nachfrage so gering, dass das Konzert in das kleinere, aber zentralere Luxor verlegt wurde.
Bis zu dem Konzert stand für viele nicht fest, ob es einen Support geben würde. Doch anscheinend hatten Crystal Castles eine befreundete Band aus Los Angeles namens Guidance mit auf Tour genommen, die sich den Crystal Castles-Fans kurz vorstellen durften. Obwohl die Band nur gefühlte zwanzig Minuten auf der kleinen Bühne des Luxors rumturnte, waren diese zwanzig Minuten gepackt voller Energie und besonderem Elan des Hipster-Sängers, der zu Beginn des Auftritts mit einem Bad Taste-Jogginganzug, Sonnenbrille und Beanie-Mütze die Bühne betrat, um zu demonstrieren, wie postmodern er ist und wie unwichtig ihm Dinge wie Ästhetik sind. Musikalisch präsentierte die Band eingängigen Electropop, der zum Mittanzen förmlich animierte. Besonders die Interaktion des Sängers mit dem Publikum machte das kurze Konzert zu einem einmaligen Erlebnis, denn dieser machte sich selbst zum Teil des Publikums und war selten auf der Bühne zu sehen, da er ständig am Gitter rumturnte oder auch mal crowdsurfte. Jedoch zeichnete sich schon während des Konzerts von Guidance ab, dass der Sound eher schlecht als gut werden würde – denn der Bass war viel zu laut eingestellt, während man nur mit viel Fantasie die Vocallines hören konnte. Doch die Hoffnung bestand, dass dies noch bei Crystal Castles besser werden würde.
Nach einer knapp vierzigminütigen Pause, während der sich der kleine Club auch rappelvoll gefüllt hatte, betraten endlich Crystal Castles unter tosendem Applaus und begleitet von einem kühlen Strobolicht und Mozarts dramatischen Requiem die Bühne. Ethan Kane präsentierte sich im lässigen Bomberjackenlook und begab sich rasch zu seinem Pult, um wenig später die kleine, zierliche Edith Francers mit schwarz geschminkten Lippen zu den Nintendo-Melodien von Baptism auf die Bühne loszulassen, die sofort in sich verschlossen anfing, sich ihre Seele aus dem Leib zu brüllen, was leider jedoch nicht so stark rüberkam, da das Mikrofon immer noch schlecht eingestellt war.
Es ging weiter mit dem wütenden Concrete, wo Frances gekonnt bewies, dass sie all das, wofür Glass stand, mühelos übernommen hat – und dabei auch professioneller rüberkam, da sie eben keine Whiskey-Flasche auf der Bühne leerte, sondern sich immer wieder an ihrem großen Kontingent an Wasserflaschen bediente, um es sich über den Kopf und in die Menge zu schütten. Dies war auch die einzige Interaktion, die sie mit dem Publikum betrieb – Frances präsentierte sich eher als unantastbare Figur auf der Bühne, was der Stimmung jedoch keinen Abbruch tat und auch gut zu dem Style und Auftreten von Crystal Castles passte.
Die Energie war so oder so während des ganzen Konzertes elektrisierend, jede*r sang mit und spürte das Gewitter und Chaos des Crystal Castles-Universums bis ins Knochenmark schießen. Auch einige Lieder aus der Alice Glass-Phase wurden gespielt, wie Kerosene und Celestica. Und auch, wenn es traurig klingen mag, merkte man kaum einen Unterschied, obwohl die Sängerinnen gewechselt worden sind.
Bei Char bewies Frances zudem, dass sie nicht nur ihren Frust ins Mikrofon brüllen, sondern auch sanfte Töne anschlagen kann und es war wirklich schade, dass man dies im Luxor nicht gebürtig genießen konnte.
Auch instrumentale Stücke wie Intimate und Wrath of God integrierten sich nahtlos in das Set und bewiesen, dass Ethan Kane einer der ganz Großen in der harten Electroszene ist – es gibt kaum eine andere Band, die Gefühle wie Wut, Trauer und Frustration so gut in elektronische Musik umwandeln kann wie Crystal Castles.
Nach einem relativ kurzen Set beendeten Crystal Castles den Abend mit der Hymne Not in Love, die aufgrund der Zusammenarbeit mit The Cure-Sänger Robert Smith besonders heraussticht und ich bin sicherlich nicht die Einzige, die sagen kann, dass sie sich nach diesem explosiven Set der besonderen Art befreiter und erleichterter gefühlt haben, dass man eben doch nicht mit allem alleine ist, sondern eine Gemeinschaft bildet. Nur das Soundproblem muss das Luxor dringend in den Griff bekommen, denn das Konzert wäre noch besser gewesen, wenn man Frances besser hätte hören können.
Setlist CRYSTAL CASTLES – Köln, Luxor (02.11.2016):
01. Baptism
02. Concrete
03. Suffocation
04. Char
05. Kerosene
06. Intimate
07. Enth
08. Crimewave
09. Fleece
10. Frail
11. Telepath / Kept / Untrust Us
12. Celestica
13. Femen (Z)
14. Wrath of God (Z)
15. Not In Love (Platinum Blonde Cover) (Z)