Ein zitternder Ton schmeichelt starken Pianoklängen, die uns innehalten und zu aufmerksamen Zuhörern werden lassen: „Liebe mich und töte dafür mein Herz“. Oswald Henkes eindringliche Stimme schafft ein partial greifbares Szenario, das in einer wunderschönen Grundmelodie mündet, die Oswalds Stimme immer lauter und deutlicher werden lässt. Dokument 2 ist ein starker Einstieg in ein Album, das ohne seine ganzen Unterstützer und Befürworter in dieser Art und Weise gar nicht möglich gewesen wäre. Eine Danksagung direkt am Anfang? Ich denke, das ist nötig, wenn man sich diesem Werk annehmen möchte. Anders als es so üblich ist, wurde die Arbeit an Maskenball der Nackten nicht von einem Label getragen, sondern von den HENKE- eigenen Fans durch den Kauf von Unterstützerpaketen und das Ersteigern und die Übernahme einer Patenschaft von Songs des Albums. Eine wirklich grandiose Idee, vor allem auch deshalb, weil die liebenden HENKE- Fans ganz nahe an dem Geschehen waren. Zwar saßen keine Fanmengen in den Studioräumen und haben Instrumente gehalten oder sogar gespielt, aber durch die Internetpräsenz der aufstrebenden Band war man immer bestens informiert über den aktuellen Stand der Dinge, durfte vor laufender Kamera mit Kopfhörern in die geplanten Songs reinhören und bekamen gezeigt, was es eigentlich heißt, kreativ zu arbeiten. Und da sind wir nun und Dokument 2 eröffnet die Reise, packt uns und nimmt uns mit.
Mit Valiumregenbogen geht es mit einem typischen HENKE- Song weiter. Doppeldeutig, schmerzhaft schön, mal rockig, in den Strophen zurückhaltender, mal flüsternd und mal der Deutlichkeit ins Auge blickend: „Was Spaß macht, geht vorüber, was bleibt, ist nur der Schmerz.“ Nachdem wir das emotionale Auf und Ab hinter uns haben, verlieren wir uns in Rote Irrlichter irgendwo im Großstadt- Hinterhofs- Nirgendwo zwischen Prostitution und Drogenchaos, um wenig später mit Grauer Strand wieder etwas zu uns zu kommen. Und kaum haben wir etwas Luft holen wollen, da werden wir übermannt von der mitreißenden und im Vergleich zu Grauer Strand komplett anders gestalteten Singleauskopplung Zeitmemory, das nachdenklich stimmt und thematisch sicher bei jedem Anklang finden wird. Irgendwo zwischen Alltagsvergesslichkeit und Rastlosigkeit erbaut Zeitmemory ein Szenario vor dem inneren Auge, das anschaulicher nicht hätte sein können. „Alle, alle, alle laufen rückwärts…“ und die mitschwingende Botschaft, dass nur weil man die anderen sehen kann, es nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass man auch nur in irgendeiner Weise am Leben Teil nimmt. Mit Vergessen wird an den Grundton in Zeitmemory angeknüpft. Oswalds Stimme ist hier noch fesselnder, die Stimmung bedrückender, auch wenn das Piano mit einer lieblichen, fast schon hoffnungsvollen Melodie das Ohr umschmeichelt. Hier hat man die Alltagsvergesslichkeit schon längst überschritten, denn hier vergisst sich das Ich, der tiefste Kern zerbricht und das bekommen wir am eigenen Leibe mit. Ein wirklich genialer Song!
Epilog kommt zeitversetzt, aufbrausend und wütend daher, stößt alles von sich außer unsere vollste Aufmerksamkeit. Musikalisch und von der Art her bewegt sich der Song eher im Sektor von Goethes Erben als in dem von HENKE, was die Qualität aber auf keinen Fall mindert, sondern einfach auch nochmal die Vielseitigkeit von HENKE verdeutlicht. Nicht weniger ruhig geht es in Fernweh Ist zur Sache. Oswalds Stimme nimmt uns komplett gefangen, Worte und Melodien prasseln auf uns ein, Fernweh Ist einfach ansteckend…
Düstere Schatten legen sich mit Ein Jahr als Tag auf das Gemüt und erneut flammt ein Gefühl von dunkelschöner Beklemmung und Befangenheit auf. Ich stelle mir vor, wie ich in 50 Jahren alleine in einem düsteren Raum sitze, orientierungslos, ganz alleine, in den grauen Himmel starre und mich frage, wo die Zeit hin ist. Eine Frage, die wir uns ohnehin schon oft genug stellen und das, obwohl die meisten von uns noch jung und frisch sind. Ein wirkliches Meisterwerk, das vor allem durch die vielen Wiederholungen und der stetigen Steigerung so eindringlich durch den Körper fährt.
Dann fällt der Vorhang für den Maskenball der Nackten, das Versteckspiel in der Öffentlichkeit, die große Fluch vor dem Hier und Jetzt hat endlich einen Namen gefunden. Hier ist Aufmerksamkeit gefordert, denn auch wenn der Song als feiner Walzer dahin fließt, ist es doch gut möglich, dass wir auch regelmäßig den Maskenball der Nackten besuchen…vielleicht sogar ohne es zu wissen.
Wenig später nehmen wir Fahrt auf das wundervoll-traurige Nur Allein, das uns zunächst in Schmerzen zu ertrinken scheinen lässt, aber zum Ende hin die Erlösung bereit hält. Auch Medea hat einen Lösungsansatz parat, auf den ersten Blick einfach und aus tiefem Leid geboren: „Medea tötet, was sie liebt…“. Und doch bleiben noch Fragen offen, aber was wäre ein HENKE- Album, wenn uns der Sinn des großen Ganzen auf einem silbernen Tablett serviert würde?
Mit Maskenball der Nackten knüpfen HENKE erfolgreich an den Vorgänger Seelenfütterung an und zeigen sich noch abwechslungsreicher als zuvor. Zwar geht man die Themen mehr nach der gekonnten Goethes Erben- Manier an, sieht aber davon ab, dies auch in das Musikalische einfließen zu lassen. HENKE sind und bleiben eigenständig. Maskenball der Nackten ist mit jedem Ton der beste Beweis dafür.
Tracklist:
01. Dokument 2
02. Valiumregenbogen
03. Rote Irrlichter
04. Grauer Strand
05. Zeitmemory
06. Vergessen
07. Epilog…
08. Fernweh Ist
09. Ein Jahr Als Tag
10. Maskenball Der Nackten
11. Nur Allein
12. Medea
Autorin: Tanja Pannwitz
Übrigens gibts das Album an den ersten drei Verkaufstagen (01.03.2013-03.03.2013) für nur 5,00 Euro als Download zu kaufen: Link!