Die fünf Mannen aus dem hohen Norden eröffnen diesen Festivaltag in Köln und während einige noch mit der Gesamtsituation hadern, können die anderen schon im Takt von Versengold feiern. Die stimmungsvollen Stücke, die sowohl Trinklieder als auch kritische Texte beinhalten, gehen direkt ins Blut. Auch der Blick in die freundlichen Gesichter sollte eigentlich Frohsinn verbreiten. Eigentlich. Denn es gibt ja noch diese schreckliche Gesamtsituation, mit der man sich echt den ganzen Tag versauen kann – wenn man möchte! Ein Festival in der Größenordnung von ungefähr 10.000 Menschen muss nun mal heutzutage gewisse Auflagen erfüllen. Ja, vielleicht ist Köln da auch wirklich eine spezielle Diva. Mag wirklich so sein. Aber es lässt sich jetzt nicht mehr ändern, dass es einen Front of Stage Bereich gibt (in den man nur mit einem speziellen Zusatzband Einlass erhält) und dass die Boxen nicht in gänzlicher Lautstärke schmettern dürfen. Da kann man sich wirklich die Laune verhageln lassen über all die Ungerechtigkeit hier im Tanzbrunnen; man muss es aber nicht.
Die nörgelnde Unzufriedenheit müssen auch die Musiker von Lyriel [GALLERY] stellenweise über sich ergehen lassen. Den „lauter“ Rufen aus dem Publikum stehen sie machtlos gegenüber. Zum ersten Mal an diesem Tag kommt eine Formation auf die Bühne, die auch zum Tageskonzept „Rockshow“ von Schandmaul passen. Gitarre meets Cello und Geige. Oben drauf ein rockiger Gesang von Jessica Thierjung, der zwischendurch von Cellistin Linda Laukamp stimmlich untermauert wird. Leider hatte man gelegentlich das Gefühl, dass der Herr am Ton etwas mit den Reglern spielte, denn stellenweise klang es doch recht merkwürdig im Ohr. Die Interpretation von Schandmauls Diese Melodie war mehr als gelungen und ließ auch die kleine (aber laute) Anzahl an Nörglern kurz verstummen.
Hätte es bereits zu einem anderen Zeitpunkt die Wahl der typischen Fahrstuhlmusik gegeben, dann wäre die Musik der Band Die Kammer [GALLERY] sicherlich in die nähere Auswahl gekommen. Matze Ambré und Marcus Testroy erschaffen mit ihrem relativ neuen Projekt ein doch sehr eigenes Klangbild. Zurück zur Kammermusik, mit Akustikgitarre, Cello, Violine, Tuba und zart geschlagenen Drums. Damit fallen die beiden Musiker sicherlich öfter aus dem Rahmen und es dürfte ebenso schwer sein, eine Bühne zu finden, auf die sie wirklich passen. Hier auf der großen Bühne im Tanzbrunnen wirken sie eher deplatziert, was sich auch an der Zuschauerzahl vor den Fress- und Getränkebuden abzählen lässt. Retten konnten sich die beiden Frontmänner durch eine eigene Version von Schandmauls Prinzessin, die gerade durch die tonangebende Tuba glänzte. Die Kammer ist sicherlich eine feine Sache, solange man das entsprechende Gefühl auch in der Wahl der Spielorte wiederfindet.
Es liegen Welten zwischen der Kammermusik und dem SpeedFolk von Fiddler’s Green [GALLERY], soviel sei schon einmal verraten.
Mit Kein Weg zu weit fegen die Schandmäuler voller Spielfreude über die Bühne. Mit Sehnsucht erwartet wurden die Münchener und das sieht man gleich in den Gesichtern des Publikums. Aber auch den Mäulern sind die Nörgeleien zu Ohren (bzw. zu Augen via Facebook) gekommen und so ergreift Thomas direkt zu Anfang das Wort. “So nun stellen wir alle die Beine parallel zusammen, heben das rechte Bein und stampfen alle ganz feste auf den Boden damit und sagen MIST!”. Ein lauter Aufschrei geht durch den Tanzbrunnen und mit diesem einen Wort scheint alles vergessen und der Schalter im Gehirn wird auf Party umgestellt. Wer kann diesem Charme schon widerstehen? Und nun kann auch die unbeschwerte Party losgehen. Endlich! Und so kann zu vielen Klassikern ausgiebig getanzt, gelacht, geklatscht und gesungen werden. Die Spielfreude auf der Bühne schwappt einfach ins Publikum über. Aber auch ein kleiner Rückblick mit ein wenig Wehmut muss bei so einem Fest schon sein. Und so erzählt Thomas seinen Fans von der Geburt, der Pubertät und dem Erwachsenwerden der Band Schandmaul [GALLERY], wobei er hier und da offen lässt, in welcher Phase man nun gerade so steckt. Da kann man doch nur hoffen, dass sie nicht kurz vor dem Altersheim stehen. Aber bereits während der ersten Zugabe wird klar, dass Schandmaul gelegentlich noch in der bockigen Pubertät hängen geblieben sind, denn so ein wunderschöner Texthänger wie bei Wandersmann erinnert schon sehr an die Zeit, wo man Gedichte auswendig lernen musste und es so überhaupt nicht schaffte. Aber gerade solche Dinge machen das Phänomen Schandmaul auch aus und sogar liebenswert.
Ein irre geiler Tag, der mit weniger Nörgeln, über Dinge, die man eh nicht ändern konnte, sicherlich für einige noch wesentlich schöner gewesen wäre. Man kann einfach nur hoffen, dass in fünf Jahre das nächste Schandmaul-Fest gefeiert wird!
Setlist Schandmaul:
01. Kein Weg zu weit
02. Herren der Winde
03. Sichelmond
04. Auf hoher See
05. Mitgift-Tröten-Medley
06. Verbotene Kuss
07. Pakt
08. Seemannsgrab
09. Anderswelt
10. Lichtblick
11. Traumtänzer
12. Bunt und nicht braun
13. Mädchen & Tod
14. Vogelfrei
15. Hofnarr
16. Drachentöter-Krieger-Medley
17. Leb!
18. Frei
19. Walpurgisnacht
20. Feuertanz (Z)
21. Teufelsweib (Z)
22. Dein Anblick (Z)
23. Der Wandersmann-Trinklied-Medley (ZZ)
24. Der Spion (ZZ)
25. Willst du? (ZZ)
26. Auf euch (ZZZ)
Bilder des Festivals und der beteiligten Bands befinden sich in unserer Konzertfotos Sektion (Bildkommentare sind dort durch Anklicken der gelben Sprechblase oben rechts möglich) oder direkt durch Anklicken der jeweiligen Gallery-Links bzw. Fotos.
Autorin & Fotos: Daniela Letzner
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