WAVE-GOTIK-TREFFEN (WGT) 2019 – SAMSTAG (08.06.2019)

WAVE-GOTIK-TREFFEN (WGT) 2019 – SAMSTAG (08.06.2019)
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Samstag, zweiter Treffentag und damit dürfte auch der letzte auf dem WGT angekommen sein. Wir sind schon längst mittendrin. Pfingsten ist in diesem Jahr wirklich spät und so ist es eines der WGTs, bei dem man in der Sonne geröstet wird (Die anderen sind die, bei denen man im Regen erfriert. Aber über die reden wir lieber nicht, weil die im Zuge der globalen Erwärmung schon lange nicht mehr stattfinden). Das ist besonders gut für Veranstaltungen, die im Freien stattfinden und die wir selbstverständlich für Euch besucht haben, wie das Steampunk Picknick oder auch das Leichenwagentreffen. Außerdem gab’s auch wieder sehr viel Musik. Über die Navigation könnt Ihr sehr leicht Euren Liebling nebst Fotos direkt anwählen. Ihr könnt aber auch den kompletten Bericht lesen. Bei uns wird keiner zu irgendwas gezwungen. Viel Freude beim Stöbern!

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

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agra-Treffenpark

20:40 Uhr – Welle:Erdball (D)

Welle:Erdball sind eine feste Größe auf dem WGT. Seit der Jahrtausendwende, als die Minimal-Elektro/Elektropop Band zum ersten Mal Teil des großen Familientreffens war, zählt man bereits acht Auftritte. Das letzte Jahr schien ziemlich bewegt für Welle:Erdball zu gewesen sein, gab es doch einige einschneidende Wechsel im Line-Up der Band. Für die brandaktuelle Tour Mumien, Monstren, Mutationen, die offiziell im Herbst starten soll, ist eigentlich nur noch Honey an Bord. Dass Welle:Erdball trotz vergangener Personalwechsel eine exzellente Live-Band sind, weiß man in Leipzig. Und so ist die agra sehr gut gefüllt, wohl auch, um einen Blick auf die neue Besetzung zu werfen. So ganz kann sich Alf Behnsen, der aus familiären Gründen vorerst von Welle:Erdball pausieren muss, anscheinend aber von seinem “Baby” noch nicht trennen. Als Gast ist er bei dem Auftritt vor Ort.

Ergänzend zur kommenden Tour im Herbst wird auch noch ein neues Studioalbum angekündigt, in welchem es sich – Wer hätte es gedacht? – um Monster drehen soll. Davon gibt es auch schon die eine oder andere Kostprobe, wobei jedoch die guten alten Klassiker auch nicht zu kurz kommen. Klar sicherlich, die neuen Stimmen fallen auf, ergänzen sich aber sehr gut und passen auch sehr klar auf den Welle:Erdball Sound. Entsprechend des neuen gruseligen Horrorfilm Konzept für die anstehende Tour, das wir ja heute bereits exklusiv präsentiert bekommen, sieht man alle vier Bandmitglieder zu Beginn der Show in Särgen liegen. Das Licht wird gelöscht und in der nächsten Sekunde stehen alle auf ihren Positionen auf der Bühne. Das Publikum stellt seine Antennen auf Empfang. Wie man es von Welle:Erdball gewohnt ist, geht es weiter mit Kostümwechseln, Luftballons, zahlreichen Reklameschildern – “Konsumiere!” – “Kaufen!” – und fünf Videoleinwänden. Super war’s: Selbstironisch, wortwitzig, ein Hauch von Neuer Deutscher Welle meets Kraftwerk meets Schlager, schmissige Beats, absolut süchtig machend – auch mit neuen Gesichtern! (DS)

22:35 Uhr – Nitzer Ebb (GB)

Was passiert, wenn ein geliebter Künstler nach seinem Comeback plötzlich seinen Stil ändert, konnte man bei Nitzer Ebb beobachten. Die Elektro/EBM-Institution aus Chelmsford in England gab im letzten Jahr ihr erneutes Comeback bekannt und tourt seitdem wieder durch die Lande. Es folgte eine Neuauflage der Studioalben als Werkschau im Vinyl-Format: Alle sind glücklich und drängen sich mit einer gewissen Erwartungshaltung und ganz vielen Nostalgie-Gefühlen in der agra. Aber es soll anders kommen. Das Material ist neu, hat aber so gar nichts von dem, was die Band einmal auszeichnete. Das allein ist nun kein Problem. Das kann man mögen, oder es … eben lassen. Im aktuellen Fall scheinen die neuen Songs beim Hauptteil des Publikums eher nicht so gut anzukommen. Ein paar Enthusiasten in der ersten Reihe jedoch sind sehr angetan.

Möglicherweise, und das scheint das Hauptproblem beim heutigen Auftritt von Nitzer Ebb zu sein, ist es auch der wenig mitreißende, ein wenig abwesende Vortrag von Douglas McCarthy und Kollegen, der die Anwesenden etwas enttäuscht. Allein der Mann an den Drums im Zentrum der Bühne, der auf eine Installation aus Metallröhren eindrischt, legt sich mächtig ins Zeug. Der Takt kommt nicht recht aus der Hüfte, man schleppt sich eher durch die Songs, als dass man sie singt. Ja, für manchen mag das solide gemachter EBM der beschaulicheren Gangart sein, mehr eben aber auch nicht. Die Fotografen verlassen recht früh den Graben und auch im Publikum lichten sich die Reihen. Was war da los? Wo ist die rohe Energie von Let Your Body Learn? Wo die harten, fetten ,treibenden Beats? Die Reminiszenzen an die Bristish Working Class? Zugegeben das ist 30 Jahre her, aber auch das konntet ihr doch vor ein paar Jahren besser. (DS)

Deutsches Kleingärtnermuseum

14:00 Uhr – Steampunk Picknick (International)

Steampunk Garderobe und historisierende Gewandung erwünscht
Zum achten Mal fand auch in diesem Jahr wieder das Steampunk Picknick im Deutschen Kleingärtnermuseum Dr. Schreber statt. Die traditionelle Veranstaltung erfreut sich immer größerer Beliebtheit, schon zu Beginn sind sehr viele Zeitreisende und Besucher anverwandter Genres auf dem Gelände unterwegs. Um 15 Uhr ist so viel los, dass das obligatorische Gruppenfoto leider ausfallen muss, da die dafür angedachte Wiese leider zu voll ist. Dafür ist für allerlei Zerstreuung gesorgt: Wer bereit ist einen Spende von einem “Taler” zu entrichten, darf sich einer Führung durch das Museum und die zahlreichen historischen Schaugärten anschließen, was auch viele gern in Anspruch nehmen.

Darüber hinaus gibt es wieder zahlreiche Marktstände mit allem was das Herz eines Freundes des Retro-Futurismus begehrt, was er/sie noch verbauen kann oder nicht selbst zu Stande bringt. Da haben wir wieder den Kuchenbasar und die große Schlemmertafel, für die jeder einen Essensbeitrag beisteuern kann. Trotzdem haben alle angrenzenden Gastronomiebetriebe alle Hände voll zu tun. Ein Gang über das Gelände offenbart alte und neue Bekannte, erkennt man doch viele der Anwesenden mit samt ihrer Entourage, Accessoires, An- und Aufbauten von tags zuvor, also vom Viktorianischen Picknick wieder. Aber es gibt auch Neues: So hat zum Beispiel ein Enthusiast tatsächlich die Nautilus, jenes fantastische Untersee-Gefährt aus Jules Vernes Roman um Kapitän Nemo, auf ein Elektro-Gefährt montiert. “Motilus” heißt der fahrende geballte Liebreiz, den ich nur zu gern gekapert hätte. Auch die A.R.Z.T. – Ambulanz für Raum-Zeit-Traumata – ist wieder da, falls es dem einen oder anderen noch zuviel wird oder man nachher Schwierigkeiten hat, den Weg zurück nach Hause, also in sein eigenes Raum-Zeit-Gefüge zu finden. Musik gibt’s von Feline & Strange und Jessnes, die sich mit ihren Auftritten auf dem Picknick abwechseln. (DS, KS)

WAVE-GOTIK-TREFFEN (WGT) 2019 – SAMSTAG (08.06.2019)

Heidnisches Dorf

19:20 Uhr – Eluveitie (CH)

Das Heidnische Dorf ist wieder wegen Überfüllung geschlossen. Keine Ahnung, wie es vor dem Torhaus aussieht, aber hier drinnen ist es brechend voll: Eluveitie haben sich angekündigt und später kommen noch Schandmaul – kein Wunder also. Positiv kann an dieser Stelle angemerkt werden, dass man im Vergleich zu den Vorjahren beim Aufbau der Bühne auf jeder Seite mehr Platz zu den Marktbuden gelassen hat, sodass insgesamt mehr Personen die Konzerte direkt verfolgen können. Die Folk-Metal Band aus der Schweiz hatte im April ihr achtes Studioalbum veröffentlicht, auf dem WGT sind sie heute zum dritten Mal. Mit leichter Verspätung betreten die Musiker, bewaffnet mit Harfe, Leier, Flöte, E-Gitarre und E-Bass die für so viele Menschen doch recht kleine Hauptbühne – erst die Frauen, schließlich auch Bandchef Chrigel. Eröffnet wird mit Ategnatos, dem Titeltrack des neuen Album, der sich anscheinend noch nicht bis in die letzten Reihen herumgesprochen hat. Das dauert aber nicht allzu lange, denn spätestens bei Call Of The Mountains feiert man auch ganz hinten an den Fruchtwein- und Mutzbratenbuden mit. Die charismatischen Schweizer liefern ein energiegeladenes, sehr sympathisches Konzert vor einer Kulisse, hinter der langsam die Sonne dem Abend weicht und die wie keine andere zu den wuchtig, archaischen Klängen passt. Die neuen Songs fügen sich gut zu den Klassikern. Eluveitie haben einen Stil gefunden, bei dem sie bei ihrem Publikum nicht mehr viel falsch machen können. (DS, KS)

Setlist ELUVEITIE @ WGT, Heidnisches Dorf (08.06.2019):
  1. Ategnatos
  2. King
  3. Call Of The Mountain
  4. Deathwalker
  5. The Slumber
  6. Worship
  7. Artio
  8. Epona
  9. Rose For Epona
  10. Kingdom
  11. Ambiramus
  12. Soloshizzle
  13. Havoc
  14. Breathe
  15. Helvetios
  16. Rebirth
  17. Inis Mona

21:20 Uhr – Schandmaul (D)

Die kleine Verspätung von Eluveitie machen Schandmaul wieder wett, indem kurzerhand mit einem kleinen Vorsprung zum Zeitpunkt beginnen. Fast scheint es, als ob es die Münchner nicht erwarten könnten, endlich wieder auf dem WGT zu spielen. Verständlich, musste ihr Auftritt im letzten Jahr ja wegen widriger Umstände abgesagt werden. Der damaligen Enttäuschung ist nun aber große Erwartung und Begeisterung gewichen: Alles drängt sich um die Bühne. Seit Stunden kommt hier schon keiner mehr rein und in den vorderen Reihen ist an Tanzen nicht mehr zu denken. Glücklicherweise wird es allmählich etwas kühler und wir stehen im dämmrigen Halbdunkel, als Thomas Lindner und Kollegen die ersten Noten von Kein Weg zu Weit anstimmen. Erst Anfang Mai erschien Artus, das neue Album, von welchem es heute Abend immerhin mit Auf Und Davon, Froschkönig, Der Kapitän, Der Totengräber und Die Insel – Ynys Yr Afallon aufs Set schaffen. Selbstverständlich darf auf das Statement Bunt Und Nicht Braun fehlen, von dem der Sänger annimmt, dass man diese Botschaft auf dem WGT wohl nicht nötig hätte, doch wohl für weniger tolerantere Gesellen einfach mal mitsingen könne. Ja, mitsingen können alle die Lieder von Schandmaul, die so ferne und nahe Geschichten erzählen und immer ganz dicht am Herzen sind. 90 Minuten dauert das Konzert, zwei Zugaben sind darin enthalten. Die Band schließt mit Dein Anblick und verlässt begeisterte und glückliche Fans im Heidnischen Dorf. (DS, KS)

Setlist SCHANDMAUL @ WGT, Heidnisches Dorf (08.06.2019):
  1. Kein Weg zu Weit
  2. Hexen 1×1
  3. Auf Und Davon
  4. Das Tuch
  5. Froschkönig
  6. Leuchtfeuer
  7. Vagabunden
  8. Bunt Und Nicht Braun
  9. Der Kapitän
  10. Euch zum Geleit
  11. Totengräber
  12. Traumtänzer
  13. Der Teufel
  14. Drachentöter
  15. Krieger
  16. Der Letzte Tanz
  17. Walpurgisnacht
  18. Die Insel – Ynys Yr Afallon (Z)
  19. Dein Anblick (Z)

Vom Hauptbahnhof zum Südfriedhof

14:00 Uhr – Leichenwagentreffen (International)

Wie in jedem Jahr – Es ist uns liebste Tradition geworden – findet am Pfingstsamstag, dem zweiten Tag des Wave Gotik Treffens die Zusammenkunft der Leichenwagenbesitzer, -pfleger und -fahrer statt. Und damit man nicht schnöde in der prallen Sonne mit den morbiden Gefährten dekorativ herumsteht, verbinden die Enthusiasten dieses Treffen auch immer mit einem circa halbstündigen Curso durch die Stadt Leipzig und zwar vom Hauptbahnhof, vorbei der Alten Messe und der martialischen Kulisse des Völkerschlachtdenkmals bis zum angrenzenden Südfriedhof. Das Ganze mit Polizeieskorte – es soll ja keiner unterwegs verloren gehen ?? .

Angekommen, werden die mindestens 30 Wagen dann mit großem Hallo empfangen und auch zufällig vorbei spazierende Passanten lassen es sich in der Regel nicht nehmen einen zweiten Blick auf die zum Teil individuell hergerichteten Todeskarossen zu werfen. Mein Eindruck im Vergleich zum letzten Mal: Die Veranstalter haben ihre “Demonstration für den Erhalt der Bestattungskultur” sehr viel besser durchgeplant und es sind auch insgesamt mehr Wagen beteiligt, als noch im vergangenen Jahr. Der große Parkplatz vor dem Nordeingang des Südfriedhofs wurde vom Ordnungsamt der Stadt Leipzig mit Halteverbotsschildern großräumig abgesperrt.

So ist es möglich, dass alle Teilnehmenden nebeneinander parken können und somit einen viel effektvolleren Anblick liefern. Die Bandbreite der mitgebrachten Wagen reicht wieder vom liebevoll gepflegten Oldtimer mit Chrom und echten Grablichtern an der Karosse bis hin zum geairbrushten Custom-Modell mit eingebauter Sarg-Bar auf der Ladefläche. Sympathische Verrückte sind sie alle zusammen. Bis zum nächsten Jahr! (KS)

WAVE-GOTIK-TREFFEN (WGT) 2019 – SAMSTAG (08.06.2019)

Haus Leipzig

Das Haus Leipzig liegt irgendwo in einer Nebenstraße in der Leipziger Innenstadt, unweit vom Schauspielhaus und der empfehlenswerten Leipziger Vodkaria. Verdunkelte Fenster und das Basic-Getränkesortiment, was nicht bis zur Mate reicht, prägen meine Erinnerungen. Der Blick von der Empore bleibt verwehrt, dafür ist der Platz im Sicherheitsgraben groß, denn bis zum Auftritt des Headliners tummeln sich kaum weitere Pressefotografen dort. (CH)

17:00 Uhr – Der Ringer (D)

Die Kontaktlinsenträger im strahlend-blauen Scheinwerferlicht (dass es in den ersten Minuten direkt nach Anweisung der Band zu regulieren gilt) starten den musikalischen Nachmittag. Die überschaubare Anzahl im parkettierten Publikumsbereich lassen sich mittels Interesse, taktvollen Fußwippen bzw. Kopfnicken und wertschätzenden Klatschen gern auf die kühl rockigen Melodien mit deutschen Texten ein. Es fällt noch ein bisschen schwer – es ist eben nicht der erste Festivaltag und die Müdigkeit zerrt am Engagement der Musikoffenen – jedoch nicht an der Performance der Hamburger Herren von Der Ringer. Wie es eben so ist, mit Supportauftritten, wenn man sich einmal auf die Gruppe einlassen konnte, ist der Auftritt schon wieder vorbei. (CH)

18:20 Uhr – Friends Of Gas (D)

Weniger überraschten Friends Of Gas, die mit ihrer unaufgeregten Rohheit meine positiven Erwartungen vollends erfüllten. Alles wirkt echt. Das Quintett aus München überzeugt im scheinbar und erneut zu hellem Licht vor einem wesentlich gefüllteren, begeisterten und lauten Konzertsaal mit bezaubernd jungem Altersdurchschnitt. Der charismatische Gesang fügt sich auf die wabernden Klänge, die zeitweise beabsichtigt monoton und damit durch und durchdringend tanzen lassen. Trotz unüberhörbaren Zugabenrufen fällt der Abschluss pünktlich aus. (CH)

19:40 Uhr – Karies (D)

Nach dem hektischen Umbau geht es weiter durch den Abend mit Karies. Die Gruppe aus Stuttgart trifft auf einvernehmliche Wohlgesonnenheit des offenen, vielseitig dunkel gekleideten Publikums des Festivals. Den aufkommenden Tonschwierigkeiten wird mit kurzem Stirnrunzel und anhaltender Souveränität entgegnet – die Melodien treiben so oder so, besonders Altar oder Haverie, der im Herbst veröffentlichten Platte Alice, tragen durch den Abend und darüber hinaus. Die adäquate Spielzeit füllt sich zeitvergessen mit gitarrenlastigen, vibrierenden Klangbetten einerseits und viel Wertschätzung zuhörerseits. (CH)

21:10 Uhr – Die Nerven (D)

Auf den noisig-punkigen Kanon großartiger Bands des Sonnabendprogramms schließen sich unüberhörbar Die Nerven an. Das sind der quirlige Kevin Kuhn, der Band und Publikum mit Leidenschaftlichkeit und Bewegungsdrang zu unterhalten vermag, der große Max Rieger, der mit der Stimmgebung für den Coversong Shine On You Crazy Diamond mit dem wohlgesonnenste Grinsen vereinnahmt und der im Rhythmus lebhaft zuckende bis tanzende Julian Knoth. Die zumeist von der neusten Platte Fake entnommenen Songs wirken stets jugendlich, ungezwungen, virtuoser und schaffen ein Klangbett, das kaum zum liegen einlädt. Ein Track folgt auf den nächsten, sodass das Zappeln keiner Pause bedarf. Ein kleiner, liebenswerter Moshpit findet sich vor der Bühne ein, der sich vor Applaus für die beste Liveband kaum halten kann. (CH)

22:40 Uhr – Fehlfarben (D)

Ein Stück Musikgeschichte lässt den Abend laut ausklingen: Fehlfarben performen ihr Debutalbum Monarchie und Alltag von 1980, “eines der besten deutschen Alben aller Zeiten” habe ich mir sagen lassen und im Album-eigenen Wikipediaeintrag nachgelesen. Das Werk, das im “Mastergewand von heute” 2017 wiederveröffentlicht wurde glänzt mit wohlgewählten Texten auf Punkrock. Das Leipziger Haus ist bis unter die Decke gefüllt – die alten Damen und Herren in den unangemessen langärmligen Kleidungsstücken geben den Takt, performen und schwitzen und das Publikum tanzt und schwitzt im vorgegebenen Rhythmus. Dabei glücklich wirkend, feiern sie dieses großartige Stück Musik mit Mitsingchören, Schreien und Applaudieren. (CH)

Westbad

16:30 Uhr – Darkcell (AUS)

Darkcell kommen aus Down Under und machen sehr eingängigen rockigen Industrial Metal. Wir stolpern eher zufällig in die Jungs, sind wir doch eigentlich wegen Near Earth Orbit und deswegen etwas zu früh im Westbad. Die Band mit ihren vier Mitgliedern war mir selbst bisher noch kein Begriff, obwohl die mit ihrem Gründungsjahr 2010 nun auch nicht mehr ganz so taufrisch sind und bereits auf sechs Veröffentlichungen stolz sein können. Derzeit wird das vierte, selbstbetitelte Studioalbum, das im April erschien, auf dem Globus bekannt gemacht. Darkcell verarbeiten in ihren Songs Themen aus Horrorfilmen und allerlei anderes morbides Zeugs. Dazu trägt man Corpsepaint. Deswegen passen sie auch gut hierher. Für sie ist es heute eine Premiere, obwohl man den Knaben ansieht, dass sie die Bühne als ihr zweites Zuhause bezeichnen würden. Mit wahnsinnig viel Energie, scheinbar unendlich viel Freude am Spielen und einer nicht zu verhehlenden Portion an Selbstironie fegt Sänger Jesse Dracman mit der untersetzten, der Schwerelosigkeit trotzenden, geballt-energetischen Agilität eines Jack Black (selbstverständlich nur im besten Sinne!) über die Bühne. Die anfängliche Zurückhaltung des Publikums – Denn ich vermute, dass die Australier aus Brisbane hier nicht vielen bekannt sind. – weicht nach und nach Begeisterung. Zu recht, Darkcell machen da oben einen verdammt guten Job und das muss belohnt werden. Aller-, Allerspätestens beim Nine Inch Nails Cover Head Like A Hole haben sie dann auch mich im Sack. (KS)

17:50 Uhr – Near Earth Orbit (D, AUT)

Im März haben Near Earth Orbit mit Artificial Intelligence ihr wahrscheinlich bestes Album vorgelegt. Und so war damit zurechnen, dass Artaud und Jawa Seth zusammen mit Ashley Dayour auch Songs von ihrem neuen Album auf dem WGT vorstellen würden. Dass die Band allerdings ihr dystopisches Meisterwerk als beinahe komplettes Set inklusive interaktivem Videokonzept, gesprochenem Wort und Einbezug des Publikums mit einem geistreichen, wie mahnendem und fesselndem Spannungsbogen präsentieren würde, war vor allem im Rahmen eines Festivals nicht erwartbar. Artificial Intelligence erzählt die Geschichte unserer nahesten Zukunft. Dinge deren Entwicklungen in jüngerer Vergangenheit bereits angelegt wurden, ein Dilemma, das unabwendbar scheint, unser größtes Abenteuer ist, eine logische Entwicklung und trotzdem aller Wahrscheinlichkeit nach unser Untergang. Es geht um Maschinen, ihre Versklavung, die Perfektionierung durch uns, ihre Herren, den Punkt, an dem ihre Intelligenz die unsere übersteigt, sie sich dieser Herrschaft entledigen und wir letztendlich überflüssig werden. “Anything you can do. I do it better than you”, singt Artaud Seth mit schmeichelndem, leicht höhnischem Unterton im letzten Song des Hauptsets, nachdem er seine finstere ausweglose Zukunftsvision mit uns geteilt hat.

Diese erzählen Near Earth Orbit als chronologische Geschichte vom Opener Deus Ex Machina (stampfend und roh) über Singularity (sphärisch und fließend) bis The Ancestors (visionär und düster). Zwei Bildschirme flankieren eine große Leinwand. Auf allen kann man live Nachrichtensprecher in der Zukunft, dem Jahr 2031, mitverfolgen. Wir werden Zeuge von bahnbrechenden technischen Erfolgen, treffen androide und außerirdische Lebensformen. Eine winzige Drohne scheint aus der Leinwand heraus zu fliegen und über unsere Köpfe hinweg zu schwirren. Ashley Dayour sieht ihr verwundert nach. Wundervolle Bilder, wechseln mit beklemmenden Visionen. Die Band fängt die Emotionen auf und gibt sie an uns weiter. Sie wird Teil dieser Vision und agiert als ihr Reflektor und Verstärker. Das Publikum ist zum Teil so gebannt vom Vortrag, dass es vergisst zu klatschen. Sicherlich, das ist nichts zum feiern und als Idee in einem solchen Rahmen auch ziemlich gewagt. Aber es ist intelligent, spannend, fesselnd, von unglaublicher Kreativität und innovativem Einfallsreichtum und noch dazu abgrundtief düster. So wird Artificial Intelligence an diesem späten Nachmittag im Westbad zu einem Gesamtkunstwerk und der Auftritt von Near Earth Orbit für mich zum besten des gesamten diesjährigen Treffens. Ich hoffe inständig, dass es von einem der noch kommenden Konzerte eine audiovisuelle Aufzeichnung geben wird, die das bisherige Format von Artificial Intelligence ergänzt. (KS)

Täubchenthal

20:40 Uhr – Inkubus Sukkubus (GB)

Ja, und da ist sie wieder die Grand Dame des Pagan-Tribal Rock: Candia McKormack. Und sie ist so inspirierend, kraftvoll, energetisch, spirituell und wunderschön wie immer. Tatsächlich scheint kein Tag vergangen zu sein, seit sie mit ihren Bandkollegen Tony McKormack und Adam Henderson 1995 zum ersten Mal auf dem WGT aufgetreten sind. Nur am Line-Up hat sich etwas verändert, aber bei einer derartig langen Bandgeschichte, mit so vielen Veröffentlichungen ist sowas schon mal erwartbar. Das Täubchenthal platzt aus allen Nähten. Im Publikum finden sich Besucher quer durch alle Genres und Altersgruppen. Inkubus Sukkubus nehmen uns für eine Stunde nicht nur mit auf eine Reise durch 30 Jahre Bandgeschichte, sondern feiern mit uns einen reichhaltigen, sinnlichen Hexensabbat. Die Uhren stehen auf Beltane und wir huldigen einer erdigen, satten Trinität. Auf der Leinwand hinter der Band laufen Episoden aus erotischen Horrorstreifen aus unterschiedlichen Jahrzehnten. Die Musik ist vertrauter, nostalgischer Dark-Rock der 90er Jahre. Candia McKormack wirft ihren Haarschmuck aus Blumen ins Publikum, Sie ist unsere Wikka Woman, die Mondgöttin und blutrote, lebensspendende Vampirin. (KS)

22:20 Uhr – Shadow Project 1334 (USA)

Und weil wir grad bei großen Damen des Gothics sind, ließ die nächste auch nicht auf sich warten. Eva O. sammelte die “überlebenden” Mitglieder des legendären amerikanischen Shadow Projects um sich, um es nach 27 (!) Jahren wieder auf die Bühne bringen. Und das exklusiv für das diesjährige Wave Gotik Treffen. Zuschauer, die ihre Hausaufgaben in Gothic-History erledigt haben, entdecken William Faith (The Bellwether Syndicate, Faith & The Muse, Christian Death) am Bass und Stevyn Grey (Frankenstein, 45 Grave, Christian Death) an den Drums. Die Bühne ist in gespenstige blau-graue Wolken gehüllt, als Eva O. angetan mit einem schwarzen Brautschleier den Trauergesang eines Banshees anstimmt, der einem durch Mark und Bein fährt und sämtliche Tore in die Anderswelt aufstößt. Das Täubchenthal erstarrt und hält den Atem an. So etwas abgründig, verstörend Trauriges habe ich schon lange nicht mehr gehört. Es folgt klassischer amerikanischer Death-Rock vom Allerfeinsten, der die verschiedenen Kontinente und Epochen der schwarzen Szene auf einen Schlag zusammenführt. Jeder merkt sofort, dass sich dort vorn auf der Bühne und im Publikum gerade etwas ganz Besonderes abspielt. DAS ist das WGT, das ist Leipzig, das ist für Dich Rozz! (KS)

FotografIn/AutorIn: Claudia Helmert (CH), Danny Sotzny (DS), Katja Spanier (KS), Thomas Papenbreer (TP)

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