I See Stars – The Wheel

I See Stars - The Wheel I See Stars - The Wheel
Lesedauer: 14 Minuten
Unsere Wertung
I See Stars - The Wheel9 / 10

Neun Jahre nach ihrem letzten Studioalbum Treehouse“ melden sich I See Stars mit einem Werk zurück, das mehr ist als nur ein weiteres Kapitel in ihrer Diskografie. The Wheel“ ist kein schnell konsumierbares Album, sondern eine Reise durch Schicksal, Schmerz und Hoffnung, die nur in ihrer Gesamtheit wirklich erlebbar ist. Zwischen brachialen Riffs, futuristischen Elektronikflächen und einer Intensität, die gleichermaßen ins Herz wie unter die Haut geht, entfaltet sich ein Soundkosmos, der die vergangenen Jahre der Band wie ein emotionales Archiv ihrer Erlebnisse festhält.

Die US-Amerikaner aus Michigan können es kaum erwarten, ihr Werk nun endlich mit der Welt zu teilen. Am besten bringt es die Band selbst auf den Punkt: „Das letzte Mal, dass wir so viel Zeit in ein Album gesteckt haben, war bei unserem Debüt ,3D‘. ,The Wheel‘ ist eine Zeitkapsel, die die vergangenen sieben Jahre unseres Lebens einfängt. Es ist die Summe von allem, was wir individuell, gemeinsam und als Menschen im Chaos der Welt erlebt haben. Auch wenn wir nicht vorhaben, wieder so lange bis zur nächsten Veröffentlichung zu warten, sind wir dankbar für die Zeit, die dieses Album gebraucht hat. Wir haben unser Herzblut hineingelegt – und hoffen, dass unsere Fans das spüren.“

I See Stars - The Wheel

Produziert von David Bendeth entwickelte „The Wheel“ schnell eine ganz eigene Dynamik. Schon das Intro „Spin It“ enthält das Geräusch eines sich drehenden Rads – inspiriert von einem Ritual im Studio: Statt starr einem Plan zu folgen, ließen I See Stars ein digitales Glücksrad entscheiden, an welchem Song sie weiterarbeiteten. Auf spielerische Weise wurde so der Zufall zum kreativen Motor, der immer wieder neue Impulse schenkte.

Für Devin Oliver war darin mehr verborgen als bloßer Spaß: „Mir gefiel daran besonders, dass es nicht unsere Wahl war. Es war unsere Entscheidung, den Zufall entscheiden zu lassen – aber wir vertrauten dem Universum, uns in die richtige Richtung zu führen. Aus einem Witz wurde etwas sehr Bedeutendes.“ So verwandelte sich das Rad vom spontanen Gimmick zum zentralen Sinnbild des Albums – ein Symbol für Schicksal und Vertrauen, für den unaufhörlichen Kreislauf des Lebens, der sich in der Musik ebenso spiegelt wie in den Erfahrungen der Band selbst.

Der Titelsong ist ein wuchtiger Auftakt, der das zentrale Bild des Albums präzise verdichtet. Elektronische Klänge verweben sich wie Zahnräder ineinander, bis Devins Stimme explosiv aufbricht und sich mit kraftvollen Gitarrenklängen verbindet. „The Wheel“ erhebt wie ein unüberhörbarer Alarmruf – eindringlich, alarmierend, fast apokalyptisch. In exakt zwei Minuten entfaltet sich ein treibender Strudel, der rastlos voranschießt wie ein Rad, das sich unaufhörlich dreht – Sinnbild für Wiederholung, Stillstand und den Kreislauf einer Welt, die sich bewegt und doch nicht verändert.

Mit „Eliminator“ veröffentlichten I See Stars die letzte Single vor dem Release ihres sechsten Studioalbums – ein Song, der futuristisch, schlagkräftig und kompromisslos auf den Punkt kommt. Schon die im Text beschworenen „verwaschenen Frequenzen“ spiegeln sich klanglich wider: zu Beginn und im Refrain legt sich ein diffuser elektronischer Teppich unter die Komposition, ehe die Drums lospreschen und Devins Stimme scharf und durchdringend einsetzt.

Lyrisch steht das Stück im Spannungsfeld zwischen Ohnmacht und Schicksalsergebenheit. „This way wasn’t a choice for me / It’s not how it’s supposed to be“ singt Devin zunächst mit klarer, fast nachdenklicher Stimme. Kurz darauf bäumt er sich bedrohlich auf, lässt seine Vocals rasen und konfrontiert uns folglich mit der existenziellen Frage: „What’s meant for me / Is what’s meant for me?“ Dieser Wechsel zwischen Wärme, Reflexion und eruptivem Druck prägt den gesamten Track und macht „Eliminator“ zu einer eindringlichem Stück über Ausgeliefertsein, Wiederholung und den Versuch, einen Platz im Chaos zu finden.

I SEE STARS - Eliminator (Official Visualizer)

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Mit „D4MAGE DONE“ öffnen I See Stars ein Panorama aus Entfremdung, Überforderung und der Suche nach Auswegen. Schon die Zeilen „There’s a million people in my head / Another million people in my bed“ beschreiben die Zersplitterung des Selbst, während der Refrain wie ein resignatives Mantra wirkt: „We’re just damage done / Need you to pull me out / To the now“.

Auch das Gedankenkarussell setzt ein und dreht sich unaufhaltsam weiter: Immer wieder kreisen die Lyrics durch den Kopf und rasen mit den Beats und Riffs um die Wette. Der Song erinnert an eine wilde Autofahrt – den Tacho immer wieder kurz im Blick, das Gaspedal am Anschlag. Wie ein Sog entfesselt D4MAGE DONE seine Wirkung: Härte und Melodie verschmelzen zu einem unwiderstehlichen Strudel, der einen mitreißt. Man will mitsingen, mitscreamen, bis man all den Frust des Alltags hinter sich gelassen hat. Devin klingt dabei schlicht göttlich – mal klar, sehnsüchtig und verletzlich, dann wieder eruptiv und durchdringend, als würde er selbst gegen das Chaos ankämpfen, das ihn umgibt.

Das Video übersetzt diese Bilder in eine bedrückende Szenerie. Devin steht inmitten einer Straßenbahn, umgeben von Menschen, die starr auf die blauen Bildschirme ihrer Smartphones blicken – verloren im digitalen Rausch. In einem Labyrinth aus Wänden lehnt er mit freiem Oberkörper an die Kälte des Betons, sichtbar gezeichnet von inneren Kämpfen. Später sitzt er in einem fahrerlosen Auto, das sich unaufhörlich rasend im Kreis dreht, Sinnbild für Kontrollverlust und Stillstand.

Die Menschen in neongelben Kapuzenpullis, die ihn einkreisen und bedrängen, wirken wie anonyme Avatare einer Gesellschaft, die erdrückt und verschlingt. Inmitten dieses Drucks begegnet ihm ein roboterartiges Tierwesen – eine groteske Spiegelung der Künstlichkeit, die ihn umgibt. Schließlich entlädt sich alles in einem heftigen Scream: das Ventil für eine Welt, die zuviel wird.

Am Ende kehrt Ruhe ein. Devin sitzt wieder in der Straßenbahn, diesmal flankiert von seinen Bandkollegen. Ein versöhnlicher Schlusspunkt, der andeutet: Man ist nicht allein im Chaos, auch wenn der Weg dorthin von Narben und Schatten gezeichnet bleibt.

I SEE STARS - D4MAGE DONE (Official Music Video)

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Als ich „Float“ zum ersten Mal hörte, kannte ich die Lyrics und Devins besondere Geschichte noch nicht – und doch war sofort klar, dass hier etwas Ernstes, zutiefst Berührendes im Spiel ist. Schon die melancholische Grundstimmung und die innere Schwere, die vom ersten Ton an mitschwingen, lassen keinen Zweifel daran. Der Song beginnt ruhig und eindringlich, fast schwebend, doch gleich die ersten Worte tragen bleierne Last: „Numb and I’m slipping, when I’m alone and no one can find me. Now it’s a black hole in front of me“ – Taubheit, das Entgleiten ins Nichts, der Blick in einen Abgrund, der alles verschlingt – das Schwarze Loch steht wie ein Symbol für Depression, für eine Kraft, die unaufhaltsam hinabrzieht.

Zum Refrain setzen Gitarren und Drums ein, die dem Track bedrückende Wucht verleihen. „Float / I don’t really wanna move … I don’t wanna run no more“ klingt wie eine Kapitulation, die aus Erschöpfung geboren wurde. Dieses Schweben ist kein leichtes Treiben, sondern Stillstand zwischen Loslassen und Versinken. In einem sanften Pianopart zieht sich Devin zurück, klingt nachdenklich und spürbar belastet, wenn er die eindringliche Zeile singt: „I get this feeling the world is better off without me“ – ein Bekenntnis radikaler Selbstzweifel, das tief ins Herz sticht.

Stück für Stück lädt sich „Float“ weiter auf – als würde sich ein unterdrückter Schrei im Hintergrund aufbauen, bis Devin mit „I gotta call it off“ die Anspannung eruptiv freisetzt. Ein Kinderchor setzt ein, wiederholt das mantrahafte „Numb and I’m slipping…“ und verstärkt das Gefühl verlorener Unschuld inmitten der Dunkelheit. Am Ende bleibt Devin allein zurück – allein mit seinen Gedanken, allein mit seiner Entscheidung. So eindringlich dieser Titel wirkt, seine volle Wucht entfaltet er im Wissen um Devins persönliche Geschichte. Denn er kämpfte mit einer Erkrankung namens intrakranielle Hypertension, die durch eine übermäßige Flüssigkeitsansammlung im Gehirn verursacht wird.

„Ich wurde mit dem Krankenhaus sehr vertraut“, erzählt er. „Ich war monatelang am Stück stationär dort, über zwei Jahre hinweg. Viele Songs handeln von dieser Zeit. Ich leide zwar nicht mehr unter den chronischen Schmerzen, und manche sagen, die Krankheit sei in Remission, aber es fällt mir immer noch schwer, einige dieser Songs zu hören – wirklich. Während des Schreibens gab es viele Momente, in denen ich nicht mehr leben wollte. Es ist schwer für mich, das zuzugeben, weil ich kein Mensch bin, der offen darüber spricht. Ich verarbeite meine Traumata durch unsere Musik. Deshalb ist es sehr emotional für mich, diese Lieder zu hören, weil ich heute nicht mehr an diesem Punkt stehe. Ich bin unglaublich dankbar, nicht mehr in diesem Schmerz gefangen zu sein.“

In diesem Licht erscheint „Float“ wie eine schonungslose Momentaufnahme seines Überlebenskampfes – ein Song, der nicht einfach gespielt, sondern existenziell gelebt ist. Er zieht einen hinein und lässt niemanden unberührt zurück.

„Drift“ ist einer der lautesten und kompromisslosesten Tracks des Albums. Er ist nicht direkt zugänglich und stürzt den Hörer in ein Wechselbad aus Aggression und Entrückung. Devin schreit einen förmlich an, bevor seine Stimme wie ein Ruf in die Ferne klingt – als würde sie gleichzeitig attackieren und entgleiten. Harte Gitarren und klare Drums treiben das Stück kraftvoll nach vorne, während im Pre-Chorus „Your eyes they glow seditious“ Drum’n’Bass-Elemente und eine sanftere Gesangslinie zulassen.

Es ist ein ständiges Hin- und Hergerissensein: Auch textlich herrscht ein permanentes Kreisen und Taumeln zwischen Nähe und Distanz. Der Song dreht sich immer wieder auf, fällt zurück in elektronische Passagen, die beinahe körperlos wirken – wenn Devin zum ersten Mal „You’re drifting“ ohne instrumentale Begleitung singt, scheint die Stimme selbst zwischen Klang und Leere zu gleiten. Doch sofort kehrt die volle Wucht zurück, mit schweren Riffs und der eindringlichen Wiederholung „You’re drifting in and out of focus“. Misstrauen und Zweifel wachsen – „The signs go rogue / It’s so suspicious / Hear me out the lies“ – Bilder einer Realität, die zunehmend instabil und unzuverlässig wirkt.

„Drift“ klingt wie das akustische Bild einer Seele, die sich auflöst – hin- und hergerissen zwischen Festhalten und Loslassen, zwischen greifbarer Wucht und dem völligen Verschwimmen im Nichts. So entsteht ein Wechselspiel, das das Albumkonzept des unaufhörlich drehenden Rads erneut spürbar macht.

„are we 3ven?“ verbindet Tempo und Melodie mit einer Schwere, die tief ins Mark geht. Treibende Gitarren und elektronische Raffinessen im Hintergrund tragen den Song voran, während ein hymnischer Refrain gar beflügelnd wirkt – als würde er den Hörer für einen Moment schweben lassen. Doch diese Weite täuscht: Mit einem einmaligen Breakdown zerreißt die Band die aufgestaute Spannung, bevor ein wirbelnder Sound und der Einsatz eines Kinderchors das Stück in ungeahnte Intensität katapultieren.

Textlich bleibt die Leichtigkeit trügerisch: „You bleed me dry / You leave me dying“ – Bilder einer toxischen Beziehung, die Energie entzieht und Wunden hinterlässt. Schon zu Beginn fragt Devin: „Up to me – is it up to me to untangle you?“ und macht damit deutlich, wie unausgeglichen das Verhältnis ist: Einer kämpft, während der andere nur zusieht. Es geht um Schuld, um Abhängigkeit, um das bittere Eingeständnis, dass die Enttäuschung unausweichlich ist – „If I give you this chance you will let me down.“

So entsteht ein Track, der hymnisch und verletzlich zugleich ist – energiegeladen, wuchtig, voller Emotion, und doch durchzogen von einer Frage, die unbeantwortet bleibt: Sind wir jemals wirklich quitt?

I SEE STARS - are we 3ven? (Official Music Video)

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„Flood Light“ geht unter die Haut. Flirrende Gitarren und eine beinahe liebliche Sanftheit prägen den Song, während Devin mit weicher Stimme singt und eine Sehnsucht erzeugt, die sich beim Hören immer weiter entfaltet. Der US-Amerikaner singt mit einer Leichtigkeit, die trügerisch wirkt, als wäre alles in Ordnung. Doch genau darin liegt die Spannung: unter der schimmernden Oberfläche brodelt die Wahrheit, das Eingeständnis „I’m not doing too well / I hide it just a little too well“. Das titelgebende Bild des Flutlichts zieht sich wie ein roter Faden durch den Song. Es beleuchtet gnadenlos jede Bewegung, jeden Tag, jede Nacht. Statt Sicherheit erzeugt dieses Licht jedoch Beklemmung, den Wunsch nach Unsichtbarkeit: „Wouldn’t I be better off in the dark?“ Musikalisch spiegelt sich das in der Mischung aus Leichtigkeit und Schwere – zwischen sehnsuchtsvollen Gitarren, Devins verletzlicher Stimme und einem Sound, der wie eine glänzende Fassade wirkt, hinter der Verzweiflung lauert.

Im Mittelteil wird die Abhängigkeit deutlich: „Too addicted to leave / Now it’s underneath my skin controlling me“ – das Gefühl, gefangen zu sein in einem Kreislauf aus Erwartungen und Selbsttäuschung. Und wenn Devin fragt: „What good is a bad dream / If I never get to wake up?“, klingt Resignation an, die keine Antwort findet. Der Song endet schließlich mit einer zarten Pianomelodie, die alles ausklingen lässt wie ein letzter schwacher Lichtstrahl, bevor die Dunkelheit einsetzt. „Flood Light“ ist damit eine bittersüße Meditation über Schein und Sein – ein Stück, das zeigt, wie zerbrechlich der Mensch hinter dem Rampenlicht sein kann.

„carry on for you“ ist einer der ergreifendsten Momente des Albums – entstanden nach dem Tod von Devin und Andrews Onkel an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Schon die ersten Zeilen lassen das Gefühl von Verlust aufscheinen: zerbrochene Fragmente, verblassende Fotos, Fragen, die für immer unbeantwortet bleiben. Musikalisch überrascht der Song zunächst mit Drum’n’Bass-Beats und elektronischen Elementen, die beinahe leichtfüßig und tanzbar wirken. Doch Devins Stimme trägt so viel Gefühl, dass man unweigerlich spürt: hinter dieser Energie liegt tiefer Schmerz. Wenn er „echo mark on my memories“ singt, klingt es wie ein ferner Widerhall, der zwischen Verlust und Erinnerung oszilliert.

Doch dieses Klanggewand trügt – im Kontrast zu der Leichtigkeit im Sound steht die Schwere in den Worten. Nach diesen sphärischen Wellen brechen Gitarren und Drums auf, der Schmerz tritt noch unmittelbarer hervor – spürbar in jeder Nuance seiner Stimme. Der Refrain „I’ll carry on for you“ wird zum Versprechen, den Weg weiterzugehen – nicht für sich selbst, sondern im Namen ihres Onkels. Gleichzeitig bleibt er von Widersprüchen geprägt – zwischen dem Versuch, die Trauer zu verbergen („I’ll pretend that I don’t think of you“) und der Unmöglichkeit, diesen Verlust je zu verdrängen.

Doch „carry on for you“ bleibt nicht im Dunkel stehen. Gegen Ende klingt der Song versöhnlicher, als würde er den Weg der Trauer nachzeichnen: vom Zerbrechen über das Verdrängen bis hin zur ehrlichen Annahme. Besonders stark ist der Schlusspunkt: „Leaves will change / But I won’t pretend I don’t think of you.“ Während der Text zuvor noch von Verdrängung spricht, löst er sich hier von der Lüge. Trauer bleibt, aber sie wird zum Anker – und gerade darin liegt ihre Kraft.

So verwandelt sich „carry on for you“ in ein Stück über ehrliche Trauerarbeit: darüber, dass ein Weitermachen nur möglich ist, wenn man die Liebe und Erinnerung zulässt. Schmerz und Leichtigkeit, Dunkelheit und Licht – alles fließt hier ineinander und macht den Song zu einer Hymne des Erinnerns.

„SPLIT“ reiht sich als einer der eingängigsten und zugleich charakteristischsten Songs von I See Stars ins Album ein.  Kreiselnde Synths und treibende Gitarren formen den typischen Electronicore-Mix, für den die Band seit jeher steht. Dabei balanciert der Fronter zwischen Dringlichkeit und Klarheit. Die Lyrics zeigen sich vielschichtig. „Downward spiraling into the unknown“ beschreibt das Abgleiten in eine unbekannte Tiefe – beängstigend, unausweichlich. Die Frage „Are you willing – it takes blood“ stellt das Opfer in den Mittelpunkt: Bist du bereit, Blut und Schmerz zu geben, um wirklich echt zu sein? Und sofort folgen Zweifel: „Am I? I don’t know.“ Noch deutlicher wird die innere Auflösung in der Zeile „I feel seconds from disappearing“ – das Gefühl, kurz davor zu sein, ganz zu verschwinden. Das wiederholende „Split, split – split it up“ wirkt wie eine eindringliche Warnung, ein mahnendes Signal im Strudel der Zerrissenheit.

Der hypnotische Mittelteil „The greatest stories ever told / Nothing but fool’s gold“ entlarvt eine Welt, in der Authentizität zur Ware verkommt und Geschichten, so glänzend sie scheinen, am Ende doch nur Täuschung sind. Gerade weil hier die Musik zurücktritt und die Stimme für sich steht, gräbt sich dieser Part wie ein unüberhörbarer Vorwurf – eindringlich und fast beschwörend ins Bewusstsein ein. „SPLIT“ erscheint so als Warnung vor Täuschung und Oberflächlichkeit, zugleich aber auch als innerer Hilferuf: gefangen in Wiederholung („Rinse & repeat / Round round we go“), bedroht vom Verschwinden („I feel seconds from disappearing“). Am Ende wird der Song zum akustischen Bild einer Seele, die sich aufspaltet – zwischen Einsatz und Resignation, zwischen Echtheit und Täuschung, zwischen Sein und Verschwinden. Wie ein Spiegel hält einem „SPLIT“ vor Augen, wie leicht selbst Gewissheiten zerbrechen können.

I SEE STARS - SPLIT (Official Lyric Video)

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„Lost It“ (feat. Palaye Royale) ist ein Song, der in einem reifen muss – und genau darin liegt seine Magie. Mit jedem Durchlauf entfaltet er neue Facetten, bis er sich schließlich als einer der eindringlichsten Momente des Albums offenbart. Ein Stück, das wächst, je länger man sich ihm hingibt, und das einen umso tiefer packt. Der Beginn ist ruhig, getragen von Devins verletzlichem Gesang. Doch sobald Remington Leith von Palaye Royale einsetzt, öffnet sich der Song wie ein Fenster, durch das plötzlich Licht fällt. Gitarrenlinien, die in wiederkehrenden Sequenzen an Placebo erinnern, verschmelzen mit elektronischen Schichten zu einem dichten Klangbild. Die Stimmen beider Sänger harmonieren perfekt miteinander und treiben die Dramaturgie des Songs voran: mal zerbrechlich, mal verspielt, dann wieder voller existenzieller Schwere.

Besonders berührend ist die Passage „My body is a glass window“ – ein lieblicher, zerbrechlicher Part, der dennoch die ganze Verletzlichkeit des Textes trägt. Und irgendwann, wenn Devin und Remington sich in „Never thought I would be this way“ abwechseln, scheint es, als würde die Sonne nach einer endlosen Nacht aufgehen. Hoffnung und Verzweiflung liegen in derselben Zeile, wie zwei Seiten derselben Wahrheit.

„Lost It“ ist nicht nur eine Kollaboration, sondern eine Katharsis: ein Song über Kontrollverlust und inneren Zerfall, der sich am Ende in Schönheit verwandelt – wie ein Sonnenaufgang, der die Dunkelheit nicht löscht, sondern ihr einen neuen Sinn gibt.

„Afterdark“ ist einer der zartesten und zugleich sehnsuchtsvollsten Momente des Albums. Ein seichter, traumhaft schöner Gitarrenklang eröffnet das Stück, getragen von Devins liebevollem Gesang. Nach und nach setzen die Instrumente ein und lassen eine Atmosphäre entstehen, die zwischen Melancholie und Hoffnung schwingt. Textlich erzählt der Song von Erinnerungen, die wie Schatten nachhallen. „You left the party early / I’ll see you in my dreams“ – die Sehnsucht nach einem Menschen, der nicht mehr da ist, der aber in Träumen weiterlebt.

„Your eyes are burned into my soul“ macht diese unauslöschliche Prägung deutlich, während die verpasste Nähe in Zeilen wie „And to the kiss I’ll never know“ spürbar wird. So wirkt „Afterdark“ wie ein leuchtender Traum inmitten der Dunkelheit: voller Intimität, bittersüßer Sehnsucht und dem Wissen, dass manche Begegnungen nur im Reich der Träume weiterleben können.

I See Stars - The Wheel
I See Stars @RaR 2025, © Nadine Kloppert

„Anomaly“ war für mich der Song, der mich auf die Spur von I See Stars geführt hat. Manchmal entdeckt man in einer scheinbar gewöhnlichen Spotify-Playlist einen funkelnden Diamanten – und genau so erwischte mich dieser Track vor einem Jahr völlig unerwartet. Ich hielt inne, musste sofort nachsehen, wer hinter diesem Masterpiece steckt. Natürlich drückte ich auf Repeat – ok, Heavy Rotation und es war um mich geschehen! Seit diesem Moment begleitet mich die Band. Im Juni durfte ich I See Stars dann bei Rock am Ring live erleben und wann immer ich seitdem „Anomaly“ höre, habe ich das Festivalgeschehen wieder vor Augen. Der Song bildete das glorreiche Finale eines Auftritts, der sich wie ein Rausch anfühlte.

Der Song selbst ist ein elektrisierender Aufbruch zwischen Schmerz und Selbstermächtigung. Zerbrechlich und wütend zugleich, trifft er mitten ins Herz – vielleicht, weil er spüren lässt, wie es ist, sich im Chaos neu zu finden. Die bittersüße Hymne vereint fragil leuchtende Synthflächen mit impulsivem Gesang, der von verletzlicher Klarheit zu eruptivem Ausbruch wechselt. Schon der Beginn ist wuchtig, getrieben von pushenden Drums, während Devin einzelne Wörter bewusst in die Länge zieht und mit dem Tempo spielt. „I’m one in a million / I’m always the villain“ – diese Zeilen brennen sich sofort ein. Folglich entsteht ein sphärischer Moment: „I don’t wanna live this way, this way no“. Ein kleines Gitarrenriff leitet den göttlichen Refrain ein, der alles aufdreht: Die Instrumente setzen brachial ein, ein Chor setzt im Hintergrund an, und Devins Stimme umgarnt einen so intensiv, dass man ihr schlicht verfällt. Zwischenzeitlich blitzen Pianoklänge auf, dezent, aber wirkungsvoll – funkelnde Kontraste inmitten der Wucht.

I See Stars - The Wheel
I See Stars @RaR 2025, © Nadine Kloppert

Dieser Song setzt Endorphine frei! Wenn plötzlich nur Drums und Devins ferne Stimme bleiben und er „All this time on the clock / I think it’s time to reset“ ruft, bevor die Gitarren mit voller Kraft zurückschlagen, entsteht ein Moment purer Katharsis. Der Refrain explodiert erneut und trägt alles mit sich fort. Doch „Anomaly“ lebt nicht nur von seiner Klanggewalt, sondern auch von seinen Lyrics. Immer wieder betont der Sänger: „I’m an anomaly“ – ich bin eine Anomalie, eine Abweichung, jemand, der nicht ins Muster passt. Es ist ein Song über Fremdheit, Schuldgefühle und die Last, sich als Außenseiter oder gar „Villain“ zu sehen. Gleichzeitig steckt darin die Sehnsucht nach Verständnis, nach jemandem, der einen wirklich versteht. Und im Refrain erhebt sich diese Fremdheit zum Mantra, das nicht nur Schmerz, sondern auch Einzigartigkeit feiert.

„Anomaly“ vereint all das: Schmerz und Selbstermächtigung, Fragilität und Ausbruch, Dunkelheit und Befreiung. Ein Song, der dein Herz aus dem Takt geraten lässt und deine Augen zum Strahlen bringt – völlig egal, wie fordernd dein Tag zuvor war!


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„Curtain Call“ schließt das Album mit einem Finale, das sowohl treibend als auch atmosphärisch ist. Der Song hat den richtigen Drive und strahlt zunächst positive Vibes aus, bevor er sich in der steten Wiederholung von „Will you ever love me“ verliert – eine Frage, die so eindringlich ist, weil sie keine Antwort findet.

Musikalisch nimmt sich die Band Zeit: ein ausgedehntes Gitarrensolo, verziert von fernöstlich anmutenden Klängen, eröffnet eine neue Klangfarbe. Es ist ein Moment des Schwebens, bevor Devin in „When the lights go out / And the curtains drawn / And the letters come down from the marquee“ den endgültigen Abschied formuliert – das Bild vom herabfallenden Vorhang als Sinnbild für Ende und Vergänglichkeit.

Und der finale Song ist weitaus mehr als ein Epilog! „,Curtain Call‘ fasst alles zusammen, worüber wir auf dem Album sprechen“, sagt Devin. „Es ist wie das Rad in Songform – immer weiter drehend, durch Zeit und Gefühle rasend. Und diese Fragen am Ende sind auch die Fragen, die wir uns als Band stellen: Werden wir je genug sein als Künstler? Werden die Fans all das sehen, was wir in diese Musik gesteckt haben – unser ganzes Leben?“

So endet das Album nicht mit einer Antwort, sondern mit einem offenen Herzen: intensiv, sehnsuchtsvoll und voller Demut. „The Wheel“ zeigt eine Band, die alles riskiert, indem sie sich gänzlich öffnet – und genau darin ihre größte Stärke findet. Wer so ehrlich an den Kern geht, macht sich verletzlich – und gewinnt gerade darin ungeahnte Kraft, die weit über die Musik hinausgeht. Und so wünscht man sich am Ende, das Rad gleich noch einmal neu anzustoßen. Spin it!

The Wheel erscheint am 12. September 2025 via Sumerian Records.

Tracklist I SEE STARS – The Wheel:
  1. Spin It
  2. THE WHEEL
  3. Eliminator
  4. D4MAGE DONE
  5. FLOAT
  6. Drift
  7. are we 3ven?
  8. Flood Light
  9. carry on for you
  10. SPLIT
  11. Lost It (feat. Palaye Royale)
  12. Afterdark
  13. Anomaly
  14. Curtain Call
Line-up I See Stars:

Devin Oliver – Gesang, clean & unclean
Andrew Oliver – Keyboards, Programmierung
Brent Allen – Gitarre
Jeff Valentine – Bass

Weblinks I SEE STARS:

Webseite: www.iseestarsmusic.com/
Instagram: @iseestars

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