Tag 2 des 19. Amphi Festivals. Heute dann mit freier Bahnstrecke bei der Anfahrt, daher ging es pünktlich um 11 Uhr zu Auger vor die schon recht gut bevölkerte Hauptbühne. Kyle Blaqk erhielt die höchst seltene Einladung, gleich zweimal hintereinander beim traditionellen Goth-Event am Kölner Tanzbrunnen zu spielen. Sorgte der Engländer im vergangenen Jahr für einige freudige Gesichter auf der Orbit Stage, durfte er nun auf der Mainstage eröffnen. Und es zeigte sich wie schon 2024, dass der Opener-Slot gar nicht so schlecht geeignet ist, lautere Reaktionen zu ziehen. Mit dem immer mal wieder durch Synthie-Melodien gestärkten Dark Rock und Songs wie “Where Do We Go?”, “Dark Clouds” oder dem abschließenden “Oxygen” konnten Auger, als Duo auf der Bühne, überzeugen. Kyle selber freute sich im Anschluss über die “unglaubliche Energie” und befand: “That was huge”.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Ähnliches galt in der Folge für Erdling. Wie formulierte es Sänger Neill Freiwald so schön: “Wir sind ja eine Band, die immer eher kleine Brötchen backt und erwartet, dass nur so 50 Leute kommen.” Joa, das waren nicht nur mehr als 50, sondern auch weit mehr als 500. Die in der Neuen Deutschen Härte fußenden Dark-Rocker powerten wie schon zur gleichen frühen Uhrzeit beim Vorjahres-Mera-Luna so richtig los und machten mit “Dominus Omnium” und “Los Los Los” trefflich Werbung in eigener Sache für ihre neue Platte “Mana”, die am 17. Oktober erscheinen und ab Januar 2026 kräftig betourt wird.
Es folgte ein deftiger Stilwechsel und die Dauerbrenner des Amphi Festivals (achte Teilnahme seit 2011) wurden einmal mehr von der Leine gelassen: X-RX, das Duo mit der kürzesten Anfahrt aller Acts, ballerte pumpenden Aggrotech-Sound von der Bühne. Subtil können andere, tiefgründig texten können ebenfalls andere – hier wurde pünktlich zum Ende der “Industrial Dance Video Project”-Aufnahmen im Theater getanzt und das nicht zu knapp. “Shut The F’ Up And Die”, “Kein Herz” oder auch “Let’s fvck” sorgten für ordentlich Bewegungsdrang.
Ebenfalls regelmäßige Gäste in Köln sind Stahlmann. Bei Frontmann Martin Soer und Mitstreitern weiß man, was man bekommt. Neue Deutsche Härte, mit allen Stärken und Schwächen, die dieses musikalisch wie lyrisch zumeist recht limitierte Genre so mit sich bringt. Hits schreiben können Stahlmann zweifellos, wie „Teufel“, „Süchtig“ oder „Schwarz“ vor euphorischem Publikum einmal mehr bewiesen. Eine weitere grundsolide Performance der Herren mit Vorliebe für silberne Gesichtsschminke, die Fans glücklich gemacht haben dürfte.
Apropos glückliche Fans: Über den Tag verteilt war Lord-Of-The-Lost-Frontmann Chris Harms gleich mehrere Male im Blickfeld. So unterstützte er die parallel zu Stahlmann im Theater spielenden Wisborg bei einem Song, präsentierte sich den vorrangig weiblichen Fans bei einer Autogrammstunde und dann war ja da auch noch dieser Headliner-Auftritt. Zunächst mehrten sich aber die Sorgenfalten in den Gesichtern vieler Anwesender. Der Blick auf die Wettervorhersage zeigte, dass ein Unwetter nahen sollte. Eigentlich wollte der Verfasser dieses Artikels zu den schwedischen Dark-Wavern Abu Nein das Schiff (lies: die Orbit Stage) entern – doch die Aussicht auf eine Rückfahrt im heftigsten Starkregen inklusive eventuellem Shuttle-Bus-Aquaplaning im Kölner Zentrum sorgte dann doch für einen Verbleib auf dem Kerngelände. Musikalisch schade, gelten die Schweden unter Dark-Wave-Connaisseuren doch als einer der besten jüngeren Acts.
Einen sicheren Platz unter den “Pilzen” vor der Mainstage gesichert, ging es stattdessen weiter mit Alte-Schule-Aggrotech von Suicide Commando. “Die Band mit den familienfreundlichsten Namen und Texten des Festivals“, wie es Moderator Jens Domgörgen scherzhaft formulierte. Johan von Roy, unterstützt von Keyboards und wuchtigen Live-Drums, spielte ein souveränes, routiniertes Best-of-Programm. “Die Motherfucker Die”, “God Is In The Rain”, “Dein Herz, meine Gier” oder “Bind, Torture, Kill” – die wichtigsten Hits waren Teil des Sets, das wie gewohnt mit nicht unbedingt ganz kindestauglichen Visuals unterlegt war. Und dann, wie angekündigt: Regen. Viel Regen. Sehr viel Regen. Ein ganz übles Gewitter inklusive Blitz und Donner blieb den Anwesenden zwar erspart, aber wer keinen Platz unter dem überdachten Bereich vor der Mainstage, im Theater oder im Innenbereich der MSRheinMagie fand, bekam gut 60 Minuten lang richtig viel Wasser von oben ab. Unschön: Auf der Facebook-Seite kamen einige Vorwürfe verschiedener Personen, dass Personen vom Ordnungspersonal des Staatenhauses, dessen Toiletten für die Festival-Besucher noch offen stehen, unwirsch in den Starkregen geschickt wurden. Bei aller Liebe: Wenn es in Sachen Wetter wirklich ernst wird, muss die frühere zweite Bühne (bis 2014, die Älteren erinnern sich) als sicherer Unterschlupf dienen können – Dauermiete durch die Oper Köln hin oder her. Eine sinnvollere Lösung gibt es in der Nähe des Geländes nicht.
AMPHI FESTIVAL 2025: Samstag – Köln, Tanzbrunnen (19.07.2025)
Wohl dem also, der es ins Theater schaffte. Wenngleich dort die Wenigsten von beiden zur Zeit des Unwetters spielenden Acts begeistert gewesen sein dürften, da Maerzfeld und Klangstabil dann doch arg verschiedene Zielgruppen ansprechen. Die einen covern abseits ihrer eigenen Stücke unter dem Namen Stahlzeit Rammstein und sind musikalisch am ehesten in die Schublade Neue Deutsche Härte einzuordnen. “Zorn”, “Tief” oder das abschließende “Schwarzer Schnee” bedienten genau diejenigen, die zuvor schon bei Stahlmann ihren Spaß hatten. Klangstabil hingegen sind elektronisch-düster unterwegs, mit intensiven Spoken-Word-Vorträgen von Boris May garniert. Fast neun Jahre war das Duo weg vom Fenster, bevor mit einem umjubelten Auftritt bei der letztjährigen NCN das Comeback eingeleitet wurde. Der Einlasstopp am Theater ließ sich definitiv auch auf die lange Bühnen-Abwesenheit von May und seinem Partner Maurizio Blanco zurückverfolgen und nicht nur auf das katastrophale Wetter. “Pay With Friendship”, “Math & Emotion”, “Twisted Words” oder der Clubhit “Schattentanz” hämmerten wuchtig aus den Boxen. Offenbar zu wuchtig für einige, bei keinem anderen Auftritt am Wochenende war die Anzahl der Social-Media-Beschwerden über die Lautstärke ähnlich hoch. Ein Hoch auf gute Ohrenstöpsel! Schmankerl für Fans der beiden Süddeutschen: Rund um das Amphi gaben Klangstabil weitere Konzertdates für 2026 bekannt. Exakt zehn Termine in Deutschland stehen nun fest, darunter am 11. April auch einer in Köln (Blue Shell).
Draußen fragte Daniel Schulz unterdessen das Publikum “Ist uns der Regen scheissegal?” Leicht gesagt, wenn man auf einer großzügig überdachten Bühne steht. Doch tatsächlich normalisierte sich das Wetter während der Performance von Oomph!, die wenige Wünsche offen ließ. Nur zwei Stücke vom ersten gemeinsamen “Schulz-Crap-Flux”-Album “Richter und Henker” waren Teil des Sets (“Soll das Liebe sein?” sowie “Wem die Stunde schlägt”), ansonsten verließen sich die Niedersachsen auf ihre Chart-Hits und einige Brecher aus den 90ern. “Gekreuzigt”, “Mein Herz”, “Das weisse Licht” und “Mitten ins Herz” zauberten Fans der ersten Bandjahre ein breites Lächeln ins Gesicht, während “Träumst du”, “Gott ist ein Popstar” und natürlich “Augen auf!” gerade den zahlreichen jungen Damen vor der Bühne, die vielleicht schon auf Lord Of The Lost warteten, sichtbar Freude bereiteten. Auch das auf Bronski Beats “Smalltown Boy” basierende “Kleinstadtboy” war dabei und wurde ausgiebig betanzt. “Liebt doch, wenn Ihr wollt“, rief Schulz danach laut aus. Kaum zu glauben, dass diese, nennen wir sie mal “Homo-Hymne”, vor 13 Jahren von einem Menschen geschrieben wurde, der heute seine Social-Media-Präsenzen nahezu tagtäglich dazu nutzt, die LGBTQ+-Community zu degradieren und zu diskriminieren. Gute zwei Jahre nach der Ankündigung des Sänger-Wechsels wirkt der frühere Unzucht-Frontmann jedenfalls absolut angekommen. Oomph! machen im vierten Jahrzehnt ihres Bestehens verdammt viel Spaß – wenn man sich auf die andere Stimmfarbe einlassen kann.
Auf dem Co-Headliner-Slot folgte eine wahre Legende, eine Pionierin der Szene. Anne Clark war nach zwölf Jahren und einer überstandenen Krebserkrankung endlich zurück beim Amphi. Schon bei ihrer Autogrammstunde im Nachmittagsbereich war die Schlange lang, die 65-Jährige freute sich in ihrer gewohnt zuvorkommenden, ruhigen Art über all die entgegengebrachte Zuneigung. Das Konzert? Die reinste Klangoase, organisch, flächig, wunderschön. Cello, Violine, Akustikgitarre, Drums, Keyboards – eine wahre Seltenheit auf der Hauptbühne eines Gothic-Festivals, insbesondere zu späterer Stunde. Mittlerweile muss Clark Teile ihrer Auftritte im Sitzen absolvieren. Ihre Stimme, ihr Lächeln und ihre Ausstrahlung sind aber immer noch voll da und zogen das Publikum in den Bann. Von “Alarm Call” über “Heaven” und “Full Moon” bis zu den beiden Riesenhits am Ende, deren Namen man hier nicht erwähnen muss, lieferte das Sextett eine faszinierende Performance. Heraus stach dabei Murat Parlak an den Tasten. Begibt man sich auf die Homepage des gebürtigen Kempteners, findet man den Satz “Wenn sich Murat Parlak an den Flügel setzt, beginnt er nicht Klavier zu spielen, er knipst ein Kraftwerk an“. Klingt zunächst arrogant, ist aber die Wahrheit, die kaum treffender zu formulieren ist. Was ein Auftritt!
Noch ein wenig mehr Melancholie brachten She Past Away ins Theater. Mittlerweile haben sich die “des Gruftis liebsten Türken” aufs Hauptgelände gespielt, in früheren Jahren schlossen Doruk Öztürkcan und Volkan Caner im Regelfall das Geschehen auf der Orbit Stage ab. Voll und erneut mächtig warm war es, das Duo verließ sich größtenteils auf Altbewährtes und Funktionales. Neben Batcave-Clubhits wie “Kasvetli Kutlama”, “Katarsis” oder dem Opener “Durdu Dünya” schafften es auch zwei noch nicht regulär veröffentlichte Stücke ins Programm. “Inziva” und “Sessiz Orman” werden auf Album Nummer vier erscheinen, auf das Fans nun schon sechs Jahre warten. “Ich kann jetzt aber sagen: Es kommt im Oktober“, versprach Öztürkcan zur Set-Mitte. Hoffen wir, dass er nicht geflunkert hat. Denn bei aller Qualität des älteren Songmaterials könnten die Konzerte von She Past Away ein wenig Auffrischung gebrauchen – die Musiker aus Bursa sind in der jüngeren Vergangenheit schon fast zu omnipräsenter Gast auf deutschen Bühnen, dies jeweils mit sehr ähnlichen Setlists.
Das Ende auf der Hauptbühne bestritten wie bereits erwähnt Lord Of The Lost. Vom rot-goldenen Glitzer aus ESC-Zeiten distanzieren sich Chris Harms & Co. nun im Zuge ihres in drei Happen erscheinenden neuen Werks “Opvs Noire” (Release von Teil 1 am 8. August) – die Sankt Paulianer waren komplett in RAL 9005 gewandet. Wobei einer wieder ein wenig aus der Reihe tanzte: Keyboarder Gared Dirge sorgte beim letzten Amphi-Auftritt 2023 mit seinem grünen Borat-Burkini für Lacher (oder Entsetzen, je nach Veranlagung), nun war er im nicht ganz so züchtigen Nonnenkostüm mit knappem Beinkleid zu sehen. Ein Zusatzpunkt für Kreativität! Um Publikumsreaktionen müssen sich LOTL ja ohnehin keine Sorgen mehr machen, die insgesamt vier neuen Stücke wurden ähnlich gefeiert wie Klassiker à la “Drag Me To Hell”, “Die Tomorrow” oder “Loreley”. Bei “Ghosts” kurz vor Schluss erhielt Gitarrist Benjamin Mundigler die Aufgabe, die Cello-Parts von Original-Kollaborateurin Tina Guo möglichst genau nachzuspielen – auch dies gelang mit Bravour. Mit “Blood & Glitter” ging das Amphi 2025 dann schon wieder viel zu schnell zu Ende, Chris Harms schickte die Fans mit den Worten “Das, was ich hier gerade aufsauge, werde ich nie vergessen” nach Hause.
Das Fazit: Schön war es mal wieder. Ein Wochenende voller netter Menschen, viel guter Musik von Veteranen wie Newcomern (es werden eben nicht immer nur dieselben Bands gebucht!) und tollen Gesprächen. Das, obwohl das Wetter wahrlich schon mal angenehmer war. Auf den heftigen Wolkenbruch am Sonntag hätten alle wahrlich verzichten können, knappe 32 Grad am Samstag sind auch nicht wirklich der Wert, den sich Szene-Anhänger für so ein Event wünschen. Vermutlich auch deswegen heizte gerade das Theater mächtig auf, sodass manch Fan dort leider mit Kreislaufproblemen zu kämpfen hatte oder die Venue zügig wieder verließ. Eine Rückkehr ins geräumigere Staatenhaus bleibt der Oper wegen aber weiterhin unmöglich, auch wenn dies seltsamerweise in den Sozialen Medien immer wieder als mögliche Ersatzbühne vorgeschlagen wird.
Konkrete Verbesserungsschläge machten einige Gäste im Nachklapp allerdings zur Security, die in einigen Fällen offenbar recht willkürlich handelte. Bei einem Schwarze-Szene-Festival mit traditionell populären Met-Ständen die Mitnahme von Trinkhörner zu verbieten, wie es von Mehreren geschildert wurde, ergibt nicht nur auf den ersten Blick wenig Sinn. Auch Stöcke, Nieten-Accessoires oder leere Trinkflaschen waren wiederholt Teil von Diskussionen und Verboten. Da ist noch Luft nach oben für den 25. und 26. Juli 2026. Dann heißt es “20 Jahre Amphi – das Jubiläumsfestival.” Mit Ausnahme von VNV Nation, die ihren ausgefallenen Headliner-Auftritt nachholen werden, stehen noch keine Bands fest. Karten sind nun unter www.amphi-shop.de für 110 Euro zzgl. Versand zu haben. Wer am 24.7. beim Eröffnungsevent Call The Ship To Port auf der MSRheinMagie spielt, ist aber bereits klar: Hocico, Grendel und Alienare werden auftreten – vor randvollem Innendeck. Denn das CTSTP war nach nur fünf Tagen ausverkauft.
Weitere Fotos vom Wochenende findet Ihr hier:
Fotos: AMPHI FESTIVAL 2025 – Bands Samstag (19.07.2025 bis 16:00 Uhr)
Fotos: AMPHI FESTIVAL 2025 – Bands Samstag (19.07.2025 ab 16:00 Uhr)
Fotos: AMPHI FESTIVAL 2025 – Bands Sonntag (20.07.2025 bis 16:00 Uhr)
Fotos: AMPHI FESTIVAL 2025 – Bands Sonntag (20.07.2025 ab 16:00 Uhr)