Premiere im Bochumer Kultclub Matrix: Das Cold Hearted Festival, seit einigen Jahren etablierte Größe im Dresdner Veranstaltungskalender, fand erstmals auch außerhalb der sächsischen Landeshauptstadt statt – wenngleich in etwas abgespeckter Version. Fünf Live-Bands plus einen DJ-Floor mit passenden Konservenklängen aus (Dark/Cold-)Wave, Postpunk und Gothrock gab es zum Preis von etwa 49 Euro auf die Ohren – in der heutigen Zeit ein durchaus fairer Kurs. Wenige Tage vor dem Festival mussten die Belarussen Nürnberg leider kurzfristig absagen. Als Ersatz konnten die Veranstalter kurzfristig Justin Chamberlain alias Soft Vein gewinnen, mit dem es pünktlich um 19.30 Uhr losging.
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An seinen Songs arbeitet der Kalifornier alleine, live wird er durch einen zweiten Musiker an den Maschinen unterstützt. Aktuell spielt Chamberlain seine ersten Shows auf dem europäischen Festland, zumeist als Support für Twin Tribes, die ja im späteren Verlauf des Abends ebenfalls noch für uns spielen sollten. Zu Beginn war es allerdings schwierig, ihn überhaupt zu verstehen. Seine tiefe, dunkle Gesangsstimme war kaum zu hören, was sich im weiteren Verlauf des insgesamt 35-minütigen Auftritts zum Glück verbessern sollte. So merkten die vielen Hundert Fans in der “Röhre” zur Set-Mitte dann auch, dass Soft Vein einen sehr bekannten Coversong im Repertoire haben – den Eurythmics-Klassiker Here Comes The Rain Again. Abgesehen davon mischte der US-Amerikaner Stücke seines 2023 erschienenen Debüts Pressed In Glass mit einigen neuen Songs. Vorgemerkt: Seine zweite LP kommt am 17. Januar 2025 auf dem renommierten Szenelabel Artoffact und trägt den Titel Through Blinds – Freunde von klassisch vernebeltem Cold- und Dark Wave sollten dem Ganzen ein Ohr schenken.
Einen ziemlich heftigen Stilwechsel erlebten die Anwesenden im Anschluss – so man sich nicht auf die Tanzfläche ein Stockwerk höher bewegte, auf der dann DJ-Sets mit Post-Punk und Artverwandtem begannen. Rendez-Vous aus Frankreich waren der mit Abstand aggressivste und lauteste Act des Abends. Dabei boten die Franzosen viel Abwechslung. Elemente aus 80er-Postpunk, Noiserock-Eruptionen, dann aber auch wieder liebliche Synthie-Melodien. Eine Wundertüte aus Krach sozusagen, selbst mit Gehörschutz noch sehr laut, zeitweise schrammelten Rendez-Vous gleichzeitig mit drei Gitarren plus Effektpedalen rum. Mittlerweile hatte die Temperatur vor der Bühne fast schon Sauna-Niveau erreicht – wenig verwunderlich, dass einer der Musiker im Laufe der Performance obenrum blank zog. Songs wie Top Range DNA dürften dem klassischen Batcave-Fan zu lärmig sein, spätestens das abschließende, bereits zehn Jahre alte The Others müsste aber jedem und jeder Anwesenden ein Grinsen ins Gesicht gezaubert haben – was ein Hit! So verließ das Quintett mit der Vorliebe für künstlerisch wertvolle wie auch morbide Musikvideos nach 40 Minuten unter lautem und verdientem Jubel die Bühne.
Nach einer wiederum sehr kurzen Umbaupause gab es wiederum gänzlich andere Musik auf die Ohren. Rue Oberkampf kombinieren Cold Wave, Techno, Trance und EBM zu einem ureigenen Gemisch. Zwei Wochen vor dem Cold Hearted Festival erschien eine neue Sechs-Track-EP namens Essenz. Kein Wunder, dass es mit Allein, Soror, I Won’t Surrender und Solitude dann auch mehrere Stücke der Veröffentlichung ins leider nur 40 Minuten kurze Set schafften. Zunächst hielten sich aber erstmal viele die Ohren zu – gerade auch auf Höhe des Mischpults. Beim Opener Hope And Fear war der Bass so dermaßen übersteuert, dass es selbst mit Ohrenstöpseln einfach nur weh tat. Das wurde zum Glück schnell behoben, ebenso wie ein zur Set-Mitte auftretendes Problem mit der Lichttechnik. Herrlich einmal mehr der gewohnt lakonische Kommentar von Sängerin Julia dazu: “Ich bin nicht gut im Erzählen, also … erzählt vielleicht euren Liebsten was, bis wir hier fertig sind.” Für einen Verweis auf die neue EP und die ebenso neuen Longsleeves (leider zunächst nur in S und M verfügbar) reichte es dann aber – und letztlich spielte die Technik auch wieder mit. In Kombination mit dem Stroboskop-Licht in dunkelbunten Farben kreierten Rue Oberkampf, wie man es von ihnen nicht anders gewohnt ist, eine wohlige Mischung aus sphärischer Atmosphäre und maximaler Tanzlust.
Zu den aufstrebenden Bands der Dark-Wave-Szene gehören zweifellos Twin Tribes. Gerade mit ihrem aktuellen Album Pendulum und der fantastischen Vorabsingle Monolith (sehr sehenswertes Musikvideo inklusive) machten Luis Navarro und Joel Niño Jr. auf sich aufmerksam. Klar, dass dieses Stück in Bochum nicht fehlen durfte. Seit Monaten touren die Texaner unentwegt über den Erdball, von Ermüdungserscheinungen gab es aber keine Spur. Hochprofessionell und spielfreudig zockte sich das Duo durch ein Set, bei dem Fans der Songs der Vorgänger-Platten Shadows und Ceremony ebenfalls auf ihre Kosten kamen. Leider musste die Anhängerschaft, die zum wohl stimmungsvollsten Auftritt des Festivals einen entscheidenden Teil beitrug, auch hier Abstriche in der Klangqualität machen. Es schepperte doch gewaltig in der Röhre. Nichtsdestotrotz blieb nach dem abschließenden Fantasmas nichts als Jubel – verdient.
Headliner und damit die einzige Band mit mehr als 40 Minuten Spielzeit, nämlich 55 an der Zahl, war Linea Aspera. Nach vielen Jahren ohne Veröffentlichung erschien Ende Oktober mit Mycelium eine neue, im Midtempo gehaltene Single. Diese wurde auch live gespielt, erlitt aber dasselbe Schicksal wie Rue Oberkampfs Hope And Fear gut zwei Stunden zuvor. Ein heillos übersteuertes Bass-Brummen machte einem den Genuss zunichte. Seltsam, denn abgesehen davon hielten sich die Akustik-Probleme hier in Grenzen. Größtenteils in passendes stimmungsvolles blaues und rotes Licht getaucht, spielten sich Alison Lewis mit gewohnt einnehmender Bühnenpräsenz und Ryan Ambridge durch ihre zwei Alben, von Malarone über Solar Flare bis hin zum wohl bekanntesten Song Synapse waren alle der mitreißenden und melodiösen Hits dabei, die die Fans hören wollten. Vor dem abschließenden Reunion hielt Lewis die einzig längere Zwischenrede des gesamten Festivals – eine sehr politische, die die Meinungen nicht nur vor Ort, sondern auch später in den Social-Media-Kommentaren auf der Festival-Seite spaltete. Nach den zunächst erwähnten zweifellos berechtigten Klagen über die Massenmorde in Gaza seitens der IDF entwickelte sich ihre Ansage allerdings in eine Richtung, für die es von Süßigkeitenverteilern in Berlin-Neukölln sicher mehr Applaus und Jubel gegeben hätte als in der Bochumer Matrix.
Zum Nachdenken blieb mindestens eine Heimfahrt lang Zeit, denn wie bereits erwähnt war das Liveprogramm des ersten Cold Hearted Festivals in Bochum vier Minuten später Geschichte. Ein insgesamt gelungenes Event, das in seiner Altersstruktur besser durchmischt war als viele andere Gothic-Festivals. Die neue Generation der Dark Wave- und Cold Wave-Bands à la Twin Tribes zieht spürbar eine gewisse Menge an Publikum, gerade weiblichem, unter 30 – gut und wichtig! Das Line-up setzte sich wohltuend vom Einheitsbrei anderer Festivals ab, auch tags darauf beim schon etablierten Pendant in Dresden, wo sich weitere Hochkaräter wie Ultra Sunn, Kite oder Kalte Nacht präsentierten. Auch der recht straff angesetzte Zeitplan konnte eingehalten werden.
Allerdings soll hier auch sachliche Kritik angeführt werden, diese betrifft vor allem die Akustik. Dass die Röhre der Matrix nicht die besten Voraussetzungen für perfekt ausdifferenzierten Klang liefert, ist bekannt. Aber ist es sicher mehr aus der Anlage herauszuholen als an diesem Freitagabend. Wenn sich zahlreiche Fans, teils auf Höhe des Mischpults stehend, über Stunden immer wieder demonstrativ die Ohren zuhalten, läuft etwas gewaltig verkehrt. Daran muss in Zukunft gearbeitet werden – genau wie an dem undefinierbar ekligen Geruch zwischen Theke, Toiletten und dem Merchandise-Stand. In Bezug auf das Cold Hearted Festival gilt: Ein Jahr haben die Verantwortlichen nun Zeit. Denn für den 14. November 2025 wurde die nächste Ausgabe angekündigt. Noch sind keine Bands bekannt, wir halten euch auf dem Laufenden. Der Vorverkauf für Bochum und Dresden (15.11.25) startet jedenfalls am 25. November 2024.
Weitere Fotos von allen fünf Auftritten findet Ihr hier:
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