TARJA TURUNEN/MARKO HIETALA – Frankfurt(M), Batschkapp (23.09.2024)

Tarja und Marko "Living The Dream Together-Tour" © Sandro Griesbach
Tarja und Marko "Living The Dream Together-Tour" © Sandro Griesbach
Geschätzte Lesezeit: 9 Minute(n)

Gefühlt gibt es in der Metalwelt alle paar Wochen eine spektakuläre Band-Trennung. Besonders im Symphonic-Metal-Bereich herrscht laut Kritikern ein eklatanter Verschleiß an Sängerinnen und die Dramen reißen nicht ab. Umso erfreulicher ist es immer, wenn das Gegenteil passiert und sich etwas “Altes” neu zusammensetzt. In den letzten Jahren durften wir “Phönix-aus-der-Asche”-Momente bei Bands wie Xandria und Delain erleben. Neue, fulminante Musik entstand und alte Wunden wurden vielleicht nicht geheilt, wuchsen aber doch ein Stück weiter zu. Doch was ist mit der “Mutter aller Band-Dramen” im Symphonic-Genre? Was ist mit Nightwish? Die erfolgreichste Band im Genre rund um Mastermind Tuomas Holopainen hat es geschafft, sich mehremals neu zu erfinden. Der spektakuläre Rauswurf der Ausnahme-Sängerin Tarja Turunen im Jahr 2005 markierte aber auch für diese die Chance für einen Neustart. Und wohl kaum jemand sonst hat diese Hölle des Scheiterns grandioser in einen Sieg verwandelt als die Finnin.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Tarja emanzipierte sich vollkommen von ihrer Rolle bei Nightwish und wandelte die potenziell “künstlerisch tödliche” Verletzung in einen großen Quell der Stärke. “I walk alone”, sang sie herzzerreißend auf der Debutplatte 2007 und doch stimmte das ganz und gar nicht. Sie fand auf ihrer Phönix-Mission neue Mitstreiter und erschuf in der Folgezeit fünf bemerkenswerte Soloalben sowie mehrere EPs und andere Publikationen. Auch Marko Hietala hatte mittlerweile sein Solo-Debutalbum Pyre Of The Black Heart bzw. Mustan Sydämen Rovio veröffentlicht und hatte 2021 Nightwish ebenfalls verlassen. Da nun beide Künstler ausschließlich solo unterwegs waren, musste es irgendwann zum Aufeinandertreffen beider Bands auf einem Festival kommen.

Im Rahmen der Weihnachtskonzertreihe Raskasta Joulua traf Traja erstmals seit der Nightwish-Trennung wieder auf ihren ehemaligen Bandkollegen Marko Hietala, und irgendwo in diesem Umfeld kam es zu einer vorsichtigen Annäherung der beiden Künstler, die 2017 in einen gemeinsamen Auftritt bei Raskasta Joulua IV mündete. Eingebettet in ein großes Künstlerkollektiv bei dieser finnischen Veranstaltungsreihe gelang die weihnachtliche Versöhnung. Und doch dauerte es noch einige weitere Jahre, bis…

Pratteln, Nordschweiz. Beinahe unbemerkt von den meisten Medien braute sich etwas zusammen. Die Konzertreihe “Z7 Summer Nights” beinhaltete neben den local heroes von Illumishade und der Marko nahestehenden Truppe Delain sowohl Auftritte von seiner eigenen Band als auch von Tarja Turunen. Ich erkannte damals schnell die potenzielle Bedeutung dieses Events und musste meinen geschätzten Fotografen-Kollegen Sandro nicht lange überreden. Was damals in Pratteln geschah, könnt ihr HIER nachlesen. All das führte uns nun zu dieser Tour. Living the dream together markiert das Wiedererstarken der finnischen Superfusion aus Tarja und Marko und natürlich hofften wir auf einige Nightwish-Klassiker!

Doch zunächst gehörte die Bühne einer Band aus ebenjenem Land, das damals katalysierend auf die Wiedervereinigung gewirkt hatte. Hoffnungen auf eine deutschsprachige Ansage machte Chaoseum aber gleich zunichte: “We are Chaoseum from Switzerland and no, we don’t speak german, sorry!”, lachte Fronter CK Smile. “But that’s good because Schwitzerdütsch is so weird”. Wo er recht hat… Die Band stammt aus dem französischsprachigen Teil unseres Nachbarlandes. Am Anfang kam die Musik der Jungs noch recht wenig an, die Resonanz aus dem Publikum in Frankfurt war relativ verhalten. Die meisten wollten wohl erst einmal abwarten, was sie hier erwartet. Doch nach und nach tauten die Anwesenden in der sehr gut gefüllten Batschkapp auf, und klatschten fleißig mit und setzen auch die Arme ein. Die Mischung aus Growling und Klargesang fand in den ersten Reihen dann doch einige Abnehmer. Drummer Greg Turini fiel mir persönlich sehr positiv durch großen Körperseinsatz auf. “We are so happy to be on this stage, opening for the amazing artists Marko Hietala and Tarja Turunen”, erklärte Smile noch gegen Ende und hinterließ so ein sehr sympathisches Bild.

Weblinks Chaoseum

Homepage: www.chaoseum.com
Facebook:  www.facebook.com/chaoseum
Instagram:  www.instagram.com/chaoseum

Nach einer großzügigen Umbaupause war es nun an Marko Hietala, den Staffelstab zu übernehmen. Mit seinem breiten Wolfsgrinsen kam der begnadete Musiker auf die Bühne, umgeben von seiner treuen Live-Band. An den Keys fanden wir dieses Mal nicht Vili Ollila vor, sondern mit Robert Engstrand einen anderen Live-Keyboarder, der seine Sache aber auch sehr gut machte. Zunächst machte der Frontmann eine Ansage, die einerseits nicht überraschte, andererseits aber doch. Für das Konzert in Obertraubling, zwei Tage zuvor, war er krankheitsbedingt komplett ausgefallen. Er hatte in einem emotionalen Video-Statement von seinem Fieber und dem Arztbesuch berichtet. Für unseren Gig in Frankfurt war Hietala offenkundig wieder am Start, wenn auch nicht ohne Einschränkungen. “I have voice trouble and was put in a moral dilemma”, erzählte Marko eindringlich. “It’s better now but far from perfect. We’ll give you a set that isn’t totally live. We took some vocals from previous shows and put them on a disc. We don’t want to lie to you. Do you still want to have such a show?”. Lauter Jubel ließ keinen Zweifel daran, dass die Batschkapp diesen Auftritt trotzdem erleben wollte. “I’ve never done this before and I never would if I was at full power”, bekannte der Fronter. “And I would always tell you if this happens!”. 

Wie viele an sich großartige Bands da draußen verwenden insgeheim Playback-Elemente und verschweigen das? Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Aber da steht dieser vortreffliche Finne und schenkt uns reinen Wein ein. Er sagt, dass er den Auftritt nicht so wird absolvieren können, wie wir das verdient hätten, und erzählt ganz offen, was für Maßnahmen er ergriffen hat, damit wir trotzdem einen außergewöhnlichen Abend haben, und nicht das Schicksal der Obertraublinger erleiden. Ich schätze, in dem Moment sind Marko auch die Herzen derjenigen Besucher zugeflogen, die weniger mit seiner Art von Musik anfangen können, und eher wegen Tarja da waren. Nach diesen großartigen Moment der Klarheit sprachen die Instrumente.

Marko eröffnete mit Songs seines Debutalbums Mustan sydämen rovio bzw. der englischsprachigen Version Pyre of the black heart. Nach Star, Sand and Shadow und Dead God’s Son bekamen wir das erste finnischsprachige Stück zu hören, das Markos Vater gewidmet ist, der laut dem Sohn ein “an outstanding dude” war. Nach For You kündigte der Sänger einen Stilwechsel im Set an. “Notorious prog at it’s best. Four minutes of guitar! Do you like Tuomas’ playing?”. Nun kündigte er neue Songs an und zwar harte Rocknummern. Rebel of the North, Frankenstein’s Wife und Proud Whore warfen als Neuheiten-Block in der Setmitte erste Schlaglichter auf das kommende, zweite Album. Der letztgenannte Song handelt laut Marko von einigen seiner Jugendsünden, die er aber nicht bereue. “My grandma would be offended”, kommentierte er den Titel des Stücks noch. Ich glaube, dass etliche Tarja-Ultras von der Vielfältigkeit von Markos Musik überrascht waren und mehr Spaß hatten als ursprünglich gedacht.

Mit Juoksen Rautateitä blieb das Tempo auch weiter hoch. Dann ergab sich noch ein Highlight, weil Marko Tarja als Gast auf die Bühne bat, um mit ihr die gemeinsame Single Left on Mars zu performen. Natürlich waren viele auch für diese Synergie-Songs da und die Stimmung schwoll noch einmal an. Marko leitete das Duett mit bedeutungsschweren Worten über das damalige Zerwürfnis bei Nightwish ein: “After all that hassle and media bullshit was the most important thing: I lost a friend! And you better hold on to them!”. Nach der tollen gemeinsamen Bühnenperformance mit Tarja endete Markos Set mit dem populären Song Stones vom Debutalbum. Die zusätzliche Verstärkung durch aufgenommenen Gesang konnte ich nur an zwei, drei Stellen während des Konzertes wahrnehmen. Es war ein starker Auftritt von Marko und seiner Truppe und eine erfrischende Mischung aus verschiedenen Stilen sowie aus Altem und Neuem. Gefühlvolle, nachdenkliche  Töne während Isäni ääni wurden abgelöst von Alice Cooper’schen Momenten während Frankenstein’s Wife, das ganze gewürzt mit einer ordentlichen Portion Prog Rock. Große Klasse!

Setlist Marko Hietala @ Z7 Konzertfabrik, Pratteln (08.07.2023)

01. Star, Sand and Shadow
02. Dead God`s Son
03. Isäni ääni
04. For You
05. Rebel of the North
06. Frankenstein`s Wife
07. Proud Whore
08. Juoksen Rautateitä
09. Left on Mars (mit Tarja)
10. Stones

Weblinks Marko Hietala

Facebook:  www.facebook.com/markohietalaofficial
Instagram:  www.instagram.com/marko_hietala_official

Nun wartete natürlich alles auf die Rückkehr der schwarzen Königin des Abends, aber es dauerte gut eine halbe Stunde, bis sich das Licht erneut verdunkelte und nach und nach die altgedienten Live-Mitglieder von Tarjas Band die Bühne stürmten. Mit Eye of the Storm hatte die Finnin auch gleich einen explosiven Song für den Start ausgewählt. “It’s super cool, so nice to see you”, begrüßte sie mit offenen Armen die Menge überschwänglich. “It’s always so wonderful to be in Frankfurt. Such love and passion, unbelievable. You are in for a treat, huh? Let’s see…”. Auf ihre schelmische, verspielte Art eroberte Tarja wieder einmal alle Herzen. Es gab viele Spekulationen darüber, welchen Charakter die Ausnahme-Sängerin in den letzten Tagen von Nightwish an den Tag gelegt hatte, und welchen Einfluss das auf das Ende der Band gehabt haben könnte. Das alles spielt jetzt jedenfalls keine Rolle mehr. Die 2024-er Tarja ist eine Seele von Mensch und nichts an ihr wirkt unecht. Sie lebt die Bühne und sie liebt ihre Fans, das strömt aus jeder Pore ihres künstlerischen Seins! Mit Demons in you, Falling Awake (danke für den tagelangen Ohrwurm, Mrs. Turunen!) und Die Alive führte sie uns durch die einzelnen Stufen ihrer beeindruckenden Solo-Karriere.

Bemerkenswert war, dass sie uns auch Einblicke in ihren persönlichen, künstlerischen Schaffensprozess bot. “You know, there are songs… you play them again and again, nights and nights and so on… Before this tour started I decided to create a few new arrangements. I wanted to do them new for me. The next one is such a new arrangement”. Und tatsächlich: Der fast 15 Jahre alte Song I feel immortal klang frisch und dynamisch wie nie zuvor. Ein besonders intimer Moment ergab sich auch danach, als die Band die Bühne verließ und Tarja allein am kleinen Keyboard Platz nahm. “This tour is all about living the dream! The truth is that music was my dream. When I was a little girl, there was a time I was in darkness. In a very dark hole and didn’t know where to go. But an inner voice told me to write songs. I want to play the very first song I ever wrote, to you!”. Und dann sang sie mit sanfter und zerbrechlicher Stimme, begleitet nur von ihrem Keyboard-Spiel Oasis, in einer kurzen, aber eindringlichen Version. Für das nahtlos folgende Shadow Play war die Bühnenbesetzung dann wieder komplett.

Und dann war es so weit! Das unverwechselbare Intro des ersten Nightwish-Songs im Set erklang: Ever Dream, dieses wunderschöne Stück Traumland von Century Child. 13 Jahre alt war ich, als ich diese CD damals in Händen hielt. Es ist nur schwer zu beschreiben, wie es ist, Tarja diese Lieder wieder singen zu hören. Natürlich lauerten alle aber auch darauf, Marko wieder auf der Bühne zu sehen. Wer die Setlist der Konzerte vor Obertraubling recherchiert hatte, wusste, das noch eine ganze Menge mehr Nightwish für diese Tour vorgesehen war. Aber natürlich war es fraglich, wie sehr Markos gesundheitlicher Zustand zu Umstellungen führen würde. Ich glaube, es war sehr wichtig, nicht nur auf Nightwish-Material hinzufiebern, sondern sich ganz und gar auf Tarja und ihre Musik einzulassen und nichts anderes zu erwarten als ein weiteres grandioses Konzert der Opernsängerin.

Wem dieser Gedankenunschwung gelang, konnte sich über das herrlich ironische und selbstermächtigende Diva genauso freuen,  wie über das Power-Paket Dead Promises. “Thank you so much, Frankfurt!”, bedankte sich Tarja herzlich gegen Ende ihres regulären Sets. “I’m lost of words. Let me tell you: This was the first single I wrote when I started my journey alone after I had been in a band for some time. In Germany my album reached gold. Your support is everything! You keep music alive! We are so happy because you give us the chance to be happy with our music. So this was my new beginning, thank you for that!”. Und dann spielte sie I walk alone und es war nicht mehr traurig, sondern einfach nur kraftvoll und voller Würde und Stärke, und man sah Tarja Turunen an und wusste: Es war gut, dass sie damals in die Finsternis geworfen worden war, denn jetzt scheint ihr Stern umso strahlender!

Und ihre aufrichtige Dankbarkeit ans Publikum wurde nirgends deutlicher als beim letzten Refrain, als sie den Text von ” I walk alone” zu “I walk with YOU” abwandelte. Ganz zum Schluss erreichte die Stimmung nochmal einen neuen Siedepunkt. Das bekannte, majestätisch-getragene Klassik-Motiv aus Maurice Ravel’s Bolero kündigte Tarjas Song Victim of Ritual an. Offenbar wollte die Finnin ein riesengroßes Ausrufezeichen hinter ein grandioses Set setzen! Es war weder mein erstes Konzert der Sängerin noch das erste Mal, dass ich diesen Song live hörte, aber Konzerte haben ihre ganz eigenen, unvorhersehbaren Dynamiken. Mich überwältigte die Power von Victim of Ritual dieses Mal komplett und ich klatschte und sang bis zum Ende durchgehend mit.

Eine wichtige Erkenntnis des Abends für mich war, dass ich mit diesem Ende vollkommen glücklich nach Hause gegangen wäre. Ich hatte mich erfolgreich von all meinen Erwartungen gelöst, und war reich von Marko und Tarja beschenkt worden. Aber das Publikum wollte mehr und als Tarja nach einiger Zeit wieder im silbernen Glitzerkleid auf die Bühne zurück schwebte, führte sie Marko an der Hand mit sich und die Batschkapp explodierte förmlich. Wir sollten also doch noch etwas doppelte Finnen-Power erleben dürfen! Nach Tarjas eigenem Song Dark Star, die zusammen mit Marko einfach nur super klang, bekamen wir als rekordverdächtig große und saftige Kirsche auf der Torte des Abends noch DEN Nightwish-Duett Song schlechthin (wenn man von Phantom of the Opera absieht): “I wish I had an angel, for one moment of love”. 

Nun, es war ein ganzer Sack voll mit Liebesmomenten, die Tarja und Marko, das eingespielte Team, hier über uns ausgossen. Man wurde direkt wieder in die Zeiten des Erfolgsalbums Once zurückversetzt und konnte noch einmal kräftig die Mähne schütteln. “Now it’s me. I have to walk alone… from stage. My evening is done”, machte Marko mit einem Lächeln auf seinen Zustand aufmerksam, und natürlich bedauerten alle seinen Abgang. Aber niemand konnte sagen, er habe keinen grandiosen Abend verlebt. Zudem Tarja uns noch mit ihrer Band Until my last breath kredenzte, ehe sie mit einem “I wish you just the best in your life. Hope to see you very soon again, Frankfurt!” und vielen Verbeugungen endgültig abging.

Ich bin mittlerweile ein alter Konzert- und Festival-Hase und mein Begleiter Sandro hat sogar noch einiges mehr gesehen und gehört. Aber wir waren uns einig: Das war einfach nur ein grandioser Konzertabend und schloss den Kreis, der damals in Pratteln seinen Anfang genommen hatte.  Tarja, Marko und ihre vortrefflichen Bandmitglieder schufen gemeinsam mit Chaoseum ein glänzendes Obsidian-Monument der Erinnerungen, das wir fest in unseren Herzen einschließen werden!

Setlist Tarja @Z7 Konzertfabrik, Pratteln (08.07.2023)

01. Eye of the Storm
02. Demons in You
03. Falling Awake
04. Die Alive
05. I Feel Immortel
06. Oasis
07. Shadows Play
08. Ever Dream
09. Diva
10. Dead Promises
11. I Walk Alone
12.  Victim of Ritual
13.  Darkstar (z) (mit Marko Hietala)
14.  Wish I Had an Angel (z) (mit Marko Hietala)
15. Until My Last Breath (z)

Weblinks Tarja

Homepage: www.tarjaturunen.com
Facebook:  www.facebook.com/tarjaofficial
Instagram:  www.instagram.com/tarjaofficial

Autor