ROCK AM RING 2024, Nürburgring – Samstag (08.06.2024)

ROCK AM RING 2024, Nürburgring – Samstag (08.06.2024)
Babymetal © Sandro Griesbach
Geschätzte Lesezeit: 7 Minute(n)

Nachdem uns der Freitag einen famosen Festivalauftakt beschert hat, sind wir bereit für den Samstag vom Rock am Ring 2024. Wir hoffen, dass es allen gut geht, die in der Nacht zuvor spärlich bekleidet bei Temperaturen unter 10 Grad gefeiert oder auf dem Festivalgelände ihren Rausch ausgeschlafen haben. Die besten Wünsche auch an alle Sonnenbrand-Opfer.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Wir starten mit Against The Current und schwimmen damit keineswegs gegen den Strom. Erfreulicherweise hat das Rock am Ring die US-Amerikaner aus dem Bundesstaat New York ins Herz geschlossen und strahlt mit der Sonne um die Wette. Bis zum ersten Wellenbrecher ist es durchaus voll vor der Bühne und es dauert nicht lange, bis das Publikum im Takt klatscht. Frontfrau Chrissy Costanza flitzt mit viel Energie über die Bühne, wirft sich auf die Knie, durchlebt die Songs und lässt ihr wallendes Kleid im Wind fliegen. „Wer von euch kennt uns schon?“ will sie wissen und ist vielleicht selbst überrascht, dass so viele Hände nach oben gehen. Angesichts der Bühnenpräsenz der Frontfrau ist es kaum verwunderlich, dass Gitarrist Daniel Gow und Schlagzeuger Will Ferri im Hintergrund bleiben. Vor allem die jungen Fans sind textsicher, älteren Zuschauer:innen wächst ein Lächeln im Gesicht, als Against The Current Just A Girl von No Doubt covern, die Constanza als Inspiration nennt. Zahlreiche Hände formen Herzen in die Luft, die sich Against The Current mit ihrem mitreißenden Auftritt definitiv verdient haben.

Unterwegs zur Mandora Stage passieren wir die Toiletten, die im Vergleich zum Vortag eine neue Geruchsdimension erreicht haben. Das wolltet ihr jetzt nicht wissen, wa? Die Mandora Stage haben wir schon jetzt ins Herz geschlossen. Hier findet sich immer ein Plätzchen, egal ob direkt vor der Bühne oder an den Seiten und das ohne Anstehen für Zonen, wie das bei der Utopia Stage der Fall ist. Da das Gelände nach vorne zur Bühne hin leicht abfällt, erlaubt es auch weit hinten eine gute Sicht. Den Auftritt der US-Rocker von The Last Internationale lässt sich am besten in den ersten Reihen erleben. Meine Fresse – das war ein amtlicher Abriss. Die Band explodiert vor Spielfreude, das Kernduo um Sängerin Delila Paz und Gitarrist Edgey Pires zelebriert die Definition einer Rockshow. Paz, in einem schwarz-rot-goldenen Onesie, findet sofort den Zugang zum Publikum und verausgabt sich bei jedem Song, während Kollege Pires, klassich-lässig mit Lederjacke, seinem Instrument Solo um Solo entlockt. Spürbar ist die Energie zwischen Paz und Fans, als die Frontfrau zum Ende des Sets ins Publikum steigt.

Endlich. Wieder. 311. Nach über 20 Jahren europäischer Bühnenabstinenz spielt die genreprägende Band einige Shows, darunter das Rock am Ring. Hat überhaupt noch jemand Lust auf den Funk Rock der Truppe aus dem US-Bundesstaat Nebraska? Denn der Zenit von 311, gegründet 1988, liegt zugegen schon ein ein paar Jährchen zurück. Ein großes Publikum will sich dann auch nicht zum Konzert auf der Mandora Stage einfinden, was bitter ist, aber zu erwarten war. Richtig nice: Im Publikum stehen nicht nur Mitvierziger, sondern auch viele junge Menschen, die mit 311 feiern wollen. Spätestens beim zweiten Track Beautiful Disaster ist klar, dass 311 nichts von ihren Live-Qualitäten eingebüßt haben und der Groove übernimmt das Publikum. Die gut gemischte Setlist aus Alternative Metal und Reggae – kaum jemand kifft, krass – erlaubt gleichermaßen Arschwackeln und Hüpfen sowie entspanntes Kopfnicken. Sänger/Gitarrist Nick Hexum (*1970) hat offenbar den Jungbrunnen entdeckt. Sein trainierter Körper steckt in einem weißen Tank Top, was bei einigen Zuschauer:innen ungläubige Blicke auslöst: „Wie kann der denn noch so aussehen?“, fragt jemand. Jung geblieben ist auch seine charakteristische Stimme, die klar und beruhigend mit Rapper Doug “SA” Martinez harmoniert, der an den Turntables und beim Robo Dance eine gute Figur macht. Unterhaltungswert bietet auch wieder Bassist Aaron “P-Nut” Wills, der neben dem Tieftöner diverse Grimassen beherrscht. 311 spenden den Fans einen herzerwärmenden Auftritt und verabschieden sich mit den Worten „Stay positiv. Love your life.”

Alle wollen Dogstar sehen. Nicht wirklich. Alle wollen Keanu Reeves sehen. Denn der Hollywood-Superstar spielt bekanntlich Bass bei den amerikanischen Alternative Rockern. Fluch und Segen für die Band. Es ist richtig voll vor der Mandora Stage und vor allem auf der rechten Seite, weil Reeves bei Auftritten bevorzugt links steht. Im Nanosekundentakt werden die Bilder geschossen, jeder will ein Andenken von Reeves, der fast schüchtern auf der Bühne steht, zwischen den Liedern freundlich lächelt, ab und zu ins Publikum winkt, Fanreaktionen anerkennt. Er will einfach nur Bass spielen, dafür ist er da. Kurz: Reeves ist in diesem Moment nahbar und genau so sympathisch, wie ihr euch das vorstellt. Und irgendwo sagt jemand: „Die Mucke ist ja gar nicht so schlecht von denen.“ Genau, grundsolider Alternative Rock ohne großen Firlefanz. Gut!

Bisher war das Rock am Ring auf den Bühnen meist männlich und noch öfter weiß. Das ändert sich mit Pinkshift aus Baltimore, USA auf der Orbit Stage. Die grungigen Punk Rocker um Sängerin Ashrita Kumar sind jung, energiegeladen und verdammt gut. Bis auf Drummer Myron Houngbedji, der jobbedingt am Platz bleibt, legen alle Bandmitglieder gut Wegstrecke auf der Bühne zurück und stacheln sich und das Publikum zu Höchstleistungen an. Geiles Zeug!

Royal Republic spielen zum fünften Mal beim Rock am Ring, was nicht verwunderlich ist. Die Schweden dürften mit ihrem höchst partytauglichen Rock selbst Steine zum Tanzen bringen und sind gern gesehener Gast. Entsprechend ekstatisch ist die Stimmung vor der Mandora Stage. Vor dem ersten Wellenbrecher eskaliert Heiterkeit, in den hinteren Reihen wird geschwoft und das Kaltgetränk geschwungen, alle klatschen. “Hands are warm“, kommentiert Sänger Adam Grahn schelmisch und fordert das Publikum mit „now we work legs and arse” auf, sich hinzusetzen. Solche Spielchen sind bekannt und vertraut. Doch nicht immer springt das Publikum so kraftvoll in die Höhe wie bei Royal Republic. Großer Spaß. Und wie krass geht bitte Schlagzeuger Per Andreasson ab.

Döp Döp Döp. Das alles ist natürlich nur ein mikroskopisch kleiner Teil von jenem Wahnsinn, der jetzt der Utopia Stage bevorsteht. Döp Döp Döp. Die derzeit international gefragten Kulturbotschafter der deutschen Musikindustrie sind gekommen und haben massig Bock, die Utopia Stage zu elektrifizieren. Japp, es geht um Electric Callboy. Seit sich die Combo endgültig dem seichten Trancecore gewidment hat – das ist kein Diss – sind sie die Partyband schlechthin und wollen das unter Beweis stellen. Aufrichtig und glaubhaft kommt rüber, dass es Electric Callboy als Ehre empfinden, auf dem Rock am Ring zu spielen (mega sympathisches Interview hier). Die Band hat sich auf diesen Auftritt gefreut. Genau wie die Fans, die mit Neonklamotten und Vokuhila-Perücken gekommen sind. Das Infield ist pickepackevoll. Was folgt ist eine großartig inszenierte Show mit Glitzer und Pyro, ohrenbetäubendem Jubel und unzähligen Moshpits. Auf der Tribüne tanzen derweil Kinder zu den eingängigen Beats. Wer bereits Auftritte von Electric Callboy gesehen hat, könnte trotzdem sagen: Perfekte Show ohne große Überraschungen. Doch auf dem Rock am Ring spielen ja auch Babymetal, die kürzlich RATATATA mit Electric Callboy veröffentlicht haben. Ob Babymetal wohl für ein Duett vorbeischauen? Na klar! Alle rasten aus. Aber der Song klingt schon so ein bisschen nach We Got The Moves, oder?

Bei jedem Festival gibt es Auftritte, bei denen ich mir keine Notizen mache, weil ich mich einfach in der Performance verlieren will. Tanzen, springen, leben. Dieses Mal passiert das bei Pendulum. Eine Pendulum Show ist ein Abenteuer, das sich viele Menschen nicht entgehen lassen wollen. Partyalarm auf der Mandora Stage. Die Truppe um Mastermind Rob Swire spielt wenig überraschend vor allem neuere Tracks, die heftigsten Emotionsausbrüche rufen trotzdem Klassiker wie Propane Nightmares bei den Fans hervor, die sich dabei scharenweise in den Armen liegen. Die Produktion ist fett und klingt wie eine frisch gepresste CD – ihr wisst schon, die silbernen Dinger von früher – Lightshow und Videobackdrop leiden allerdings unter dem Slot am frühen Abend. Es ist viel zu hell. Damit ist das Jammern auf hohem Niveau wieder einmal abgehakt. Viele Zuschauer:innen haben ohnehin mit geschlossenen Augen getanzt oder sind wie besessen auf und ab gesprungen. War das schön.

Was für das uneingeweihte Auge wie eine Völkerwanderung aussieht, ist der Strom an Festivalbesucher:innen, die sich für den Auftritt von Babymetal rund um die Mandora Stage in Position bringen. Die Fans sind zahlreich. Doch es gibt auch neugierige Zuschauer:innen, für die die seit Jahren in der Szene etablierten Babymetal noch als exotische Merkwürdigkeit durchgehen. Die nächste Megaparty kündigt sich an. Su-metal, Moametal, Momometal stehen auf einem riesigen Podest und begleiten die Songs mit Choreographien, darum stehen die Mitglieder der wie immer hervorragend aufspielende Kami Band. Die sind richtig, richtig gut und haben noch mehr Aufmerksamkeit verdient. Viele Menschen im Publikum können die japanischen Lieder mitsingen – oder tun zumindest so. Su-Metal verzückt die Fans mit knappen Ansagen auf Deutsch, die meist jedoch sowieso im heiteren Geschrei des Publikums untergehen. Wer den Auftritt von Electric Callboy verpasst hat oder nicht genug bekommen kann, hat Glück. Denn auch Babymetal haben RATATATA auf der Setlist und begrüßen Kevin Ratajczak und Nico Sallach auf der Bühne. Alle rasten aus. Schon wieder. Eine schöne Geste, dass sich beide Bands so unterstützen.

Respekt an Underoath, die parallel mit Billy Talent, Pendulum und Babymetal spielen. Das bedeutet aber auch, dass ihr Publikum aus absolut überzeugten Fans besteht, denen Underoath die True danken. Hardcore-Feeling kommt auf. Wer hier mosht, ist engagiert. Brutal dickes Ding.

Der Aufstieg der Punkband Team Scheisse zum popkulturellen Faszinosum ist so surreal wie abgefahren. Jetzt spielen die beim Rock am Ring, zu arg. Die Bremer Truppe ulkt sich routiniert durch den Auftritt, bei der unter anderem Topfpflanzen als Requisiten herhalten, und kokettiert mit ihrer vermeintlichen Uncoolness. Seilspringen mit dem Mikrofonkabel? Geht! Danger Dan von der Antilopen Gang für ein bewusst grausiges Flöten-Duett (Dudelsack) auf die Bühne holen? Geht. Witze verkacken und dafür von den Bandkolleg:innen ausgelacht werden? Auch dabei. Und jede Menge Hits, die gefühlt alle mitsingen können. Geiler Scheiß, Team Scheisse! Zum Abschluss skandiert das Publikum antifaschistische Sprechchöre.

Kurz vor dem Auftritt des Samstag-Headliners Green Day ist das Infield vor der Utopia Stage ein Meer aus Menschen. Es verzögert sich ein bisschen. Aus den Lautsprechern schallt Bohemian Rhapsody von Queen, Blitzkrieg Bop von den Ramones, zu dem das Bandmaskottchen „Drunk Bunny“ die Menge anheizt, und schließlich das Intro, ein Mashup aus dem The Imperial March von John Williams und, nochmal Queen, We Will Rock You. Dann stehen Green Day auf der Bühne und starten einen Event, der vielen Besucher:innen allein das Festivalticket wert gewesen sein dürfte. Vor 30 Jahren veröffentlichen Green Day ihr Debutalbum Dookie, das bahnbrechende American Idiot erschien vor zwanzig Jahren. Dazwischen und danach legten die zum Stadionact gewachsenen Punkrocker von damals immer wieder Hits nach und kürzlich das Album Saviors. Dessen Opener The American Dream Is Killing Me eröffnet auch die Show beim Rock am Ring. Beginn einer über zweistündigen Reise in die Bandgeschichte von Green Day inklusive dem kompletten American Idiot Album. Ergreifend, wie das Publikum jeden dieser Songs fühlt. Mal wieder Gänsehaut.

Viele Rock am Ring Besucher:innen hatten sich ursprünglich auf den für den Samstag angesetzten Auftritt von Bad Omens gefreut. Doch die derzeit schwer angesagte US-Metalband sagte kurzfristig ihre Europakonzerte ab. Das Rock am Ring sorgte lobenswerterweise für Ersatz, buchte jedoch den Rapper Marsimoto aka Marteria und irritierte (freundlich ausgedrückt) die RaR-Community. Bei allem Respekt für Marteria: Ein Ersatz für Bad Omens ist das nicht. Zitieren wir an dieser Stelle einen angetrunkenen Menschen, der mich während des Marsimoto-Auftritt am Pissoir anspricht: „Was ist denn das bitte? Das ist doch Mist!“ Dagegen freuten sich zahlreiche Marsimoto-Fans über das Konzert, da Marteria sein Alter Ego dieses Jahr in Rente schicken will.

Die Orbit Stage empfiehlt sich nochmal für ein richtig gutes Konzert und ist vielleicht die bessere Punk-Alternative – wenn es die geben muss -, zu Green Day. Denn die Antilopen Gang ist am Start und verbreitet wohl dosierte linke Atmosphäre und Partystimmung sowieso. Immer wieder gibt es „Nazis raus“ Rufe aus dem Publikum. Denn Nazis sind nur gut für den Enkeltrick.

Ein Schuss Ehrensalut für das Konzert der Broilers, das wir uns leider nur kurz ansehen konnten. Wenn aber schon beim ersten Lied eine Stimmung herrscht, wie bei anderen Bands zur Zugabe, ist da etwas ganz, ganz Besonderes passiert.

Drei Runden mit dem Riesenrad sind übrigens billiger als ein Bier. Lohnt sich!

Die komplette Galerie vom Samstag gibt es hier:

Fotos: ROCK AM RING 2024 (Samstag, 08.06.2024)

Den Bericht vom Freitag gibt es hier:

ROCK AM RING 2024, Nürburgring – Freitag (07.06.2024)

Den Bericht vom Sonntag gibt es hier:

ROCK AM RING 2024, Nürburgring – Sonntag (09.06.2024)

Weblinks Rock am Ring:

Homepage: https://www.rock-am-ring.com/
Instagram: https://www.instagram.com/rockamringofficial
Facebook: https://www.facebook.com/rockamring

Autor