30 Jahre SELIG – Köln, Live Music Hall (04.11.2023)

Fotos: SELIG
Selig, © Greta Arntz
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Auf ein Konzert einer Band zu gehen, die ihr dreißigjähriges Jubiläum feiert, ist, wenn man schon seit Anfang an Fan dieser Band ist, mit einer gewissen Gefahr verbunden: Man wird sich klar, wie alt man ist. Ich muss sagen, dass das auch bei Selig sehr schnell sehr bewusst wird, wenn man die Besucher:innen betrachtet. Der Altersdurchschnitt liegt ungefähr bei 35 und es gibt mehr Funktions- als Lederjacken, bunte Haare haben nur zwei Zuschauerinnen und ansonsten sieht das Publikum auf den ersten Blick auch eher nach Elternpflegschaftstreffen als nach Rockkonzert aus. (Gen X wünscht sich die alte Zeit zurück …)

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Als dann aber die Band mit etwa einer Dreiviertelstunde Verspätung auf die Bühne kommt, sind alle in der Live Music Hall wieder zwanzig. Die Band wird jubelnd begrüßt und vor allem der selbstbewusst auftretende Christian Neander (Gitarre) und der auf die Bühne schwebende Jan Plewka (Gesang) lösen wahre Begeisterungsstürme und unsittliche Zwischenrufe aus. Wie gesagt, man ist wieder zwanzig …

Alte Zeiten, neue Zeiten, …

Mit Unsterblich vom späten Album Kashmir Karma eröffnet die Band das Konzert und setzt damit natürlich ein Zeichen, denn der Titel ist ein Versprechen. Es folgen die älteren und (an der Reaktion des Publikums gemessen) bekannteren Songs Kleine Schwester und der Kracher Arsch einer Göttin, der die Halle dann so richtig zum Schreien und Tanzen bringt. Man merkt eben, dass viele Besucher*innen die Band schon seit den Neunzigern kennen und lieben. So geht es dann mit einer gut durchdachten Setlist auch weiter, alte und neuere Songs wechseln sich ab und geben den Fans jeder Generation Gelegenheit zu feiern und zu träumen. Denn die teilweise psychedelischen Eskalationen der Musik und der Lichtshow geben dazu einigen Anlass. Der neueste Song Neuanfang, den die Band nach eigener Angabe erst ein paar mal und bisher live noch nicht fehlerfrei gespielt hat, lässt auf ein baldiges neues Album hoffen. Sie spielen ihn übrigens fehlerfrei.

Plewka, in gewohnt sympathisch bodenständiger Manier, spickt den Auftritt hier und da mit Anekdoten aus der alten Zeit, dabei begleitet von (noch analog aufgenommenen) alten Tour-Bildern auf den Leinwänden hinter der Bühne. Und auch während der Songs werden dort Bilder, Lichteffekte und sogar alte Musik-Videos der Band gezeigt, um die Nostalgie perfekt zu machen. Man fühlt sich an die Zeit erinnert, als man vor MTV und ViVa saß und darauf wartete, dass endlich die Videos der Bands, die man so mochte, gespielt wurden. Die Geschichte, die Plewka zum Besten gibt, wie Selig 1994 im “Alten Wartesaal” spielten, Bruce Dickinson (ja, der Bruce Dickinson) angeblich im Publikum saß und sie dachten, ihren Durchbruch zu haben, ab jetzt reich und berühmt und natürlich auch Millionäre zu werden … Diese Geschichte ist wahrscheinlich etwas überzogen. Trotzdem finden sich einige im Publikum, die damals schon dabei waren und sich lautstark daran erinnern. Viele solcher Erzählungen, Späße über die Bandkollegen und deren Alter, den Kühlschrank, der zum Leidwesen der Backstage-Crew nur noch alkoholfreies Bier enthalte und so weiter erzählt der Frontmann in gewohnt liebenswert verklärter Art. Aber auch nachdenkliche und philosophische Töne über Liebe und Seligkeit in Zeiten von Pandemien und Kriegen haben ihren Platz. Und vielleicht bringt der ein oder andere etwas von dem Frieden und der Seligkeit, die Plewka als Auftrag mitgibt, in die Kölner Nacht. Man hört diesem Mann einfach gerne zu.

Und den anderen Männern natürlich auch, die alle zeigen, wie gut sie ihre Instrumente und ihre Kunst beherrschen und das Publikum mal in verklärte und mal in ausgelassene Stimmung bringen können. Neben den oben genannten auch der Bassist Leo Schmidthals, der sogar ein virtuoses Solo von sich gibt und Drummer Stephan Eggert, dem man bei seiner entspannten Haltung nicht zutraut, so loszulegen, wie er es bei einigen Stücken hemmungslos tut. Selig waren musikalisch schon immer einzigartig, denn solche Musik mit deutschen Texten gibt es kaum und auf diesem Niveau, was sowohl Komposition als auch Texte angeht, eben nur einmal. Sie hatten schon immer etwas zu sagen, auch wenn man teilweise nicht so wirklich versteht, was das eigentlich sein sollte, wie Plewka bei dem im Mittelteil gespielten Song Garten (vom frühen und durch Kritiker gefeierten Album Hier) zugeben muss. “Wir waren dermaßen breit, eigentlich weiß keiner, was damit gemeint war.”

Mitklatschen, Mitsingen, Mittanzen, je länger das Konzert dauert, desto ungezügelter wird die Stimmung. Nach zwei hervorragend geplanten Encores endet das Konzert um ca. 22.00h. Das letzte Lied ist natürlich Wir werden uns wiedersehen, was erneut zeigt, wie gut es der Band gelingt, mit ihren Liedtexten zu kommunizieren und die Fans zu erreichen.

Setlist SELIG @ Live Music Hall (04.11.2023):

01. Unsterblich
02. Kleine Schwester
03. Arsch einer Göttin
04. Alles auf einmal
05. Alles ist nix
06. Hey Ho
07. Neuanfang
08. Lass mich rein
09. High
10. Mädchen auf dem Dach
11. Garten
12. Bruderlos
13. Ist es wichtig
14. Myriaden
15. Sie hat geschrien
16. Schau Schau
17. Von Ewigkeit zu Ewigkeit
18. Wenn ich wollte (Z)
19. Die Besten (Z)
20. Ohne Dich (ZZ)
21. Wir werden uns wiedersehen (ZZ)

Weblinks SELIG:

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