Es war Donnerstag. Das Wochenende war zum Greifen nahe, und doch befand man sich mitten im Alltagsmodus. Diesen mit einem Konzertabend zu durchbrechen, fühlte sich mit steigendem Alter an, als würde man etwas echt abgefahrenes angehen. Draußen war es kalt – bitterkalt. Doch der Weg in die sicherlich muckelig warme Essigfabrik war nicht mehr weit. Das bisschen Nieselregen konnte einem nichts anhaben, schließlich ging der Einlass zügig von statten. Kaum passierten wir den Eingang, drehten wir sogleich in Richtung Garderobe ab – weg mit dem Wintermantel! Stand hier doch ein Abend in einer ausverkauften Location mit 800 weiteren Besuchern an. Doch bereits auf dem Weg zur Bar ahnte man böses. Moment mal, drinnen war es gefühlt kälter als… draußen!? Hat die Energiekrise nun in den Veranstaltungsstätten Einzug erhalten? Auf die Frage, ob ich meine Cola mit Eis trinken möchte, schüttelte ich eindringlich, mit aufgerissenen Augen den Kopf. Den Mantel zurückzuerobern war keine Option, denn bald würden die Temperaturen sicherlich ansteigen.
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Pünktlich um 20 Uhr begann der Konzertabend mit Som. Die Bühne erstrahlte in Grüntönen, ehe die vier Amerikaner ihre Plätze einnahmen. Vorab habe ich mich durchaus in das Material der Band hineingehört und freute mich auf ihren Post Rock samt der hellen, klaren Stimme von Will Benoit. Sie selbst bezeichnen ihre Stilrichtung als Dream Pop gepaart mit Shoegaze. Klanglich verträumt starteten sie ihr Set mit Animals. Eine bezaubernde Gitarrenmelodie setzte ein und der Gesang von Will gesellte sich dazu. Leider war dieser recht leise und wurde vom restlichen Sound klar übertönt. Dunkel und getragen, sogar etwas doomig kam der Track daher: “We’re all just animals hiding from our shadows.” Frostig war es scheinbar auch auf der Bühne “It’s pretty frigid. Is everyone warming up? We’re called Som from the United States. Thank you for coming up.” Nahezu betörend wirkte der Refrain bei Awake // Sedate – wäre die Stimme doch nur lauter zu hören gewesen. Die kräftigen Klänge bildeten jedenfalls einen erfreulichen Kontrast. Während der Rest der Band sichtlich Freude an ihrem Auftritt hatte, wirkte ihr Fronter bezüglich seiner Körpersprache nicht zu 100% motiviert. Vielleicht schien dies aber auch nur so. Bei Black Out The Sky ging es an den Saiteninstrumenten heftig zur Sache. Der 30-minütige Gig von Som endete mit dem hymnisch verspielten Youth // Decay.
Setlist SOM – Köln, Essigfabrik (26.01.2023)
01. Animals
02. Awake // Sedate
03. Moment
04. Center
05. Black Out The Sky
06. Youth // Decay
Weblinks Som:
Homepage: som.band
Facebook: www.facebook.com/somtheband
Instagram: www.instagram.com/somthebanda
Während der Umbaupause wurden wir bereits mit mystischer Musik auf die Isländer eingestimmt, die nun folgten: Sólstafir. Sidefact: Die Jungs haben sich kurz vor ihrem Gig in Warschau gemeinsam mit Nergal – dem Sänger von Behemoth – bei einem Barbershop den letzten akkuraten Schliff für die Tour verpassen lassen. Während das instrumentale Intro Náttfari begann, betraten die vier Musiker ihre Spielstätte des heutigen Abends. Ihr besonderer Look stach einem direkt ins Auge. Unterschiedlicher hätten die Mannen nicht aussehen können und doch bildeten sie auf der Bühne eine Einheit.
Sänger Aðalbjörn Tryggvason trug zu seinen Cowboystiefeln eine schwarze Jeans, die mit etlichen Lederflicken gepimpt war. Sein Gürtel war mit Nieten und silbernen, großen Ringen bestückt. Zu einem klassischen Hemd hat er sich eine Lederweste ausgesucht und an seinem Gitarrengurt hing (Achtung!) das Mundstück, einer Pferdetrense, an dem sein Saiteninstrument befestigt war. Sæþór Maríus Sæþórsson, Gitarrist der Band, wirkte auf mich wie ein weiser, etwas betagter Cowboy. Auch er hatte sich stylisch zurechtgemacht und sein Cowboyhut stand ihm ausgezeichnet. Nicht weniger eindrucksvoll sah Basser Svavar Austman Traustason aus. Trug er doch zu seinem schwarzen Hut und der coolen Lederjacke eine Sonnenbrille und sein langes, glänzendes, rotes Haar hatte er zu mehreren Zöpfen geflochten. Es mag ungewöhnlich klingen, aber er konnte das genau SO tragen. Von Hallgrímur Jón “Grimsi” Hallgrímsson, dem Drummer konnte ich nur die Kopfpartie erspähen. Dafür war er perfekt ausgeleuchtet, was seltenst bei Bands vorkommt. Mit seinem adrett getrimmten Bart und seinem perfekten, etwas längeren Haarschnitt, machte es durchaus Sinn, ihn ins Licht zu rücken.
Aufmerksam begutachtete Aðalbjörn sein heutiges Publikum. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, bekannten Gesichtern ein Grußzeichen zukommen zu lassen. Mit dem neunminütigen Kracher Köld ebneten uns Sólstafir den Weg in ihre ganz eigene musikalische Welt. Dieser preschte erstmal voran, eher man eine erste, wohltuende Melodie wahrnahm. In der für uns ungewohnten, isländischen Sprache schrie Aðalbjörn seine Lyrics heraus. Svavar spielte zunächst mit einem Fünfsaiter und der Wechsel aus schnellem und getragenem Spiel erzeugte sogleich eine besondere Wirkung. Die Aura der einzelnen Musiker tat ihr Übriges. Sæþórschien spielte seine wunderschöne Les Paul Gitarre so sanft, er schien seine Saiten gar zu streicheln. Ganz zart und sanft begann Melrakkablús. Aðalbjörn präsentierte uns stimmlich zunächst seine weiche Seite, ehe der Titel gegen Ende total abdrehte und eine richtig zornige Entwicklung nahm. Auch dieses kleine Kunstwerk war knapp 10 Minuten lang und doch bemerkte man dies kaum. Es war so faszinierend den Musikern aus Reykjavik dabei zuzusehen, wie sehr sie gefühlt mit ihren Instrumenten verschmolzen. Streicher waren zu Beginn des Songs Rökkur zu hören. Hier nahmen sich die Drums nebst den Gitarren deutlich zurück. Eine gewisse Zerbrechlichkeit lag in der Luft. Ein Break stoppte den Sprechgesang des Sängers und es herrschte kurzzeitig Stille. Erwartungsvoll blickte er durch die Reihen, bis er einem Fan zuzwinkerte und der Sound wieder einsetze. Tänzelnd stand er da an seinem Mikro. Schwang die Hüften seicht umher, eher er von einem ausschweifenden, theatralischen Gitarrensolo unterbrochen wurde.
Für den Titel Rismál legte Aðalbjörn seine Gitarre ab und schlich über die Bühne. Getragen von der Musik kniete er sich hin. Einen Moment später lag er sogar kurz da, bevor sich der hochgewachsene Sänger wieder aufrichtete und er zu schreien begann. Pure Harmonie breitete sich mit Fjara aus. Beachtlich scenhnell hat man sich übrigens an den Klang der fremden Sprache gewöhnt. Hier kam sie zunächst lieblich daher, bis die Stimme ihre ganze Leidenschaft entfachte. Zu den bezaubernden Melodien war man gedanklich schnell in der einzigartigen Landschaft Islands unterwegs. Die Naturverbundenheit der Band war immer wieder in ihren Songs spürbar. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie wohltuend Musik auf einen einwirken kann. Durchaus düster ging es mit Ótta weiter. Hier begegneten uns erneut die Streicher. Zudem war auch ein Banjo zu hören. Immer wiederkehrende Gitarrenparts entführten uns tief in die Welt von Sólstafir. Im Publikum entdeckte man immer mehr Köpfe, die passend dazu geschwungen wurden. Seligkeit machte sich breit und die eigentliche Kälte im Raum war kaum noch wahrnehmbar. Beachtlicher Beifall ließ auch nicht lange auf sich warten. Die Isländer kamen hier wahrlich gut an.
Nun begann Aðalbjörn sogar mit uns zu sprechen “Guten Abend. We are from Reykjavik, Island. Hallo Köln.” Nachdem er seine Bandmates einzeln vorgestellt hat, erblickte er einen Fan mit einem iPad in der Hand. “Who has an iPad?! What the fuck is wrong with you? Now we need some help for the next song. Can you help us? When I say 1,2,3,4, you need to scream. Can you do that? What about the cool motherfuckers in the back?” Skeptisch verschränkte der Sänger seine Arme, eher er einen ersten Probedurchlauf startete. “On a scale 1-10 it was a three.” Die nächste Versuche stellten ihn dann zufrieden und somit konnte der finale Song angekündigt werden: “Ok Phil Collins, this is a romantic ballad: the ‘Goddess Of The Ages’.”
Selbstredend begann diese “Ballade” mit einem arbeitsintensiven Einsatz an den Gitarren. Als sich der Track lässig zurücknahm, stattete Aðalbjörn der Menge einen Besuch ab. Gemächlich bahnte er sich seinen Weg durch die Fans und bestieg die lange Theke, um diese als Laufsteg zu nutzen. Seine Zeilen sang er dabei diesmal auf English und das wahrlich herzzerreißend: “I wear my thorns for you. They cut all the way through. This is how I do it. It takes a lot to it, for you.” Auf seinem Rückweg durchquerte er den Fotograben und begrüßte herzlich einen Fan, der in einem Rollstuhl saß. Plötzlich kletterte er auf die Bühnenabsperrung und fand dabei festen Halt von der Hand eines starken Mannes. Wie selbstverständlich balancierte er auf der schmalen Stange entlang, wobei ich erstmal den Atem anhielt. Sein Talent gepaart mit seiner inneren Ruhe machten sich aber bezahlt. Stets war eine stützende Hand in Reichweite und nach einigen Metern sprang er wieder gekonnt auf die Bühne zurück.
Schon schnappte sich der abenteuerlustige Sänger erneut seine Gitarre und kniete sich gemeinsam mit Sæþórschien gedankenverloren auf den Boden. Die experimentierfreudige Klänge erzeugten durchaus eine gewisse Epik. Jetzt ging es richtig ab: “Are you ready, Cologne?” Wir waren gewappnet und bestanden unsere vorher eingeübte Aufgabe mit Bravour – wieder und wieder. Nahezu vier Minuten lang gab das Quartett dann absolut Vollgas an ihren Instrumenten. Die geflochtenen Zöpfe des Bassers flogen durch die Luft und dem Publikum war die reine Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Zum Schluss spielte Drummer Grimsi stehend und alle vier Musiker strahlten voller Freude. Sie ließen es sich nicht nehmen, ausgiebig für ihre Fans zu applaudieren und die Menge war hin und weg von den Isländern. An diesem Abend haben Sólstafir niemanden kalt gelassen etliche Fans hinzugewonnen – gehörte an dieser Stelle ganz klar dazu. Ihr 70-minütiger Gig war definitiv dem eines Headliners würdig.
Setlist SÓLASTAFIR – Köln, Essigfabrik (26.01.2023)
01. Köld
02. Melrakkablús
03. Rökkur
04. Rismál
05. Fjara
06. Ótta
07. Goddess Of The Ages
Weblinks Sólstafir:
Homepage: solstafir.is
Facebook: www.facebook.com/solstafir
Instagram: www.instagram.com/solstafir
Viele fleißige Hände bauten nun das gesamte Equipment auf der Bühne um. Hier saß jeder einzelne Handgriff. Im nu verschwand die bisherige PA und zuletzt erstrahlten nur die neu aufgestellten Drums von Katatonia nebst zwei Bannern im Scheinwerferlicht. Das riesige Backdrop und die Banner waren mit dem neuen Design zum aktuellen Sky Void Of Stars Album versehen. Gemeinsam mit dem wuchtigen, schicken Schlagzeug im Holz-Look wirkte das Bühnenbild sehr edel. Erst vor wenigen Tagen erschienen, wurde der neue Silberling bereits mit Lobeshymnen überschüttet. Wie ein Phönix aus der Asche stieg Jonas Renkse empor, als er gebeutelt von der Pandemie seinen Frust hinter sich ließ und er sich stattdessen seiner Kreativität hingab. Mit besonderer Spannung erwarteten wir die neuen Stücke, wurden sie doch großteils für die Umsetzung auf der Bühne konzipiert. In ihrem Heimatland sind die Schweden oft von Dunkelheit umgeben und spielt auch eine bedeutende Rolle in ihrer Musik. Eben diese begleitet sie auch auf der Bühne. Jegliche Fotografen verzweifeln regelmäßig an dem kargen Licht auf ihren Shows, kaum anders sollte es auch an diesem Abend sein.
Als erstes nahm Daniel Molainen an seinen Drums platz – barfuß! An seinem Arbeitsplatz war ein Kübel mit einer gut gekühlten Falsche Sekt platziert. Wer kann, der kann! Zu den ersten Klängen von Austerity gesellte sich auch der Rest der Band hinzu. Gitarrist Anders Nyström konnte leider aus familiären Gründen nicht bei der Tour dabei sein, wurde aber würdig von Nico Elgstrand (Entombed A.D.) vertreten. Für den Start haben sich die Jungs den perfekten Song ausgesucht, machte er doch bereits als Opener auf der neuen Scheibe solche Lust auf Live Konzerte. Sänger Jonas, Gitarrist Roger Öjersson, Bassist Niklas Sandin und Nico positionierten sich allesamt am Bühnenrand und feierten mit den Fans, als hätte es diese Zwangspause nie gegeben. Sofort setzte das wohlbekannte Katatonia-Gefühl ein, das ich in der aktuellen Album-Review beschrieben habe. Düster und hart ging es zur Sache, bis der empyreische Refrain die bedrückende Wirkung durchbrach und man direkt glücklich zu tanzen begann. Nachdem der Sound bei Sólstafir bereits perfekt abgemischt war, setzte sich dieser klangliche Genuss auch bei Katatonia fort, so war doch jedes einzelne Instrument sehr gut hörbar und Jonas’ warme Stimme wurde auch bestens in Szene gesetzt.
Wie vorab erwartet, klatschte die Menge bereits bei den ersten Tönen des weiteren Neulings Colossal Shade mit. Der passende Soundtrack zu einer Dystopie entpuppte sich live ebenfalls zu einer wahren Granate, zumal die Fans bereits mit einer erstaunlichen Textsicherheit mit einstimmten. Nach einem lieblichen Start wurde Lethean von Daniels treibendem Schlagzeugspiel getragen. Jonas ließ sich sogleich von der Energie anstecken und stieß einen Fuß einen schwungvollen Kick in die Luft. Ein Gitarrensolo führte zu Entzückung und die Musiker strahlten, während sie die Lyrics teilweise gemeinsam sangen. “Beautiful. Are you doing alright? We’re gonna play something from ‘The Cold Distance’ now. The song is called ‘Deliberation’.” Leichter Nebel umhüllte die Band, während das Licht nun ausschließlich aus dem Hintergrund emportrat. Wie wohlklingend und leidend zugleich die Songs von Katatonia erklingen, war erneut faszinierend. “We’re fucking great up here, but it’s a bit cold on stage. We released a new album. This is ‘birds’.”
Fasziniert vom Spirit der Schweden sangen wir mit ihnen gemeinsam die Lyrics: “Shut down my mind. Is the heart brave enough yet? Uncover the skies and show me the birds.” Der progressivere Track Behind The Blood hielt auch die musikalisch anspruchsvolleren Metalheads bei Laune. “Are you still enjoying it, Köln? Do you like Nico from Entombed? Give him a big applause!” Daniels Double Bass Drum läutete Forsaker ein. Hier wechselten sich sphärische Momente mit harschen heavy Metal Parts ab. Opaline vom neuen Album wirkte schnell vertraut. Die Stimmen von Jonas und Roger ergänzten sich bezaubernd schön: “I see the last day turning, straight into emptiness. How did it get so late? Your little voice in shadow now. Sowing seeds to segregate.” Zu Buildings wurden etliche Schöpfe in der Menge geschüttelt. Einige Fans sogen den Song mit geschlossenen Augen in sich auf und auffallend viele glückliche Gesichter fielen mir dabei auf. “We’re so happy to be back in Cologne – or in Köln, as we say in Sweden.”
Melodische Harmonien umgarnten My Twin, dazu lud uns Jonas ein, ihn beim Chorus zu unterstützen “Can you sing along with me?” Selbstredend ließ sich niemand lumpen “You used to be like my twin. And all its been was it all for nothing? Are you strong when you’re with him? The one who’s placed you above us all.” Beschwingt und griffig ging es sogleich mit Atrium weiter. Für Untrodden drosselte das Quintett das Tempo und zeigte sich nochmal von seiner komplexeren Seite, ehe die Jungs geschlossen die Bühne verließen. Als Headliner durften sie sich aber durchaus noch Zugaben gönnen, so ging es mit July nochmal eine Spur wilder daher. Jonas setzte seine Stimme variantenreich zu den effektreiche Akkorden ein. “Are you with us, Köln?” Mit dem 20 Jahre alten Klassiker Evidence läuteten Katatonia dann das Finale ein, bevor sie sich ausgiebig von ihren verabschiedeten und noch einige, eigens für die Tour angefertigte Plektren in die Menge warfen. Was blieb, war das Katatonia-Gefühl, begleitet von dem festen Vorhaben, sich zu Hause sämtliche Alben von Sólstafir reinzuziehen. Dazu blieb genügend Zeit, schließlich stand das komplette Wochenende noch bevor. Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend.
Setlist KATATONIA – Köln, Essigfabrik (26.01.2023)
01. Austerity
02. Colossal Shade
03. Lethean
04. Deliberation
05. Birds
06. Behind The Blood
07. Forsaker
08. Opaline
09. Buildings
10. My Twin
11. Atrium
12. Old Heart Falls
13. Untrodden
14. July (Z)
15. Evidence (Z)
Weblinks Katatonia:
Homepage: katatonia.com
Facebook: www.facebook.com/Katatonia
Instagram: www.instagram.com/katatoniaband