Wer am zweiten Advent eine Auszeit von den Weihnachtsmärkten, den Firmenfeiern, den Kaffeekränzchen mit der Familie oder den Dekosessions benötigte, der war an diesem Abend im Kölner Palladium bestens aufgehoben. Hier erinnerte nichts an ellenlange To-do-Listen, Last Christmas oder den alljährlichen Backwahn. Es musste auch niemand im feinen Zwirn erscheinen. Stattdessen war hier ein amtlicher Metalabend unter Gleichgesinnten angesagt. Auf uns wartete die volle Dröhnung aus dem Land der Nadelwälder, Seen und Gletscherberge.
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Pünktlich um 18:30 Uhr eröffneten ORBIT CULTURE die fröhliche Metalsause. Inspiriert von Behemoth, Gojira und Metallica boten die vier Schweden aus Eksjö leicht zugänglichen, groovigen Melodic Death Metal inklusive einer gelungenen Mischung aus tiefen Growls und Cleangesang. Zweiterer begegnete uns meist im Refrain der sorgfältig für die Tour ausgepickten Songs. Für beide Gesangsparts war übrigens Sänger Niklas Karlsson allein zuständig. Selbst knappe Wechsel gelangen dem smarten Fronter ausgezeichnet. Seine klare Stimme klang zu dem wuchtigen Sound angenehm wohltuend. Wie er es wohl schaffte, seinen Growls sogar eine gewisse Melodik zu verleihen? Scheinbar war er diesbezüglich mit einer seltenen Begabung gesegnet. Die drei Mannen an den Saiten wechselten stetig ihre Positionen und waren überall präsent. Amtliches Geschrammel setzte bei North Star Of Nija ein. Vereinzelt sangen Fans im Publikum einige Parts mit. Orbit Culture verstanden es, mit der Menge zu interagieren, kam doch bereits bei diesem zweiten Song deutlich Stimmung auf. The Shadowing preschte zunächst düster mit viel Schmackes und schnellen Riffs hervor. Die Schöpfe um einen herum drehten sich dazu wild im Kreis, ehe der Sturm auch in versöhnliche, melodische Parts überging. Mit Vultures Of North stand bedauerlicherweise bereits der letzte Titel auf dem Programm. Eingängig und abwechslungsreich gepaart mit einer Menge Atmosphäre beglückte uns auch dieser Song. “Thank you so much for coming out, Germany!” Nach knapp 30 Minuten verabschiedeten sich der Opener des Abends unter stattlichem Jubel von uns. Mit Orbit Culture muss ich mich wohl im Nachgang intensiver auseinandersetzen. Ein weiterer Auftritt auf dem Reload Festival wurde zudem kürzlich erst bekanntgegeben. Ihr Gig machte wahrlich Lust auf mehr. Wer die Möglichkeit hat, die Schweden live zu erleben, sollte unbedingt mal einen Blick riskieren.
Setlist ORBIT CULTURE – Köln, Palladium (04.12.2022)
01. Saw
02. North Star Of Nija
03. Strangler
04. The Shadowing
05. Vultures Of North
Als IMMINENCE die Bühne betraten, zog sich meine Stirn zunächst kraus. War die Band doch stilistisch dem Metalcore zuzuordnen, überraschte der Look von Sänger Eddie Berg. Trug er doch ein schniekes weißes Hemd mit Hosenträgern und dazu hielt er gar eine Violine in der Hand. Mein Interesse war geweckt. Heftige Nebelsäulen schossen in die Höhe. Das Quintett aus Malmö legte mit Ghost direkt beeindruckend los. Ging der Sound doch gut voran, sang Eddie während des Refrains gleichzeitig zu seinem Geigenspiel. Mutig animierte er das Publikum direkt zum Mitsingen und dies funktionierte bei den eingefleischten Fans blendend. Für The Sickness trennte sich der Frontmann von seinem Streichinstrument und lieferte uns ein paar stattliche Screams. Auf ein Break folgte ein musikalischer Hurricane, der vor der Bühne eine wilde Pogoparty auslöste. Dankend formte Eddie mit seinen Händen ein Herz und verteilte dazu Luftküsse. Erase nahm er zum Anlass, mitten im Song einen Aufruf zu starten “Thank you coming out and supporting live music. I want to see a big cicle pit right now!” Auf Sänger hört eine Crowd ja bekanntlich gern. Doch er selbst ließ sich auch nicht gerade lumpen, rastete er doch headbangend völlig aus. Spärlich eingesetzte Gegensätze funktionieren musikalisch besonders gut. Im nächsten Moment war nun Contenance angesagt, denn für einen bedächtigen Streicherpart war Konzentration gefordert. Nun stand er also inmitten der Nebelschübe ganz sanftmütig geigend da. Es folgte mächtiger Applaus. Heaven In Hiding betörte mit Gefühl und Melancholie. Die erste Reihe bekam nun unerwarteten Besuch vom Sänger, der einige Hände abklatschte, während er sanft seine Lyrics ins Mikro sang. Gegen Ende bäumte sich dieser Track auch nochmal kurz aber gewaltig auf. “That’s the reason! You guys are the best. It’s been such a pleasure. This is the last song for the night. You’ll find us at the merch stand.” Temptation bestach mit brachialer Härte und einem herrlichen Drumgewitter, gepaart mit exzessiver Hingabe, Verzweiflung und einem wohltuenden Violinenpart. Das Konzept der Band ging auf, mich haben Imminence definitiv abgeholt. Auch um mich herum zeigte man sich nach diesen 30 Minuten beeindruckt und angetan zugleich.
Setlist IMMINENCE – Köln, Palladium (04.12.2022)
01. Ghost
02. The Sickness
03. Erase
04. Chasing Shadows
05. Paralyzed
06. 8
07. Heaven In Hiding
08. Temptation
Back to the roots mit AT THE GATES. Die Death Metal Urgesteine waren bereit, uns den nächsten Gang zu kredenzen. Ein blendend gelaunter Tomas Lindberg enterte mit seinen Mannen die Bühne. Im klassischen rot-schwarzen Holzfällerhemd, mit einer Cappy auf dem Kopf riss er sogleich seine Arme in die Höhe. Die Zwillinge Anders und Jonas Björler platzierten sich nebeneinander und schon nahm der düstere Sound an Fahrt auf. Bei dem ungestümen Klassiker Slaughter Of The Soul aus dem Jahr 1995 wurden die harten Parts immer wieder von ausgefeilten Melodien umrahmt, Thomas Lindberg fauchte dazu seine wütenden Zeilen. Er riss seinen Mikroständer in die Luft und signalisierte, dass er hier keinerlei Ausfallerscheinungen seitens des Publikums akzeptieren würde. Mit eindeutigen Handzeichen forderte er die Menge einem Circle Pit auf. Das neuere Werk To Dring From The Night Itself wurde stimmlich durch einige Fans unterstützt. Ein integriertes Drumsolo wurde direkt gefeiert. “Vielen Dank. We are At The Gates from Göteborg. It’s a very good day for a sunday, just because of you.” Mit Cold und Under A Serpant Sun folgten zwei weitere rohe Schätzchen aus den Anfangszeiten der Bandgeschichte. Zwischenzeitlich fiel mal kurz das Licht auf der Bühne aus, doch davon ließen sich die absoluten Profis nicht beirren. Immer wieder reckte Tomas bei Death And The Labyrinth seine Faust nach oben. Begann dieser Titel erst atmosphärisch, zeigte er danach seine eiskalte Schulter und peitschte einem seinen knallharten Sound entgegen. Der groovende Part in der Mitte fügte sich in dieses Brett besonders gelungen ein. Auch wenn immer wieder etwas Bewegung in der Menge aufkam, es schien durchaus, als wolle man sich die Energie für die Hauptband aufsparen. “Are you here for In Flames? It’s been our pleasure. Thank you so much and good night.” Beim getragenen Closer The Night Eternal klatschte das Publikum nochmal mit, ehe die Zwillingsbrüder am Ende ganz allein auf der Bühne standen und sie ihre letzten Töne ausklingen ließen. At The Gates gaben somit nach 45 Minuten die Bühne für die Headliner des Abends frei.
Setlist AT THE GATES – Köln, Palladium (04.12.2022)
01. Spectre Of Exctinction
02. Slaughter Of The Soul
03. At War With Reality
04. Der Widerstand
05. To Dring From The Night Itself
06. Cold
07. Under A Serpant Sun
08. Heroes And Tombs
09. El Altar Del Dios Desconocido
10. Death And The Labyrinth
11. Blinded By Fear
12. The Night Eternal
Mittlerweile war das Palladium prall gefüllt. Einzig eine letzte kurze Umbaupause trennte uns noch von IN FLAMES. Auf der Bühne war nun mächtig viel Platz. Rundherum offenbarten sich aufwendige Lichtinstallationen, die den Hauptact perfekt in Szene setzen sollten. Genau so geschah es auch. Wenige Augenblicke nach 21 Uhr gab es dann kein Halten mehr. Die Göteburger starteten ihr Set mit dem noch frischen Track The Great Deceiver. Zur Pandemiezeit entstanden, war der geballte Frust unüberhörbar “We are doomed, we are cursed. Nothing but pain. This is the end. Bend the truth to fit your opinion.” Dem aufgestauten Ärger über Ansichten, die in eine schräge Richtung abgedriftet sind, machte man hier gehörig Platz. Sänger Anders Fridén sprang direkt auf den langen Podestbereich am Bühnenrand und in der Menge kam sogleich Bewegung auf. Dazu wurden unsere Gehörgänge mit feinst abgestimmtem Sound verwöhnt. Die drei Herren an den Saiten waren auch motiviert bis in die Haarspitzen und ihre pure Spielfreude war unübersehbar. Nach dem aufgebrachten Song stimmte einen Cloud Connected versöhnlich. Die prägnanten Synthies, gepaart mit dem stampfenden Rhythmus und der begnadeten Melodie ließen einen innerlich die Welt – die man eben noch gehasst hat – umarmen.
“I need to know what I’m working with tonight.” Anders’ beginnende Ansage wurde jäh durch einen kessen “ausziehen, ausziehen, ausziehen”- Ruf eines Fans unterbrochen. “Can someone translate this into Swedish? Anyway, we’re gonna take you back to our very beginning of the band.” Back to 1994. Behind Space vom Debütalbum Lunar Strain schüttelte uns alle mächtig durch. Wer in solchen Momenten nichts mit Metal anfangen kann, bei dem ist Hopfen und Malz verloren. Jetzt hatten die Gitarristen Björn Gelotte und Chris Broderick ihren großen Auftritt. Als sie die weltbekannten Parts spielten, leuchteten die Augen der Fans verzückt um die Wette. Anders war zufrieden “I can feel it. It’s gonna be a good night.” Oh ja, nicht silent oder holy aber das stand eh nicht auf dem Plan. Heute wollten wir es laut, wir wollten es hart und dreckig- zumindest musikalisch. Bei dem usseligen Wetter in der attraktiven Halle stehen zu dürfen, hatte durchaus etwas für sich. Damit auch niemand zu frösteln begann, forderte Anders die Crowd auf, die Mitte zu dem Knüppelsong Graveland zu öffnen. Sofort trat in den ersten Reihen eine unangenehme Enge ein. Irgendwo musste ja der Platz für den Pit herkommen. Glücklicherweise riss dieser dann eine Menge Metalheads mit sich und alle konnten sich wieder voneinander lösen. Die Crowdsurferbahn war dann gleich mit eröffnet, hat man diese ohnehin schon vermisst.
Colony kam mit harten Riffs daher, die Keyboarder Niels Nielsen dazu verleiteten, Luftgitarre zu spielen und sich neben dem Basser Bryce Paul und Chris an seiner Gitarre einzureihen. “I want this to be the best day ever in Cologne! Are you girls and boys ready to do some workout? Everyone jump the fuck up!” Auf solch eine stramme Ansage konnte nur der Megahit Only For The Weak folgen. Und tatsächlich, eine riesige Menschenmenge setzte sich gleichzeitig in Bewegung und sprang was die Waden hergab. “You guys were so quite nice.” Lautstarke “In Flames”-Rufe breiteten sich aus. “We love you guys. It’s very important. I’m tired of talking about the pandemic. But we missed you for a long fucking time! I know, people were losing family members, they lost their jobs. But we worked on a new album. And we will never ever take you guys for granted again! Thank you for coming. Let`s get back to the dancing. The crowdsurfers were… ok, so far.” Direkt fühlte sich jemand animiert und ließ sich über die Menge tragen. Der sympathische Frontmann schmunzelte beeindruckt “This people are surfing without music! This is a true metal dedication!” Es folgte ein weiterer Vorreiter für das im Februar erscheinende Album Foregone: Foregone Pt.1. Harter, schneller Sound traf auf Melodik. Crowdsurfer sah man dazu in sämtlichen Varianten. Sie waren bäuchlings oder rücklings unterwegs, manche filmten ihre kurze Reise und die Securities im Bühnengraben kamen durchaus ins Schwitzen. Fast schon romantisch wurde es, als Wallflower erklang. Der verspielte Song mit den ausufernden Gitarrenparts kam sehr gut an und erntete besonders starken Jubel. Richtungswechsel! Mit dem aktuellen Kracher State Of Slow Decay gab es nun mächtig einen auf die Mütze. Dieser löste auch unweigerlich einen heftigen Schub in der Menge aus. Uns erwartete eine finstere Atmosphäre, gepaart mit hohem Tempo, vereinzelten Growls und einen einnehmenden Refrain. Grandios!
Wenn ich an den nächsten Song zurückdenke, kann ich ein Seufzen nicht unterdrücken: Alias! Hier breitete sich ein tiefes Glücksgefühl aus und die fremden Menschen in der Halle vereinten sich zu einer großen Gemeinschaft. Ja, der Song ist aus der Zeit, in der manch einer die Augenbraue hochzogen, wenn sie den Bandnamen hörten. Drifteten die Musiker doch durchaus eine zeitlang in Alternative Metal Gefilde ab. Hier und jetzt war das alles egal. Aus tiefstem Herzen stimmten die Fans und der Rest der Band mit ein “Don’t tell me. Tell my ghost. ‘Cause I blame him for all I don’t want to know. I found secrets about life’s undertow. Let them take me far away.” Zwischendurch klangen die Gitarren richtig lieblich. Anders stellte danach geduldig seine Bandkollegen vor. Bryce scheint sich regelmäßig zu verstecken, sobald sein Name genannt wird. Tanner Wayne wurde als bester Drummer in San Diego und auf der ganzen Welt angepriesen und dabei ließ Anders das “Geheimnis” zwischen den beiden nicht unbemerkt, dass er ihm das Schlagzeug spielen beigebracht hat. Björn wurde als verdammt gut aussehender “twentysomething” betitelt und der Sänger verlautete ungestüm, dass er sich bereits auf die Zusammenarbeit für das nächste Album freue. Zu I Am Above stimmte der riesige Chor nochmal mit ein. Schließlich waren sich alle einig “This is the feeling that I have been waiting for.” Hier setzte ein durchaus seliges Grinsen ein. Mit Take This Life folgte das große Finale. Mit Stakkatogeriffe und rotzigem Gesang entließen uns In Flames um 22:30 Uhr in die Nacht. Die Schweden verabschiedeten sich noch ausgiebigst und wer weiß, wie es im nächsten Jahr weitergeht.
Foregone erscheint nunmal am 10.02.2023. Dieser Gig katapultierte die Vorfreude auf das neue Album nochmal deutlich nach vorn. Live hat das neue Material seine Feuertaufe jedenfalls bravourös mit Sternchen bestanden. Den heftigen Sound aus der Anfangszeit mit ins neue Werk einfließen zu lassen, scheint sich als Geniestreich zu erweisen. Und vielleiiiiiiiiicht folgt ja im nächsten Jahr eine erneute Europa Tour. Nach dieser herrlichen Auszeit am Sonntagabend können wir uns nun getrost wieder dem vorweihnachtlichen Trubel hingeben. Wenn uns das alles wieder zu bunt oder aber zu besinnlich wird, verkrümeln wir uns halt und lauschen erneut In Flames ;).
Setlist IN FLAMES – Köln, Palladium (04.12.2022)
01. The Great Deceiver
02. Pinball Map
03. Cloud Connected
04. Behind Space
05. Graveland
06. The Hive
07. Colony
08. Only For The Weak
09. Leeches
10. Foregone Pt. 1
11. Wallflower
12. State Of Slow Decay
13. Alias
14. The Mirror’s Truth
15. I Am Above
16. Take This Life
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