Pandemievergessen
Die Sonne ist im warmfarbenen Dunst längst untergegangen, das Licht im Außenbanner dafür an. Ein weißer Strahlkasten wölbt sich über die abendliche Frühlingskälte und den Fußweg im Leipziger Süden. Er bewirbt beziehungsweise umrahmt den Eingang des UT Connewitz und lässt das Wort “Musik” heute besonders hell leuchten.
Der alte Kinosaal ist halbbestuhlt und verleiht damit seiner Unsicherheit, wie und ob man sich bei der Gruppe Bohren & Der Club of Gore verhalten bis bewegen solle, Ausdruck. Die linke Saalecke verzaubert ein üppiger Strauß roséfarbener Lilien, während die Nebelschwaden kontinuierlich über den Bühnenboden und darüber hinaus schwirren. Wirr springen die Blicke zwischen sich Unterhaltenden im Zuschauerraum hin und her, Fragen nach aktuellen Coronaverordnungen hallen durch: So ungewohnt ist die Situation, dass nach den langen Zeiten aus Kulturlosigkeit, Isolation oder Quarantäne dem angepriesenen “Ausverkauft!” kein “Leider verschoben!” folgt – und so, so schön!
Wohlfühlweile
Das einzige Leuchten im Innern geht vom Barlicht und den arhythmisch aufschwingenden Toilettentüren aus. Ähnlich ist die Bühnenperformance ein Kompromiss aus je zwei Scheinwerferchen pro Musiker, die allmählich Instrumentalistensilhouetten in allen Farben des Spektrums zeichnen. In der Bühnenmitte schillert eine rotierenden Disko-Snare, die unbeeindruckt in den Saal reflektiert. Total falsch ist der richtig gespielte Anfang im visuell Reiz-reduzierten Stimmungsbunker. Spürbar dröhnende Bässe wölben sich über die Bühnenkante und formen ein Fluss. Dieser Strom düsterer Rhythmen wird im Verlaufe des Abends sicher nicht schneller, verschlingt dennoch in seiner Kraft anfängliche Unruhen, Husten, Handylichter und Gespräche. Da, wo sonst Alltag wäre, stellt sich wohltuende Ruhe ein – Gefühle im Kollektiv.
Umstandslos – wie es Christoph Clöser selbst erklärt – spielt das Trio aus Mühlheim an der Ruhr die Stücke ihrer jüngsten Platte Patchouli Blue. Dabei erklärt der Musiker in ruhigen Gesten, die seine langen, weiß leuchtenden Haare kaum in Bewegungen versetzen, dass Patchouli ein Öl sei, das stinke und blue für blau stehe, eigentlich scheißegal – die Stücke seien trotzdem schön. Und das sind sie! Nicht nur wegen des Wort-Wohlklangs der Titel wie Verwirrung am Strang oder Zwei Herzen aus Gold. Auch, weil es sich so leicht auf den Vibraphonspielereien schwimmt, die wie zusätzliche Impulsgeber Geschichten erzählen: Darüber, wie sich etwas im Klangsog zu verstecken scheint, leuchten Geheimnisse durch das Instrumentarium kurz auf, beweisen ihre geisterhafte Existenz und erlöschen wieder. Beinahe wie Gesang zwirbelt das Saxophon über das Tonwabern. Das munkelnde Instrument nimmt an die Hand oder reißt sich in aufbrausender Stärke los. Bemerkenswerten beweisen Bohren & der Club of Gore, die Faszination, die sie auslösen: Fein filmisch entlocken sie den Klangkörpern Stimmlagen, die Zuhörende unweigerlich in Imaginationen verstricken.
Im Rausch
Die Lieder des Konzeptkonzertes sind abzählbar (wie erwähnt, an der Tracklist von Patchouli Blue), auch das Zugaberitual ist schnell erklärt: Für ein bisschen Applaus, gäbe es Hits, Hits, Hits (es sind tatsächlich drei Zugaben)! Die herrliche Stille während der Musikperformance, wird von erwartbar lautstarker Wertschätzung abgelöst. Das Klatschen für die drei Schattenfiguren auf der nebelverhangenen Bühne geht sich kaum aus:
Das Publikum ist verloren auf Zeit – in den Melodieschlieren, den Narrationen im Fadenschein, erzählt von der durch und durchdringenden Musik.
Weblinks Bohren & Der Club of Gore:
Homepage: www.bohrenundderclubofgore.com
Facebook: www.facebook.com/bohrenofficial
Instagram: www.instagram.com/bohrenundderclubofgore/