TORI AMOS – Ocean To Ocean

TORI AMOS - Ocean To Ocean
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9

Gesamtnote

9

Seit über 33 Jahren ist Tori Amos Pianistin, Singer-Songwriterin und Poetin. Längst nennt man die US-Amerikanerin aus Newton, North-Carolina, in einem Atemzug mit anderen Grand Dames anspruchsvoller Pop-Musik wie Loreena McKennitt oder Kate Bush. Seit ihrem Debüt Y Kant Tori Read (1988) und ihrem endgültigen Durchbruch mit Little Earthquakes (1992) Under The Pink (1994) hat es die Künstlerin auf insgesamt fünfzehn Studioalben gebracht. Ihre letzte Veröffentlichung Native Invader erschien vor vier Jahren, war ein nachdenklicher Roadtrip zu ihren eigenen Ahnen, setzte sich mit dem Aufstieg von Donald Trump und dem Abschied von ihrer Mutter auseinander.

Album Nummer 16, das nun Gegenstand dieser Rezension sein soll, ist sogar noch persönlicher und intimer geraten als sein Vorgänger, denn mit Ocean To Ocean kehrt Amos zu den Wurzeln, zu der tiefen Energie ihres frühen Songwritings zurück. Für ihr neustes Werk zog sich die Künstlerin nach Cornwall, an die Spitze Südengland zurück. Ocean To Ocean entstand im Anschluss an den dritten Lockdown vom letzten Winter, als längst alle Kraft- und Geduldsreserven aufgebraucht schienen. Frühling und Sommer nach der unendlich scheinenden Isolation waren also der Schöpfungsrahmen für das neue Album. Sie stehen Pate für die Art Neubeginn, wie er nur aus einem absoluten Tiefpunkt erwachsen kann.

Man kann aus den einzelnen Songs buchstäblich die Kreativität herausfühlen, die aus diesem Auf-Sich-Selbst-Zurück-Geworfen-Sein, der Ruhe, der langen Erfahrung und des Besinnens auf die eigene Kraft erwachsen ist. Amos drückt den Schaffensprozess zu Ocean To Ocean folgendermaßen aus:

Ich habe mir vorgenommen, die Dinge so zu betrachten, dass ich zu mehr Selbststärkung (Empowerment) komm [.] Aber was ist eigentlich Stärke? Manchmal ist man noch nicht bereit, aufzustehen – man muss am Boden anfangen. Wir alle haben Momente erlebt, die uns zu Boden werfen können. Diese Platte begleitet dich da, wo du gerade bist, vor allem, wenn du gerade einen Verlust erlebst. Es fasziniert mich, wenn jemand eine Tragödie durchgemacht hat und wie er seine Trauer verarbeitet. Darin liegt das Gold. Wenn jemand tatsächlich an diesem Punkt ist und denkt: “Ich bin am Ende“, wie erreicht man diese Person? Es geht nicht um eine Pille oder einen doppelten Schuss Tequila. Es geht darum, gemeinsam im Dreck zu sitzen. Und dort im Dreck werde ich dich treffen.


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Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sind die Stücke auf Ocean To Ocean von einer melancholischen Leichtigkeit, einer komplexen Schlichtheit und unverbindlichen Wärme. Man fühlt sich in ihnen sofort zu Hause. Es ist diese Balance zwischen verstehen und sich verstanden fühlen, Wärme aber nicht erstickt werden, Anspruch nähren, ohne den Kopf zu schwer zu machen, die ungeheure Erfahrung und Feingefühl bei Kunstschaffenden voraussetzt. Eine Qualität, die Amos bei Little Earthquakes und Under The Pink  bereits besaß, und die nun auf Ocean To Ocean auf den Punkt reift.

So sind die reichen Texturen, die haptischen, vielschichtigen Arrangements und zahlreichen Einflüsse aus allen möglichen Stil-Richtungen (Tango, Trip-Hop, Irish Folk, Klassik) niemals überfrachtend oder konfus, sondern scheinen, als wären sie schon immer den Songs inhärente Elemente gewesen. Jeder Song wird so zu einem lebenden Wesen, der sich mit seiner natürlichen Struktur, seiner Emotion und seiner eigenen Geschichte wie von selbst verbinden kann. Einige Beispiele möchte ich nennen.

So kommt Metal Water Wood in seiner lebhaften Wechselhaftigkeit schon fast störrisch daher, umgarnt seine elementaren Bestandteile jedoch mit anziehender, atmosphärischer Kraft. Addition Of Light Divided spiegelt durch den mehrstimmigen Gesang und das sprunghaft perlende Piano Entwurzelung, während in Speaking With Trees das Tempo angezogen wird und die ersten mutigen zielgerichteten Bewegungen nach einem schweren Verlust thematisiert werden. How Glass Is Made verdeutlicht, den Druck, unter welchem so etwas Zerbrechliches wie Glas entsteht. Entsprechend fragil gestalten sich hier Piano und Gesang von Amos.

Amos, ihre Musik, ihre Lyrik und ihr Spiel sind ein lebender, atmender und unteilbarer Organismus. Das zeigt auch wieder in Ocean To Ocean, bei dem die Künstlerin nun endgültig zu sich selbst gefunden zu haben scheint und diese ursprüngliche Kraft mit Erfahrung und Reife zu einem außergewöhnlichen Album verbunden hat.


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Ocean To Ocean ist an 29. Oktober bei Decca Records erschienen.

Anspieltipps: Speaking With Trees, Metal Water Wood, How Glass Is Made

Tracklist TORI AMOS – Ocean To Ocean:

01. Addition Of Light Divided
02. Speaking With Trees
03. Devil’s Bane
04. Swim To New York State
05. Spies
06. Ocean to Ocean
07. Flowers Burn to Gold
08. Metal Water Wood
09. 29 Years
10. How Glass Is Made
11. Birthday Baby

Weblinks TORI AMOS:

Official: https://toriamos.com/
Facebook: https://www.facebook.com/toriamos
Instagram: https://www.instagram.com/toriamos/

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