Mit Dackelblut am Arsch der Oma Hans
Punk und Diskursankurbelungspotential – erzähl mir was Neues!
Okay cool: Irgendwas mit Herbstregen, Frischluft und Fahrradtour, mit klebenden, roten Blättern und Frauen, von Donnerstagabend und Leipzig. In den verstreuten Pfützen im Innenhoftief spiegeln sich die Lichter des Conne Island (gebaut auf einem Berg aus 50ct Münzen). Der große, dunkelblau kolorierte Gorilla kündigt es mit leuchtend gelben Buchstaben an: Maulgruppe füttern die lautlose Dunkelheit, nachdem John, Paul, George, Ringo & Richard sich der Aufgabe angenommen haben, den Punk zu beschwören. Es tummelt sich ein. Francoise Cactus leuchtet zweidimensional im Scheinwerfer vor dem gleichgültig schauenden Tierabbild, das die Bühne der Konzertlocation verhängt und die Performenden des Abends auf Augenhöhe mit dem Publikum schiebt.
Die Kunst ist tot, lang lebe die Kunst!
Die fünf lustigen zwei der Vorgruppe – übrigens namenbedingt nicht zu leicht in den gängigen Suchmaschinen aufzufinden – starten ihr Intro. Sie bereiten uns und sich selbst auf den Abend im Nebel vor, schaffen es nicht ganz, die Kleider in den ersten Tönen zu wechseln – was solls. Die Stille verbietet es nicht, einen Schluck aus der Mini-Africola-Glasflasche zu genießen. Währenddessen klappert ein (mehr oder weniger gewollt) schiefgrinsender Geist durch den freien, zaghaften Publikumshalbkreis. John, Paul, George, Ringo & Richard schleudern Technik und Gefühl in und über die Gesichter, auch in jene, die auf der aufgetürmten Tribüne hocken und gucken. Für “ekelhafte Deutsche auf dem Polenmarkt”, oder für “Zukunft – auch so ein Thema //” zwirbelt das Diskolicht an den Wänden entlang. Zur abgespielten Musik und den ausperformten Wortkombination lässt es sich gut wackeln, die meisten Personen lachen vor schallrauschender Unterhaltung – ein Traum von Pisse! Immerwährend rüttelt und schüttelt das unaufhaltsame Gespenst, das die antrainierte Pandemiedistanz angenehm verlernt hat. Der Abschluss verhallt mit einem herzlichen Dank an jenen Geist, den schnell auserzählten Gag, die einladende Energie.
Herr Rachut, wo sind die Frauen?
Seltsam auffällig, bemerken die umherschweifenden Blicke den akuten Frauenmangel im Innenraum. Nicht, dass eine Ausgeglichenheit der Geschlechterideen irgendeine Relevanz für den Kunstgenuss hätte, aber als eine Besonderheit des Abends, soll es nicht unerwähnt bleiben – wenigstens als eine fragende Zwischenüberschrift hervorgehoben werden. (Übrigens: Frauen und Punk ist ein interessanter Gesprächsstart, der wirklich spannende Perspektiven und Inhalte im näheren oder entfernteren Bekanntenkreis offenbart.) Völlig losgelöst von den Gedanken, zeigt sich die Maulgruppe im Zentrum des Conne Island, zwischen den strahlenden, nahen, zappeligen Musikbegeisterten. Die lebende Punklegende, das Stück deutsche Popkultur, Jens Rachut, markiert anfangs den Geschichtenerzähler, treibt dann aber mit seiner markanten Klangfarbe und den beherzten Mitmusikern mit Tieren in Tschernobyl durch die Hitsignale. “Max, mach mal Nebel von der guten Nebelmaschine!” Und die weiß-grauen, blickdichten Schwaden und türmen sich über die wippenden Köpfe mit Ausgelassenheit in den Raum aus. Jemand mit besonders leuchtenden Fingernägeln zum schön finden und Expertise für alles, erklärt mir etwas über Raumaufteilung nach persönlichem Eskalationsausmaß (die übrigens anpassungsfähig ist) und supportet Gedanken an Unbeholfenheit von Bewegung im Punk (wenn kein Moshpit in Gang kommt). Der Abschluss findet sich in kollektiven Träume aus Stereo Total, das Duett als Nachruf: Kakteen verblühen nie.
Weblinks
Homepage: https://maulgruppe.bandcamp.com/album/hitsignale
Facebook: www.facebook.com/Maulgruppe-340738969896582
Bandcamp: maulgruppe.bandcamp.com
Bandcamp: johnpaulgeorgeringorichard.bandcamp.com