An der Bewusstseinsfassade rütteln – Interview mit JA, PANIK (Teil 1)

An der Bewusstseinsfassade rütteln - Interview mit JA, PANIK (Teil 1)
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Über Möglichkeitswelten und Ungreifbares, kleine Geschichte in unentrinnbaren Systemen, Gedanken und Zauber:

Claudia Helmert (CH): Schön, dass Du Zeit für das Interview gefunden hast.

Mit einem klassischen Start aus technischen Schwierigkeiten stürzten wir uns in die Videokonferenz mit Andreas Spechtl, Texte und Musiker der österreichischen Gruppe Ja, Panik, die jüngst mit der Veröffentlichung ihrer Platte Die Gruppe bezauberten. Mit der Vorstellungsrunde ist die Prämisse klar: Gemeinsam mit Patrick von laut.de, der schon bei der Erarbeitung des Reviews unterstützte, haben wir unsere verschiedenen Blickwinkel aus Kulturwissenschaften sowie der Soziologie und Psychologie erläutert und im selben Atemzug bemerkt, das jene akademische Einordnung für die Gruppe angebracht erschienen. Dann starteten wir in den Fragekanon zu Inhalt, zur Musik und zur Sprache:

CH: Das Gespenstische taucht immer wieder auf der neuen Platte auf, in Musik und Text. Aber zu Beginn zum Inhalt: Welche Definition hast Du für das Gespenstische? Warum? Und was fasziniert Dich daran?

Andreas Spechtl (AS): Ich glaube, was mich sehr daran fasziniert, dass es etwas ist, dass mal da war, sich nie eingelöst hat, aber immer noch herumschwirrt und irgendeinen Einfluss auf die Gegenwart hat. Dadurch, dass es sich nicht eingelöst hat, hat es auch etwas sehr Freies, das finde ich sehr interessant, als etwas sehr Fruchtbares, um darüber nachzudenken, darüber zu schreiben. Ich sehe es fast wie ein Werkzeug, das man auf gewisse Dinge legen kann. Natürlich kommt das vom Hauntologischen von Mark Fisher.

Patrick Binder (PB): Genau das wäre auch schon meine Frage gewesen, ob Du Dich bewusst auf Derrida und Mark Fisher beziehst. Das Konzept scheint für Dich sehr ansprechend zu sein, Du hattest ja mit deinem Soloprojekt (damals) Sleep, einen Song mit dem Titel Hauntologie.

AS: Ja, also, ich finde es eine wertvolle Herangehensweise, um über Kultur, über Geschichte, über Vergangenheit nachzudenken. Eben über die Dinge, die nicht passiert sind. Alles was nicht passiert ist, ist ja auch in der Welt: Jede Idee, die nicht umgesetzt worden ist, die es nie in die verfestige Form geschafft hat, immer Gespenst geblieben ist, hat sie ja auch einen Einfluss auf die Welt. Das ist ganz interessant.

PB: Bei On Livestream geht es um Virtualität. Ist das Virtuelle für Dich auch gespenstisch, im Sinne von Simulakren, weil ja gerade in Pandemiezeiten alles im virtuellen Raum stattfindet. Kann „das Gespenst“ auch als Metapher für „das Virtuelle“ funktionieren?

AS: Ja. In der Geschichte der Technik fällt plötzlich diese Unterscheidung weg. Oder es gibt Momente, wo der Mensch auf einmal wirklich etwas Gespenstisches bekommt. Darum geht es auch in dem Stück On Livestream, wie Nähe und Distanz auf einmal gar keinen Sinn mehr machen. Wie wir es gerade machen, kann man eine Nähe aufbauen. Gleichzeitig kann man sich aber nicht ferner sein in der Kommunikation, weil – das habe ich erst jetzt herausbekommen – dadurch, dass ich alle Interviews via Zoom durchführe oder man auch am Anfang der Pandemie viele Freunde auf diese Art getroffen hat, das jedoch bei mir irgendwie aufgehört hat – kann man miteinander sprechen, aber es ist rein technisch nicht möglich, sich in die Augen zu sehen. Du kannst entweder in die Kamera schauen oder auf dem Bildschirm in die Augen schauen, aber es ist nicht möglich, dass sich zwei Menschen wirklich anschauen. Das fand ich eine ganz schöne Metapher für das Phänomen und darum geht es in On Livestream.

PB: Du hast bestimmt auch Baudrillard gelesen, wenn Du Dich thematisch auskennst, da wird alles kritisch betrachtet. Siehst Du das ähnlich?

AS: Es ist problematisch, wenn man einzelne Phänomene danach abklopft oder absucht, um herauszufinden, was das Schlechte sei, das man in die Ecke stellen kann, um es zu kritisieren. Es gibt wenig Phänomene, die so ambivalent sind, wie das Digitale. Bei On Livestream ist die Haltung desjenigen, der da singt, sehr uneindeutig. Da ist eine Gleichzeitigkeit darin, Leute zusammenzubringen und zu entfremden. Zuviel von gesellschaftlicher Entwicklung der letzten Jahre wäre durch das Digitale, die Vernetzung und auch Social Media so nicht zustande gekommen. Der Umgang mit der Pandemie wäre ein ganz anderer gewesen, die Welt hätte man ohne diesen Austausch gar nicht am Laufen halten können, im Guten, wie im Schlechten. Ich versuche relativ differenziert damit umzugehen. Es gibt die Gefahren, aber auch emanzipatorische Momente, die – und das ist das Interessante – zumindest darin angelegt sind. Was man kritisch hinterfragen muss, ist nicht die Technik oder das Digitale selbst, sondern was man damit macht, wo man sie nutzt, woher sie kommt und für welchen Gruppen sie vielleicht absichtlich lower gehalten werden, als sie sein könnten. Darüber könnte man ebenso nachdenken: ob man in einer anders aufgestellten Gesellschaft nicht auch schon ganz andere Technik zur Verfügung hätte, ob man nicht hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, die man haben könnte.

Mit Zigarette in der einen und Frühling in der anderen Hand

PB: Du hast eben Gruppen und Gesellschaft schon angesprochen. Die Gruppe benutzt Du ja als Albumtitel und Song – scheint damit ein relevantes Thema zu sein. Wie würdest Du denn „die Gruppe“, „die Gemeinschaft“ definieren und welche Rolle hat jene für Dich? Ist das bezogen auf die Band? Geht es um eine umfassendere Idee von Gemeinschaft bzw. Gesellschaft?

AS: Der Gruppenbegriff, wie er textlich von mir verhandelt wird, ist ein Grundmotiv: wie man bei Ja, Panik mit so einem Thema umgeht, dass man am Unmittelbaren, an einem selbst, an denjenigen, der da schreibt irgendwie etwas sehr Persönliches zu erzählen hat, etwas das sehr nah an einem selbst gebaut ist. Dabei bin ich aber immer versucht, es einzugliedern in etwas Größeres, Ganzes. Also, zu sagen, ich kann jetzt von mir erzählen, aber in dem Moment, interessiert es mich innerlich nicht mehr. Gleichzeitig kann ich durch die Beobachtung von mir selbst etwas über die Welt erfahren. Es werden Gedanken über „die Gruppe“ durchgespielt und die Gruppe Ja, Panik dient als Exempel. Es geht weniger um die Gruppe Ja, Panik selbst, aber es ist einfach so, dass wir in der Gruppe existieren, quasi unser ganzes Erwachsenenleben lang. Mit der Zeit bekommt es dann ein anderes Gewicht, weil es sich so durchzieht und für uns eine Art und Weise ist, durch dieses Leben zu kommen. Es ist ein ewiger Kampf, ein ewiges austarieren, wie man Privates und Arbeit, so nenne ich es jetzt mal, verbindet und dem Ausbeuterischen, Fremdbestimmten, was der Neoliberalismus versucht aufzudrängen – das ist ja eh klar – gegenübersteht. Das letzte Jahr hat erneut ganz stark gezeigt wie viel von außen in das Private hereinspielt. Das sind Dinge, an denen man sich abarbeitet, es ist einfach eine Lebensrealität in der man sich wiederfindet. Dort unterscheidet sich „die Gruppe“ arg von der Band: Die Band ist dabei eher der Musik-machende Teil.

PB: Das ist ein bisschen Off-Topic, aber Du trennst dein privates Ich von der Person, die in den Liedern singt? Die Texte sollte man nicht so autobiographisch nehmen, oder?

AS: Ne, ne. Manchmal kommt das natürlich vor. Ich würde es eher als Ausgangspunkt sehen, eine Möglichkeit, wo es für mich aber spannend wird, verschiedene Ichs hineinfließen zu lassen, die in meinem näheren Umfeld stattfinden. Es ist eher so ein Container, der zum großen Teil von meinen Geschichten und meinen Erfahrungen gespeist ist, aber bei dem das Ich auch von „der Gruppe“ von den Leuten, die mich umgeben, handeln kann. Selbst wenn ich auf der Platte viel „ich“ sage, sind auch viele Leute dabei. Damit meine ich nicht, „Ich bin viele“, sondern es geht um viele Gedanken, die zusammengetragen werden. Ich trenne es insofern, dass ich die Autobiographie nur als Ausgangspunkt nehme.

PB: Bei dem Song The Cure gibt es die Textzeile: „The only cure for capitalism is more capitalism”. Ich gehe davon aus, es sei ironisch gemeint und frage: Ist der Kapitalismus das Symptom oder die Krankheit an der wir leiden? Beides? Wir machen schließlich alle mit, ob wir müssen oder wollen.

AS: Ich habe das für mich immer so gesehen, oder versucht zu beschreiben. Das ist ja auch ein alter Gedanke, den es auf unserer vorletzten Platte gab: Dass Du dieses System hast, das zerstörerisch ist, das für gewisse Leiden verantwortlich ist – wenn man in dem Song The Cure bleiben will. Es ist aber gleichzeitig auch die einzige Möglichkeit, Heilung zu finden und Dich wieder einzugliedern. Das ist das interessante daran: Er will Dich nicht kaputt, sondern nur schwächer machen. Bevor Du kaputtgehst, heilt er Dich lieber und gliedert Dich wieder ein. Das ewige Rad in dem man sich befindet, darum geht es mir mit diesem Satz.

PB: Also siehst Du auch Vorteile im neoliberalen kapitalistischen System oder hast Du eine sinnvolle Alternative?

AS: Also, ja, ich kann mir natürlich vorstellen, wie man ein emanzipatorisches Leben führen kann. Es ist nur die Frage, wo man dabei ansetzt oder wie nah man diesem letzten Punkt kommt, an dem man sagt: Ja, es gibt für mich eigentlich keine Alternative innerhalb des Systems. Gleichzeitig ist es aber auch wahnsinnig gefährlich darüber nachzudenken, weil man sofort in diesem Haupt- und Nebenwiderspruch ist. Zudem finde ich, dass sich da in den letzten Jahren auch viel getan hat: Es gibt ganz viel Widersprüche nebeneinander und trotz alle dem ist es auch gefährlich, zu denken, man könne sich, Foucault hat das Heterotopien genannt, so kleine emanzipierte Orte schaffen. Das wiederum glaube ich nicht. Trotzdem hat jeder Mensch das Recht im Hier und Jetzt ein schönes Leben zu führen. Man muss sich auch klarwerden, dass in einer Lebensspanne wie unserer dieses System wahrscheinlich nicht fallen wird. Dann sind wir wieder dabei, dass es sich lohnt, um die kleinen Verbesserungen zu kämpfen. Aber ich glaube, mit dem Hintergrund und dem Wissen, dass die letzte Form der Emanzipation, wie ich mir das vorstellen kann, jenseits vom System passieren muss – das sagt ja dieser Satz – das ist der wirkliche Kapitalismus: Dass er kein Außen bereitstellt, dass es so schwer fällt über dieses „Außen“ zu sprechen, weil man die Bilder nicht hat. Das macht es so schwer, eine Antwort darauf zu finden, das ist die tödliche Kraft die er hat. Es wird alles bereitgestellt, jede Form der Kritik, jedes Bild, jeder Satz den man aufmacht, das ist das Endböse daran, dass jeder Atemzug das System befeuert. Da ist es schwer, ein Außen zu denken, für mich, für jeden – und außen zu agieren! Alles bleibt in diesem Kreislauf. Das wird am Ende die interessante Frage sein: Wenn jemand eine Gesellschaft findet, die hinter einem möglich Riss in der Welt wartet. Darum geht es ja immer wieder auf der Platte: Die Suche nach diesem Riss und nicht zu sagen, das ist der Riss, ich habe ihn. Ich habe ihn nicht, aber ich kann sagen: ich mache mir Gedanken darüber. Das man sich dessen bewusst ist, die Hilflosigkeit, vielleicht kann das ein erster Schritt sein.

PB: Ja, es geht in die Richtung, dass man sich das Ende der Welt besser vorstellen kann, als das Ende des Kapitalismus.

AS: Ja…

Teil 2 folgt morgen: Dann gibt es mehr popkulturellen Input, mehr Referenzen und Namen, wir reden über das Internet des Gespenstischen, das Verweben von Worten und Musik.

Weblinks JA, PANIK

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