Die Zeiten sind hart, aber modern.
Italienisches Sprichwort
Das Sprichwort, das in seiner Einfachheit so präzise und beeindruckend wirkt, ist mindestens so vom Zeitgeist aufgeladen, wie die bald erscheinende Platte der 2005 in Österreich zusammengefundenen Gruppe Ja, Panik.
Hart ist alles, mit dem uns die Pandemie konfrontiert, zurückwirft und hinterfragen lässt, genauso wie es modern ist: Die Zeit vor dem Screen, das Streben nach größtmöglicher Unabhängigkeit, ohne Abzuhängen. Hin und hergerissen zwischen Allem: Solidarität, Individualität, Sicherheit, Freiheit, Demokratie, Beschleunigung ohne sich selbst darin zu verlieren, zu zerdenken. Durchdrungen vom Diskurs erfreut jede Kunst, die passieren kann, umso mehr: Nach der 2014er Platte Libertatia, verzaubert auch der sechste Hörgenuss mit dem Titel Die Gruppe durch große Texte und schönen Melodien (die ausreichend Raum für den Sprung zwischen den Sprachen geben).
Gemeinsam mit Patrick von laut.de haben wir uns das Werk Song für Song einverleibt. Los geht’s, die wertgeschätzte Textdatei mit den Songlyrics als Tipp daneben gelegt (nicht weil es schwer zu verstehen sei, so rein musikalisch, sondern inhaltlich viel Auffassungsgabe beim erstmaligen Hören abverlangt) und los. Von dem ursprünglichen Plan, eine weitere Videokonferenz in die ereignisarme Zeit zu starten, sind wir abgekommen, weil unsere verschiedenen Betriebssysteme keine adäquate Funktionstüchtigkeit ermöglichen wollen. Ich guck in die Röhre, während Patrick wackelt. Genervt dreht er sich eine Kippe und wir starten den ergiebigen Austausch schriftlich, via Telegram, fruchtbar durch den Nachmittag.
Leute, bildet Gruppen! Und hört diese Musik dabei. Und davor. Und danach. Unbedingt.
Joachim Hentschel
Gleich am Anfang wird aufgeräumt mit der leichten Gleichgültigkeit, die wir uns im Coronaalltagstrott zu schnell angeeignet haben. Pathos und Saxophon leiten die schleierhaft düstere Platte ein, die jetzt erst recht Großes zu erwarten gibt. Es sollte zwar keine Pandemieplatte werden, aber wir sind ohnehin voreingenommen, durch und durchdrungen von allen Themen, die damit aufgekommen und schon dagewesen sind: Dem Denken an Gesellschaft, an Kultur, an Macht und die Ideen von Politik unserer Bubble und wie man selbst über oder zwischen allem steht. Ja gut, laut Pressehandreichung wurde Die Gruppe 2019 fertiggeschrieben (wie man übrigens auch in den übernommenen Textzeilen von Andreas Spechtls Soloalbum Strategies aus jenem Jahr erkennen kann), aber vielleicht sind die Themen von “damals” (soweit liegt es nun auch nicht zurück) heute noch viel präsenter, wegen der Zeit und den Umständen die an der Gegenwart kleben.
So durchdrungen von Gedanken und Anstößen vergisst sich leicht, die tragende Musik zu erwähnen – aber die ist auch schön, nicht selten eingängig und wenn sie sich nicht dem Pop hingibt, sogar – gespenstisch (wie Patrick schreibt) und verregnet (wie ich es nenne). Die prätentiösen Referenzen, die wir während des gemeinsamen Durchhören fallen lassen, sind Namen wie Mark Fisher, Baudrillard, David Lynch, Antonio Negro, Michael Hardt, Roberto Esposito, Coldplay, Gilles Deleuze, Tocotronic, Max Weber. Bla, bla, Postmoderne. (Man findet überall große Themen, wenn man lang genug danach sucht.) Taumelnd zwischen den Realitäten – gemacht von Medien, Sozialisation, Glaube, Liebe, Hoffnung – zwirbelt der Mittelteil des Albums textlich ins Diffuse (niemals ins Nichts!). Zerdenken, zerdenken. Der Riss der Welt geht auch durch mich. Weniger ist mehr, The Cure gibt den besten Singalong vor: the only cure from capitalism // is more capitalism // the only cure from capitalism // is more capitalism Und jetzt? Weitermachen.
Die Gruppe ist mehr als das Summen seiner Teile. Zum Schluss folgt der beste Song, der erste, der released wurde, und alles in allem, jener, der für den schmerzlich schmalen Grat zwischen Chance und Untergang, Veränderung und Verfall, Lerneffekt und Starrsinn, Freiheit oder Trägheit, steht. “Die Zeiten sind hart aber modern”: Es passiert immer etwas, Geschichte und Krisen, mit oder ohne Lerneffekt. Wir sind alle von etwas betroffen, unfassbar verloren in der komplexen Welt. dystopian dreams. Dazu die schöne Musik, rein, düster, treibend: a future rerouted // die veropplung der welt // ein untoter lover // der dich im arm hält // du willst dich losreißen // doch du weißt es geht nicht ohne: apocalisse o rivoluzione.
Transparent und vielleicht sogar unterhaltsam, unser Chatverlauf im Detail:
Die Gruppe von Ja, Panik wird am 30.04.2021 erscheinen.
Tracklist JA, PANIK – Die Gruppe:
01. Enter Exit
02. Gift
03. Memory Machine
04. What If
05. On Livestream
06. 1998
07. The Cure
08. Die Gruppe
09. The Zing of Silence
10. Backup
11. Apocalypse or Revolution
Weblinks JA, PANIK
Homepage: diegruppejapanik.com
Instagram: https://www.instagram.com/diegruppejapanik/
Facebook: https://www.facebook.com/japanik
Youtube: https://www.youtube.com/results?search_query=Ja%2C+Panik/