Zu den produktivsten deutschen Acts im Elektronik-Bereich gehören sicherlich Welle:Erdball. Seit 1993 ist der Sender aus dem Hannoveraner Frequenzzentrum (oder sollen wir besser Funkhaus sagen?) aktiv. Das, was vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, gab es so allerdings noch nicht. Mit Engelstrompeten & Teufelsposaunen erschien nun die erste sinfonische Sendung. Mit dem Funkhaus-Orchester unter Leitung von Conrad Oleak wurden elf Stücke aus der Diskografie komplett neu aufgenommen, ein neuer Song (Nur in meinem Traum) wurde gar extra für den Release geschrieben. Zu dem interessanten Projekt stand uns Moderator Honey ausführlich Rede und Antwort.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Bevor wir zur neuen Sendung kommen: Nachdem es in den vergangenen Jahren ja einige Besetzungswechsel im Hause Welle:Erdball gab, kurz einmal die Frage: Aus wem besteht die Gruppe eigentlich gerade? Und wie geht es den Ex-Mitgliedern, an die sich ja viele Fans immer gerne erinnern?
Der aktuelle Moderatoren-Stab besteht aus LadyLila, M.A.Peel, c0zmo und meiner Wenigkeit (Honey), den C64 nicht zu vergessen und hier möchte ich noch Patrick K., als guten Geist und natürlich den Herrn M.Bätz als Leiter des Hörerclubs nennen. Wie Sie im Rahmen der neuen Sendung Engelstrompeten & Teufelsposaunen sehen, ist mit LadyLila aktuell auch wieder ein „bekanntes“ Mitglied dabei. Den anderen wird es bestimmt auch gut gehen. Plastique kommt sogar heute zu Besuch ins Funkhaus … ich werde sie mal fragen.
Jetzt aber zu Engelstrompeten & Teufelsposaunen. Geht mit dieser orchestralen Veröffentlichung ein künstlerischer Traum in Erfüllung? Woher kam die Idee?
Mit der Fertigstellung jeder Sendung geht ein kleiner Traum in Erfüllung. Besonders wenn die Verwirklichung, wie aktuell bei Engelstrompeten & Teufelsposaunen, lange Zeit unerreichbar erschien. Doch ist klassische Musik und die Geschichte des Radios eng miteinander verbunden. Nicht umsonst ist das Erste, was der Mensch via Radio in den Äther sand, das Largo von Händel. Doch verfügten wir bislang nicht über die Mittel, eine solche Sendung zu erschaffen. Hier kam uns das „Gothic meets Klassik“-Festival, auch wenn es dieses Jahr nicht stattfand, zu Hilfe, denn erst im Rahmen der Vorbereitungen zu dieser Veranstaltung wurden die Grundsteine gelegt.
Welche Berührungspunkte hatten die Bandmitglieder von Welle:Erdball vorher mit klassischer Musik?
Also hier im Funkhaus spielen des Öfteren auch klassische Schallplatten unter des Tonarmes Diamantnadel. Obwohl ich persönlich eher die eingängigeren, „poppigen“ Stücke von Bach, Händel oder auch Beethoven bevorzuge. Es sind halt die Klassiker, an denen man, ganz besonders als Musiker, nicht vorbei kommt. Das Thema „Klassische Musik“ ist auch recht breit gefächert und deren Grenzen gehen auch fliessend in jede andere Stil-Richtung mit ein, wie man jetzt ja auch in der Musik von Welle: Erdball hört.
Wie entschiedet Ihr als Band mit einem derart großen Repertoire, welche Songs für die „Umwandlung“ ausgesucht wurden?
Das war wirklich keine leichte Arbeit. Zum Glück war uns schon von der ersten Sekunde klar, dass die Liederauswahl ein sehr wichtiger Faktor der neuen Sendung sein würde. Es sollte auf keinen Fall eine Art „Best of“ werden, auf der anderen Seite sollten aber auch so viele Facetten von Welle: Erdball wie möglich, inklusive des Charmes des Senders, enthalten sein. Weiter haben wir uns sogar entschlossen, auch neues Material zu verwenden, also Lieder, die der Hörer nun zuerst in der Klassik-Version zu hören bekommt.
Gäbe es denn noch genug Auswahl für ein zweites Album dieser Kategorie?
Welle: Erdball hat bislang bestimmt über 500 Lieder in den Äther gesandt und die Endauswahl bestand mindestens aus 50 Liedern, die perfekt gepasst hätten. Ich will nicht komplett ausschließen, dass es irgendwann mal ein weiteres Album in diesem Rahmen geben wird, doch stehen wir in erster Linie unter der Fahne der analogen, elektronischen Musik und alle Schnupperkurse in andere Gefilde sind eher eine Bestätigung des „Ausnahmen bestätigen die Regel“-Konzeptes.
Wie schwierig ist es, elektronische Musik in klassische „umzuschreiben“ ?
Durch das besagte „Gothic meets Klassik“-Festival kamen wir in den Kontakt mit Conrad Oleak, dem hier die meiste Ehre gebührt. Wir haben zwar eng miteinander zusammen gearbeitet, aber die letztendlichen Möglichkeiten eines Orchesters waren mir gar nicht bewusst. Herr Oleak war also die perfekte Verbindung und das Sprachrohr zwischen Welle: Erdball und dem Orchester, der maßgeblich die Arrangements schrieb. Aber auch er hatte es bestimmt nicht einfach, wenn wir mit den drei Stimmen eines Commodore 64 als Vorgabe daherkommen und er die mindestens 40 Instrumente eines Orchesters zur Auswahl hat, um eben diese drei Stimmen umzusetzen. Da z.B. das C64-Programm, mit dem wir viele unserer Lieder erschaffen haben, auch gar nicht die Möglichkeit hat, Noten-Partituren auszudrucken, mussten wir teilweise Fotos des C64-Monitores nutzen, um die Noten Herrn Oleak darzulegen.
Musikalisch treffen hier ja zwei sehr verschiedene Welten aufeinander. Wie waren denn die ersten Redaktionen der Orchestermusikanten auf die Musik von Welle:Erdball? Oder saßen gar ein paar Fans im Orchester?
Aufgrund der Pandemie und auch aus finanziellen Gründen gab es keine Orchesteraufnahme in dem Sinne, wie Sie es sich eventuell vorstellen. Also ich stand da auf keinen Fall mit Taktstock in der Hand vor den Musikern. Fast alle Stücke sind mit einem fast nicht enden wollenden „Hin und Her“ via Telephon, e-Post und dem „Hin und Her“-Schicken von Probeaufnahmen entstanden. Auch aus diesem Grund war Herr Oleak, als Sprachrohr und Vertrauensperson, umso wichtiger. Denn an den letztendlichen, fertigen Aufnahmen konnte im Nachhinein nicht mehr allzu viel verändert werden, sondern nur in der Vorarbeit. Wir wussten also erst nach dem letzten Arbeitsschritt und den separaten Gesangsaufnahmen im Funkhausstudio, wie jedes Lied zum Schluss klingen würde. Zum Glück hat es funktioniert!
Ich hörte von Alex Christensen (U 96), der ja seit Jahren mit seiner „90s Classical Dance“-Reihe sehr erfolgreich ist, dass Orchestermusikanten mit einigen elektronisch erzeugten Melodien und Tonfolgen öfter mal ihre Probleme haben und von der Komplexität überrascht sind. Wie war das bei Euch?
Das war sehr von den Liedern an sich abhängig. Ein 1000 Engel, welches von Seiten des Senders schon recht orchestral angelegt wurde, funktionierte auf Anhieb. Doch ganz besonders durch die minimal angelegten Lieder, die wie gesagt teilweise vor über 20 Jahren aus den drei Stimmen des SID (Klangbaustein des C64) entsprungen sind, gestaltete sich die Sache dann doch etwas kniffliger. Hier wurde mir selbst aber erst klar, dass Welle: Erdball schon immer auf eine ganz wichtige Sache den primären Fokus gelegt hat: auf die Melodie! Und eine gute Melodie ist zum Glück die universelle Sprache der Musik, die gänzlich in jeder Musikrichtung funktionieren wird und die Vision zum Hörer überträgt. Meist lebt elektronische Musik auch viel von dem Klang an sich, doch bei Welle: Erdball ist das komischerweise anders. Auf der anderen Seite aber klar, da wir in den selbstgewählten Ketten der Minimalistik unseren Fokus selbst erzwungen haben … und dieser liegt ganz klar auf der… MELODIE!
Unabhängig von Veranstaltungsverboten, die ja leider uns noch viele Monate begleiten werden: Gibt es Pläne, Engelstrompeten & Teufelsposaunen live aufzuführen?
Natürlich haben wir uns schon darüber viele Gedanken gemacht. Doch ist leider die finanzielle Hürde für uns fast unüberwindbar. Allein die Miete für einen angemessenen Opernsaal sprengt schon das Budget und da haben wir dann weder die Musiker, Instrumente noch die erforderliche Technik im Gepäck. Hier ist eher die Frage, wie weit der Hörer für solche Ideen bereit ist, sein Portemonnaie zu öffnen. Wir werden aber erst einmal abwarten, wie die Resonanzen im Hinblick auf die neue Sendung ausfallen, bevor wir ins Nichts hinein planen.
Im November 2021 soll es hoffentlich wieder auf Tour gehen. Mit einer neuen Studio-Veröffentlichung?
Die kommende, schon sehr lange angekündigte Sendung trägt den Namen Film, Funk und Fernsehen. Es wird eine Art Trilogie … mehr will ich noch gar nicht verraten. Aber zu dieser Sendung wird es Ende 2021, wenn die Sterne gut stehen, die gleichnamige Tournee geben.
Wären auch Konzerte mit Sonderkonzept – da gab es ja in diesem Jahr so einige, von Circus Probst über Autokino bis Strandkorb Open Air – im Sommer 2021 für Euch denkbar? Viele Fans dürften Euch in 2020 vermisst haben …
Denkbar ist alles! Viele dieser pandemiegesteuerten Veranstaltungen fanden nach langer Planung dann leider wiederum doch nicht statt. Z.B. hatten war ein Welle: Erdball-Konzert im Rahmen des Circus geplant, was dann der Pandemie-Gesetzgebung zum Opfer fiel. Es ist nicht nur für die Veranstalter sehr schwer in aktuellen Zeiten zu planen, auch für die Künstler ist diese, in alle Richtungen vage Situation, als tödlich zu bezeichnen.
Hallo, hier spricht… WELLE:ERDBALL & RROYCE – Hamburg, Markthalle (12.10.2019)
Zum Abschluss die Frage, die man momentan wohl jedem stellt: Wie vertreiben sich Welle:Erdball seit März die langweiligen Tage in Quasi-Isolation?
Wir haben seit März an der aktuellen Sendung Engelstrompeten & Teufelsposaunen gearbeitet. Eine Arbeit, die vielleicht im „Normalfall“ nicht möglich bzw. gar nicht angegangen worden wäre. Das Wort „Langeweile“ ist eh im Wortschatz des Funkhauses nicht enthalten. Wir sind uns stets der Pflicht des Künstlers und ganz besonders im Hinblick auf unser Tun im Rahmen des Radiosenders bewusst, Information, Musik und Unterhaltung durch den Äther zu dem Hörer zu senden. Frei nach Ralf Hütter/Kraftwerk: „Es MUSS immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen!“ Also lassen wir uns auch nicht von einer Pandemie in die Suppe pissen, denn gerade in Krisenzeiten fährt der Sender zur Höchstform auf.
Ich bedanke mich für das Interview, sende beste Grüße an Sie und Ihre Leser und ende mit einem weiteren Zitat von Alex aus Uhrwerk Orange: „Kommt doch und hört mal meinen Sound. Hört Engelstrompeten und Teufelsposaunen. Ihr seid eingeladen!“
Hochachtungsvoll
Honey / welle:erdball