Eisbrecher senden ihren Fans mit Schicksalsmelodien ein Lebenzeichen aus der konzertarmen Pandemie. Ab 23. Oktober 2020 covern sich die Eisherren musikalisch durch die Jahrzehnte. Neben bereits bekannten Liedern, zum Beispiel der Version von Rio Reisers Menschenfresser und naheliegenden Stücken (z.B. Schwarzes Blut von ASP) befinden sich auch einige Überraschungen auf der Tracklist. Zum nahenden Start des Coveralbums haben wir uns mit Frontmann Alex Wesselsky unterhalten.
Schicksalsmelodien für ein Schicksalsjahr. Die COVID-19-Pandemie trifft die Unterhaltungsbranche und vor allem die Musikindustrie. Wie ist der Eisbrecher und seine Besatzung (Band + Crew) bisher durch die Pandemie gekommen?
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Alex Wesselsky: Wir leben erfreulicher- und erstaunlicherweise alle noch. Allerdings wissen wir noch nicht, wovon wir in Zukunft leben sollen. Denn die Bühne – für uns Musiker und die Crew bedeutet sie die Welt und Geld – ist auf unabsehbare Zeit gestrichen. In dieser tollen digitalen Welt des Streaming, Youtubing und Facebooking überlebt man seit Jahren als gut etablierter Live-Act durch den Verkauf von Tickets und coolem Merchandise. Damit ist nun erst einmal Essig. Wir haben unser 2020 beerdigt. Die Europa-Tour, die eigene fette Album-Tour und die Festivals haben wir auf 2021 verschoben und beschlossen, einfach mal eine Cover-Scheibe zu machen. Und plötzlich hatten wir: Zeit!
“Schicksalsmelodien löst […] einstige Erfolgsnummern aus ihrem ursprünglichen Umfeld und transformiert sie in einen neuen, Eisbrecher-typischen Klangkosmos” heißt es in eurer Presseinformation. Worin liegt der Reiz, Songs anderer Künstler nachzuspielen bzw. neu zu interpretieren?
Wesselsky: Musikalisch liegt der Reiz darin, den Song zu erhalten, die Komposition unangetastet zu lassen, aber den Sound a) in die Jetztzeit zu übersetzen und b) klar in die Energie- und Klangwelt von Eisbrecher zu integrieren. Neuinterpretation durch Transformation und Integration. Das klingt fast wie ein politisches Programm, oder? [grinst]
Wie entscheidet ihr ob ein Song durch den Eiswolf gedreht wird? Darf jeder ein, zwei Lieder vorschlagen oder sind die Schicksalsmelodien mehr oder weniger die Wunschliste von Alex Wesselsky?
Wesselsky: Die Wunschliste von Alexander Wesselsky hätte noch einmal anders ausgesehen, die von Pix [Noel Pix – Gitarrist, Keyboarder/Programmer] logischerweise auch. Unsere Songliste ist ein schnell gefundener Kompromiss aus Wunschsong, Machbarkeit und Zeitlosigkeit. Wir haben Tracks gesucht, die klanglich ins Jahr 2020 passen.
Was würdest du niemals covern, weil du womöglich zu großen Respekt vorm Original hast? Gibt es Songs, die unantastbar sind?
Wesselsky: Jede Menge! Die darf man auf der Geburtstagsparty mit Freunden und Wandergitarre johlen, unter der Dusche vor sich hinsingen. Oder eine Top-Coverband spielt solche Songs im Bierzelt oder bei Hochzeiten und dann so, wie sie gespielt werden dürfen, müssten, sollten: So dicht am Original wie möglich. Ich schliesse einfach mal drei Songs stellvertretend für die „Too big to be eisifiziert“-Liste aus: Highway to Hell von AC/DC, Purple Rain von Prince und Kraftwerks Die Roboter.
Der erste Track auf den Schicksalsmelodien ist Skandal im Sperrbezirk von der Spider Murphy Gang. Dazu sagst du „Wahnsinns-Song, ein Skandal um den Skandal. Damals durfte man nicht ‘Nutte’ sagen. Erzähl das mal einem krassen Deutsch-Rap-Kid aus der heutigen Zeit.“ Sind solche Skandale heute noch möglich?
Wesselsky: Ich denke nicht. Wenn du heute „Nutte“ sagst, dann wird niemand mehr rot vor Scham oder Schande! Andere Skandale durchaus! Aber in Zeiten von deutschem Gangsta-Rap à la Capital Bra, RAF Camora oder 187 Strassenbande ist das Wort „Nutte“ so oldschool wie die Unterwäsche im 80er-Jahre-Quellekatalog. Mit elf Jahren haben die Kids heute alles gesehen und gehört. Und sie müssen sehen, wie sie damit und darauf klar kommen. Sie werden es überleben, wie wir unsere Zeit überlebt haben. Andere Zeiten brauchen andere Skandale! Heutzutage regen wir uns über das Wording bei Astrid Lindgren, Otfried Preußler und Johann Wolfgang Goethe auf und schreien nach Ampelmädchen. Der Mensch lebt immer in der für ihn maximal bescheuerten Zei. Das ist gut für die Kunst! Übrigens: Aktuell regen sich manche auf der Anti-Social-Media-Entrüstungsplatform Facebook doch ein wenig – und sogar ein bisschen mehr – darüber auf, wie wir mit Skandal um Rosi so frauenfeindlich, gewaltverherrlichend und sexistisch in Erscheinung treten können. Und dann noch das Video. Schlimm, schlimm. Also ein bisschen Skandal geht sogar noch mit oldschool! Nice! [grinst]
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Zu Megaherz-Zeiten hast du bereits Falcos Rock me Amadeus gesungen. Jetzt mit Eisbrecher Out of the Dark. Wie relevant ist Falco heutzutage?
Wesselsky: Falco war, ist und bleibt einer der ganz großen Motivierer, Inspiratoren, Spracherneuerer. Gerade habe ich mir die die Maxi-Vinyl The Sound of Musik wieder zugelegt, weil meine Platte zerkratzt war. Was für eine grandiose Extended-Version! Ich war seit Einzelhaft 1980 ein großer Fan des österreichischen Dandy-Drogisten. Wir spielten im U4 in Wien just an jenem Tag, als er starb. Glaub mir: Da geht etwas in einem vor. Und später geht man deshalb mit großer Sensibiltät zu Werke, wenn man sich am Werk des Idols zu schaffen macht. Falco musste sein. Ohne ihn wären wir nicht, was wir sind. Er hat der deutschen Sprache den Muff aus dem Lodenmantel geklopft! Wenn ich eines Tages “into the light” gehe, möchte ich mit Falco einen Verlängerten trinken und dem Wiener Schmäh frönen. Schlüsselsatz: Muss ich denn sterben, um zu leben? [aus Out of the Dark]
Beim Warlock-Cover All We Are singst du auf Englisch, was in Eisbrecher-Songs nicht allzu häufig zu hören ist. Fühlst du dich wohl dabei? Kommen irgendwann englische Eisbrecher-Songs?
Wesselsky: This is Deutsch und Fanatica haben einen englischen Chorus. Nach der All We Are-Experience kann ich mit dem Brustton der Überzeugung sagen: Ein englischer Chorus reicht, die Strophe muss nicht auch noch sein. Ich spreche sehr gut Englisch aber ich muss es nicht singen, da knödelt und knotet es. Es hat mich bei auf Englisch singenden deutschen Bands immer gestört, wenn man den Saarländer, den Bayern oder den Hamburger heraushört. Jetzt haben wir die Kurve gerade so gekriegt – haarscharf. In Zukunft dann lieber Russisch!
Auch wenn ein Megaherz-Cover naheliegt, hat mich Freiflug überrascht. Warst du mit dem Original nicht zufrieden?
Wesselsky: Man ist nie ganz zufrieden und 1998 liegt lange zurück! Die Geschichte zu dieser Schicksalsmelodie ist folgende: Eine fehlte noch und dann kam Pix mit dieser sehr guten Idee. Denn tatsächlich waren wir 1998 mit Megaherz auch schon im Rockzirkus dabei und das nicht ganz unerfolgreich. Zu Freiflug wurde das erste Megaherz-Video gedreht, es gab eine Rotation auf Viva und MTV. Nicht heavy, aber immerhin. Und auch die Musikprese wurde langsam auf uns aufmerksam. Mit dem zweiten Album Kopfschuss hatten wir uns als Band etabliert und Freiflug wurde unser erster Medien-Hit. Allerdings wird einem natürlich immer Miststück als Erstes in den Sinn kommen, wenn man an Megaherz denkt. Bei den Arbeiten am Song Freiflug mit Henning Verlage [Produzent] in den Principal Studios mussten wir sehr schmunzeln, als wir merkten, wie sehr sich die Stimme, der Umgang mit Sprache, Aussprache und Betonung und der Mensch Alexander Wesselsky verändert haben. Zigaretten, Wodka und bald 30 Jahre on stage gehen nicht spurlos an einem vorüber. Es hat Spaß gemacht, sich nochmal den Emotionen des 28-jährigen Alexx anzunähern. Ein x ist mir inzwischen Gott sei Dank abhanden gekommen. Man wird bescheidener im Alter! Schlüsselsatz: Lieber im Tod geborgen als im Leben allein! [aus Freiflug]
Hast du Lust auf weitere Megaherz-Stücke bekommen? Dann müsst ihr auch nicht immer wieder Miststück spielen.
Wesselsky: Das ist eine interessante Idee für Alexander Wesselsky, aber nicht für Eisbrecher! Vielleicht ersetzt ja auch eine unserer Schicksalsmelodien das Miststück. Ich hätte nichts dagegegen. Aber ein Hit ist ein Hit und dieser Frauenversteher-Klassiker von Pix und mir aus der Kopfschuss-Ära von Megaherz hätte es auch auf Schicksalsmelodien schaffen können, wenn wir ihn nicht soooooooo über hätten. Im Jahr 2013 haben wir dem Song ja bereits eine Frischzellenkur verpasst. Das muss reichen.
Wie hoch war euer Alkpegel, als ihr euch für das Cover von Mo-Dos Eins, Zwei, Polizei entschieden habt? Das wäre auf der Wiesn der Bierzelthit geworden.
Wesselsky: Wir mögen keine Wiesn, keine Bierzelte und keinen Alkohol. Aber wir mögen die Polizei, unseren Freund und Helfer! Eine musikalische Verbeugung vor der Exekutive, die es nicht leicht hat in Zeiten wie diesen und allen anderen.
Eisbrecher war schon immer eine Band mit Humor und Selbstironie. Wie wichtig ist Humor und wie stellt man sicher, es sich nicht mit den Fans zu verscherzen?
Wesselsky: Wir fahren den musikalischen und textlichen Kurs, den wir für richtig halten. Wir folgen unserem moralischen Kompass und loten die Grenzen der Kunst aus, in dem Rahmen, den wir als gewachsene Erwachsene mit gelebter Vergangenheit und lebendiger Echtzeit für richtig und wichtig und vertretbar halten. Das wird immer wieder zu Kollisionen mit der PC-Fraktion führen, da werden sich immer wieder „Fans“ auf den Schlips getreten fühlen. Das kann und muss uns egal sein. Denn wenn es nicht ab und an weh tut, dann ist es nichts wert. Kunst um der Provokation willen ist immer noch besser, als Kunst, die niemanden berührt – oder die Emotionen vorgaukelt, wo gar keine sind.
Social Distancing und Moshpits vertragen sich nicht sonderlich gut. Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen. Aber was passiert, wenn es auch nächstes Jahr pandemiebedingt keine Konzerte und Festivals gibt?
Wesselsky: Dann stellst du mir die Frage nochmal! Ich kann mir ein Leben ohne Konzerte, Open-Airs, Clubs, Bars, Theater – egal ob groß oder klein, egal ob im In- oder Ausland – nicht vorstellen. Ich lebe für die Bühne und fühle mich ohne Adrenalin und Publikum wie ein halber Mensch. Das ist auch ein Leben, aber nicht das, welches ich leben wollte. Das ist nicht mehr das, wofür ich seit bald 35 Jahren brenne. Und nichts, aber auch gar nichts, kann die Interaktion zwischen Publikum und Künstler ersetzen. Face to Face, Echtzeit, Direktheit, Authentizität und Empathie: Das gibt es alles so nicht im digitalen Raum – egal, was gerade versucht wird und egal, was noch kommen wird. Zumindest haben wir es schon gelebt. Abwarten!
Vielen Dank für das Interview!
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