Die Schatten werden langsam länger. Es sind grad wieder diese “days before the fall”, in denen die Sonne tagsüber noch kräftig wärmt, aber nicht mehr die Haut verbrennt. Sie ist dieser Tage schon früher verschwunden und macht viel zu schnell einer einer Kälte Platz, die uns einen Vorgeschmack auf welkes Laub, Stürme und lange Dunkelheit gibt. Und obwohl Empyrium am Samstag in der Balver Steinzeithöhle diesen Song nicht im Set hatten und obwohl die zweite und dritte Edition des Labelfestivals im Hochsommer stattfanden, flüsterten die atmosphärischen Strömungen am Wendepunkt der Jahreszeiten: Prophecy-Zeit.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Das Jahr Abstinenz hat zunächst einmal gut getan, konnte man doch bekannt geben, dass die diesjährige Ausgabe in puncto verkaufter Tickets sehr nah ans erste Fest (2015) herangekommen ist, das sich seinerzeit immerhin ausverkauft hatte. Ob dies nun am geänderten Termin, dem selbst verordneten Jahr Pause, dem Genre-Twist beim Line-Up oder all dem zusammen lag, lässt sich im Nachhinein so nicht mehr sagen. Wobei wir auch schon mittendrin wären. Beim vierten Prophecy Fest fächern die Veranstalter alles auf, was das Metal-Genre aufbieten kann. Und sie bringen dabei das Kunststücks zustande, nicht ein einziges Mal den Mainstream der harten Gitarrenspielart zu streifen.
A FOREST OF STARS (GB)
Schon die Eröffnungsband des Festivals ist so ein Beispiel. Es wäre völlig zu kurz gegriffen A Forest Of Stars einfach als Black Metal Band zu klassifizieren. Um sich der Spielart des Gentlemen’s Club etwas zu näheren, die es sich vorgenommen hatten, nicht nur die erste, sondern auch die am besten gekleidete Band des Tages zu sein (Selbstverändlich waren sie das.), hat man das vielsagend wenig erklärende Wort “progressiv” zum Davorsetzen erfunden. Wir gehen ins 19. Jahrhundert und zwar ins Jahr 1896, als das Ikonische der viktorianischen Ära auf dem Höhepunkt, Siedepunkt, Scheideweg steht und die Balance auf dem Drahtseil seiner Widersprüchlichkeiten zu verlieren droht. Nicht allzu oft sieht man die Briten auf irgendwelchen Bühnen. Für mich ging also ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung.
Ich war damit wohl nicht alleine. Im letzten Jahr übertraf sich das Sextett mit seiner Veröffentlichung Grave Mounds And Grave Mistakes und wurde vom Prophecy Club zur beliebtesten Band gewählt. Dafür gab’s ein eigens entworfenes Shirt, das von vielen Fans heute spazieren getragen wird. A Forest Of Stars sind vollzählig angetreten und drapieren sich um Sänger Mister Curse. Der schwankt zwischen völliger Manie und absoluter Konzentration, gurgelt abwechselnd mit unterschiedlichen Flüssigkeiten, von der eine (ich schließe aus Form und Farbe der Flasche) wohl Sherry gewesen sein dürfte. Er kreischt, jammert und grollt, gefangen in einer Leinwand rasenden Wahnsinns verschwommener Sepia-Farben, die seine Kollegen krachend auf die Bretter pinseln. Ab und zu durchbrechen wunderschöne einfache folkige Melodien die finsteren Strudel. In den 45 Minuten ist grad Platz für vier dieser monumentalen Brecher. Was für ein Auftakt!
SUN OF THE SLEEPLESS (D)
Da sind die Kollegen von Sun Of The Sleepless deutlich geradliniger unterwegs. 2017 erschien das Debütalbum To The Elements, nachdem es das Projekt bereits zwölf Jahre lang gegeben hatte und es nach einigen zaghaften kleineren Veröffentlichungen in den tiefen Schubladen von Markus Stock aka Ulf Theodor Schwadorf auf den Kuss der Muse wartete. Im Anschluss wurde ausgiebig getourt, nachdem man alles auf dem Fest 2017 einmal vorgestellt hatte. Eröffnet wird wieder mit Prospero’s Speech von Loreena McKennit. Das Schmankerl vom Band bleibt das atmosphärische Highlight des Sets, denn Sun Of The Sleepless haben sich offenbar entschlossen bei den Songs noch mehr auf Härte und rasende Geschwindigkeit zu setzen. In The Realm Of The Bark wirkt so noch kälter und ruppiger. Allerdings verliert The Owl so auch viel von seiner naturmystischen Beklemmung und Where In My Childhood Lived A Witch einiges an Horror. Ansonsten hat man am Set wenig verändert.
FARSOT/COLDWORLD (D)
Zu einer echten Weltpremiere kam es hingegen direkt im Anschluss, denn die Ambient/Black Metal Formation Coldworld hat es trotz 14-jährigem Bestehen bisher noch nie auf eine Bühne geschafft. Vermutlich hatten die Leipziger auf so eine Gelegenheit wie heute gewartet. Erwähnenswert ist vielleicht auch noch, dass Coldworld neben Strid die einzige Nicht-Prophecy Band auf dem diesjährigen Fest sind. Vor ungefähr einem Jahr brachten diese zusammen mit Farsot die Split-EP Toteninsel heraus, die heute auch vorrangig Thema des Sets sein soll. Farsot ihrerseits sind schon länger im Prophecy-Roster, haben auch schon länger Live-Erfahrung (und was für welche!) und haben vor zweieinhalb Jahren mit Fail lure ein komplexes ausgereiftes Black Metal Kompositionsmonster hingewuchtet. Von dem wird auch erst mal eröffnet: The Antagonist schneidet sich eine eisige Schneise durch die sowieso schon untertemperierten Höhlengewölbe. Die nächsten 45 Minuten halten uns beide Bands auf dieser Distanz aus harschen, harten, rauhreifbedeckten Schwarzmetal: bis in die Haarspitzen ernsthaft authentisch, innovativ klassisch.
KATLA (ISL)
Gu?mundur Óli Pálmason und Einar Thorberg Gu?mundsson formen die Post Rock/Metal Band Katla. Auf die beiden Isländer, die ihr Projekt nach einem der aktivsten Vulkane unter einem Gletscher auf der Feuerinsel benannt haben, hatte ich mich ganz besonders gefreut. Steht ihre Musik ja nicht nur für eben jene gegensätzlichen Naturphänomene, verbindet sie darüber hinaus auch auffahrende Gefühle und dunkle Mystik mit eingängigen, mitreißenden Rock-Hymnen, die wie selbstverständlich so ohne weiteres auch im Radio laufen könnten (und in einer weniger beschränkten Welt sicher auch würden). Das Set wird von der Debut-EP Ferðalok (2016) und dem Debut-Album Mó?urástin (2017) bestimmt, spätestens beim zweiten Song Nátthagi ist der Funke bei den meisten übergesprungen. Denn beiden Veröffentlichungen haftet unfreiwillig noch der Odem früherer ungemein erfolgreicher Projekte an, von denen es sich zu emanzipieren galt, allein aufgrund der Tatsache, das einst jene Verbindungen bestanden. Andererseits erhielt Katla als gänzlich neues Projekt eben dadurch auch extern ein wenig Schubkraft. Kurz: Man erkennt den Mann hinter den Drums. Den Löwenanteil an Respekt erhält Thorberg für seine kompositorischen Leistungen und den grandiosen Stimmumfang. Zweifellos ein Highlight.
DISILLUSION (D)
Und es reißt nicht ab. Vor 13 Jahren verschwand diese Perle des Progressive Death Undergrounds von der Bildfläche. Die Leipziger um Andy Schmidt lieferten gerade vor einer Woche mit The Liberation vielleicht DIE Metal-Veröffentlichung des Jahres und ein Comeback allererster Güte. Damit und mit den grandiosen Vorgängerwerken Back To Times Of Splendor (2004) und Gloria (2006) im Hinterkopf hatte ich Disillusion schon mit vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet. Ich selbst habe die Band noch nicht live erleben dürfen und war nicht darauf gefasst, was mich erwarten würde. Inklusive Bass stehen vier vom Scheitel bis zur Sohle aufeinander eingespielte Saiten auf der Bühne. Und die legen nun die einzelnen Themen des vielschichtigen Sounds Schicht um Schicht frei.
Zudem ist es eine wahre Freude Andy Schmidt, beim Check noch ganz Sound-Akademiker mit Brille, zwischen verinnerlichter Verzückung, virtuoser Konzentration und wahren Ausbrüchen freudiger Metal-Attitüde zu beobachten. Es ist mutig bzw. zeugt von einer gewissen Überzeugung von den eigenen Live-Skills, das Set gleich mit einer komplexen Hymne wie Wintertide zu eröffnen. Aber der Sound sitzt und schon ist hier jeder völlig gefangen im tödlichen Disillusion Prog-Wunderland. Wir werden mitgenommen Back To Times Of Splendor, bekommen ne Gänsehaut von A Shimmer Of The Darkest Sea und sind ergriffen bei The Mountain. Wer soll da heute noch kommen?
ALCEST (F)
Nun … es fällt einem ja fast schwer zu sagen, weil es eigentlich schon vorherzusehen war, wer die eigentlichen Headliner des Abends (des ganzen Festes?) sein würden. Für die Franzosen gab es in den letzten Jahren schlicht nur einen Weg und der zeigte steil nach oben. Im Frühjahr diesen Jahres war es dann soweit: Alcest waren ihrem Heimatlabel entwachsen und wechselten zum Major Nuclear Blast. Neues Material hört sich vielversprechend an. Man gönnt den Beiden das erfolgsorientierte Fortkommen. Aber obwohl Neige an diesem Abend und auch am nächsten Tag wie ganz selbstverständlich Teil der ganzen Szenerie ist, nicht müde wird stundenlang mit Fans und Freunden zu plaudern, mischt sich doch sowas wie Abschied in diesen Auftritt. Möglicherweise habe ich ihn auch deswegen als besonders herausragend und besonders bewegend in Erinnerung.
Es gibt kaum Musik, die so sehr aufwühlt, wie die Musik der Franzosen. Die unvermittelten Ausbrüche treffen so tief, wie die fragilen Melodien verzaubern. Auf der Bühne bekommen die Songs noch einmal eine völlig neue Dimension. Verzweifelte Abgründe und flirrende Sphären werden greifbar, wenn man die Musiker beobachtet, wie sie abwechselnd Teil dieser verschiedenen Welten werden. In dieser unprätentiösen Glaubwürdigkeit, dieser zerbrechlichen Emotionalität liegt die Stärke der Live-Performances von Alcest. Und selbstverständlich in ihrer musikalischen Qualität. Neiges Gesang wird heute nicht, wie es leider schon sehr oft der Fall war, hinter der Lautstärke von Drums und Gitarre verborgen. Auch müssen sich die beiden bei den Kodama Stücken nicht mehr gegenseitig einzählen. Alles wirkt sehr rund und erwachsen.
Es gibt eine Zusammenstellung vom Besten der letzten vier Alben. Die neue Single Protection spielen die Franzosen heute nicht. Dafür aber Ecailles de Lune Part I, Oiseaux de Proie, Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles, Autre Temps, Percées De Lumière, einige mehr und am Schluss natürlich Délivrance, bei dem man selbst in der dunklen kalten Höhle mitten in der Nacht wärmende Sonnenstrahlen auf der Haut spüren kann.
Mit diesen Eindrücken, es waren eine Menge, lassen wir erschöpft, aber doch sehr glücklich den ersten Tag dieses außergewöhnlichen Festivals ausklingen.
Hat es einen besonderen Grund, dass sich beide Tage so lesen, als wäre die jeweils letzte spielende Band nicht existent?
Freitag kamen nach Alcest noch Strid (mit einem sehr beeindruckendem Auftritt) und am Samstag Mortiis (den ich allerdings selbst nicht gesehen habe).
Hallo Andreas, nein das hat keinen bestimmten Grund und ist auch nicht so beabsichtigt gewesen. Wir haben die letzten Auftritte nicht mehr gesehen und deswegen nicht berichtet. Selbstverständlich ist das kein Grund, diese “hinten runter fallen lassen zu lassen”. Ich werde sehen, wie ich die Berichte anpasse, dass die Auftritte beider Bands zumindest ihre Erwähnung finden. Grüße Katja
Ah ok, gut zu wissen.
Ansonsten prima geschrieben. 🙂