AMPHI FESTIVAL 2019 – Sonntag (21.07.2019)

Fotos: AMPHI FESTIVAL 2019 – Bands (21.07.2019 ab 16:00 Uhr)
In Extremo, © Peter Bernsmann
Geschätzte Lesezeit: 6 Minute(n)

Nach einem überaus gelungenen ersten Festivaltag beim Amphi am Kölner Tanzbrunnen gab es für diejenigen, die immer noch nicht genug hatten, ausreichend Möglichkeiten zum Weiterfeiern, etwa im Theater, auf der MSRheinEnergie oder auch bei einer EBM-Party im Luxor. Trotzdem ließen sich es einige Hundert Besucher natürlich nicht nehmen, am zweiten Tag vom Start weg am Start zu sein und den italienischen Goth-Rockern Hell Boulevard zu lauschen. Die ließen zuletzt mit Supportgigs bei Lord Of The Lost und nicht zuletzt einem starken zweiten Album namens In Black We Trust aufhorchen. Das acht Songs starke Set bestand dann auch zum Großteil aus frischem Material, angereichert durch Love Is Dead vom Debüt Inferno sowie einer Coverversion, die den meisten ein dickes Grinsen auf die Gesichter zauberte. So „schwarz“ wie bei Hell Boulevard klang Britney Spears’ Evergreen (Hit Me) Baby One More Time definitiv noch nie. Und im Gegensatz zum Vortag schallte auch der Sound in angemessener Lautstärke aus den Mainstage-Boxen. Ein gelungener Auftakt.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Bei Ost+Front (die man im Übrigen nicht „Ost plus Front“ ausspricht, wie es Moderator Mark Benecke bei seiner Ansage betonte) lief hingegen nicht alles so glatt. Zu Beginn fiel das Mikro von Frontmann Hermann aus, als es wieder funktionierte, klangen die Töne schon fast zu perfekt gesungen. Eine ganz böse Zunge auf Facebook sprach sogar von „Mini Playback Show“ – lassen wir das mangels Hintergrundwissen mal unkommentiert so stehen. Fakt ist: Wer auf Rammstein steht, dürfte so oder so am Ost+Front-Sound seine Freude haben – und entsprechend euphorisch waren überwiegend auch die Reaktionen vor der Bühne.

Setlist HELL BOULEVARD
01. As Above So Below
02. Satan In Wonderland
03. Bitch Next Door
04. Love Is Dead
05. Baby One More Time
06. Zero Fucks Given
07. Dead Valentine
08. In Black We Trust
Setlist OST+FRONT
01. Adrenalin
02. Fiesta de sexo
03. 10 Jahre Ostfront
04. Denkelied
05. Freundschaft
06. Bruderherz
07. Ich liebe es
08. Mensch
09. Heavy Metal
10. Bitte schlag mich

Ähnlich gruselig zurechtgemacht war Martin Sane alias Fix8:Sed8, der Tag zwei auf der MSRheinEnergie eröffnete. Der Künstler selber hatte viel Spaß, wie er nach dem Auftritt in einem Shortclip auf Facebook erklärte, Fans von klassisch-kanadischem Electro-Industrial à la Skinny Puppy ebenfalls. Ein Projekt, von dem man in den kommenden Jahren noch hören sollte. Noch mehr treibenden, überwiegend EBM-lastigen Sound gab es in den Stunden danach, monoton-trocken bei Jäger 90, deutlich melodiöser bei Cryo und durchgeknallt bei Spark! Vor allem letztere durften sich ausgiebig feiern lassen und pflegten den Kontakt zum Publikum noch für längere Zeit am Merchandise-Stand.

Mit Spannung erwarteten derweil Synthie-Pop-Fans den Auftritt von Seadrake. Der war nämlich in der Schwebe. So verkrachte sich Sänger Hilton Theissen nur wenige Tage vor dem Festival mit seinen Mitstreitern Mathias Thürk und Rickard Gunnarsson. Dann markierten die beiden Aussteiger den Auftritt auf Facebook als „abgesagt“, was zu panischen Nachfragen bei der Festival-Organisation führte, ob eventuell sogar das komplette Amphi-Festival gecancelled wurde. Ein Riesentohuvabohu, auf das alle Beteiligten wohl hätten verzichten können. Sei’s drum: Was am Ende übrig blieb, war ein rundum überzeugender Auftritt von Theissen mit einer unbekannten Person an den Keyboards. Damit die auch garantiert anonym bleibt, hatte sie sogar eine Maske auf – wie gut, dass im Theater nirgendwo Stroh lag …

Mit Schattenmann folgte die zweite NDH-Band des Tages. Potenzial, dem stagnierenden Genre neues Leben einzuhauchen, hat die neonbemalte Band um Sänger Frank Herzig sicherlich. Ein kraftvoller Auftritt begeisterte nicht nur die Hardcore-Fans – so konnten die Nürnberger beste Werbung in eigener Sache für ihre im Oktober stattfindende Epidemie-Tournee machen.

Setlist SEADRAKE
01. What You Do To Me
02. Daydream
03. On The Run
04. Conformity Loves Company
05. Get It On
06. Die Of Temptation
07. Lower Than This
08. Something Durable
Setlist SCHATTENMANN
01. Schattenland
02. Brennendes Eis
03. F.U.C.K.Y.O.U.
04. Ruf der Engel
05. Epidemie
06. Generation Sex
07. Wahrheit oder Pflicht
08. Schwarz = Religion
09. Amok
10. Licht an
11. Kopf durch die Wand

Den zweiten Kontrapunkt im Rahmen eines musikalisch eher hart-kalten Mittags setzten auf der Main Stage The Beauty Of Gemina. Mit gewohnt melodiösem Goth-Rock konnten die Schweizer um Mastermind Michael Sele sicher den ein oder anderen neuen Anhänger gewinnen. Anders sieht’s vermutlich bei Faderhead aus – den kennt durch seine unzähligen Konzerte und Club-Hits wohl wirklich jeder. Von eher stumpfen Stampfern wie TZDV ist Sami Mark Yahya mittlerweile aber weg. Der Hamburger präsentierte einen guten Mix aus maximal tanzbaren Sounds und einigen ruhigeren Tracks – neues Material aus dem am 4. Oktober erscheinenden neuen Album Asteria gab es auch schon zu hören.

Setlist THE BEAUTY OF GEMINA
01. End
02. All Those Days
03. This Time
04. Bitter Sweet Good-Bye
05. Last Night Home
06. Hunters
07. The Lonesome Death Of A Goth DJ
08. Rumours
09. Endless Time To See

Im Theater war es dann Zeit für die Band mit der mit Abstand kürzesten Anfahrt. Holygram aus Köln durften zum zweiten Mal beim Amphi spielen. Es schien, als hätte sich die herausragende Qualität des Debütalbums Modern Cults so langsam herumgesprochen, denn der Raum vor der zweitgrößten Bühne des Festivals war doch deutlich besser gefüllt als noch 2017. Hämmernde Drums, verhallte Gitarren, die perfekt zum Sound passende verträumte Stimme von Patrick Blümel und Überhits wie Signals und Still There – einfach immer wieder ein tolles Paket!

Zum ersten Mal pickepackevoll wurde es im Theater am Sonntag aber erst bei Coma Alliance. Wenig verwunderlich, sind Torben Wendt (Diorama) und Adrian Hates (Diary Of Dreams) nun wahrhaftig zwei Szene-Schwergewichte. Die stellten ihr Debütalbum Weapon Of Choice fast in Gänze vor und lieferten in der von ihnen gewohnten Qualität ab. Mal sehen, ob das Gemeinschaftsprojekt in den nächsten Jahren konsequent weitergeführt wird …

Setlist HOLYGRAM
01. Into The Void
02. Modern Cults
03. A Faction
04. Signals
05. Dead Channel Skies
06. Daria
07. Still There
08. She’s Like The Sun
09. Distant Light
Setlist COMA ALLIANCE
01. Unusual
02. Royd
03. Starfruit
04. Trembler
05. HLA
06. Miracle
07. Sepia
08. Butterfly Dance
09. Coma Supreme
10. CA2

An der Hauptbühne nahmen Welle:Erdball ihre Anhänger mit auf eine ganz besondere Zeitreise. Das Minimal-Electro-Retro-Projekt aus Hannover spielte ein ausschließlich aus Cover-Versionen bestehendes Set mit dem Themenschwerpunkt „Neue Deutsche Welle“. Nach zwei Kraftwerk-Liedern aus den 70ern ging es quer durch die frühen 80er – klar, dass die Live-Klassiker Feuerwerk (im Original von Trio-Sänger Stephan Remmler & Nina) und Es geht voran (Fehlfarben) nicht fehlen durften. Dem ein oder anderen Gast, der die NDW damals miterlebt hat, zauberten aber auch Raritäten wie Karl, der Käfer oder Kabinett ein breites Grinsen aufs Gesicht. Eine überaus charmante Idee, von der sich so manch anderer Act, der alle zwei Jahre auf den immer gleichen Festivals die immer gleichen Songs spielt, mal eine Scheibe abschneiden könnte.

Setlist WELLE:ERDBALL
01. Die Roboter (Kraftwerk)
02. Schaufensterpuppen (Kraftwerk)
03. Vor all den Jahren (Stahlnetz)
04. FanFanFanatisch (Rheingold)
05. Kabinett (Das Kabinette)
06. Berühren (Profil)
07. Eine neue Zeit (Der Liederkranz)
08. Kleptomanie (Extrabreit)
09. Und es geht ab (Piefke & Pafke und die Jungs aus der Dunkelkammer)
10. Feuerwerk (Stefan Remmler & Nina)
11. Karl der Käfer (Gänsehaut)
12. Fred vom Jupiter (Andreas Dorau)
13. Es geht voran (Fehlfarben)

Das leitet uns perfekt über zum Auftritt der White Lies. Dort wurde leider ein allgemeines Szene-Problem sichtbar: Jahr für Jahr beschweren sich viele über die immer gleichen Line-ups – wenn dann mal eine „besondere“ Band für eine der großen Positionen gebucht wird, bleibt es vor der Bühne erschreckend leer – siehe Editors @ Amphi 2016 – oder eben White Lies @ Mera Luna 2017. Man möchte all den Verweigerern nur zurufen: Selbst schuld, Ihr Ignoranten! Die Briten lieferten ein einwandfreies Set mit wunderschönen Hymnen zwischen Post-Punk und 80er-Synthie-Pop. Für Stimmung sorgten einige extra aus den Niederlanden angereiste Fans – und nicht nur deren Liebesbekundungen ließen Sänger Harry McVeigh mehrfach sein schönstes Zahnpasta-Lächeln zeigen. Die Band, auf Festivals sicherlich größere Kulissen gewohnt, hatte offensichtlich viel Spaß – und Liebhaber von Ohrwürmern wie Tokyo, To Lose My Life oder Unfinished Business sowieso. Bitte wieder buchen!

Setlist WHITE LIES
01. Time To Give
02. Farewell To The Ground
03. There Goes Our Love Again
04. Is My Love Enough?
05. Death
06. Tokyo
07. To Lose My Life
08. Fire And Wings
09. Unfinished Business
10. Bigger Than Us

Etwas Amphi-untypisch auch die Besetzung des 18-Uhr-Slots im Theater: Feuerschwanz bespaßten die im Rahmen dieses Festivals meist etwas vernachlässigte Mittelalter-Fraktion mit Partyhymnen, die sich um Met, Met, Met und manchmal auch Met drehen (siehe Setlist). Da bekam man durchaus Lust auf die Slush-Ice-Variante des Honigweins auf der kleinen Insel am Tanzbrunnen …

Setlist FEUERSCHWANZ
01. Operation Drachensturm
02. Die Hörner hoch
03. Schubsetanz
04. Ketzerei
05. Metnotstand im Märchenland
06. Krieger des Mets
07. Methämmer
08. Wikingerblut
09. Liga des Mets

Zum Ende des Tages galt das, was auch schon am Samstag galt: Die beiden größten Acts pro Bühne bedienten jeweils völlig verschiedene Geschmäcker, wohl, um stundenlange „Erste-Reihe-Blockaden“ gewisser Fangruppen zu vermeiden. So dürften die wenigsten Feuerschwanz-Fans mit den komplexen Klängen von Janus oder dem peitschenden Aggrotech von Nachtmahr etwas anfangen können. Die freuten sich natürlich wiederum über ein proppevolles Theater – leider kamen nicht mehr alle rein.

Probleme anderer Art hatten Project Pitchfork auf der Mainstage. Direkt beim Opener K.N.K.A. versagt die Technik, Peter Spilles’ Mikro bleibt erstmal stumm, der Routinier professionell und zu Scherzen aufgelegt: „Akustik können wir nur rhythmisch. Nun gut, dann machen wir eben eine rhythmische Liederstunde.“ Ganz so schlimm sollte es doch nicht werden, einige Minuten später ging alles wieder – wobei einige Fans sich hinten raus über den stellenweise arg dumpfen Klang beklagten.

Setlist PROJECT PITCHFORK
01. K.N.K.A.
02. Timekiller
03. IO
04. Rain
05. Alpha Omega
06. And The Sun Was Blue
07. Conjure
08. Acid Ocean
09. Souls
10. Titânes
11. Beholder
12. I Am (A Thought In Slowmotion)
Setlist NACHTMAHR
01. Blendwerk
02. Wir schreiben Geschichte
03. Weil ich’s kann
04. Tanzdiktator
05. Feuer frei
06. Gehorsam
07. Mädchen in Uniform
08. Helden
09. BoomBoomBoom
10. Dein Herr
11. Can You Feel The Beat?
12. Tempus Fugut
13. Ich glaube
14. Heile mich
15. Katharsis

Wirklich alles perfekt lief hingegen zeitgleich auf der MSRheinEnergie. Rabia Sorda um Hocico-Fronter Erk Aicrag sorgten für einen der heftigsten Moshpits der Amphi-Geschichte. Zwölf Songs lang pure Gewalt zwischen Electro und Hardcore-Punk bei fettem Sound, sogar einige Crowdsurfer bahnten sich ihren Weg über die Köpfe der Fans. Wer durch das schwül-warme Klima noch nicht komplett durchgeschwitzt war, der war es spätestens jetzt. Gut, dass das Schiff seine Belastungsprobe überstanden hat. Schließlich musste es ja noch weitergehen – mit Das Ich. Die Schlange der Menschen, die die Show der gewohnt aufwendig körperbemalten Bruno Kramm und Stefan Ackermann sehen wollten, war lang – zu lang, als dass alle noch aufs Schiff gekommen wären. Dafür entschuldigte sich die Kultband hinterher sogar auf Facebook, bedankte sich im gleichen Atemzug aber auch für den „epischen Festivalabschluss“.

Setlist RABIA SORDA
01. Perfect Black
02. We’re Here To Win
03. So Slow It Hurts
04. Violent Lovesong
05. D.E.A.F.
06. Out Of Control
07. Radio Paranoia
08. Demolición
09. King Of The Wasteland
10. We’re Not Machines
11. Dekadenz
12. Walking On Nails

Erstmals seit 14 Jahren kamen In Extremo wieder aufs Amphi. Und wie bereits erwähnt: Es ist einfach kein Mittelalter-Festival. So blieb es im Vergleich zu manch anderem Headliner der letzten Jahre recht luftig vor der Bühne, schon auf Höhe des Soundpults bekam man selbst nach Auftrittsbeginn noch problemlos einen guten Platz. Warum Micha Rhein & Co. im Allgemeinen zu den beliebtesten Acts der Szene gehörten, stellten sie aber deutlich unter Beweis. Der Riesenhit Vollmond erklang direkt an Stelle zwei und wurde bis an die Fressbuden lautstark mitgesungen – so kann man doch starten! Nach 70 Minuten zwischen Pyrotechnik, kräftigen Rocksongs und genretypischen Trinkliedern setzte das estländischsprachige Pikse Palve einen treibend-tanzbaren Schlusspunkt unter das 15. Amphi-Festival.

Setlist IN EXTREMO
01. Sängerkrieg
02. Vollmond
03. Störtebeker
04. Feuertaufe
05. Gaukler
06. Unsichtbar
07. Quid Pro Quo
08. Liam
09. Lieb Vaterland
10. Rasend Herz
11. Frei zu sein
12. Himmel & Hölle
13. Moonshine
14. Sternhagelvoll
15. Pikse Palve

Nach einem – lassen wir mal den Mainstage-Lautstärke-Mangel an Tag eins beiseite – mal wieder äußerst gelungenen Festival dürfen die Besucher nun gespannt sein, welche Acts für die 16. Auflage am 25. und 26. Juli 2020 gebucht werden. Setzen die Veranstalter in Sachen Headliner wieder auf bekannte Namen à la Eisbrecher, And One oder VNV Nation? Oder ziehen sie ein überraschendes Ass aus dem Ärmel? Warten wir es ab. Fest steht: Der Vorverkauf startet am Donnerstag, 1. August.

Fotos und redaktionelle Mitarbeit: Peter Bernsmann und Cynthia Theisinger

More from Patrick Friedland

PISTON DAMP – Making The World Great Again

Man kennt das von Konzerten der Band Apoptygma Berzerk: Diesen Moment, wenn...
Read More