Es ist Sonntag, der dritte Advent und nirgendwo weihnachtet es da draußen, so irgendwie überhaupt nicht. Obwohl der eine oder andere sicherlich tropfnasig und glühweinselig zwischen den Bretterbuden auf einen der zahlreichen Hamburger Weihnachtsmärkte torkelt. Aber, der Regen soll wärmer werden. So? Ach egal, haben wir uns gedacht und einfach die Experten für kühlere Gefilde aufgesucht. Wegen der Weihnachtsstimmung? Bitch, please! Excuse my french, aber wer denkt denn schon noch an sowas, wenn er mal zwei Sekunden über die Macht des Line-ups nachgesonnen hat, das wir uns heute Abend zu Gemüte führen sollen. Zeitweise überkommt mich Sorge um das doch recht zierliche Gruenspan. Dass die nicht gänzlich unbegründet war, sollte uns der Abend noch zeigen.
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Recht harmlos und gediegen starten wir rund eine halbe Stunde nach Einlass mit der Independent-Folk Band Árstíðir. Die Isländer teilen die Bühne nicht bei jedem Gig mit ihren Label-Kollegen Sólstafir umso glücklicher waren wir einen der selteneren Auftritte miterleben zu dürfen. Davon, dass die alternative Musik-Szene auf der Insel aus Feuer und Eis bisweilen schon fast inzestuöse Züge annehmen kann, konnte jeder live miterleben, da man sich ganz geschwisterlich heute Abend den Drummer teilte. Árstíðir genießen zwar nicht die Bekanntheit vom Rest des Line-up, aber woran erkennt man die Qualität einer Band? Ein anfangs eher verhaltenes, eigentlich sogar genre-fremdes Publikum im Laufe des Sets vor die Bühne und auf ihre Seite ziehen zu können. Die Isländer präsentierten in ihrem vorrangig englischsprachigen Set sogar einige vollkommen neue Songs und spannen eine ganz eigne fesselnde, ruhige Atmosphäre, für die allein ein Kommen sich schon gelohnt hätte.
Kaum jemand im Spannungsfeld von Folk-Black Metal hat innerhalb so kurzer Zeit für soviel Aufsehen gesorgt wie das dänische Projekt Myrkur. Die Rezeption speiste sich dabei zum größten Teil zum einen aus wahren Begeisterungstürmen bezüglich der drei Veröffentlichungen und zum anderen aus der absoluten Unfähigkeit, sich irgendwie wertfrei mit Amalie Bruun auseinander zu setzen. Gefühlt waren auch heute Abend alle Enthusiasten da, von den Dänen war zwar noch nichts zu sehen und trotzdem wurden Plätze vor der Bühne bereits eifersüchtig gehütet.
Myrkur sind düster und mystisch und mögen es gar nicht, wenn zu viel Licht auf der Bühne ist. Außerdem fühlen sie sich den Ahnen, Göttern und der Natur zutiefst verbunden, deswegen bedienen sie sich Maschinen, um den Gott der Winde eigens für dieses Bild gefällig zu zwingen. Das in Gänze Ernst zu nehmen, fällt etwas schwer. Im Set findet sich vorrangig Material vom aktuellen Album Mareridt, Amalie singt viel a cappella, crowlt guttural, zeigt sich ansonsten versiert an verschiedenen Instrumenten und scheint dick befreundet mit ausholenden Gesten zu sein, die ganz dolle viel wollen. Es ist wie auf den Alben: es sind im Grunde alle Zutaten da, um was wirklich Gutes zu zaubern, aber … irgendwie scheint da was zu fehlen, mir zumindest. Die übrigen Anwesenden denken darüber völlig anders. Und darauf kam es an dem Abend ja auch an!
Aber im Grunde genommen warteten alle eigentlich nur auf sie: die mächtigen Sólstafir! Es gibt Bands, die einfach für die Bühne gebaut wurden. Eine davon ist Sólstafir. Ich weiß auch gar nicht, wie es sich anhören muss, wenn die Isländer mal nicht in Form sind. Einen solchen Auftritt gab es, solange wie wir die Band bisher live erleben durften, noch nicht. So auch heute nicht. Das letzte Album Berdreymin kam bei nicht allen Fans so glänzend an, wie noch der Vorgänger Ótta. Das allerdings ist heute Abend kaum nachzuvollziehen, fügen sich die Songs des aktuellen Albums, die beinahe die Hälfte des Sets ausmachen, nahezu perfekt in selbiges ein und wurden genauso frenetisch gefeiert wie die Klassiker Lágnætti oder Fjara.
Für mich persönlich konnte Aðalbjörn an diesem Abend sowieso nichts falsch machen, da ich auf Berdreyminn keinen Totalausfall, das Album selbst tatsächlich als eines des besten der Isländer betrachte. Und so sind der Opener Silfur-Refur (High-Noon in Hamburg!), Ísafold (mit DEM Fields-Of-The-Nephilim-Gedächtsnis Riff), Hula (dem sprödesten, unprätentiösesten Zugang zu Verlust und Trauer überhaupt) und Bláfjall (das geilste Brett, das man sich vorstellen kann!) meine persönlichen Glanzlichter des großartiges Auftritts. Das Highlight für alle Fans ist jedoch der Moment, als sich Aðalbjörn Tryggvason bei Goddess Of The Ages ins Publikum kippen und seine dürre, exzentrische Gestalt schräg gegenüber auf dem Tresen wieder aufstellen lässt – ohne dabei seine Performance auch nur für einen Moment zu unterbrechen, versteht sich. Auf dem Weg zurück gibt’s ne Menge Fotos mit den Fans und allerlei Verbrüderungsrituale – dafür spart man sich unter dem Versprechen einer ausdehnten Autogrammstunde am Merch-Stand eine Zugabe.
Setlist Sólstafir @ Gruenspan, Hamburg (17.12.2017):
01. Silfur-Refur
02. Ótta
03. Lágnætti
04. Ísafold
05. Köld
06. Hula
07. Fjara
08. Bláfjall
09. Goddess of the Ages