Im Prinzip startet ja jedes Review eines Konzertes von Evan Dando gleich: The Lemonheads, 90er, Drogenprobleme und, ganz wichtig, man weiß eigentlich nie, was einen erwartet. Außer: Ein Mann, eine Gitarre und ein ganzer Sack voller grandioser Songs.
Also geht man im Vorfeld hin und schaut in die Röhre, genauer gesagt die Tube, YouTube weiß Bescheid. Und da findet man dann genug Videos von Evan Dando, mit Gitarre, mal mehr, mal weniger gut gelaunt, mit mal mehr, mal weniger originellen Versionen seiner bekannten Songs. Das waren also die Voraussetzungen, und die nicht allzu hohen Erwartungen, mit denen ich mich an diesem Abend nach Köln zum Konzert im kleinen Blue Shell begeben habe. Die Lust war nicht besonders groß, das Konzert sollte erst um 21 Uhr mit dem Vorprogramm beginnen, Dortmund spielte um das Weiterkommen in der Champions League und mein Sofa klang nach einer guten Alternative.
Der Abend begann dann aber auch pünktlich um 21 Uhr mit einem kurzen Set von Sara Johnston. Sara hatte Ende der Neunziger einigen Erfolg mit Bran van 3000, inzwischen hat sie zwei Solo-Alben veröffentlicht und präsentierte dementsprechend ein paar ihrer eigenen Songs, nur mit der Akustik-Gitarre bewaffnet. Das war dann auch sehr sympathisch, sehr ansprechend, aber leider konnte sie an diesem Abend einen Großteil des Kölner Publikums nicht überzeugen, ihr mehr als nur beiläufige Aufmerksamkeit zu schenken. Es wurde insbesondere im hinteren Teil des Blue Shell viel geredet, natürlich laut, damit die Musik von der Bühne nicht so sehr stört. Schade, ich hätte mir ein etwas höflicheres Publikum gewünscht, aber es sollte nicht sein.
Nach einer guten halben Stunde gab Sara dann auf und überließ fast nahtlos die Bühne dem verkappten Genie Evan Dando. Eine Umbaupause war nicht nötig, denn auch er brauchte nicht viel mehr als ein Mikro und eine Gitarre. Jeans, ein altes T-Shirt, unrasiert, lange, zottelige Haare, seine äußere Erscheinung passte schon mal zum spärlichen Setting. Und dann geschah das, was ich so nicht erwartet hatte: Evan begann seinen ersten Song und das Publikum hing an seinen Lippen… „This is the town I’m living in, This is the street I’m walking down, These are the friends I’m visiting, These are the clothes I’m wearing now, This is the house I’m building here, This is the girl I’m marrying, This is the chord I’m strumming now, This is the faith I’m leaning on…”. Was für ein Anfang, was für ein Song, um den Abend zu beginnen, kaum einer, der nicht leise mitsang. Evans Unabhängigkeitserklärung, sein Mission Statement, hier bin ich, das bin ich!
Was folgte war dann in der Tat eines der ungeplantesten und damit aufregendsten Konzerte, die ich in den letzten Jahren erleben durfte (Wohnzimmerkonzerte mal ausgenommen…). Evan Dando spielte was er wollte, wie er wollte, so lange er wollte, eigene Songs, natürlich viel von The Lemonheads, aber auch völlig überraschende Songs von Neil Diamond, Florida Georgia Line (im Country Set des Abends), Frank Mills aus dem Musical Hair und so weiter…
An anderer Stelle wurde gerade dieses Spontane, das Ungeplante, Chaotische, kritisiert. Evan Dando hatte keinen Plan, hieß es dort. Dem möchte ich vehement widersprechen: Evan betrat die Bühne mit einer Setlist, doch dann folgte er seinem Masterplan, das Publikum und sich selbst möglichst gut zu unterhalten. Es war schön zu sehen, wie immer wieder der Schalk in seinen Augen aufblitzte, bevor er wieder etwas besonders Unerwartetes anstimmte, oder nachdem er ein Solo einfach mal gesummt statt gespielt hatte. Evan spielte was ihm in den Sinn kam. So konnte es passieren, dass er einen Song begann, sofort wieder aufhörte, ein kurzes „Oh, I know what´s next…“ und dann den nächsten Song anstimmte. Das funktioniert nur dann, wenn das Publikum auch mit macht. An diesem Abend war Evan Dando ganz bei seinem Publikum, er reagierte auf Zurufe, er sprach mit den Gästen, er scherzte und es fühlte sich an, wie eines dieser Konzerte in den 60ern, in einem kleinen New Yorker Club, von denen man in den Biographien der Großen immer mal wieder liest. Kein YouTube-Video kann vermitteln, wie sich solch ein Konzert anfühlt, wieviel Spaß es macht, warum man trotz Müdigkeit nicht mal auf die Idee kommt, früher zu fahren… Man weiß halt einfach nicht, was man verpasst, es kann alles passieren und das macht es so besonders. It´s a shame about Ray wurde (natürlich) vom Publikum gesungen, mein ewiger Favorit von Come on feel… The Lemonheads, das wunderschöne It´s about time beinhaltet nicht nur die Überschrift, sondern auch die tolle Zeile …it´s not about… sunshine…, auch eine dieser Stellen, die das Publikum als Chor beisteuert und die Evan sogleich selbstironisch als seine eigene dumme Idee kommentierte, Mallo Cup aus Lick-Zeiten, einfach zu viele tolle Songs in den 100 Minuten Konzert…
Die Setlist bietet übrigens leider auch nur eine ungefähre Vorstellung vom Programm des Abends. Da fehlt sicher einiges, aber was und an welcher Stelle, ich weiß es ehrlich gesagt nicht.
Nach dem Konzert konnte ich (Fanboy, ich weiß) nicht umhin, mir zwei The Lemonheads-Alben von Evan unterschreiben zu lassen. Auch hier war er freundlich, verbindlich, schleppte uns auf der Suche nach einem passenden Stift von der Bühne in den Backstagebereich, von dort zur Bar, stetig plappernd, aufgedreht, aber immer verbindlich… Auch das hatte ich so nicht erwartet.
Noch ein Wort zum Kölner Publikum, das ich beim Auftritt von Sara Johnston noch als extrem unfreundlich empfand: nach kurzer Zeit war ich im Gespräch mit einer sehr netten Amerikanerin, die mich ständig nach Zwischenergebnissen aus Dortmund fragte, die Leute waren nett zueinander, auch auf dem engen Raum vor der kleinen Bühne wurde nicht gedrängelt, es war einfach irgendwie freundlich, angenehm, wie der ganze Abend.
Setlist EVAN DANDO @ Köln, Blue Shell (18.03.2015):
01. Hard Drive
02. Confetti (The Lemonheads)
03. My Idea
04. Pittsburgh (The Lemonheads)
05. We are 138 (The Misfits, unvollständig)
06. Down About It (The Lemonheads)
07. My Drug Buddy (The Lemonheads)
08. Style (The Lemonheads)
09. The Turnpike Down (The Lemonheads)
10. Being Around (The Lemonheads)
11. Why Do You Do This to Yourself?
12. Ride With Me (The Lemonheads)
13. It Looks Like You
14. It’s About Time (The Lemonheads)
15. It’s all in my Mind (unvollständig)
16. Settled Down Like Rain (The Jayhawks) (mit Sara Johnston)
17. Round Here (Florida Georgia Line) (mit Sara Johnston)
18. No Backbone (The Lemonheads)
19. Alison’s Starting to Happen (The Lemonheads)
20. Half The Time
21. Break Me
22. Dawn Can’t Decide (The Lemonheads)
23. All My Life
24. It’s a Shame About Ray (The Lemonheads)
25. Frank Mills (Hair)
26. There’s No Country Here
27. Bikeage (The Descendents)
28. Speed of the Sound of Loneliness (John Prine)
29. My Darling (Juliana Hatfield)
30. The Outdoor Type (Smudge)
31. You Tore Me Down (Flamin’ Groovies)
32. Favorite T (The Lemonheads)
33. Mallo Cup (The Lemonheads)
34. Green Eyes (Hüsker Dü)
35. Homos (The Frogs)
36. Alcohol (Gang Green, unvollständig)
37. Glad I Don’t Know (The Lemonheads)
Fotos: Michael Gamon