Üblich bei Schwesterfestivals sind die identischen Lineups. Doch Hamburg konnte sich mit Punk-Ikone Brody Dalle und der Post-Rock Band O’Brother als eigenständiger Festivaltag eindeutig sehen lassen.
Die Hamburger Markthalle beinhaltet zwei Konzerträume. Der kleinere davon trägt den Namen Marx und hat die Größe eines kleinen Clubs und machte den Teil des Abends mehr zu einem Wohnzimmerkonzert. Der größere Saal ist durchzogen von Treppenstufen. Von der Mitte des Raumes ging es nach außen hin stufenartig nach oben, sodass es für alle eine perfekte Sicht zur Bühne gab. Die nur kleine, ebene Mittelfläche verhinderte jedoch, dass es zu größeren Moshpits oder ähnlichem Gepoge kommen konnte.
Zum Einlass waren schon einige Punkfans vor Ort und nutzten zum Großteil die letzten warmen Sonnenstrahlen vor der Halle, während sich eine kleine Schlange am Eingang auftat. Zögerlich kamen einige ins Marx wo Diane Parker’s Little Accidents die Aufgabe hatten den Abend einzuläuten. Ihr Stil aus Punk und Alternative Elementen kam gut an und brachte schon den einen oder anderen zum Tanzen, doch größtenteils blieb die Stimmung noch wesentlich vereist bevor es in den großen Saal zu O’Brother ging. Einige warteten schon darauf, dass es losging und sobald die vorherige Band im Marx ihr Set beendet hatte, betraten die Jungs aus Atlanta die Bühne der Halle. Ihr Stoner Sound mit der Stimme von Sänger Tanner Merritt erinnerte etwas an Stücke von QOTSA. Doch ging ihr dominierender Stil viel mehr in Richtung des Psychedelic-Rocks von Bands wie Oceansize und fand deutlich Anklang in dem bis dahin mehr als halbvoll-gefüllten Saal. Mit dem Schlusston ging es im Marx weiter mit Eugene Quell, einem Singer-/Songwriter aus Brighton, England, der schon seit Jahrzehnten Musik macht und von Ort zu Ort zieht um sich eine Gefolgschaft aufzubauen. Vom langweiligen Image anderer Singer-/Songwriter ist er weit entfernt, denn er spielt seine Songs mit viel Drive und Fuzz und macht seine Songs unverwechselbar. Schon bei ihm war der Raum komplett gefüllt. Wer sich also eine Band nicht bis zum Ende angeschaut hat, konnte noch einigermaßen problemlos den Raum wechselt. Doch das stellt das eigentliche Problem des Abends dar. Die Halle war mindestens dreimal so groß wie das Marx, und somit konnte das Publikum einer gut gefüllten Halle nicht mal ansatzweise den Raum wechseln, wenn dort Umbaupause war und im Marx die Musik spielte.
Doch bei dem Top Line-up in der Halle musste man eben Kompromisse eingehen. Und so folgten mit etwas Verspätung gegen 19.30 die Londoner Apologies, I Have None. Sie machten nochmals klar wo man sich an dem Abend befand, nämlich auf einem Punkkonzert. So wurde die Band ordentlich gefeiert und es gab kein Durchkommen mehr, so dass der Roadie ganz ungeniert das Crowdsurfen als schnellsten Weg auf die Bühne nutzte um dort der Band technisch zu helfen. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass Gründungsmitglied Dan Bond die Band verlassen wird. Nichtsdestotrotz wichen sie nicht von ihrem Weg und veröffentlichten dieses Jahr ihr jüngstes Album Black Everything und nutzten die Auftritte in Hamburg und Stuttgart um dieses ausführlich vorzustellen.
Bevor es mit La Dispute in der Halle weiterging überbrückten Drug Church die Wartezeit im Marx. Der Raum war randvoll und wer zu spät kam brauchte garnichtmehr reingehen als sie ihren Punk/Alternative-Rock zum Besten gaben. Letztes Jahr erschien ihre Debutplatte Paul Walker unter dem kalifornischen Label No Sleep Records, wo auch Boysetsfire, Touche Amore und Hundredth angesiedelt sind.
Brechend voll war die Halle. Man spürte, dass noch Großes bevorstand. Mit La Dispute begann die vorletzte Band auf dieser Bühne und versprühte mehr als nur tanzbare Musik. Sie nutzten die komplette Bühne für ihre energiegeladene Performance. Springend und schreiend steckten sie sehr schnell die ganze Menge im Saal an, und fortan kam es neben Crowdsurfern auch zu Moshpits, sofern das denn möglich war, denn die vielen Stufen auf dem Boden der Halle verhinderten vieles. Nach ihrem Meisterwerk Wildlife erschien dieses Jahr ihre neue Platte Rooms of the House, die ihren gewohnten Hardcore fortsetzt, doch mit ruhigeren Songs auch viel Raum zum Verschnaufen lässt.
Nochmal mindestens genauso viel Energie schienen Larry and His Flask im Marx gehabt zu haben. Sie gingen ab, wie eine typische Metalband, doch spielten sie Bluegrass oder Punk-grass und machten aus ihrem Auftritt eine unvergessliche wilde Show. Dass sie längst zu Lieblingen der Folkpunk Szene gehören bewiesen sie schon als Support für Acts wie Frank Turner einige Jahre zuvor. Dass sie nun Headliner im Marx waren kam nur recht.
Ganz groß und an oberster Stelle jedoch stand auf dem Poster des Hamburger Festivals Brody Dalle. Die meisten werden den Auftritt sehnsüchtig erwartet haben, denn oft konnte man Brody nicht so wirklich zu Gesicht bekommen. Seitdem die Ära der Distillers beendet wurde und sie Spinnerette erschuf, gab es neben einem Festivalauftritt lediglich eine einzige Deutschlandtour, bestehend aus 4 Konzerten. Damals im Knust ging ordentlich die Post ab und selbiges erhoffte man sich nun auch 5 Jahre später erneut.
Dieses Mal bestand das Tour Lineup weniger aus einer Art Supergroup wie bei Spinnerette, sondern mehr aus ganz normalen Musikern, die ihren Part ebenso perfekt beherrschen. Neben Brody, wäre da Hayden Scott, einer der Schlagzeuger, die auch bei der Produktion des aktuellen Albums Diploid Love beteiligt waren. Am Bass ist Cosmo Sylvan, ein gebürtiger Kanadier aus Toronto. Empfohlen von Rush Frontmann Geddy Lee brauchte es nur eine Minute um Brody zu überzeugen. Das basslastige Album stellt ihn ziemlich in den Fokus, doch hämmert er problemlos seine Basslines runter als wäre es nichts. Außerdem ist natürlich wie immer Tony Bevilacqua (Distillers, Spinnerette) mit von der Partie, und übernimmt neben Brodys Rhythmus Gitarre den Lead-Part.
Verglichen mit den Auftritten als Spinnerette, wo die drei Gitarren das Markenzeichen waren und Gitarrenmelodien kreierten die nicht von dieser Welt waren, geht bei Brody Dalles jetziger Touring Band etwas einfacher zu. Weniger außergewöhnlich, mehr Punk, mehr eingängiger Rock. Man kann sagen, Album und Live-Performance sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Während man auf dem Album an New Wave erinnert wird und alles ziemlich ruhig daher kommt, wurde das Liveset komplett anders aufgebaut. Man nehme alle schnellen Tracks der neuen Platte: Rat Race, Don’t Mess With Me, Meet The Foetus/Oh The Joy und als Schlusssong Underworld, jedoch ohne diesen Schnickschnack als Outro, sondern mit ruppigem Halt bevor es auf der Platte überhaupt losgeht mit dem instrumentalen Spektakel. Als Kontrast noch Parties For Prostitutes dazu, welcher einer von Brodys Lieblingssongs auf der Bühne ist, während mit Ghetto Love nur ein Spinnerette Song im Set enthalten ist. Sie gewann mit der damaligen Platte zwar Newcomerpreise und das Lob aller Kritiker, doch bekam es nie soviel Anerkennung wie es hätte bekommen sollen. Abgesehen davon, ist es ein Spiegelbild ihrer schlimmsten Zeit und niemand würde daran gerne erinnert werden. Als positiver Lückenfüller kam noch ein großes Paket an Distillers-Klassikern wie Coral Fang, Dismantle Me, Die On A Rope und u.a. The Blackest Years vom ersten Distillers Album hinzu.
Stellenweise merkte man ihr an, dass sie etwas verloren und traurig wirkte. Doch fand ihre Herzlichkeit und Sympathie schnell ihr Ziel, wenn sie mal wieder fragte "Are you guys having fun?". Man sah den Besuchern des Festivals die Unschlüssigkeit an. Zwischen unbekümmertem Feiern und Abgehen stand man doch oft auch einfach nur da, staunte und tat sich doch schwer zu realisieren wer da auf der Bühne stand. Der Sound war überzeugend gewaltig, zum ersten Song hin gab es zwar kleine Probleme mit Tony’s Gitarre, doch war das Set im Ganzen sehr überzeugend und so brutal, dass es dem Scheppern der Halle nah kam.
Es war ein eindrucksvoller Abend mit vielen Varianten des Punkrock, wenngleich doch insgesamt etwas weniger Punk geboten wurde, als auf dem Mutterfestival in Stuttgart.
Wir haben für euch eine Bildergalerie zum Festival zusammengestellt, die ihr hier oder durch Anklicken der Bilder erreichen könnt:
Bildergalerie: PIRATE SATELLITE FESTIVAL 2014 in Hamburg (01.05.2014)
Fotos: André Techert
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PIRATE SATELLITE FESTIVAL 2014 in Hamburg (01.05.2014)