Ein Blick aus dem Fenster am frühen Sonntagmorgen und es
kommt der Gedanke: Verflucht sei Shirley Manson. Musste das sein mit Only Happy When It Rains als
Schlussnummer des gestrigen Garbage-Sets? Naja, vermutlich war dann doch eher
der Wettergott schuld an dem Schlamassel. Oder einige der Festivalbesucher
haben schlichtweg am Vortag nicht aufgegessen… Aber da es ja bekanntlich sowieso
nicht das falsche Wetter, sondern nur die falsche Kleidung gibt: Ein weiteres
Mal in den Wagen geschwungen und nach Scheeßel gereist, einen Parkplatz auf
Matschrisiko-befreitem Boden gesucht und es ging wieder los. Hurricane Festival
2012, Tag 3!
Wie schon die beiden vorigen Tage: Es begann erneut an der
Blue Stage. Zu früher Stunde, genauer gesagt um 13:25 Uhr, spielte bereits Selah Sue, die bei den niederländischen
und belgischen Nachbarn auf Platz 2 und Platz 1 charten konnte, hierzulande
aber noch nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die ihr zusteht. Dass sie was kann,
zeigte sie in Scheeßel deutlich. Ihre vor allem Soul-geprägte Musik mit
funkigen Einflüssen und Reggae-Elementen funktionierte auch im Scheeßeler
Dauerregen gut. Stücke wie das melodisch-trotzende Raggamuffin oder auch Crazy
Vibes als tanzbare Soul-Nummer sorgten für einen kurzweiligen Auftritt, bei
dem sich die junge Belgierin sicherlich auch einige neue Hörer erspielt haben
dürfte.
Kommen wir nun zur Verleihung der Goldmedaille in der
Disziplin „Abgefahrenheit“. Hierfür kann es an diesem Wochenende nur einen
Gewinner geben, der allerdings ab 14:15 Uhr auf der Red Stage zu beschäftigt
war, um diesen Preis persönlich entgegenzunehmen: Die Antwoord. Ninja, ¥o-Landi Vi$$er und DJ Hi-Tek aus Kapstadt
spielten einen Auftritt, der HipHop-Persiflage und grandiose HipHop-Show in
einem bot. Und sie feierten hier eine riesige Party. Zu knackigen Beats, großer
Bühnenshow mit viel Bewegung, Kostümwechseln und ¥o-Landis Schlumpfstimme hatte
man keine andere Möglichkeit, als begeistert mitzugehen bei Stücken mit Titeln
wie Fatty Boom Boom oder Wat Kyk Jy. Eines von vielen Highlights
auch: Ihre Enya-„Coverversion“ zu Sail
Away, ergänzt um pointierte Raps und die Antwoord-typische Ironie. Zum
Schluss dann mit I Fink U Freeky die
wohl bekannteste Nummer des Trios. Mögen vorher noch Fragen offen gewesen sein,
so wusste man spätestens jetzt: Hier ist Die Antwoord! Ein hervorragender
Auftritt im strömenden Mittagsregen.
Schon ging es mal wieder rüber zur Blue Stage, um zu
begutachten, was Frank Turner & The
Sleeping Souls dort so treiben. Und das konnte sich gut sehen und hören
lassen: Seine folkig-inspirierten Singer-Songwriter-Klänge funktionierten auch mit
Band hervorragend. Peggy and the Blues
zum Beispiel ging nicht nur unter die Haut, sondern versetzte das Publikum in
seinen verschiedensten und teils in höchstem Maße kreativen Regenoutfits
ordentlich in Bewegung. Dass er auch zünftig rocken kann, bewies die
Rock-Version von Long Live The Queen.
Trotz des hohen Tempos und der Tatsache, dass Frank Turner sich gelegentlich
die Seele aus dem Leib schrie, blieb das Feeling des Stücks erhalten und war
einer der Höhepunkte des kurzweiligen Sets. Frank Turner zeigte sich erneut als
einer dieser Musiker, mit dem man bei einem Festival kaum etwas verkehrt machen
kann. In diesem Sinne: „Netter Kontakt, gerne wieder! Aber bitte bei trockenerem
Wetter.“
Fiel es schon Freitag und Samstag auf, so musste man sich am
Sonntag dann endgültig eingestehen: Manche Bühnenplanungen sind einfach alles
andere als optimal, manche gar völlig fehl am Platz. Auch wenn die Red Stage in
diesem Jahr kein Zelt mehr ist: Kraftklub
hätten mit ihrer großen Anhängerschaft auch locker die Green Stage ausgefüllt.
Stattdessen standen die Menschen bis in die Händlermeile hinein, weil die
Kapazität der Red Stage mehr als gesprengt war. Der Party tat dies keinen Abbruch,
nur dass eben nicht alle teilnehmen konnten. Die Stücke von Mit K sorgten für kollektive
Party-Stimmung, die das Wetter völlig vergessen ließ. Die Berlin-Persiflage Ich will nicht nach Berlin überzeugte da
genauso wie Songs für Liam mit seinem
immens hohen Tempo. Aber auch die Stücke, die bisher nicht als Single
ausgekoppelt wurden, schienen dem Publikum weitestgehend bekannt gewesen zu
sein. Kein Wunder, ist es doch schließlich ein Nummer 1-Album. Im Endeffekt ein
sehr guter Auftritt einer Band, die genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort
war, hier jedoch leider auf die falsche Bühne gelegt wurde.
Auf der Red Stage geblieben, folgte dann Kontrastprogramm.
Die beiden jungen Damen von Boy
waren an der Reihe. Die Kombination aus Regen, Boy und großer Festival-Bühne
ist zwar nicht gescheitert, aber mit ihren teils intimen Klängen konnten Boy
nicht auf ganzer Linie überzeugen. Dabei war ihr Auftritt keineswegs schlecht.
Sonja Glass und Valeska Steiner haben ihren ur-eigenen Charme, eine versierte
Band im Gepäck und wirklich hochkarätige Songs, die sie hier ebenso gekonnt wie
gut gelaunt präsentierten. Gerade treibendere Nummern wie Little Numbers konnten das Publikum für sich einnehmen. Das
einzige, was diesem Auftritt schlussendlich fehlte, war das gewisse Etwas, das
die Stimmung auf den richtigen Pegel brachte. Aber es sind schließlich auch die
ersten Festival-Auftritte, die Boy derzeit spielen. Da ist noch viel Luft nach
oben!
Schnell mal rüber zur Green Stage, um ein großes Comeback zu
feiern… Nein, Kettcar haben
natürlich nicht pausiert. Die Sonne aber, die sich nun auf einmal zeigte,
hingegen schon. So trafen Kettcar und das Sonnen-Comeback zusammen, um
gemeinsam einen schönen Auftritt zu zelebrieren, bei dem die Mannen um Marcus Wiebusch
die Variante „Nummer Sicher“ wählten: Ein Hit-lastiges Best Of-Set. Keine
schlechte Idee, wie die Publikumsreaktionen belegten. Zum Beispiel gleich an zweiter
Stelle Deiche, das druckvoll nach
vorne ging und das Kettcar-typische Feeling verbreitete. Oder auch 48 Stunden, das in etwas ruhigerer
Manier ebenso erfreut vom dankbaren Publikum angenommen wurde. So spielten sie
sich durch das Repertoire ihrer inzwischen auch schon langen Laufbahn bis hin
zum Evergreen und Klassiker Landungsbrücken
raus. Ganz Schluss sollte damit dann aber noch nicht sein: Marcus und Lars
Wiebusch beendeten das Set in Duo-Besetzung mit Balu und rundeten balladesk einen sehr gelungenen Auftritt ab.
19:15 Uhr, die Trockenheit hat nicht wirklich angehalten,
und es geht mal wieder rüber zur – trotz der einen oder anderen Überfüllung –
liebgewonnenen Blue Stage, um dem Auftritt von Katzenjammer beizuwohnen. Zwar waren auch Katzenjammer zu
beschäftigt, um die Silbermedaille in der Disziplin „Abgefahrenheit“ persönlich
entgegenzunehmen, aber auch sie boten einen gelungenen und abgefahrenen
Auftritt. Die vier norwegischen Multi-Instrumentalistinnen, die hier mit
zweistelliger Instrumentenzahl angereist waren (neben den üblichen
Rock-Instrumenten auch Akkordeon, Geige, Mundharmonika, Banjo, Ukulele,
Glockenspiel und viele weitere), sorgten auf ganzer Länge für eine
hervorragende Laune und erzeugten eine atmosphärische Mischung aus Jahrmarkt,
Hafenkneipe, Rockabilly-Club, Polka-Session und mehr. Was dabei auch nicht
fehlen durfte: Ihre charmant-eigenwillige Genesis-Coverversion zu Land of Confusion. Ein Cover, das sich
im Mittelteil der Show gut ins gesamte Set einfügte, bevor man nach Nummern wie
A Bar in Amsterdam und Der Kapitän mit Ain’t No Thang den Auftritt beendete. Schade, denn da hätte man
gerne noch länger zugesehen und zugehört.
Bevor man sich bei den Headlinern entscheiden musste, wo man
hinwill, lohnte sich noch ein Besuch auf der Red Stage, wo die australischen
Durchstarter von The Temper Trap
einen gefühl- und druckvollen Auftritt hinlegten. Man merkte, dass die Herzschmerz-getränkten
Stücke der aktuellen selbstbetiteln Platte durch das Ende der Beziehung von
Sänger Dougy Mandagi stark beeinflusst sind, aber wie wir alle wissen: Für
große Musik ist das oft die beste Inspiration. So stark der vorige Schmerz, so
groß die hinterher entstehende Begeisterung bei den Zuschauern. Man möchte
meinen, der Regen hätte hier sogar gepasst – sofern man bei einem Open Air
überhaupt das Wort „passend“ mit Regen in Verbindung bringen möchte.
Während vorwiegend die jüngeren Besucher nun zur Green Stage
pilgerten, um Die Ärzte zu sehen,
die auf Festivals eigentlich immer eine sichere Sache sind, entschieden sich
vorwiegend diejenigen, die schon ein wenig länger dabei sind, zum Abschluss noch
einmal zur Blue Stage, um einem der seltenen Deutschland-Auftritte von New Order beizuwohnen. Wie schon am
Freitag die Sportfreunde Stiller ihre Auftrittszeit aufgrund des parallel
stattfinden Fußballspiels verflucht haben dürften, ging es Bernard Sumner
vermutlich ähnlich: Er „durfte“ parallel zum Spiel der Engländer gegen Italien
auf die Bühne. Dennoch ging er konzentriert zur Sache und spielte mit seiner
Band nicht nur ein Best Of-Set, sondern wob auch ein bisschen Joy Division mit
in den Auftritt ein. So zum Beispiel nach Ceremony,
als sie Isolation spielten. Was
hierauf folgte, waren dann die großen Hits, vom Publikum dankend angenommen. Bizarre Love Triangle, True Faith, Blue Monday – das Programm, wie man es sich erwünscht hat und
glücklicherweise auch bekam. Der Abschluss dann noch einmal ein großer Moment
für die Musikhistoriker: Love Will Tear
Us Apart! Kann man den Abschluss besser begehen? Nicht nur ein gelungener
Abschluss für New Order, sondern auch ein gelungener Abschluss des Hurricane
Festivals 2012.
Zeit, glückselig nach Hause zu fahren, zu trocknen, die
versaute Kleidung zu waschen und in Erinnerungen an ein schönes Wochenende in
Scheeßel zu schwelgen. Die nächste Runde findet dann vom 21. bis 23.06.2013
statt.
Wir haben für euch schon einmal eine Galerie mit
Bildern des dritten Tages zusammengestellt, die ihr hier oder durch
Anklicken der Bilder erreichen könnt:
Galerie Hurricane Festival Tag 3 (Sonntag den 24.06.2012)
Autor: Marius Meyer
Fotos: Michael Gamon
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Galerie Hurricane Festival Tag 3 (Sonntag den 24.06.2012)