Ort: Hugenottenhalle, Neu-Isenburg
Datum: 18.11.2010
Zuschauer: wohl ausverkauft aber nicht überlaufen
Dauer: The National 95 min, Phosphorescent 45 min
So recht weiß ich mein drittes National-Konzert des Jahres nicht einzuschätzen. Ich hatte mir vorher vorgenommen, keine Vergleiche zum Sommer anzustellen, als ich die Band so stark gesehen habe, daß man das nicht besser machen kann. Das funktionierte gut, denn obwohl Überraschungen weitestgehend fehlten, mochte ich den Auftritt der um Bläser verstärkten Amerikaner gerne. Trotzdem war das Konzert "nur" gut, die äußeren Umstände ließen nicht mehr zu. Aber der Reihe nach…
Rund um Frankfurt gibt es eine Reihe mittelgroßer Hallen, die für Konzerte genutzt werden, die vom Zuschauerzuspruch zwischen Batschkapp und Jahrhunderhalle liegen. The National sind in dieser Hallengröße angekommen, weil sie sich mit ihrem fünften Album High Violet immer mehr in den Focus einer größeren Öffentlichkeit gespielt haben. Der Morgenmagazin-Auftritt der Band vor ein paar Wochen hat dazu vermutlich kaum beigetragen, ist aber Symbol für den Bekanntheitssprung (wobei es natürlich einem Ritterschlag gleichkommt, von Cherno Jobatey, der noch nie von ihnen gehört hatte, gelobt zu werden).
Die Hugenottenhalle ist einer dieser Säle für die Übergangszeit im Frankfurter Umland. Sie liegt in der Innenstadt von Neu-Isenburg und ist mit dem Auto trotzdem schwer erreichbar, weil die Parkkapazitäten eher übersichtlich sind. Der Parkplatz neben der Halle war besetzt, das Parkhaus des Einkaufscenters schließt um 21 Uhr. Also durch Wohngebiete streunen und den Wagen da irgendwo loswerden; ideal ist das natürlich nicht.
Die Halle hat eine achteckige Grundform, von oben sieht der Saal wie ein in die Länge gezogenes Stop-Schild aus. Weil die Bühne an einer der breiten Seiten liegt, ist der Raum bequem und luftig. Daß das zu Lasten des Klangs gehen sollte, merkte ich später erst.
Als ich reinkam, begannen gerade Phosphorescent aus Brooklyn. Wir haben hier schon über Pariser Auftritte der Indierock-Band berichtet, ich kannte sie nicht, mochte sie aber auch nicht. Die gespielten Lieder waren melodiös-langweilig, die beiden besseren Momente, als es lauter wurde, wirkten aufgesetzt. Ich bin natürlich dankbar für jede namhafte Band, die als Vorgruppe mitgebracht wird, Phosphorescent langweilten dann aber doch zu sehr. Ich würde nicht so weit gehen wie derjenige, der auf ihrer Wikipedia-Seite dies hinterlassen hat: "i steal a whole bunch of crap from other bands, then add my own computer-generated music. im a total fake, and everybody should know" Aber wenn James Blunt Lust auf Rockmusik hat, hört er sicher solche Musik (ich wollte eigentlich nicht mehr über den lästern, seit ich weiß, daß er alleine uns alle vor dem 3. Weltkrieg gerettet hat).
Als es dann wirklich spannend wurde, war der Raum innen zwar voll, wegen seiner Weitläufigkeit an den Seiten aber eher spärlich gefüllt. Die Vorgruppe war furchtbar leise, was The National nicht gut tut, je lauter die live sind, desto besser die Konzerte. Glücklicherweise hatten die Toningenieure aber die Regler vor The National höher gefahren; es fingt mit Runaway gut an. Bei den ersten Stücken gefiel mir der Klang noch. Mich störte da nur die Passivität des Publikums. Mistaken for strangers hatte mir beim Latitude Festival noch Gänsehaut beschert – und einen der besten Konzertmomente, die ich je erlebt habe. Mehrere Tausend Leute, alle singend und schreiend, das war nicht nur ein sehr gutes Lied, das da gespielt wurde, es war viel intensiver, auch wenn das schrecklich platt klingt. Heute war Mistaken for strangers nicht viel anders als vor dem Fernseher beim Rockpalast, das Lied ist so nicht schlechter, mit dem, wie man The National auch erleben kann, hatte das aber nichts zu tun.
Es war nicht keine Stimmung, das wäre ganz falsch. Hinterher wurde frenetisch geklatscht. Aber während der Lieder passierte jenseits des Gitters nichts. Und, und das fand ich erstaunlich, die neuen Stücke kamen sehr viel besser an als die Gassenhauer von Alligator oder Boxer!
Neben der Passivität des Publikums kam bei Slow show ein weiteres Problem dazu (zumindest fiel es mir da erstmals auf), die Halle erzeugt Echos! Wenn Trommelschlag und Echo im Takt waren, war das nicht schlimm, bei Slow show und vielen anderen schepperte aber zeitversetzt off beat alles von der hinteren Wand zurück. Das war manches Mal richtig scheußlich, Slow show oder auch Abel hat dieser Effekt versaut.
So fies wie die Echos, so gut sind die Bläsereinsätze. Wenn Posaune und Trompete einsetzen, gibt das vielen Stücken einen genau richtig dosierten Zusatzreiz. Bei Afraid of everybody zum Beispiel wirkte das besonders gut; ein echter Zugewinn!
Höhepunkte auf der Bühne waren wieder die ekstatischen Stücke wie Abel, Squalor Victoria oder Mr. November, bei denen Sänger Matt Berninger ausrastet, heute allerdings nur stimmlich. Trotz der Stimmung waren alle drei grandios!
Bemerkenswert waren dann noch drei weitere Szenen. Da war zum einen Lemonworld, keiner meiner unbedingten Lieblinge. Der Sänger, der wieder viel redete und dabei sehr sympathisch war, seine introvertierten Auftritte ohne Publikumsansprache gefielen mir aber trotzdem sehr viel besser, patzte am Ende des Stücks ein wenig, ehrlich gesagt wäre mir das nicht weiter aufgefallen. Er lamentierte danach aber, daß sie das Lied zum ersten Mal gut gespielt hätten, und ausgerechnet dann müsse er das Ende versauen. "We have a hard time playing this song. For the first time it sounded awesome and I messed it up."
Eine herrliche Szene spielte sich zwischen Matt und den Dessner-Zwillingen ab. Irgendwer hatte den Wunsch nach Beautiful head vom Debütalbum The National nach vorne gebrüllt. Matt Berninger beendete das schnell: "I forgot it!" Sie würden das Stück nicht spielen. Lieder von den ersten beiden Platten sind ja eh große Ausnahme live. Einer der Dessners antwortete: "I know it…!"
Und dann wollte er im Zugabenteil bei Mr. November ins Publikum. In Köln hatte er diese Stelle auch für einen Ausflug genutzt. Allerdings versuchte er es rechts über eine Treppe, die vollkommen zugebaut war und blieb oben. Ausflug verschoben! Erst beim nächsten Lied (Terrible love), kletterte der Sänger vorne runter und ging durch die Halle.
Beendet wurde das Konzert durch ein akustisches Vanderlyle crybaby geeks, das wunderschön war, aber ganz ehrlich doch eher zu Bands wie Travis passt. Band toll, Stimmung und Halle mau – aber gut war es natürlich trotzdem. Nur nicht so.
Setlist The National:
01: Runaway
02: Anyone’s ghost
03: Mistaken for strangers
04: Bloodbuzz Ohio
05: Slow show
06: Squalor Victoria
07: Afraid of everyone
08: Conversation 16
09: Little faith
10: Apartment story
11: Lemonworld
12: Abel
13: Daughters of the Soho riots
14: England
15: Fake empire
16: Sorrow (Z)
17: Mr. November (Z)
18: Terrible love (Z)
19: Vanderlyle crybaby geeks (Z)
Bilder des Konzerts befinden sich in unserer Concert-Pictures Sektion (für Bildkommentare muss man aus Spamverhinderungsgründen leider angemeldet sein) oder direkt durch Anklicken des Bandfotos.
Autor und Fotos: Christoph Menningen