Sicher auch vom heraus stechenden Headliner angezogen, wurde der bisherige Zuschauerrekord in diesem Jahr mit Leichtigkeit gebrochen und so fanden ganze 24.000 Besucher den Weg nach Niedersachsen und bekamen für ihr Geld dann auch so einiges geboten. Denn neben der Stärkung des ?Wir-Gefühls? auf dem großen Festivalzeltplatz und dem starken Lineup, bei dem neben den genannten Placebo solch illustre Bands wie die vernebelten Altmeister Sisters Of Mercy, Combichrist, Skinny Puppy, In Extremo, Unheilig oder Nitzer Ebb an der Spitze standen, sorgte auch das Rahmenprogramm für eine Menge Kurzweil. Los ging es bereits am Freitagabend mit einer Eröffnungsparty, auf der sich die schon jetzt äußerst zahlreich angereisten Besucher nicht nur die Beine vertreten, sondern den gesamten Körper tänzerisch voll auspowern konnten. Das Festivaltreiben auf der Bühne wurde am eigentlichen Wochenende selbst dann vom Mittelaltermarkt begleitet, der sich seit seiner Einführung vor zwei Jahren neben der beliebten Einkaufsmeile zu einer festen Einrichtung des M?era Lunas zu entwickeln scheint. Zudem gab es im Partyhangar wieder mehr oder weniger ausgefallene Kleidung im Rahmen zweier Modenschauen zu begutachten, bevor in den späten Nachtstunden Aftershowparties zur Abrundung des jeweiligen Festivaltages einluden. Das Hauptaugenmerk lag aber natürlich weiterhin auf den Auftritten der insgesamt 40 Bands, von denen die Lokalmatadoren ?Unzucht? aus Hannover, die Sieger des Newcomervotings, die Ehre hatten, das Festival am frühen Samstagmorgen gegen 11 Uhr livetechnisch zu eröffnen.
Samstag, 07.08.2010:
Der Samstagmittag diente zunächst einmal der Lust, das riesige M’era Luna Gebiet zu erkunden. Wer noch nicht das Bedürfnis verspürte, sich im Hangar von Bands wie Sons Of Season oder Leandra berauschen zu lassen, nutzte den Mittag, um die umfangreiche Shoppingmeile zu erkunden oder an den zahlreichen Gastronomie- Angeboten die nötige Stärkung für ein erlebnisreiches Festivalwochenende zu tanken. Nebenbei konnte man auf der Mainstage den Klängen von Lord Of The Lost, die uns mit Lady Gagas ?Bad Romance? unterhielten, lauschen oder bei elektronischem Crossover á la Angelspit schon mal die ersten Tanzversuche wagen.
Nachdem am frühen Mittag im Hangar noch problemlos Besucher ein und aus gingen und das Atmen auch in der vorderen Hälfte noch problemlos möglich war, füllte er sich schlagartig, als die Goth- Rock Band Faith And The Muse auf die Bühne trat. Ab nun sorgten nicht nur die altertümlich edlen Gewandungen von Monica Richards und William Faith für eine mysteriöse Stimmung, sondern auch die japanischen Live- Drums taten ihr Bestes daran, das Publikum zu fesseln. Gepaart mit der unverwechselbaren Stimme Monicas und den Fähigkeiten des begabten William entstand eine phantastische Bühnenshow, die Auge und Ohr vollends zufrieden stellte.
Während das angetane Publikum im Hangar noch Faith And The Muse lauschte, versammelte sich schon eine große Menge Besucher vor der Hauptbühne, um von Alexander Kaschte mit Samsas Traum die nötige Portion Verrücktheit in Form von experimentellem Dark Metal mit auf den Weg zu bekommen. Der eigentliche Stil der Songs aus den verschiedenen Schöpfungsjahren lässt sich schwer einsortieren; vielleicht ist es das, was Samsas Traum seit Jahren auf eine riesige Fangemeinde zurückblicken lässt. Samsas Traum sind einfach anders, auch wenn sie dadurch Gefahr laufen, in der Szene zu polarisieren. Man liebt sie oder man hasst sie. An diesem Samstag liebten sie einige und Herr Kaschte bedankte sich dafür mit einem großartigen Set, das alles enthielt, was das Fanherz begehrte: vom heiß geliebten und auch an jenem Festivaltag gefeierten und betanzten ?Für Immer? über ?Endstation Eden? bis hin zu ?Die Zärtlichkeit der Verdammten?. Hier wurde die Crème de la Crème auf die Bühne gebracht. Und natürlich wurde das Set mit dem obligatorischen ?Kugel Im Gesicht? beendet.
Im Hangar ging es unterdessen etwas ruhiger zu, was nicht bedeutet, dass es dort leerer wurde. Im Gegenteil versammelten sich zahlreiche Fans vor der Bühne, um die Künste von Multitalent Brendan Perry zu genießen. Seine Bekanntheit verdankt der begabte Sänger Brendan vor allem Dead Can Dance, aber auch als alleiniger Frontmann kann er bei seinen Fans punkten. So begeisterte er wie auch schon beim diesjährigen WGT in Leipzig und überzeugte unter anderem mit ?Dream Letter?, einer Widmung an Tim Buckley.
Auf der Mainstage sorgten etwas später Stolen Babies zumindest für einen Augenschmaus. Trotz der skurrilen Kostüme, mit denen dort auf der Bühne aufgefahren wurde, schauten sich viele Besucher das Spektakel jedoch eher von der Decke im Sitzen aus an. Viele strömten jedoch auch allmählich wieder rüber zum Hangar, um Das Ich zu erleben. Allerdings war das kein so leichtes Unterfangen, denn die Halle war schon vor dem Auftritt gerammelt voll.
Wir entschieden uns hingegen für Laibach auf der Hauptbühne und warteten gemeinsam mit vielen neugierigen Besuchern auf den geheimnisvollen Herren aus Slowenien. Die Gründungsmitglieder der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) sind musikalisch gesehen nicht nur schwer einzuordnen, sondern ein jeder fragte sich sicher auch, was ihn an jenem Festivalsamstag erwarten würde. Für die, die schmerzlich auf Songs wie ?Tanz Mit Laibach? oder stilistisch Ähnliches warteten, nahte die große Enttäuschung bereits zu Beginn des Auftritts. Nachdem mit einem volkstümlichen Liedchen eingeleitet wurde, blieb es eher langsam, sphärisch und unkonkret. Wem das zu schwere Kost war, der flüchtete zu Das Ich, wo die Stimmung sich weiter und weiter steigerte. Während Laibach immer mehr Besucher von der Mainstage verscheuchten, wurde es am Hangar- Eingang immer enger und unübersichtlicher. Schlussendlich sperrte das Sicherheitspersonal den Eingang ab; wer nun noch nicht drin war, hatte Pech gehabt. Trotz der Enge und der Tatsache, dass man von ganz hinten kaum etwas auf der Bühne erkennen konnte, wurde bis in die hinterste Reihe getanzt und gefeiert. Kein Wunder, steigerten sich die Songs der Combo um Frontmann Stefan Ackermann doch stetig, um schlussendlich in ?Gott Ist Tot? und ?Destillat? zu münden. Sogar William Faith (Faith And The Muse) ließ sich nochmal auf der Bühne blicken. Was für eine Überraschung!
Am späten Nachmittag war also absolutes Kontrastprogramm auf der Mainstage und im Hangar angesagt. Das Ich begeisterten, Laibach enttäuschten. Jedoch sei auch an dieser Stelle nochmal gesagt, dass diejenigen, die bei den Slowenen wirklich durchgehalten hatten, auch tatsächlich am Ende noch zu (und mit) ?Tanz Mit Laibach? stampfen durften.
Während im Anschluss an Das Ich im Hangar eines der wenigen auf dem M’era Luna Line-up vertretenen Future- Pop Projekte startete, verfehlten viele Besucher abermals die Möglichkeit, sich drinnen einen Platz zu sichern. Auch wir hörten uns das Spektakel, das Rotersand dort drinnen veranstalteten, nur von draußen an. Dass die Stimmung überragend war, daran gab es allerdings keinen Zweifel, denn schon beim ersten Song ?Bastard Screaming? hörte man das Geschrei der Fans bis zu den Bier- und Cocktailständen hin. Das Trio um Frontmann Rascal Nikov ist für energiereiche Bühneperformances bekannt und genau das durfte auch eine große Menschenmenge auf dem diesjährigen M’era Luna erleben.
Auch an der Hauptbühne wurde es nun immer voller. Nitzer Ebb, auf die wir uns schon im Vorwege sehr gefreut hatten, standen auf dem Programm. Das englische EBM- Projekt um Douglas McCarthy, Bon Harris und Jason Payne hat über 25 Jahre Musikgeschichte auf dem Buckel und genau diese Erfahrung merkte man den Jungs auf der Bühne auch an. Sänger und Entertainer McCarthy heizte seinen Fans mit kraftvoller Stimme und kreisender Hüfte von Song zu Song mehr ein. Musikalisch wurde ein bunter Mix dargeboten, der sich unter anderem natürlich um Stücke des aktuellen Albums bewegte (?Down On Your Knees?, ?I Am Undone?, u.a.), aber auch Klassiker wie ?Murderous? oder ?Control I’m Here? fanden ihren Platz im Set und wurden von den Fans getanzt, gesungen und bejubelt. Die EBM- Götter Nitzer Ebb brachten eine derartige Energie rüber, begeisterten mit Professionalität und lieferten somit einen der besten Auftritte des Tages ab.
Während es im Hangar mit Eluveitie indes metal-lastig wurde, entschied sich ein Großteil der Festivalbesucher, den Grafen von Unheilig auf der Hauptbühne anzutreffen. Unheilig sind seit geraumer Zeit von keinem Festival und keinem Event mehr wegzudenken. Spätestens nach den zahlreichen Fernsehauftritten des Grafen kommt niemand mehr an dem unheiligen Synth- Rock vorbei. Beim diesjährigen Blackfield sowie auf dem Gothic Festival im belgischen Waregem konnte die Crew um den erfolgreichen und zielstrebigen Grafen überzeugen, so dass niemand Zweifel hegte, dass es an jenem Samstag anders sein sollte. So lieferten die Aachener auch auf dem M’era Luna abermals eine einwandfreie, von Kopf bis Fuß gestylte Liveperformance ab. Die mit Kerzen und rot beleuchtetem Schiffsbug bestückte Bühne lud vor allem bei den gefühlvolleren Stücken zum Träumen ein und in den vorderen Reihen wurde zu Songs wie ?Freiheit? oder ?Für immer? hingegen auch ordentlich gerockt. Trotz der ganzen positiven Aspekte kam nach und nach der Gedanke auf, dass es für dieses Jahr genug Unheilig gab. So schienen Unheilig vor allem für diejenigen Besucher in den hinteren Reihen der Menge eher wie ein Pflichtbesuch zu wirken, denn getanzt und gejubelt wurde dort nicht.
Nachdem im Hangar die letzten Klänge der Pagan- Metal Band Eluveitie verstummten, wurde dort direkt mit einer absoluten Größe im Metalbereich aufgeschlossen. Crematory gaben sich die Ehre und sorgten als Headliner dafür, dass auch der letzte Hangar- Besucher seine Matte schüttelte.
Auf der Mainstage wurde der erste M’era Luna Tag von den Sisters Of Mercy beendet. Und nachdem die Auftritte der Wegbereiter des Gothic- Rocks in den vergangenen Jahren eher enttäuscht hatten, waren die Erwartungen beim diesjährigen M’era Luna- Auftritt nicht wirklich hoch anzusiedeln. Erfahrungsgemäß ist es im Leben so üblich, dass man viel bekommt, wenn man nur ein Minimum an Erwartungen hegt. Und genau so sollte es auch an jenem Abend sein. Nachdem die Szene- Urgesteine das Set mit ?Vision Thing? eröffneten, jagte ein Hit den nächsten. Spätestens bei ?First And Last And Always? war der letzte anwesende Festivalbesucher ergriffen und ließ sich von der begnadeten Crew um den geheimnisvollen, stimmstarken Andrew Eldritch mitreißen. Während es auf und vor der Bühne immer vernebelter wurde, drang ein Smasher nach dem anderen direkt in die Köpfe der Besucher. Ob ?Alice?, ?Marian? oder ?Dominion/Mother Russia? – jede einzelne Note vermochte zu fesseln und zu begeistern. Und natürlich durfte in einem perfekten Set ?Lucretia My Reflection? genauso wenig fehlen wie ?Temple Of Love?, womit ein erfolgreicher und faszinierender Auftritt der Szenegröße sein Ende fand.
Für einige Besucher war der Tag nun allerdings noch nicht zu Ende, denn im kleinen Hangar luden verschiedene DJs zur Aftershow- Party. Nachdem am Vorabend Krischan Wesenberg (Rotersand) und Jörg Schneider für den passenden M’era Luna Auftakt sorgten, behielten es sich für den Samstagabend Mike Kanetzky und Sven Friedrich (Zeraphine, Dreadful Shadows) vor, ein gelungenes Ausklingen des ersten Festivaltags zu garantieren. Während das Partyfolk feierte, trat ein Großteil den Fußmarsch zum Zeltplatz an oder fuhr zurück ins Hotel oder nach Hause, um für den zweiten Tag gewappnet zu sein.
Sonntag, 08.08.2010:
Der zweite Festivaltag prophezeite unabhängig von musikalischen Einflüssen erst einmal schlechtes Wetter. Jedoch auch wenn die Regenwolken Hildesheim mittags bereits umzingelt hatten, hielt sich das angekündigte Nass in Grenzen, so dass ungestört genau dort angeknüpft werden konnte, wo am Vortag aufgehört wurde, nämlich mit guter Laune und guter Musik.
Geweckt und eingestimmt wurde das schwarze Volk unter anderem von Expatriate, die Placebo auf ihrer Tour im vergangenen Jahr supporteten und dadurch mit Sicherheit einen Platz im Hinterkopf eines jeden Indie- Fans abgestaubt haben. Auf der Mainstage sorgten weiterhin Punish Yourself für Aufsehen, welche in Neonfarben bemalt auf die Bühne traten. Im Hangar machten es sich unterdessen Bands wie Eyes Shut Tight oder Colony 5 bequem und sorgten für Stimmung.
Wir nutzten den frühen Sonntagnachmittag zunächst einmal, um den Mittelaltermarkt zu erkunden. Diese relative Neuerung auf dem M’era Luna schien bei mehreren Festivalbesuchern extrem gut anzukommen, wurden doch neben außergewöhnlicher Gewandung auch Brot und Spiel geboten. Absoluter Blickfang war ein kleines Kampfareal, auf welchem man seinen Gegner mit Leinensäcken besiegen musste. Ein lustiges Spektakel sowohl für die Teilnehmer als auch für die vielen Schaulustigen!
Den Weg zur Mainstage fanden wir schließlich, als Sven Friedrich mit Zeraphine die Bühne betrat. Der gutaussehende Sympathieträger Sven fand sich vor einer Menge Fans wieder, die allerdings nicht nur weiblichen Geschlechts waren. Neben älteren Stücken wie ?No Tears? präsentierten die Dark Rocker auch einige neue Juwelen, darunter die aktuelle Single ?Out Of Sight?.
Da der Hangar schon am Vortag total überfüllt war ? sogar so sehr, dass keine Besucher mehr reingelassen wurden -, hielten wir uns vorrangig an der Mainstage auf, wo im Anschluss die Spielmänner von Saltatio Mortis die Menge beglücken sollten. Dass die Mannen um Sänger Alea, den Bescheidenen, auf mittelalterlichen Festlichkeiten zuhause sind, lässt sich glücklicherweise auch immer wieder bei Auftritten der größeren Art bemerken. Kaum eine Band pflegt so einen innig wirkenden Kontakt zu ihren Fans wie Saltatio Mortis, wenn sie auf der Bühne stehen. Der quirlige, energiegeladene Alea hat die Eigenschaft, große Menschenmassen mit seiner guten Laune anzustecken, regelrecht gepachtet. So schaffte er es auch bei diesem Auftritt, das Band zu seinen Fans während der Show ganz eng zu knüpfen. Spätestens bei ?Uns Gehört Die Welt? verschmolz der schelmische Sänger mit seiner Fangemeinde, die bei jedem Song absolute Textsicherheit bewies und tanzte und jubelte. Gesteigert wurde die ohnehin schon gute Stimmung dann noch mit ?Koma?, wo sich die Besucher an den Händen hielten, und mit ?Wir Säen Den Wind? vom aktuellen Machwerk. Wie auch schon beim Blackfield Festival in diesem Jahr konnten Saltatio Mortis von Grund auf begeistern.
Im Anschluss an die mittelalterlichen Klänge wurde es auf der Mainstage etwas düsterer. Die kultigen Goth- Rocker The 69 Eyes gaben sich die Ehre und sorgten dafür, dass es an diesem Tag keine andere Möglichkeit gab, als weiter zu rocken. Die Finnen können auf 20 Jahre Bandgeschichte zurück schauen und dementsprechend hatten sich vor der Hauptbühne bereits eine Menge Fans eingefunden. Auch wenn die Jungs aus Helsinki sicherlich nicht jeden Festivalbesucher erreichen konnten, wippte doch spätestens bei ?Gothic Girl? zumindest der Fuß eines Nicht- Fans. Die Combo um Sänger Jyrki 69 lieferte alles in allem einen soliden Auftritt ab, der allerdings im Schatten der großartigen Acts vom Vortag etwas verblasste.
Parallel zu The 69 Eyes unterhielten Agonoize im Hangar die blutlustigen Fans der dunklen elektronischen Musik. Wie immer etwas grenzwertig wurden auch hier Kehle und Pulsader aufgeschnitten, so dass Agonoize- Kopf Chris L. blutüberströmt die Menge mit seinen Songs anfeuerte. Natürlich sorgten die vielen Fans stimmungstechnisch für das passende Gegenstück: es wurde getanzt, gejubelt und wie auf dem Amphi Festival 2009 konnten Agonoize einen erfolgreichen Auftritt verbuchen.
Die erste Überraschung des Tages bot sich mir bei der nächsten Band, die die Hauptbühne betrat. Mit den Editors konnte ich bis dato nicht viel anfangen; der Song ?Papillon? hat sich mir beiläufig offenbart, gefiel mir zwar, aber weckte nicht das Interesse, weiter zu gehen und mir die Herren um Frontmann Tom Smith mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Was am Festivalsonntag allerdings von den Briten auf der Bühne geboten wurde, war großartig. Bereits der erste Song ?In This Light And On This Evening? schlug ein wie eine Bombe, und zwar nicht nur bei mir, sondern ebenso bei vielen weiteren Fans und Besuchern. Besonders gefallen hat dann auch ?Bones?, ein älteres Stück der Band, bei dem Frontmann Tom vollen Körpereinsatz auf der Bühne bewies. Grundsätzlich überraschte die Indie- Band auch durch ihre Wirkung auf der Bühne, kam es einem als Zuschauer doch so vor, als würde dort oben gerade eine ganz eigene Welt erbaut, gelebt und transportiert. Der phantastische Auftritt wurde schlussendlich mit ?Papillon? abgerundet, bei welchem die gesamte Menge tanzte und sang. Ein absolut gelungener Auftritt, der auf jeden Fall die Lust auf mehr von den Editors geweckt hat!
Auf der Hangar- Stage hatten sich unterdessen die kreativen Köpfe von Skinny Puppy eingefunden. Seitdem die Kanadier cEvin Key und Nivek Ogre zusammen auf der Bühne stehen, wissen sie ihr Publikum zu begeistern und zu überraschen wie es kaum ein anderer Act vermag. Bereits beim diesjährigen Gothic Festival in Waregem sowie beim Amphi- Festival hatten Skinny Puppy mit einer einmaligen Bühnenshow überzeugt. So sollte es dann auch an jenem Sonntag in Hildesheim sein. Schon vor Showbeginn war der Hangar prall gefüllt; auf der Bühne standen Metallkäfig und zahlreichen Bildschirme bereit und warteten darauf, durch Nivek ihren Einsatz zu erfahren. Mit spitzem Papphut und weißen Kostüm betrat Nivek wackelig und gespielt kränkelnd die Bühne, die verbundenen Hände blutverschmiert und das Gesicht unter einer furchteinflößenden Maske verborgen. Zu Liedern wie ?Pedafly?, ?Pro- Test? oder ?Assimilate? wurde dem gefesselten Publikum nun eine Wahnsinnsshow geboten, bei der sich Ogre mal wild, mal schwächlich über die Bühne bewegte. Unterstützt wurde das Ganze von Projektionen auf seinem weißen, skurrilen Kostüm, die es den ergriffenen Besuchern unmöglich machten, den Blick von der Bühne zu lösen. Gebannt war man auch, als Ogre den Metallkäfig betrat und eine Livekamera sein verzerrtes Gesicht auf die Bildschirme brachte. Eine Performance, die so die Sinne ergriff, durfte das Publikum sicher selten miterleben.
Draußen wurde es nun mittelalterlich. Mit ?Erdbeermund? und heißer Feuershow lockten In Extremo die Fans dicht an die Bühne. Kaum zu glauben, dass das 1995 gegründete Projekt einst zwei einzeln bestehende Bands ? eine Rock- und eine Mittelalterband ? gewesen war, fügt sich doch jeder Ton genau dorthin, wo er hin gehört, und lässt das große Ganze rund wirken. Trotz dem mittlerweile großen Angebot im Mittelalter- Sektor, schaffen es In Extremo seit jeher, einzigartig zu wirken und aus der Menge hervorzustechen. Sicherlich bzw. ganz bestimmt ist dies auch dem natürlichen, bodenständigen Frontmann Michael Robert Rhein zu verdanken, der mit seiner markanten Stimme den Songs eine ganz eigene Visitenkarte mitgibt. In Extremo lieferten an jenem Sonntagabend die musikalische Crème de la Crème ihrer Schaffenszeiten ab; Rhein (?das letzte Einhorn?) sprach oft zur Menge und machte kleine, aber deftige Scherze. Eigentlich kann an dem Auftritt wirklich nichts ausgesetzt werden, hätten da nicht vor ein paar Stunden schon die Spielmänner von Saltatio Mortis auf der Bühne gestanden und bereits so gute Stimmung gesät, dass es kaum noch zu übertrumpfen war.
Wer noch die letzten rockigen In Extremo- Klänge, die von der Hauptbühne schallten, in sich auf sog, der hatte es schwer, im Hangar den Headliner des Abends zu feiern. Combichrist hatten als letzter Act sicher kein Problem damit, die Menge nochmal ordentlich zum Tanzen zu bringen und schlussendlich das Licht auszuknipsen, aber dennoch empfanden wir es als etwas gewöhnungsbedürftig, dass ein Act wie Skinny Puppy nicht diese ehrwürdige Spielposition erhielt. Nichts desto Trotz freuten wir uns, auch den Herrn LaPlegua mit seinen durchgeknallten Kollegen noch einmal auf der Bühne begrüßen zu dürfen, hatten sie doch bereits auf dem Berliner e- tropolis und dem Amphi Festival eine absolut sehenswürdige und geniale Show abgeliefert.
So rockte auch als letzter M’era Luna- Act im Hangar ein leider wieder streng gestriegelter, aber dennoch äußerst energiegeladener und gut gelaunter Andy mit seinen Kumpanen die Hangar- Bühne. Ob ?Blut Royale? oder ?Without Emotion? – LaPlegua schaffte es ein weiteres Mal, die Menschenmasse zum Tanzen und Feiern zu bringen. Alles in Allem lieferten die vier Wilden wieder eine energiereiche Show ab, bei der zumindest auf der Bühne nicht alles heil blieb – Combichrist, wie wir sie lieben.
Draußen vor der Mainstage wurde es langsam aber sicher ordentlich voll. Wo hatten sich die ganzen Menschen die gesamten zwei Festivaltage versteckt, die sich nun dort zusammen fanden? Alle Alters- und Interessengruppen waren vertreten: ob jung oder alt, Wesen in Gothic- Kluft, im Cyberkostüm oder einfach in Jeans und T-Shirt. Hier vor der Hauptbühne tummelte sich nun alles- nicht ohne Grund, denn der Headliner und letzte Act des M’era Luna 2010 hätte namhafter nicht sein können. Placebo sollten nun Alternative Rock vom Feinsten auf die Bühne bringen. Die begabte Crew um Sänger und Gitarrist Brian Molko kann vor allem in Europa auf einen erfolgreichen Werdegang zurückblicken. Das aktuelle Album ?Battle For The Sun? schlug in Deutschland ein wie eine Bombe und garantierte einen Platz ganz oben auf dem Siegertreppchen der Charts. 2009 wurden Placebo von MTV zum ?Best Alternative Act? gekürt ? verdient, wie der Andrang an der Hauptbühne beweist. Auch rückblickend auf die Tour im vergangenen Jahr ist zu sagen, dass die Herren und Damen um Molko Großartiges auf den Bühnen der Welt geleistet haben. Es war also an jenem Festivalsonntag für das M’era Luna Publikum eine Ehre, einen solchen Act live mitzuerleben.
Die Bühne wirkte ganz im Gegensatz zu allen übrigen Bands wesentlich heller, greller und glamouröser. Gleich auf mehreren Bildschirmen sollten Placebo bei ihrer Show durch Animationen unterstützt werden. Als Molko in weißem Anzug auf die Bühne trat, gab es für das jubelnde Publikum kein Halten mehr. Sofort wurde mit dem großartigen ?Nancy Boy? losgelegt, welches uns in einen phantastischen Auftritt einstimmen sollte. Im Anschluss an den geglückten Opener stellte Molko erst einmal klar: ?Wir sind Placebo. Wir kommen in Frieden.? Sehr sympathisch, wie sich Molko für seine hauptsächlich deutschen Fans an jenem Abend vorbereitet hatte.
Mit Songs wie ?Ashtray Heart? und ?Battle For The Sun? vom neuesten Album ging es weiter und die Stimmung wurde immer ausgelassener. Neben aktuellen Songs gaben Molko und Gefolge, das optisch genau wie er etwas her machte, auch Klassiker wie ?Every Me And Every You?, ?Song To Say Goodbye? und ?Bitter End? zum Besten und versuchten sich sogar an einem Nirvana Song. Mit der Stimme von Molko und dem unverkennbaren Placebo- Sound wirkte ?All Apologies? richtig genial. Für die ganz hungrigen Fans ? und natürlich war an diesem Abend jeder ganz hungrig ? gab es als Zugaben unter anderem noch ?Infrared? und ?Taste A Man?.
Placebo bedeutet aus dem Lateinischen übersetzt ?Ich werde gefallen? und nach dieser überragenden Liveperformance war klar, dass Placebo ihrem Namen ein weiteres Mal alle Ehre gemacht haben.
Nachdem die letzten Töne von der Bühne verklungen waren, wurde sofort mit den Aufräumarbeiten auf dem Festivalgelände begonnen. Ziemlich hektisch begann das Security- Personal mit einem Absperrband die Leute, die sich noch vereinzelt vor der Bühne tummelten, in Richtung Ausgang zu verweisen. Wer das ganze Erlebte nun nochmal Revue passieren lassen wollte, tat das entweder auf dem Zeltplatz alleine, in guter Gesellschaft oder trat die Heimreise an.
So ging nach zwei tollen und musikalisch brillanten Tagen das diesjährige M’era Luna zu Ende. Unsere persönlichen Top- Acts waren Nitzer Ebb und Sisters of Mercy am ersten sowie Editors und Placebo am zweiten Tag. Zu meckern gibt es im Hinblick auf die Geschehnisse an jenem Wochenende rein gar nichts und so bleibt uns nur zu sagen, dass wir uns auf das M’era Luna 2011 freuen. Die erste bestätigte Band sind ASP; man darf gespannt sein, wer sich im Laufe der nächsten Monate noch dazu gesellen wird.
Bis zum nächsten Jahr!
Besucherfotos vom M’era Luna Festival 2010 gibt es in unserer Concert Pictures Sektion, direkt durch anklicken der Bilder im Bericht oder HIER!
Bericht: Tanja Sunshine
Fotos (Besucher): Michael Gamon
Fotos (Bands): FKP Scorpio