THE CHARLATANS – Le Trabendo (12.02.2008)

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Konzert: The Charlatans
Ort: Le Trabendo, Paris
Datum: 12.02.2008
Zuschauer: der Raum war nur zu circa.60-65 % ausgelastet (Wo sind die Pariser Charlatan Fans?)


Konzerte im Trabendo kann ich eigentlich nicht leiden. Das liegt aber nicht an dem angebotenen Programm – denn das ist oft vorzüglich ( hier spielten in den letzten Jahren schon Yo La Tengo, Midlake, Giant Sand, Ray La Montagne, die Editors, die Rakes, Kaiser Chiefs etc.) – sondern an dem recht uncharmanten Saal selbst und der langen und unangenehmen Anreise. In der Metro geht es schon los. Ich muß erst bis zur Station Republique fahren und dann in die stets überfüllte Linie 5 nach Bobigny Pablo Picasso umsteigen. Schwitzende Körper kleben dort auf Grund der Enge aneinander, die meisten Reisenden haben zudem schlechten Atem und sind häßlich und verpickelt. Hübsche Frauen wie in den schönen Vierteln ("les beaux quartiers") gibt es hier wenige. Es werden auch keine Designer-Handtaschen Gassi geführt und nach wohlriechendem Parfüm duftet niemand. Paris zeigt sich hier von seiner ärmeren Seite. Die glitzernde, luxuriöse Weltstadt scheint weit entfernt zu sein. Und während ich überlege, welche Lieder die Charlatans wohl heute so spielen werden, grübeln die meisten anderen in meinem Abteil wahrscheinlich darüber nach, wie sie in diesem Monat finanziell über die Runden kommen. In diesen Momenten komme ich mir ein bißchen wie ein Snob vor. Ein Snob, der sich zu anderen vergnügungsuchenden Snobs gesellt, die dann Bands zuhören, die darüber singen, wie Scheiße doch die Welt ist und wie öde und ungerecht das Leben. Alles Wohlstandskinder. Sowohl die Besucher dieser Konzerte, als auch die Bands selbst, egal wie ausgeleiert und siffig ihre Klamotten aussehen mögen. Machen wir uns nichts vor: Rock, Folk, Britpop, all diese Musikstile ziehen die gebildete Elite an, wie das Licht die Fliegen. Die Leute aus der Banlieue hören Hip Hop, oder Rap, oft auch die Mainstream-Scheiße.

Und vielen Bands, gerade aus England, nehme ich ihre Themen nicht ab. Vorstadt-Tristesse, Alkoholismus, Perspektivlosigkeit, damit kommt fast jede Band aus dem Vereinigten Königreich an. Abgedroschen und albern! Oft wirkt das nicht sehr authentisch, die Musiker zudem sehr eitel und selbstverliebt, stark auf ihre Kleidung, ihren Look, fixiert. Echte Proleten sehen anders aus. Worüber singen die Charlatans? Darüber wie grau und abstoßend es in England ist? Mal ganz ehrlich: ist mir völlig Wurst! Hauptsache man kann mitgröhlen, abtanzen und Spaß haben. Alltagsverdrängung, das ist es doch oft, was Musik ausmacht. Das Leben rosiger sehen, sich von melodischen Gitarren in luftige Höhen treiben lassen, sich einfach cooler und schöner fühlen. Und als dies in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. Gerade in England liebt man diesen kollektiven Rausch, säuft, jubelt und gröhlt gerne zusammen. Das ist beim Fußball so und bei der Musik sehr ähnlich. Nie werde ich vergessen, wie zehntausende Kehlen 2007 beim O2 Wireless-Festival im Londoner Hyde Park "Ruby, Ruby, Ruby" (Kaiser Chiefs) mitgebrüllt haben.

Nun bin ich aber heute nicht in einem Club oder Stadion in England, sondern im Pariser Trabendo. Merkt man natürlich sofort, denn im Gegensatz zu ihrer Heimat, verkaufen die Charlatans hier keine riesigen Locations in kürzester Zeit aus. Es ist sogar enttäuschend leer, vielleicht nur gut zur Hälfte gefüllt. Ohne die angereisten Briten währe es sogar noch luftiger hier. Macht aber eigentlich nichts, denn so habe ich wenigstens mehr Platz als sonst und kann mich in aller Ruhe ganz vorne hinstellen. Tim Burgess, der schwarzhaarige Sänger der Charlatans, ist mir somit ganz nahe. Nicht, daß mir das sonderlich wichtig wäre, aber ich habe das angenehme Gefühl "mittendrin" (statt nur dabei) zu sein. Los geht es gleich mit einem neuen Stück, "You Cross My Path", einem schnellen, nach vorne gallopierenden Stück, das gleich klarmacht, daß heute keine Zeit für Balladen und Trübsinn ist. Der Sound ist schwer und hochdynamisch und es ist saulaut, obwohl ich brav meine Stöpsel in den Ohren trage. Bei dem nachfolgenden "Weirdo" kommt zum ersten Mal die Orgel zum Einsatz, das recht alte Stück, das 1992 in England in den Top 20 landete, klingt nach dem typischen Madchester- Kram der in dieser Zeit sehr populär war. Tanzbare Passagen hatte damals die Gitarren-Musik mächtig aufgewirbelt. Das nachfolgende "Tellin’ Stories" hingegen hätte auch von Oasis stammen können, genau wie "Mistakes" danach. Witzigerweise sieht auch der Gitarrist aus, als sei er einer der Gallagher-Brüder, gleiche ausgefranste Frisur, ähnliche Gestik und Klamotten. Aber das Hauptaugenmerk gilt natürlich wie immer dem Sänger, obwohl der schaltragende Bassist Martin Blunt die Band ursrünglich gegründet hat (dies behauptet zumindest Wikipedia). Tim Burgess ist aber auch wirklich der hübscheste der Band, mit seinem pechschwarzen Pilzkopf, der Skinny-Jeans und der engen, dunklen Anzugs-Weste die er über einem T-Shirt trägt. Ein wenig selbstverliebt wirkt er, was ihm das Charisma eines selbstbewußten Mannes verleiht. Auffällig ist sein Zungenspiel, manchmal habe ich das Gefühl, er wolle seinem Mikro einen Zungenkuss geben, dermaßen läßt er den Lappen rollen. Fast wie Britney Spears bei "Baby One More Time"…

Aber man sollte auch den Drummer Jon Brookes erwähnen. Der ist mit seinen strähnigen Haaren und dem bleichen Gesicht zwar häßlich wie ein Gespenst, dafür aber dynamisch und sehr wichtig für den typisch-zackigen Charlatans-Sound. Wesentliches Stil- Element ist aber immer wieder die Orgel und die Keyboards, die geben dem Ganzen den tanzbaren Charakter, das Baggy-hafte. À Propos Tanzen: eine Engländerin hinter mir flippt während des ganzen Konzerts regelrecht aus und benutzt meine Schulter dazu, sich noch höher in die Luft zu katapultieren. Sie rempelt mich bewußt an, flirtet, will mich auch aus der Reserve locken. Wahrscheinlich hält sie mich für einen reservierten Franzosen. Ich will ihr das Gegenteil beweisen, gehe zu dem Hit "The Only One I Know" auch ab wie ein Wilder, obwohl ich nicht auf die Britin stehe. Mir gefällt die junge Französin vor mir viel besser, aber auf die ist auch schon Tim Burgess scharf. Er zwinkert ihr oft zu, gibt ihr sogar urplötzlich die Hand. Wow, Rockstar müßte man sein! Aber egal, ich bin verheiratet und treu (mangels Gelegenheiten wie meine Frau zynisch behauptet).

Fast ohne Pausen nimmt das Konzert seinen Gang, viel geredet wird nicht zwischen den Stücken, mal davon abgesehen, daß Tim erwähnt, daß er froh ist, nach so langer Zeit endlich mal wieder in Paris singen zu dürfen. Die Freunde ist auch ganz auf meiner Seite, denn es gibt im gesamten Set keinen einzigen Ausfall. Besonders schön: das balladenhafte und leicht psychedelische "Architect", zu dem Tim auf einer kleinen Melodica spielt. Als herausragend empfinde ich zudem "You’re So Pretty" (mit integrierter "Fade To Grey" Passage, super!), welches man auch auf der Singles Kollektion "Forever" in einer Remix-Version finden kann. Schade, daß dann nach circa. 1 Stunde und 10 Minuten scheinbar schon wieder Schluß ist, passenderweise mit "This Is The End".

Die Charlatans haben aber noch jede Menge Lust weiterzuspielen. Großzügige vier Zugaben werden gewährt und die Konzertdauer verlängert sich noch einmal glatt um mindestens zwanzig kurzweilige Minuten, mit einem genialen "Sproston Green" zum krönenden Abschluß.

Es hatte sich also auf jeden Fall gelohnt, ins ungeliebte Trabendo zu pilgern, die Charlatans sind nach wie vor eine großartige Band. Seht sie Euch in Deutschland unbedingt an!


Setlist:

01: You Cross My Path
02: Weirdo
03: Tellin’ Stories
04: Mistakes
05: Black ‘n Blue Eyes ( laut getippter Setliste, eigentlich Blackened Blue Eyes)
06: North Country Boy
07: Bad Days
08: One To Another
09: The Only One I Know
10: Oh Vanity
11: Architect
12: Here Comes A Soul Saver
13: Bird
14: You’ re So Pretty
15: Misbegotten
16: This Is The End
17: Love Is The Key (Z)
18: A Day For Lettin’ Go (Z)
19: How High (Z)
20: Sproston Green (Z)

Konzertdauer: 90 Minuten

Autor : Oliver (http://meinzuhausemeinblog.blogspot.com/).

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