Im Vergleich zu den vorherigen Malen erschien die Zusammenstellung der drei aufspielenden Bands in diesem Jahr ganz besonders provokant und schräg, denn man hatte heuer Juno Reactor aus Großbritannien und die slowenische Kultband Laibach im Gepäck. Der Abend begann pünktlich, ganz nach Zeitplan, mit Juno Reactor. Ein Name, der vielen bislang wahrscheinlich noch nicht allzu geläufig ist, aber stark daran arbeitet, seinen Bekanntheitsgrad merklich aufzupolieren.
Offiziell handelt es sich bei Juno Reactor um ein Projekt von Ben Watkins, der die Band als eine temporäre Zusammenstellung sieht, es gibt keine Bandmitglieder im eigentlichen Sinne. Während er in der Vergangenheit mit japanischen Musikern spielte, sind es derzeit karibische Voodoo-Tänzer. Den Anfang bereitet allerdings eine dralle Sängerin im pinkfarbenen Abendkleid und 80er Wave-Frisur, die zu spanischen Akustik-Gitarrenklängen fast operndivamäßig trällert, während neben ihr ein äußerst durchtrainierter Voodoo-Tänzer im poppigen Baströckchen seine ausgefallenen Tanzeinlagen präsentiert. Im Hintergrund halten sich dabei zunächst Ben Watkins an seinem Keyboard und der Schlagzeuger auf.
Die Hauptrolle der Vocals übernimmt ab dem zweiten Stück Ghetto Priest, ein bis auf seine Statur an Maxi Jazz (Faithless) erinnernder Sänger, der mit Piloten-Lederkappe, oranger Skibrille und komplettem Goldgebiss aufwarten kann! Sehr beeindruckend und fast charismatisch sind Mimik und Gestik zu abgefahrenem Sprechgesang à la Faithless. Die Musik erscheint etwas aggressiver, wenn Ben Watkins das Keyboard gegen seine Gitarre tauscht. Es ist jede Menge Aktion auf der Bühne, während der eindringliche Gesang des Piloten leider zunächst nur 400-500 pünktlich erschienene Gäste hypnotisieren kann. Die sehr witzige Performance, gepaart mit völlig abwechslungsreicher Goa Musik, bleibt den übrigen Gästen, die erst ab Laibach eintrudeln leider vorenthalten. Juno Reactor sollte man sich merken und beim nächsten Mal besser pünktlich sein!
Kurz vor acht tritt Laibach auf. Was allein schon Juno Reactor und Laibach bewogen hat, miteinander auf eine weitere ?Heaven and Hell?-Tour zu gehen, erschließt sich mir bis zum Ende des Konzertes nicht mehr. Wahrscheinlich muss man ja auch alles, was nicht passen will als ?bewusste Provokation? bewerten, wie beispielsweise das martialische Gehabe der Band. Eine kleine Anzahl von Fans in Uniformen oder uniformähnlichen Klamotten lässt sich im Publikum ausmachen und fällt unter den New Model Army Fans so sehr auf, wie ein bunter Hund. Erfreulicher Weise bleiben unschöne Szenen bei den Fans trotz des optischen Gegensatzes jedenfalls aus. Laibach schlagen in eine ganz andere Kerbe als Juno Reactor und wirken insbesondere zu Beginn im Vergleich fast antiquiert, was durch die Clips aus Metropolis, die im Hintergrund mit wahnsinnig tiefsinnigen Phrasen ablaufen, noch unterstrichen wird. Schade, ich persönlich hätte Metropolis lieber gesehen.
Nein, die Slowenen machen es dem Rockpublikum am heutigen Abend alles andere als einfach und nur ihre Fans können hier wohl nachempfinden, was Laibach abliefern. Selten war der Ausdruck ?polarisieren? wohl so perfekt umgesetzt und viele wenden sich gerade in den ersten, sehr ruhigen vierzig Minuten des Sets dem Geschehen auf der Bühne ab. Daran kann noch nicht mal die recht attraktive Mina Spila etwas ändern, die hin und wieder mit ihrem Megaphon über die Bühne tänzelt. Bezeichnender Weise erhält der Auftritt erst mit dem DAF-Cover ?Alle gegen Alle? etwas an Fahrt. Es folgen dann noch einige wenige ältere und verhältnismäßig schnellere Stücke, darunter ?Tanz Mit Laibach?, die Coverversion ?Life ist Life? ist hingegen nicht dabei und sollte sie auf der Setliste gestanden haben, kam sie womöglich aus Zeitgründen nicht mehr dran, weil sich die anderen Stücke zuvor für viele wohl wie Kaugummi gezogen hatten. Ein Auftritt der sicher im Nachhinein für viel Gesprächsstoff bei den Anwesenden geführt haben wird und vielfach wird es auch gerade bei einem Publikum, dem Laibach zuvor fremd waren, zu schweren Diskussionen gekommen sein, ob die gebotene Manifestation überspannte Parodie oder politische Aussage war. Hier soll sich jeder selbst ein Bild machen. Auch in unserem ?Team? gab?s hier unterschiedliche Auffassungen, auch was die Qualität des Auftritts angeht 😉
Fast unverzeihliche 3 Minuten zu spät traten dann NMA auf. Man muss hier wieder einmal die sehr professionelle Abwicklung der Konzerte im Palladium loben, die gesamte Logistik war einwandfrei und wäre auch bei anderen Veranstaltungsorten ähnlich wünschenswert. Justin Sullivans fehlender Schneidezahn war vor mehr als 20 Jahren wohl das Zeichen für die Punkbewegung der Arbeiterklasse, ähnlich wie bei Shane MacGowan (Pogues). Viel hat sich seit jener Zeit zum Glück musikalisch nicht verändert! Die Stimme klingt nach knapp 30 Jahren immer noch wie am ersten Tag! Vielleicht sind die neueren Stücke etwas, kaum merkbar, langsamer geworden und vielleicht klingen die Gitarren nicht mehr so aggressiv laut, aber wahrscheinlich liegt dies auch nur an der leicht verblassten Erinnerung. NMA spielen mehr als zwei Stunden lang ein absolut eindrucksvolles Konzert. Brot und Butter und irgendwie wird man heute nicht satt und hat auch gar keinen Appetit auf Aufschnitt und Käse!
Der Auftritt scheint genau zweigeteilt. Nach der ersten Hälfte, die sich mehr den neueren Stücken der letzten Scheiben widmet, weißt Sullivan auf die langjährige Tradition hin, um Weihnachten herum im Palladium in Köln zu spielen. Im nächsten Jahr, wenn diese Tradition weitergeführt wird, wird das 30jährige Bandbestehen gefeiert. Dies soll dann nur mit alten und bekannten Stücken geschehen. Gejohle im Publikum brauste auf, bevor Justin dieses mit dem Hinweis auf das nächste Jahr wieder zur Ordnung ruft! Dennoch folgt nach ca. der Hälfte des Konzerts die Stunde der Klassiker, eingeläutet durch ?White Coats?! Die Bewegung in der Menge steigt noch einmal deutlich an und es ist klar, mindestens 90% der gefüllten Halle sind eingefleischte Army-Fans!
In einer Zugaben-Pause beruhigt Sullivan die Gäste, die nach dem (humoristischen) Hinweis auf riesige Schneemassen vor der Halle etwas irritiert gucken, mit dem Kommentar, er hätte ca. 240 Stücke am Start und könnte gut und gerne bis Mitte Januar durchspielen? Ein sehr sympathischer Kerl, der wie seine Band während des Konzerts alles gibt.
Beeindruckend auch die Klassiker in den Zugaben wie ?51st State? oder ?Green&Grey?. Bei letzterem kommt auch wieder die ziemlich coole Lightshow zur Geltung und der aus den Vorjahren schon bekannte ?Schulternbesteiger? steht in der Mitte des Publikums auf den Schultern seines Kumpels und damit auf gleicher Höhe wie die Band, allerdings mit einem Abstand von ca. 15m. Seine wirren Gesten unterstreichen die Songtexte noch weiter. Sehr beeindruckend, weil der Kerl nicht der Kleinste ist und die Aktion wie immer ziemlich stimmig zum Gesamtkonzert passt. Lange aushalten musste sein Kumpel dann aber nicht mehr. Nach einer weiteren Zugabe und traditionell mit dem Hit ?I Love The World? endet der Abend gebührend nach über 2:05 Stunden Spielzeit. Ein sehr geiles Konzert, das die Gesamtdauer von ca. 6,5 Stunden dennoch ziemlich kurz erscheinen ließ! Den Termin fürs nächste Jahr sollte man sich vielleicht besser jetzt schon mal blocken, auch wir werden dann wieder dabei sein!
Setlist:
01. States Radio
02. Get Me Out
03. The Charge
04. Bad Harvest
05. Mambo Queen
06. Peace Is Only
07. Today is a Good Day
08. Disappeared
09. High
10. One of the Chosen
11. Autumn
12. White Coats
13. Lurhstaap
14. Vagabonds
15. Wired
16. Wonderful Way To Go
17. La Push (Z)
18. 225 (Z)
19. 51st State (Z)
20. No Rest (ZZ)
21. Green And Grey (ZZ)
22. I Love The World (ZZ)
Bilder des Konzerts befinden sich in unserer Concert-Pictures Sektion (für Bildkommentare muss man aus Spamverhinderungsgründen leider angemeldet sein) oder direkt hier durch Anklicken des jeweiligen Bandfotos:
Autor: Stefan Voigt
Fotos: Michael Gamon