Freitag, 20. Juni
Schon beim Betreten des Geländes liegt an diesem Freitag das typische Hurricane-Flair in der Luft: staubige Wege, strahlende Sonne, verschwitzte Menschen mit großen Rucksäcken, Bierdosen und Neon-Sonnenbrillen. Erste Euphorie flimmert zwischen den Bühnen, als das #hurricaneswimteam in ihren Trainingsjacken gegen 15 Uhr den inoffiziellen Startschuss gibt. “Am sichersten seid ihr im Auto” schallt über die Menge, während sich vor der River Stage eine kleine, textsichere Fan-Crowd sammelt. Zu dieser Zeit war noch nicht absehbar, dass es auch 2025 wieder zu einer wetterbedingten Evakuation des Geländes kommen würde. Danach zieht Paris Paloma mit ihren warmen, melancholischen Indie-Pop-Klängen das Publikum in den Bann. Ihre Performance ist ruhig und dennoch kraftvoll.
Für Humor sorgt danach Olli Schulz auf der Forest Stage. Mit seinen Geschichten zwischen den Songs – von bizarren Polenreisen bis zu politischen Seitenhieben – sorgt er für viele Lacher und erleichtertes Aufatmen nach den intensiven Rocksets. Seine Band groovt entspannt mit und schafft ein Clubkonzert-Feeling, das am frühen Festivalabend genau richtig kommt.
Eigentlich waren Motionless In White für den frühen Abend angekündigt, mussten jedoch krankheitsbedingt absagen. Stattdessen sprangen die Leoniden ein und heizten die Menge mit tanzbarem Indie-Rock auf. Songs wie “L.O.V.E.” oder “Kids” wurden zu kollektiven Mitsingmomenten, während vorne Moshpits tobten und hinten die Leute ihre Bierbecher in die Luft streckten. Die Band wirkte wie immer positiv überdreht, versprach dem Publikum “das beste Wochenende des Jahres” und lieferte es musikalisch ab.
Biffy Clyro übernehmen später auf der Forest Stage und bringen das Hurricane auf ein neues Level. Simon Neil erscheint wie ein Fels in der Brandung, mit seiner Gitarre vor der Brust, verschwitzten Haaren und einem breiten Grinsen. Die Band liefert eine perfekte Mischung aus emotionalen Balladen und krachenden Hymnen. “Bubbles” wird lauthals mitgesungen, “Black Chandelier” treibt vielen Fans Tränen in die Augen, bevor “Many of Horror” im Abendlicht zu einem der emotionalsten Momente des Tages wird. Ihre Show ist tight, professionell und dennoch roh genug, um sich nicht glattgebügelt anzufühlen.
Als die Sonne langsam tiefer sinkt, betreten Rise Against die River Stage. Schon beim Intro wird klar, warum diese Band Festival-Legendenstatus besitzt. Ihr Set beginnt mit “Re-Education (Through Labor)” und das Publikum explodiert in einer Welle aus pogenden Menschen und fliegenden Bechern. Sänger Tim McIlrath richtet politische Worte an die Menge, spricht über globale Ungerechtigkeit und den Mut, Haltung zu zeigen. “Prayer of the Refugee” wird zu einem der lautesten Songs des Tages. Dazu feuern Pyros und Rauchfontänen, die die Energie der Menge visuell verstärken. Rise Against schaffen es, auch nach Jahrzehnten noch authentisch wütend zu klingen.
Im Anschluss betreten AnnenMayKantereit die Forest Stage. Spätestens bei “Barfuß am Klavier” wird es still, Handylichter flackern, Umarmungen und leise Mitsingstimmen füllen die Nachtluft. Das Set fühlt sich an wie ein kollektives Durchatmen nach einem Tag voller Staub, Euphorie und ungebändigter Energie.
Der Abend kulminiert schließlich bei Alligatoah. Er liefert kein klassisches Rap-Set, sondern ein inszeniertes Theaterstück mit Band, Lichtshow und skurrilen Story-Elementen. Vom Mond landet er im Büro, wechselt zwischen Zynismus, Melancholie und Humor. Sein Storytelling ist pointiert, klug und immer wieder überraschend. Besonders “Willst du” verwandelt den Platz vor der Red Stage in einen Chor aus tausenden Stimmen.
So endet der erste Festivaltag mit einer warmen Sommernacht, in der es noch lange nicht still wird. Überall auf dem Gelände hört man Gitarrengeklimper, leise Beats aus Boxen, Gläserklirren und das sanfte Murmeln tausender Menschen, die für ein paar Tage alles andere vergessen.
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Samstag, 21. Juni
Der Samstag beginnt früh, mit schweren Augen und müden Beinen vom Vortag, doch kaum steht man vor dem Zelt und streckt sich in der Morgensonne, kehrt die Vorfreude zurück. Die Staubschicht auf den Schuhen wird heute dicker, der Sonnenbrand röter. Ein sanfter Wind streicht über die Campingplätze, wo schon vor elf die ersten Dosenbiere geöffnet werden. Aus allen Richtungen hallt Musik von Bluetooth-Boxen: Electric Callboy, Green Day, Rise Against, gemischt mit Ballermann-Hits und Deutschrap. Hurricane eben.
Auf den Bühnen eröffnet Luisa Neubauer mit einer Mischung aus Vortrag und Lesung zu Klimathemen den Tag. Kurz darauf entern Scheiba die River Stage. Die Darmstädter Band hatte mittels Fan-Entscheidung per Online-Voting den begehrten Slot auf dem Hurricane Festival ergattern können.
Lotta und Nina Kummer von Blond betreten in bunten Outfits und mit gewohnter Selbstironie die Forest Stage. Ihr Set ist ein Ritt durch Synthie-Pop, 80s-Anklänge und viel Humor. Spätestens bei “Männer” tanzt mindestens der komplette Bereich vor dem Wellenbrecher. Dazwischen thematisieren sie unter anderem Alltagssexismus und geben so nicht nur ein Konzert, sondern ein empowerndes Happening, das lange nachwirkt.
Später am Tag betreten Jimmy Eat World die Forest Stage und katapultieren das Publikum direkt in die Jugendzimmer der 2000er. “The Middle” reißt alle mit, selbst diejenigen, die sich vorher noch auf dem Boden ausgeruht haben, springen auf und schreien jeden Refrain mit geschlossenen Augen in den Himmel. Die Band spielt routiniert, aber voller Spielfreude, und schafft es, ein kollektives Gefühl von Nostalgie ohne Kitsch zu erzeugen.
Kurz darauf folgt ein Highlight für viele: Deftones. Die kalifornischen Alternative-Metaller betreten die Bühne, Chino Moreno wirkt konzentriert, fast entrückt. Ihr Sound ist wuchtig, schwer, melancholisch – “My Own Summer (Shove It)” und “Change (In The House Of Flies)” klingen wie eine Lawine, die sich über das staubige Gelände wälzt. Zwischen den Songs spricht Moreno wenig, lässt lieber die Musik sprechen, während die Fans in den vorderen Reihen jedes Wort mitsingen.
Als die Sonne untergeht, bereiten sich viele auf die nächste Eskalationsstufe vor. Electric Callboy spielen auf der Red Stage und bieten ein Feuerwerk aus Pyrotechnik, absurden Videos, Eurodance-Synths und Metalcore-Breakdowns. Es ist eine Show, die weniger Konzert als eine einzige gigantische Party ist. Moshpits öffnen sich, Circle Pits kreisen in einer Geschwindigkeit, die Staubfontänen meterhoch aufwirbeln. Sänger Nico sagt lachend, dass er bei jedem Hurricane wieder denkt, er werde hier sterben – entweder an Euphorie oder Staublunge.
Nach dieser kollektiven Extase folgt der nächste energetische Höhepunkt. The Prodigy liefern ein Set aus wummernden Beats, rasenden Breaks und brennenden Synthlines. Die Laser durchschneiden die staubige Nachtluft, der Bass ist so tief, dass er Brustkörbe vibrieren lässt. “Firestarter” und “Breathe” treiben die Menge endgültig in den Wahnsinn. Die Show ist laut, schweißtreibend und kompromisslos. Liam Howlett steht breitbeinig am Synthrack, während MC Maxim das Publikum unermüdlich anpeitscht. Für viele wird dieser Auftritt der Rave ihres Jahres.
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Sonntag, 22. Juni
Der Sonntag erwacht in Scheeßel in einer Hitzewelle, die das Festivalgelände erneut in eine Staubwüste verwandelt. Bereits am Morgen ist das Thermometer auf über 30°C gestiegen, was die Besucher zwingt, Schatten zu suchen, Wasser zu trinken und sich zu verlangsamen. Doch am Eichenring liegt heute eine besondere Energie in der Luft – ein Mix aus melancholischer Abschiedsstimmung und dem unbändigen Willen nach dem letzten, großen Festivalmoment.
Während sich das Gelände immer mehr füllt, spielen Kadavar auf der River Stage ihren staubtrockenen Retro-Stoner-Rock. Lange Haare wirbeln, der Bass wummert, das Schlagzeug hämmert treibend durch den heißen Nachmittag. Sie wirken wie eine Zeitreise in die 70er, puristisch und heavy.
Im Laufe des Nachmittags ziehen dann internationale und heimische Acts für ein Publikum, das zwischen Müdigkeit und Vorfreude pendelt: Nina Chuba zeigt auf der River Stage, wie Pop mit Haltung funktioniert, während Amyl & the Sniffers mit roher Punk-Energie und direkten Ansagen eine Explosion im Moshpit provozieren.
Am frühen Abend steigt Jan Böhmermann mitsamt dem Rundfunktanzorchester Ehrenfeld auf die Forest Stage – auf einem E-Scooter, in Poncho und mit politischem Grinsen. Zwischen satirischen Covern und antikriegspolitischen Aussagen entsteht ein Auftritt, der heraussticht und noch lange nachhallt.
Fast im gleichen Moment ziehen dunkle Wolken auf. Leichtes Donnergrollen wächst zum lauten Wetteralarm an – Regen, Wind und Blitze drohen, das Festival abrupt zu beenden. Um circa 20:45 Uhr, kurz nach dem Auftrittsbeginn von SDP, erklang die Durchsage: alle Besucher sollten sich sofort in ihre Autos begeben. Zehntausende folgen den Anweisungen; Warnblinkanlagen signalisieren Hilfsbereitschaft untereinander.
Nach rund zwei Stunden Sicherheitsunterbrechung kehrt Ruhe ein, das Unwetter zieht weiter, und das Festival geht tatsächlich weiter – SDP spielen ihr Set zu Ende, gefolgt von Green Day, die mit “American Idiot”, energiegeladenen Riffs und bewussten politischen Statements gegen Trump und weltweite Spannungen beginnen.
Es ist das fulminante Finale eines großartigen und schweißtreibendenden Festivals mit einem breit gemischten Line-Up von Pop bis Metal und von Rap bis Elektro. Man darf gespannt sein, was das Hurricane Team für 2026 zum 30. Jubiläum wieder an Hochkarätern präsentieren wird.
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Weblinks HURRICANE:
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