Die Einstürzenden Neubauten und das Kölner E-Werk – es ist eine enge Beziehung. Seit den Alles wieder offen-Tagen (da reden wir nun von einer Zeitspanne von fast 20 Jahren) spielt die Berliner Formation bei jeder regulären Album-Tour in dem Traditionsvenue auf der Schanzenstraße. Doch nicht immer reagierte das Publikum in der Domstadt so freundlich auf die Industrial-Avantgardisten. “Unser erster Auftritt in Köln war noch im Stollwerck. Da haben sie versucht, Mark Chung den Bass zu stehlen, wir haben auf dem Boden der Location geschlafen, weil uns die vor der Tür wartenden Punks verprügeln wollten. Auch weil N.U. Unruh ein Regenbogenbild schwarz übersprühte, mit den Worten “Das Leben ist nicht bunt”. Aber hey, nichts gegen Regenbogen, der hatte damals nur noch eine ganz andere Konnotation“, erzählte Blixa Bargeld an diesem Samstagabend im ausverkauften E-Werk. Man könnte ihm stundenlang zuhören, dem 65-jährigen Frontmann, wenn er Anekdoten aus den wilden Frühzeiten der langen Neubauten-Historie hervorholt. An seiner Stimme kleben die rund 2500 Fans aber natürlich nicht nur zwischen, sondern vor allem auch während der 18 gespielten Songs. Sein Timbre ist immer noch völlig unverwechselbar, die Akzentuierung sitzt, ob laut, ob leise, ob sprechend, singend oder schrill kieksend. Kleine optische Akzente setzt der glitzernde Lidschatten, später auch ein schwarz funkelndes Schulter-Federnkleid.
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Musikalisch blieben Überraschungen aus. Das Gros der rund 110 Minuten spickte sich aus der aktuellen Platte Rampen (APM: Alien Pop Music) und dem Vorgänger Alles in allem. Mit Pestalozzi und Ist Ist standen zwei Höhepunkte der neuen LP ganz am Anfang. “Tatsächlich nahm ‘Ist Ist’ hier seinen Ursprung“, erwähnte Blixa. “Vor zwei Jahren spielten wir das als Rampen-Improvisation hier“, erinnerte er sich.
Bei diesem Stück glänzt vor allem der mächtig brummelnde Bass von Alexander Hacke. Er bewegt sich über das gesamte Konzert mit seinem Instrument so lasziv, ja regelrecht sexy, wie man es von 58-jährigen Bühnenmusikern seltenst sieht. Auffällig oft sucht vor allem Live-Keyboarder Felix Gebhard den Blickkontakt zu ihm, es entsteht bei genauerer Betrachtung das Gefühl, dass Hacke das Bandmitglied ist, das den Laden “musikalisch zusammenhält”. Lediglich einen hörbaren Fehler leistet sich Bargeld, der nach dem Break von Die Befindlichkeit des Landes zu spät einsetzt und sich mit einer entsprechenden Geste auch sofort dafür entschuldigt. 2024 sind die Einstürzenden Neubauten eine Maschine, die weitaus besser geölt ist als so manch blechernes Instrumentarium, das bei ihnen auf der Bühne steht. Zum Beispiel darf ein uralter Einkaufswagen als Percussion-Hilfsmittel nicht fehlen. “Das ist noch ein Exemplar aus den 80ern“, erklärte Bargeld. “Nachdem wir ungefähr eine Million Mal Zerstörte Zelle im Hamburger Schauspielhaus unter Peter Zadek gespielt haben, waren wir ihm überdrüssig. Jetzt wollte er aber auf seine alten Tage nochmal auf Tour gehen und reist mit uns um die Welt“. Wieder so eine dieser herrlich lakonischen Zwischenansagen.
So richtig euphorisch reagiert das Publikum nach dem Silence Is Sexy-Dreierpack in der Mitte des Konzerts. Sabrina hat nach 24 Jahren nichts von seiner verträumten Schönheit verloren, der Groove von Die Befindlichkeit des Landes bleibt unerreicht und das Ende von Sonnenbarke gehört ohnehin zu den magischsten Momenten der Bandgeschichte. “Komm mit komm mit komm mit komm mit komm mit mir!” – Joa, sehr gerne doch! Den tosenden Jubel kommentierte Bargeld mit einem charmant-berlinerischen “Dit war jut, oder?” Jep, war et!
Wenig später widmete sich der Frontmann einem sehr persönlichen Thema: Wer Rampen (APM: Alien Pop Music) ausgiebig gehört und die dazu gegebenen Interviews gründlich gelesen hat, wird mitbekommen haben, dass sich Bargeld für die Stücke Trilobiten und Gesundbrunnen von seinem Kind hat inspirieren lassen. Dies erklärte er knapp und ohne politischen Zeigefinger nochmal vor der Live-Darbietung der Songs: “Mein Kind ist vor 16 Jahren geboren worden als Tochter und ist jetzt mein Sohn“. Dankenswerterweise folgte leiser Jubel und keine dämlich-menschenverachtenden Zwischenrufe.
Einen letzten Schwank gab Bargeld dann noch vor Besser Isses zum Besten. Patricia Kaas, die berühmte Chansonnette, fragte ihn vor Jahren, ob er ihr nicht ein Stück schreiben könnte. Er dachte an einen Break-up-Song – denn das sei “ja jetzt modern“, gab er in Köln zu Protokoll. Lyrisch hielt er das Ganze in seiner Kernaussage so simpel wie möglich: “Ich ohne dich, du ohne mich – besser isses!” Die textliche Grundlage für einen der besten neuen Songs, der es auf dieser Tournee leider nicht an jedem Abend ins Set schafft. Im Gegensatz dazu sind die abschließenden Everything Will Be Fine und Susej fest dabei. Unter lautem Applaus verließen die Einstürzenden Neubauten danach die Bühne, es war nicht mal 22 Uhr.
Was als Eindruck zurückbleibt: Bohrmaschine, Sägen und die daraus resultierenden Krachattacken – das war einmal. Heute gibt sich die Schlagwerk-Fraktion, bestehend aus N.U. Unruh und Rudolf Moser, mit Stangen, Rohren, leeren Kanistern, Luftdruckpistolen und Schläuchen zufrieden – alles immer noch einmalig, alles immer noch faszinierend für Augen und Ohren, die man auch nicht mehr mit Stöpseln vor zu hoher Lautstärke schützen muss. Nur wer gerne im Krach der frühen Werke gebadet hätte, wird vielleicht enttäuscht nach Hause gegangen sein. Kein einziger Song aus dem alten Jahrtausend stand auf der Setlist, und dies nun schon auf der zweiten Tournee in Folge. Es scheint so, als hätten die Neubauten keine Lust mehr auf ihre Haus der Lüges, Yü-Gungs oder Headcleaners – was bei aller zweifellos weiterhin vorhandenen Qualität der aktuelleren Werke wahrlich schade ist. Wir kommen trotzdem auch in Zukunft wieder mit auf die Sonnenbarke …
Setlist EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN – Köln, E-Werk (14.09.2024)
01. Pestalozzi
02. Ist Ist
03. Wedding
04. Grazer Damm
05. Isso Isso
06. Möbliertes Lied
07. Sabrina
08. Die Befindlichkeit des Landes
09. Sonnenbarke
10. Seven Screws
11. Trilobiten
12. Gesundbrunnen
13. How Did I Die?
14. Ten Grand Goldie (Z)
15. Alles in allem (Z)
16. Besser Isses (Z)
17. Everything Will Be Fine (Z)
18. Susej (ZZ)
Weblinks EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN
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