MERA LUNA 2024: Samstag – Flugplatz Drispenstedt (10.08.2024)

MERA LUNA 2024: Samstag - Flugplatz Drispenstedt (10.08.2024)
ASP - M'era Luna © Sandro Griesbach
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So voll war es auf dem Flugplatz Drispenstedt zu Hildesheim schon lange nicht mehr. „Ausverkauft“ vermeldete Veranstalter FKP Scorpio wenige Tage vor der 2024er-Ausgabe des Mera Luna. Wer anreiste, sollte nicht enttäuscht werden – es sei denn, man war bevorzugt wegen einer bestimmten Elektro-Band anwesend. Doch dazu später mehr.

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Der Auftakt bei herrlich sonnigem Wetter: elektronisch und in kurzen Häppchen. Dass die Opener beim Mera Luna traditionell lediglich 20 Minuten spielen dürfen, mag fragwürdig sein. Re.Mind, eine der Gewinner-Bands des Sonic-Seducer-„Battle of the-Bands“-Contest, machten aber das beste draus, eröffneten mit klassischem 80er-Synthie-Sounds und eingängigen Melodien. Die etwas quäkige Stimme ist allerdings absolute Geschmackssache. Steril lieferten auf der Club Stage mit viel Energie weitaus härtere, EBM-lastigere Töne ab, darauf folgten die seit einigen Jahren auf Szene-Festivals omnipräsenten Rroyce mit ihren kleinen, aber feinen Synthie-Pop-Hymnen plus dezentem Gitarreneinsatz. Deutlich gitarrenlastiger hingegen Schwarzer Engel, die unter anderem dank Götterfunken, ihrer Metal-Version von Beethovens Neunter, den einen oder anderen Neugierigen vor die Mainstage locken konnten.

Überhaupt war die Hauptbühne zu großen Teilen von dicken Riffs dominiert. Hell Boulevard verzichteten auf eine Werbeveranstaltung für ihr erst im März erschienenes Album Requiem und verließen sich bevorzugt auf die Hits ihres zweiten und besten Albums In Black We Trust. Zero Fucks Given, Satan In Wonderland, Dead Valentine und das Titelstück sorgten für kräftige Stimmungsausreißer nach oben. Sänger Matteo „vDiva“ Fabbiani setzte mit einem 90er-Chicago Bulls-Trikot von Dennis Rodman dabei auch einen interessanten optischen Akzent. Unter der schwarzen Lederjacke, versteht sich. Dabei war es für derart viel Bekleidung eigentlich viel zu warm. Sonnencreme, Kopfbedeckungen und Regenschirme waren an diesem Wochenende die mit wichtigsten Utensilien, die Trinkwasserstellen gehörten zu den beliebtesten Stellen auf dem Gelände. Und wer dachte, dass man unter der großen Plane vor der Club Stage ein wenig Sonnenschutz findet, täuschte sich. Denn bei dem ewig hämmernden Fäkalsprachen-Aggrotech von Centhron war es dort schon proppevoll, in die Schatten spendende Mitte gab es nach Beginn des Auftritts kein Durchkommen.

Mit vokaler Härte (lies: ordentlich Growls) kamen auch Lacrimas Profundere daher. Die wurden von vDiva zuvor schon angepriesen. Wenig verwunderlich: Beide Bands spielen im Dezember zusammen in Leipzig und Hamburg zwei Shows, zum 10. Geburtstag von Hell Boulevard. „Kommt bitte vorbei, und wenn nicht für uns, dann für Lacrimas Profundere“, bat er das Publikum – nach der vor Kraft strotzenden Performance dürften einige Fans dem folgen. In ganz andere Sphären, musikalisch wie visuell, entführten die Weltraum-Fans S.P.O.C.K. ihr Publikum mit Hits aus mehr als 30 Jahren. Fast ähnlich alt sind die Klassiker von Megaherz aus der (Co-)Feder von Alexander Wesselsky, der neben seiner Hauptband Eisbrecher mittlerweile regelmäßig auch mit dem Projekt Die Herren Wesselsky auf den einschlägigen Festivals zu sehen ist. 2025 steht auch eine erste Clubtour mit den Songs der klassischen Alben wie Kopfschuss, Herzwerk oder Himmelfahrt an. „Ich werde bis dahin üben, versprochen“, kündigte der charismatische Frontmann an, nachdem er sich beim Kurzauftritt beim Mera Luna an einer Stelle nicht ganz so textsicher präsentierte. Aber einem wie ihm sei das ohnehin verziehen. Wenig später brachte er alle wieder zum Schmunzeln, als er vor dem Midtempo-Song Himmelfahrt die Fans bat, „ihre Feuerzeuge rauszuholen“. Joa, kann man bei 26 Grad und strahlend blauen Himmel zur Mittagszeit mal machen – hat nur nicht ganz so den gewünschten optischen Effekt. Spaß gemacht hat’s trotzdem.

In eine ziemlich ähnliche musikalische Kerbe schlagen bekanntlich Oomph!. Nun erstmals in Hildesheim mit Daniel Schulz (Ex-Unzucht) anstelle eines wiedergeborenen Christen mit Nähe zu fantasievollen bis menschenverachtenden Verschwörungstheorien am Start, gab es bevorzugt die Hits aus der kommerziell erfolgreichsten Ära der Gruppe auf die Ohren. Lediglich ein 90er-Klassiker war mit Gekreuzigt dabei – das dürfte sich bei der 35-Jahre-Jubiläums-Tournee im Herbst sicher ändern. So oder so: Die Herren aus der niedersächsischen Umgebung lieferten bei ihrem Beinahe-Heimspiel perfekten Festival-Dienst nach Vorschrift, bei Chart-Hits wie Augen auf!, Gott ist ein Popstar oder Labyrinth gehen eben doch immer viele freudig mit. Die Schulz-typische „Macht mal Krach!“-Aufforderung wurde jedenfalls lautstark erwidert. Zu Gekreuzigt verschlug es ihn gar auf die Hände des Publikums – dabei besteht vor Ort doch eigentlich absolutes Crowdsurfing-Verbot. Tststs …

Am späten Nachmittag geriet die Festival-Maschinerie allerdings ein wenig ins Stocken. Bei den englischen Genre-Wandlern The Cassandra Complex um den ewig verlässlich abliefernden Rodney Orpheus lief noch alles glatt, dann aber: Stille. Wer Funker Vogt sehen wollte, kam vergebens. Ein Netzwerkfehler in der Technik sorgte für einen kompletten Blackout. “Direkt zur Showtime hat das Pult versagt!“, konstatierte die Band auf ihrer Facebook-Präsenz. Bitter, jedoch dürfen Funker Vogt ihre Show 2025 nachholen, dies steht bereits fest. Eben jener erwähnter Netzwerkfehler sorgte womöglich auch an der Hauptbühne vorübergehend für ratlose Gesichter. Hämatom begannen ihren Auftritt nämlich 15 Minuten später als angekündigt. Damit jedoch nicht genug der „Häää?“-Momente. Im Anschluss an die Wartezeit kam eine Person im Einhorn-Kostüm auf die Bühne und erklärte einige Verhaltensregeln für Hämatom-Konzerte. Eine durchaus witzige Auflockerung des sonst so schwarzen Treibens. Generell waren über den Tag mehrere Besucher in den knalligen Einhorn-Bandshirts zu erspähen, die kräftige pinke Farbtupfer im weiten schwarzen Rund setzten. Bei der Performance pfefferten die Franken, nun mit Gitarristin Annika „Rose“ Jaschke im Line-up, dann wieder aus allen Rohren: Wir sind Gott, Gott muss ein Arschloch sein oder das Marteria-Cover Kids – da blieben wenig Wünsche offen. Übrigens feiern auch Hämatom bald Jubiläum – am 30. und 31. August mit einem zweitägigen Festival im Gelsenkirchener Amphitheater und namhaften Special Guests wie Beast In Black oder Knorkator.

Was auf dem diesjährigen Mera Luna leider einmal mehr völlig unterrepräsentiert war: die zurzeit so populäre Dark-/Cold-Wave-Ecke. Lediglich She Past Away durften ran, zogen gleich auch kräftig junges Publikum vor die Club Stage, das diese Szene so dringend braucht. Neben Hits wie Durdu Dünya, Katarsis, Ritüel oder Kasvetli Kutlama spielte das türkische Duo auch zwei neue Songs. Eine frische Veröffentlichung soll einer der wenigen Zwischenansagen von Sänger Volkan Caner zufolge schon im September erscheinen – wir dürfen gespannt sein!

Eine besondere Performance hatte das Avantgarde-Duo Deine Lakaien vorbereitet. Ernst Horn und Alexander Veljanov stellten ihren Auftritt ganz ins Zeichen ihres 1991er-Albums Dark Star – Altfans durften jubilieren. „Ein Trip to Vergangenheit mit Songs from the beginning“, wie es Veljanov in feinstem Denglisch-Kauderwelsch ankündigte. So startete eine Phase an diesem Samstagabend, die einmal mehr zeigte, wie vielschichtig so ein Schwarze-Szene-Festival ist. Auf die düster-schleppende Sog-ähnliche Atmosphäre, in die das Duo seine Fans hineinzog, folgten die Spielleute von Saltatio Mortis mit Hits wie Loki und Sauf-Liedern der Güteklasse Keine Regeln. Diesmal etwas dezimiert, allerdings aus schönen Gründen: Multiinstrumentalist “Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein” wurde am Vorabend Vater – wir sagen „Herzlichen Glückwunsch!“ Das Fazit von Sänger Alea: “Wir sind dankbar wie Sau. Ihr wart dabei bis ganz hinten – das geilste Publikum seit langem!” Der objektive Beobachter kann da schwerlich widersprechen, womöglich war das der stimmungsvollste Auftritt des gesamten Wochenendes.

Wem eher der Sinn nach Elektronischem stand, konnte sich bei Assemblage 23 und Suicide Commando vergnügen. Auch hier galt: Proppevoller Bereich vor der Bühne, aktivierende Performance auf der Bühne. Allerdings kam es zur wohl schmerzlichsten Überschneidung für viele: Johan von Roy musste zeitgleich mit seinen Landsmännern von Front 242 auftreten. Deftige Moshpits gab es trotzdem bei beiden Gigs. Wer sich dafür entschied, seine Zeit gänzlich den EBM-Pionieren zu widmen, traf so oder so eine richtige Entscheidung. Bei für ein Festival unfassbar guter Akustik lieferten Richard 23, Jean-Luc De Meyer, Patrick Codenys und Drummer Tim Kroker mächtig ab. Ein Funken Wehmut war mit dabei, es war schließlich, wie Richard zwischendurch betonte, “the last open-air-festival in Germany before we black out“. Im kommenden Januar wird nach fast 45 Jahren Bandgeschichte alles vorbei sein, wenn Front 242 in Brüssel ihre letzten Konzerte überhaupt spielen werden. So galt es für viele, diese 70 Minuten so richtig zu genießen – und das funktionierte trefflich. Alte Kracher wie die unvermeidlichen Quite Unusual, Body To Body oder Welcome To Paradise, neue, noch unveröffentlichte Stücke wie Fix It und einige „Deep Cuts“ wie das endlich wieder voll ausgespielte WYHIWYG oder Red Team folgten aufeinander. Die Textzeile “We bring you happiness“ hätte zutreffender nicht sein können. Nach dem abschließenden Headhunter fragten sich viele wohl: „Warum zur Hölle hören die auf, die sind doch noch voll im Saft?” Die wahrscheinliche Antwort lautet: Sie hören auf, weil sie jetzt eben noch voll im Saft sind. Was passieren kann, wenn man als Szene-Legende den Zenit überschreitet, sehen wir ja seit Jahren leider regelmäßig bei den Sisters

Mittlerweile war es dunkel – Zeit für die Headliner. Erschreckend leer war es bei London After Midnight. Gerade wenn man bedenkt, dass die Formation um Sean Brennan wahrlich nicht allzu regelmäßig in Deutschland live zu sehen ist. Wobei: „Zu sehen“ war hier gar nicht mal so viel. Getaucht wurde die Bühne in viel schwarz, wenig pink, wenig blau und wenig lila, oft waren nur Silhouetten der Musiker präsent. Musikalisch bestachen LAM durch viele Klassiker ihrer populärsten Alben Psycho Magnet und Selected Scenes From The End Of The World, am Ende gab es mit Kiss und Sacrifice auch die populärsten Songs auf die Ohren. Das spärlich anwesende Publikum hatte jedenfalls seinen Spaß.

Ein ganz anderes Bild an der Mainstage: ASP versammelte das Groß der 25.000 Kartenkäuferinnen und -käufer. Alexander Spreng „tenorte“ sich noch ein wenig inbrünstiger als sonst durch sein Set, dass mit unter anderem Werben, Krabat, Schwarzes Blut oder Ich will brennen alle Gelegenheits-Hörerinnen und -hörer bediente. Gästinnen und Gäste gab es auch: Shir-Ran Yinon unterstützte die Band an der Violine, zu Sing Child enterte kurz vor Schluss der Chor Stimmgewalt die Bühne. „Jetzt sind wir auf der Bühne fast so viele wie davor”, witzelte der Frontmann. Mathematisch kam das, den Fans sei Dank, nicht ganz so hin, aber was soll’s. Mit Raise some hell now! endete Tag 1 des diesjährigen Mera Luna – zumindest, was den Live-Betrieb anging. Im Hangar spielten bis 5 Uhr morgens noch die DJs Ferret und Loreley, die Feuershow auf dem Mittelaltermarkt durfte natürlich auch nicht fehlen.

Apropos Hangar: Das vielfältige Rahmenprogramm soll natürlich nicht vergessen werden. Im bestuhlten Raum, der bis vor der Pandemie als zweite Bühne diente, gab es nicht nur die Chance, der unerbittlich brennenden Sonne zu entfliehen, sondern auch Vorträge, den „Ambient Paint Act“, der vor den Augen der Anwesenden mit wenigen Pinselstrichen erstaunliche Gemälde malte, sowie die traditionelle Gothic Fashion Show. Hier präsentierten sich die Labels Re-Agenz, Little Sin, Jaded Jewall (mit aufwendig gestalteten Masken), Fleurinna Wings Creations (aus dem Repertoire bedient sich beispielsweise Within-Temptation-Sängerin Sharon den Adel) sowie Joanna Gierga mit ihrer Marke „Schattengewänder“ – wer mehr erfahren will, kann sich gern den Beitrag des NDR anschauen, in dem die Designerin aus dem benachbarten Harsum kurz porträtiert wird. Für die Kreationen gab es im voll besetzten Hangar lauten Applaus – ebenso für die Poledance-Formation Lady Kitts’s Hell’s Belles. Um kurz nach Mitternacht war es dann aber Zeit fürs Bett – schließlich warteten am Sonntag weitere 19 Bands auf uns …

Den Bericht zum Samstag gibt es hier :

MERA LUNA 2024: Sonntag, Hildesheim – Flugplatz Drispenstedt (11.08.2024)

Eine Bildgalerie von der Clubstage findet Ihr hier:

Fotos: M’ERA LUNA 2024 – Bands -ClubStage- Samstag (10.08.2024)

Eine Bildgalerie von der Mainstage findet Ihr hier:

Fotos: M’ERA LUNA 2024 – Bands -MainStage- Samstag (10.08.2024)

Eine Besucher-Bildgalerie findet Ihr hier:

Fotos: M’ERA LUNA FESTIVAL 2024 – Impressionen

Eine Bildgalerie von der Gothic Fashion-Show findet Ihr hier:

Fotos: M’ERA LUNA 2024 -Modenschau- Samstag (10.08.2024)

Weblinks M’ERA LUNA:

Homepage: https://meraluna.de/
Instagram: https://www.instagram.com/meralunafstvl/

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