How Do We Want To Live? fragen Long Distance Calling auf ihrem neuen, soeben erschienenen Album. Eigentlich wollten die Münsteraner Post-Rock-Größen im März zur Verleihung des Deutschen Musikautorenpreis nach Berlin fahren. Für den waren sie nämlich erstmals nominiert. Dann wären da auch noch ein paar Festivals und natürlich die große “Seats & Sounds”-Tournee im September geplant gewesen. Corona trifft uns alle – Künstler aber besonders hart, wie uns Bassist Jan Hoffmann verriet. Natürlich ging es aber auch um die neue Platte und das Konzept dahinter – das bedenkliche Parallelen zum Ist-Zustand der Welt aufweist.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Zunächst etwas, was so gar nichts mit dem neuen Album zu tun hat: Ihr seid für den Deutschen Musikautorenpreis nominiert worden. Was bedeutet das für euch – und wieso seid ihr eigentlich in der Kategorie „Metal“ gelandet?
Wieso wir in der Kategorie “Metal” gelandet sind, ist uns auch etwas schleierhaft, aber letztendlich spielt das keine große Rolle. Wir freuen uns wahnsinnig über die Nominierung, das ist schon eine Art Ritterschlag für unser musikalisches Schaffen und insbesondere für unser lautmalerisches Songwriting. Viele Künstler sagen, Preise wären ihnen egal, aber so ganz stimmt das glaube ich nicht. Jeder freut sich insgeheim über Anerkennung und das ist auch völlig in Ordnung. Ob wir den Preis gewinnen ist dabei gar nicht so wichtig, wir freuen uns einfach dabei und ein Teil davon zu sein.
Hattet ihr geplant, der Preisverleihung beizuwohnen, bevor sie abgesagt wurde? Wisst ihr, ob da noch etwas kommt?
Genau, die Tickets nach Berlin waren schon gebucht und wir hoffen, dass es zeitnah nachgeholt werden kann. Wann das ist, wissen wir allerdings noch leider nicht. Wir drücken die Daumen, dass es dieses Jahr noch klappt.
“Gerade in dieser Zeit wollen und brauchen Menschen Kunst”
Kommen wir zum neuen Album. Was auf „How Do We Want To Live?“ auffällt, ist die recht hohe Anzahl an eingesetzten Synthies. Wie kam es dazu? Und was können Synthies/Keyboards ausdrücken/bewirken, was Gitarren vielleicht nicht können?
Es ist einfach eine andere Klangwelt und elektronische Elemente haben sich bei dem Albumthema natürlich sehr angeboten. Es war total spannend, damit zu experimentieren, das erweitert auch den musikalischen Horizont der Band und erzeugt eine Atmosphäre, die man mit klassischen Instrumenten in der Form nicht hinbekommt. Uns war aber sehr wichtig, dass die Sounds sich organisch in unseren Bandsound einfügen und keinen Fremdkörper darstellen. Ich denke, das ist uns sehr gut gelungen. Die Mischung aus Mensch und Maschine ist sehr homogen auf „How Do We Want To Live?“, was natürlich auch am fantastischen Mix von Arne Neurand liegt.
Ihr habt die Platte geschrieben, bevor die Pandemie bei uns in Europa aufschlug. Trotzdem wirken Konzept und die Film-Samples fast schon erschreckend perfekt auf die jetzige Situation abgestimmt. Zufall oder Vorahnung?
Das ist wirklich gruselig!! Das Konzept und selbst der Albumtitel standen bereits vor der Pandemie fest, aber es passt in der Tat (leider) perfekt in die aktuelle Gegenwart, das ist uns dann auch recht schnell bewusst geworden. Wir haben ja auch überlegt, wie viele andere Bands und Künstler das Album zu verschieben, aber das haben wir dann recht schnell aus diesem Grund wieder verworfen. Gerade in dieser Zeit wollen und brauchen Menschen Kunst und in unserem Fall Musik, deshalb haben wir uns dazu entschieden, die Veröffentlichung durchzuziehen.
Auf den Albumtitel und das Konzept blickend: Nennt doch mal drei Dinge oder Verhaltensweisen, mit denen ihr gerne leben würdet, die es nicht mehr oder (noch) nicht gibt.
Zunächst einmal wünsche ich mir, dass wir lernen, mehr aufeinander Rücksicht zu nehmen uns gegenseitig zu unterstützen. Das ist in einer Gesellschaft das höchste Gut. Dann sollten wir lernen, besser aus Fehlern zu lernen und uns in der Tat die Frage zu stellen: Wie wollen wir leben? Als Individuen und auch als Gesellschaft. Ich denke, wir können viel voneinander lernen, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht. Und als letztes wünsche ich mir, dass jeder sein Bestes gibt, unsere gemeinsame Zukunft so gut es geht zu gestalten, damit wir und unsere Kinder noch lange etwas von dieser Welt haben, die nichts anderes ist als ein Wunder. Und das sollte man nicht mit Füßen treten.
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Eine alte philosophische Grundfrage stellt sich heutzutage immer wieder aufs Neue, vor allem aufgrund der technischen Entwicklungen und Social Media: Haben wir überhaupt (noch) einen freien Willen?
Ja, ich glaube prinzipiell an freien Willen, allerdings wird dieser in unserer modernen Gesellschaft durchaus sehr auf die Probe gestellt. Man wird ständig beeinflusst und mit Informationen im Überfluss versorgt, das geht glaube ich nicht spurlos an einem vorbei. Es liegt an jedem selbst, was und wie viel davon man in sein Leben lässt. Darauf spielt ja auch der Albumtitel an.
Die für September geplante “Seats & Sounds”-Tournee wurde kürzlich verschoben. Wäre es, da die Konzerte ja ohnehin bestuhlt gewesen wären, nicht doch möglich gewesen, zumindest einzelne Shows bereits 2020 zu spielen?
Die aktuelle Lage ist einfach zu unsicher und das ist ja auch stark mit logistischen Dingen verknüpft. Wir haben lange mit unserer Agentur und den lokalen Veranstaltern gesprochen und uns dann für diesen schweren Schritt entschieden. Wir hoffen sehr, dass es nächstes Jahr dann klappt, drückt uns bitte fest die Daumen. Wir hatten uns wahnsinnig darauf gefreut, diese neuen Songs zu spielen und ihnen den Rahmen zu geben, den sie verdienen.
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Macht ihr euch als Band existenzielle Sorgen wegen Corona? Wie schmerzhaft ist die Tour-Verlegung?
Alles andere als ein „ja“ wäre gelogen. Die Situation stellt uns und viele andere Künstler vor eine sehr große Herausforderung. Gerade die Tour-Verlegung ist finanziell sehr schmerzhaft für uns, aber es ist eben wie es ist. Und bei alledem darf man trotzdem nicht vergessen, dass es einem Großteil der Menschen auf der Welt sehr viel schlechter geht als uns.
Was glaubt ihr: Was werden die Menschen aus der Pandemie mitnehmen, wenn sie endlich vorüber ist?
Das ist eine wirklich spannende Frage, die ich auch nicht universell beantworten kann. Ich hoffe einfach, dass sich ein paar Dinge ändern. Dass Firmenbosse sehen, dass Homeoffice doch funktionieren kann und Lebensqualität ein hohes Gut ist. Dass man sich gegenseitig unterstützt, statt zu schaden und vor allem: Dass wir alle in einem Boot sitzen und aufeinander aufpassen und uns respektieren sollten.
Termine LONG DISTANCE CALLING “Seats & Sounds”-Tour 2021
25.02.2021 Berlin, Passionskirche Kreuzberg
26.02.2021 Dresden, Ev.-Luth. Lukaskirche
27.02.2021 Leipzig, der ANKER
01.03.2021 Mannheim, Capitol
02.03.2021 Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle Club
03.03.2021 Stuttgart, Liederhalle Mozartsaal
04.03.2021 Bochum, Christuskirche
05.03.2021 Köln, E-Werk
27.03.2021 München, St. Matthäuskirche
29.03.2021 Hannover, Pavillon am Raschplatz
30.03.2021 Hamburg, Elbphilharmonie – Kleiner Saal (ausverkauft)
Weblinks LONG DISTANCE CALLING
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