

Manchmal beginnt Größe im Stillen. Bei Dayseeker entspringt sie einer tiefen Sehnsucht – nach Verständnis, nach einem Ort, an dem Schmerz zu etwas Schönem werden darf. Für Frontmann Rory Rodriguez war Musik nie bloß Ausdruck, sondern Rettung. Aufgewachsen zwischen Unsicherheit und Verlust, fand er in der Musik eine Sprache, die ihn verstand, bevor er selbst wusste, was er sagen wollte. In Nächten, in denen seine Mutter gegen die Sucht kämpfte und Stille das Haus erfüllte, wurde Musik zu seinem Zufluchtsort – ein Raum, in dem er nicht unsichtbar war.
Diese Erfahrung prägt Dayseeker bis heute: das Bedürfnis, mit jedem Song einen sicheren Ort zu schaffen – für sich selbst und für andere. Mit dem 2022 erschienenen Album „Dark Sun“ gelang ihnen der Durchbruch. Ein Werk, das von Verlust und Trauer gezeichnet war, in dem Rory den Tod seines Vaters verarbeitete – ehrlich, verletzlich, kathartisch. Es war das Werk, das die US-Amerikaner endgültig aus der Post-Hardcore-Ecke herausholte und zu einer der emotionalsten Stimmen der modernen Rockszene machte. Drei Jahre später meldet sich die Band mit einem neuen Kapitel zurück.
Am 24. Oktober 2025 erscheint „Creature In The Black Night“ über Spinefarm Records. Das Album zeigt Dayseeker in einer neuen, entschlosseneren Form: dunkler, körperlicher, zugleich kontrollierter und experimenteller. Wo „Dark Sun“ von Abschied geprägt war, richtet sich der Blick nun nach innen – auf die eigenen Schwächen, Begierden und Ängste. Rory Rodriguez wirkt gereifter, wachsamer, selbstbewusster als je zuvor. „There’s anger in this record. There’s some jadedness. But there’s confidence, too. I’m more self-aware than I used to be. And I’m learning to protect that.” Beschreibt er selbst diesen Zustand – und genau das spiegelt sich in jedem Ton dieses Albums wider.

„Creature In The Black Night“ entfaltet sich als vielschichtiges Werk zwischen Schwere und Sinnlichkeit. Dunkle Synths, flirrende Texturen und treibende Riffs bilden die Kulisse für eine Reise durch innere Abgründe. Produziert von Daniel Braunstein (Spiritbox, Silent Planet) und gemischt von Zakk Cervini (Bring Me The Horizon, Lorna Shore, Blink-182), besticht das Album von klanglicher Tiefe, die Druck und Atmosphäre galant vereint. Der Stil bleibt unverkennbar Dayseeker: modern produziert, dynamisch, emotional aufgeladen. Ihr Neuling bewegt sich zwischen Härte und Zerbrechlichkeit, zwischen körperlicher Energie und melancholischer Eleganz – ein Wechselspiel, das jede Note spürbar macht.
Obgleich „Creature In The Black Night“ kein klassisches Konzeptalbum ist, entfaltet es eine spürbare innere Dramaturgie. Eine dichte, von dunkler Symbolik und einem horrorinspirierten Vibe geprägte Atmosphäre zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk. Diese Mischung aus Bedrohung und Anziehung verleiht dem Album seine besondere Tiefe.
Dayseeker sind längst keine Geheimempfehlung mehr – selbst wer nur sporadisch durch Spotify scrollt, ist der Band vermutlich schon begegnet. Und das nicht ohne Grund: Ihr Sound trifft denselben Nerv, der auch Fans von Bad Omens oder Sleep Token in seinen Bann zieht – emotional, atmosphärisch dicht und doch unverkennbar eigen. Diese neue Generation von Rockbands verbindet Härte mit Verletzlichkeit, Pathos mit Präzision. Doch Dayseeker bleiben dabei zugänglich, greifbar, ehrlich. „Creature In The Black Night“ ist kein Rückblick, sondern ein Statement – das Werk einer Band, die ihren Platz nun gefunden hat, ohne stillzustehen.
„Pale Moonlight“ eröffnet das Album mit einer sanften, fast verführerischen Ruhe. Gesprochen hört man die Worte „Dance with the devil / Slave ’til the end“ – sie markieren den Übergang ein, in dem die Instrumente einsetzen und der Song Gestalt annimmt. Was zunächst zart und klar klingt, entfaltet eine gefährliche Anziehungskraft: Sorgsam öffnet der Teufel seinen Umhang, um einen zu umgarnen und ganz einzunehmen – so, wie der Song es mit dem Hörer tut.
Die Zeile „Dancing with the devil in the pale moonlight“ beschreibt einen ewigen Kreislauf – das Tanzen mit der Dunkelheit, das Schwanken zwischen Kontrolle und Hingabe. Depression, Selbstzweifel und Suchtgedanken verschmelzen zu einem beklemmenden Bild innerer Gefangenschaft. Es ist kein klassischer Teufelspakt im religiösen Sinn, sondern eine Metapher für Abhängigkeit und Selbstzerstörung. Rory singt über das bewusste Nachgeben gegenüber den eigenen Lastern, über die Faszination, sich dem hinzugeben, was einen zerstört: „Made a deal with the devil / Trade my soul for a dream“.
Die gesungene Zeile „What’s the price of your body? If it is taken for free“ bringt das ganze Dilemma auf den Punkt – den Zweifel, der mitten in der Versuchung aufflackert. Das vermeintliche Wohlgefühl, das die Vices in einem auslösen, überträgt der Song direkt auf den Hörer: Diese schwebende Melancholie wirkt tröstend und gefährlich zugleich. Und dann setzt die Härte ein – die Gitarren brechen auf, der Rhythmus wird fordernder, und Rory offenbart seine finstere Seite. Ein Auftakt, der zugleich verführt, zerstört und die Richtung vorgibt, in die „Creature In The Black Night“ seine Schatten werfen wird.
Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.
„Creature In The Black Night“ ist Verführung in ihrer gefährlichsten Form. „Fuck me in your dreams like you can’t escape it“ – diese Zeile brennt sich von Beginn an beim Hörer ein. Während die Worte „You run like a creature in the black night / And you’ll be alone in your bed ’til the bitter end“ das Bild einer rastlosen Flucht vor sich selbst zeichnen – getrieben von Sehnsucht und Scham. Der Song bewegt sich in einer sinnlich-düsteren Spannung, irgendwo zwischen Sehnsucht, Abhängigkeit und Kontrollverlust. Die elektronischen Schichten wirken hypnotisch, während Rorys Stimme zwischen Nähe und Distanz changiert – nicht bloß provokant, sondern Ausdruck eines Kontrollverlusts, der emotionaler ist als körperlich.
Rory beschreibt ihn als bewusst experimentell, inspiriert von der dunklen, verführerischen Atmosphäre eines The Weeknd-Tracks. Entstanden ist er während einer Tourpause auf Hawaii – ein Moment der Ruhe, in dem sich die Ideen wie von selbst formten und in diese pulsierende, fast tranceartige Komposition flossen. Es war eine polarisierende Entscheidung, die Single zu wählen: minimalistisch, mutiger als alles zuvor und erst in der Bridge mit dem vertrauten Dayseeker-Sound aufbrechend. Inhaltlich steht der Song in direkter Verbindung zu „Pale Moonlight“. Während dort der Protagonist seinen Lastern erliegt, wendet sich hier das Blatt – das Laster selbst spricht. Es ruft, lockt, verführt und zieht ihn zurück in die Dunkelheit. Die Reihenfolge der beiden Songs war von Anfang an gesetzt, weil sie denselben Konflikt aus zwei gegensätzlichen Perspektiven erzählen: Hingabe und Rückfall, Opfer und Versuchung.
Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.
„Crawl Back To My Coffin“ wirkt wie ein Nachklang aus einer anderen Welt – warm, sehnsuchtsvoll und dennoch von tiefer Melancholie durchzogen. 80er-Synths im Stil von Ellie Goulding verleihen dem Stück eine schwebende Leichtigkeit, während sich darunter eine leichter Country-Vibe verbirgt. Die Zeile „I thought I had a pulse again“ eröffnet das Bild eines Menschen, der nach langer Starre wieder zu fühlen beginnt – nur um kurz darauf zu erkennen, dass das Leben, das er spürt, trügerisch ist.
Rory nutzt das Bild des Sargs als Metapher für das Dasein zwischen Einsamkeit und verletzter Hoffnung. Nach langer Zeit ohne Nähe fühlt man sich tot, leer, abgeschlossen. Dann begegnet man jemandem, der einen aufweckt und einem ein Gefühl von Lebendigkeit einverleibt, doch mit einem Mal ist der Schmerz wieder da: „Give me roses when I die just to kill me one more time“. Die Frage „Warum habe ich mich erneut geöffnet?“ zieht sich wie ein roter Faden durch den Song. Emotionale Öffnung ist stets mit dem Risiko der Verwundbarkeit behaftet. So erscheint der Rückzug in die Dunkelheit oft sicherer als ein weiteres Scheitern.
Klanglich bleibt der Song dabei überraschend kraftvoll, beinahe tröstend. Die weichen Synthflächen und die schwebende Passage um „Can I just be alone again“ wirken, als würde die Stimme aus dem Jenseits rufen. „Crawl Back To My Coffin“ taumelt zwischen Wiederauferstehung und Rückfall, zwischen leiser Hoffnung und resigniertem Rückzug.
Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.
„Shapeshift“ entstand erst gegen Ende des Songwriting-Prozesses – zu einem Zeitpunkt, als sich die düstere, leicht horrorinspirierte Atmosphäre des Albums längst verfestigt hatte. Rory war für einen kurzen Trip nach New York gereist, um abzuschalten. Doch inmitten einer Bar überkam ihn plötzlich eine Panikattacke. Dieses Erlebnis wurde zur Grundlage für den Song – die Idee, Angst als eine Form des Gestaltwandels zu begreifen. Wie sich Körper, Mimik und Wesen verändern, wenn Panik Besitz von einem ergreift.
In „Shapeshift“ wird dieses Gefühl hörbar. „You’re turning into a shadow / You fall but you levitate“ – die Zeilen beschreiben einen Zustand zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, zwischen Erdung und Schweben. Die Musik spiegelt genau das wider: getrieben von einem dunklen, atmenden Rhythmus, der immer wieder in eruptive Passagen übergeht. Elektronische Schichten und schwere Gitarren verweben sich zu einer beklemmenden, fast cineastischen Klanglandschaft.
Rorys Stimme klingt dabei fragil und eindringlich zugleich. Mal nah, flüsternd, mal wie von innen heraus brechend. Der Song entfaltet sich wie ein innerer Albtraum – beklemmend, aber faszinierend schön. Wenn er singt „It eats you alive ‘til you’re hollow / But you don’t belong to the shadows“, ist das kein resignierter Satz, sondern ein leiser Widerstand: die Erkenntnis, dass Angst einen verändern, aber nicht verschlingen darf. „Shapeshift“ ist das musikalische Abbild einer Panikattacke – intensiv, verzerrt, atemlos – und zugleich ein Stück über Selbstbeobachtung. Ein Song, der die inneren Dämonen nicht vertreibt, sondern ihnen direkt ins Gesicht blickt.
Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.
„Soulburn“ markiert den Wendepunkt des Albums – ein Zwischenstück, das nicht bloß verbindet, sondern atmen lässt. Was ursprünglich als einminütiges Interlude geplant war, entwickelte sich in letzter Minute zu einem der atmosphärisch dichtesten Momente auf „Creature In The Black Night“. Düster, sphärisch, fast geisterhaft, wirkt der Song wie eine Stimme aus der Tiefe. Ein flüsternder, reaperähnlicher Sprechgesang zieht sich durch das Stück, als würde der Tod selbst durch die Rillen des Albums flüstern und die Kapitel miteinander verweben.
Dayseeker haben eine Tradition, in der Mitte ihrer Alben einen Moment der Ruhe zu schaffen – einen Raum, in dem man innehalten kann, bevor es in die intensive Phase eintaucht. „Soulburn“ entstand zwei Tage vor der Abgabefrist: zehn Songs waren fertig, doch Dan Braunstein und Rory Rodriguez ließen sich von einem plötzlichen kreativen Funken tragen. Auf seiner Heimfahrt stand Rory im Stau, und währenddessen formten sich die finalen Zeilen in seinem Kopf. Was als Übergang gedacht war, wurde zum Herzstück des Albums.
Elektronisch und von Drum’n’Bass-Elementen durchzogen, entfaltet sich „Soulburn“ wie ein Fiebertraum. Die Zeilen „It’s not safe to drown inside a river of all your broken lies“ und „I’d love to see your soul burn alive“ sind gleichermaßen Warnung und Erlösung – ein innerer Brand, der zerstört, um Neues zu schaffen. In seiner Intensität erinnert der Song daran, dass Transformation immer Opfer verlangt – und dass aus der Asche nur auferstehen kann, wer bereit ist, sich zu verbrennen.
„Bloodlust“ schlägt direkt ins Herz – ein Song, der Zärtlichkeit und Härte in einen elektrisierenden Konflikt treibt. Zu Beginn wiegt Rorys Stimme den Hörer sanft, fast tröstlich, während sich unter der Oberfläche bereits eine düstere Spannung aufbaut. Das Schlagzeug von Mike Karle entfaltet wuchtige Wellen, treibt den Song mit unerbittlicher Energie voran, während sphärische Sounds im Hintergrund wie ein Sturm aus Licht und Schatten flirren.
Inhaltlich geht es um Enttäuschung und den Verlust von Vertrauen – um Menschen, die sich hinter Masken verstecken und andere ausnutzen, bis nichts mehr übrig bleibt. „You’re two-faced on every page“ und „Cling to my skin like a leech“ zeigen Rorys Kampf mit dieser Art von emotionalem Vampirismus. „Bloodlust“ steht hier für ein destruktives Verlangen – das ständige Bedürfnis, andere leerzusaugen, um selbst lebendig zu bleiben.
Zwischen den klar gesungenen Strophen und den eruptiven Screams im Refrain entsteht ein Sog, dem niemand entkommen kann! Wenn Rory bricht: „You’re a slave, you’re a slave to the bloodlust“, klingt es wie ein Exorzismus – roh, schmerzhaft, befreiend. Ein Song über Vertrauen, das vergiftet wurde, und über den Willen, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen. „Bloodlust“ ist eines der emotionalen Herzstücke des Albums – intensiv, kathartisch und doch von einer puren Schönheit durchzogen.
Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.
„Cemetery Blues“ ist einer der ungewöhnlichsten Songs auf dem Album. Ursprünglich als reine Piano-Ballade geplant, wuchs er zu einem eigenwilligen, fast widersprüchlichen Stück heran. Ruhige Melodien treffen auf hyper-poppige Drums und einen schnellen Synth-Lauf – ein Klangbild, das zugleich schwebend und zerrissen wirkt. Zwischen die Akkorde legten Dayseeker harte Schnitte, die den Hörer kurz aus der Balance bringen – als würden die Worte stocken und weitergehen.
Inhaltlich erzählt „Cemetery Blues“ von der Erschöpfung durch Nähe – davon, wie selbst die tiefste Liebe Raum zum Atmen braucht. Rory schrieb den Song inspiriert von seiner Tochter und den wechselnden Phasen von Bindung und Distanz. Mal ist er der Lieblingselternteil, mal rückt die Mutter in den Mittelpunkt – ein natürlicher Wechsel, den er mit Wärme und Wehmut zugleich beschreibt. Auch die Zeit mit seinem krebskranken Vater schwingt mit – die intensive Nähe, die während dieser fürsorglichen Zeit entstand, und die Belastung, die selbst aus Liebe erwachsen kann.
„If death is on the way for a final breath / I’m waiting for your silhouette“ – diese Zeilen fassen die Geduld des Wartens zusammen, das Loslassen, ohne wirklich loszulassen. „Cemetery Blues“ ist eine Ballade über bedingungslose Liebe, über das Aushalten von Distanz und das friedliche Akzeptieren des Unvermeidlichen. Selbst nach dem Tod bleibt die Stimme, die ruft: „Carry me until the devil is asleep“. Ein eindringlicher Song, der sich zwischen Leben und Jenseits entfaltet – traurig, aber von leiser Ruhe durchzogen.
„Nocturnal Remedy“ bewegt sich in einem schmalen Raum zwischen Verlangen und Verlust. Ein Song über körperliche Nähe ohne Seele, über den Moment, in dem Lust und Sehnsucht miteinander kollidieren. Das rhythmische Triplet-Muster treibt hypnotisch voran, als würde man mit Vollgas durch hell erleuchtete Straßen rasen – vorbei an Neonlichtern, die blenden und doch betören.
Rory singt fast den gesamten Song im Falsett – eine bewusste Entscheidung, die den Sound verletzlich und intim wirken lässt. Der Weg dorthin war schwierig: Falsett erfordert Kontrolle, Präzision und Zurückhaltung. Diese Zerbrechlichkeit durchzieht das ganze Stück. Was ursprünglich als technische Herausforderung begann, entfaltete sich als ehrliche Offenbarung der Verletzlichkeit.
Thematisch geht es um ungesunde Muster und den Versuch, Leere mit Körperlichkeit zu füllen. „Craving her touch but you feel like a stranger“ bringt es auf den Punkt: Nähe wird zum Trugbild, Genuss zur Gewohnheit. Rory beschreibt den Moment, in dem Sex ohne Gefühl seine Bedeutung verliert – wenn Heilung genauso schmerzt wie die Wunde selbst.
Musikalisch wollten Dayseeker eine Nachtfahrt erschaffen – ein mitreißendes Wechselspiel aus Distanz und Verlangen. Der Refrain wirkt wie das Wogen von Nähe und Rückzug, die Stimme wird zum Instrument. Doch spätestens im Breakdown, wenn Rory schreit „Sooner or later you’re down on your knees“, bricht die Fassade. „Nocturnal Remedy“ ist tanzbar und eingängig, doch unter der Oberfläche pulsiert die Erkenntnis, dass manche Sehnsüchte mehr zerstören, als sie heilen.
„The Living Dead“ könnte vom Sterben handeln, doch tatsächlich geht es um das Gegenteil – ums Wiederfühlen. Rory beschreibt den Zustand emotionaler Taubheit, das Überleben durch Verdrängung. Während einer Therapie wurde ihm klar, dass er jahrelang stolz darauf war, schwierige Situationen einfach wegzustecken. Doch Schmerz zu ignorieren bedeutet nicht, ihn zu überwinden – man kapselt ihn nur ab, bis nichts mehr bleibt als Leere.
Eben diese Leere findet sich in dem Stück wieder. Zwischen Piano und Stimme bleibt Raum – so viel Stille, dass man sie fast greifen kann. „Novacaine loving me to the pain, I don’t feel a thing“ fasst den Kern dieser Entfremdung zusammen: das Nichts, das sich anfühlt wie Schutz, aber in Wahrheit alles verschluckt. Die schlichte Instrumentierung verstärkt diesen Zustand. Es ist, als würde jedes Ausklingen einer Note für das stehen, was er jahrelang nicht zulassen konnte.
Im Verlauf kehrt ein leises Feuer zurück. „Now the fire’s there inside me, I just need some gasoline“ – das Bedürfnis, wieder zu fühlen, auch wenn es schmerzt. Rory singt sich aus der Numbness heraus, Schritt für Schritt, Wort für Wort. „The Living Dead“ ist die Ballade des Albums – unspektakulär in ihrer Form, aber emotional gewaltig. Ein Song über das Erwachen aus der inneren Starre, über das Bedürfnis, endlich wieder lebendig zu sein.
„Meet The Reaper“ ist der wohl direkteste Song des Albums – ein reiner Rocksong ohne Schnörkel oder Effekte, getrieben von purer Bandenergie. Und doch steckt in seiner Schlichtheit eine überwältigende Emotionalität. Inspiriert wurde er von einer zufälligen Entdeckung auf Twitter: „You’re my seven minutes.“ Der Satz bezieht sich auf die Theorie, dass das Gehirn nach dem Tod noch sieben Minuten aktiv bleibt, in denen man seine schönsten Erinnerungen noch einmal durchlebt. Für Rory eine zutiefst romantische Vorstellung – diese letzten Minuten als Wiedersehen mit der einen Person, die man nie vergessen konnte.
In „Meet The Reaper“ verwandelt sich der Tod in Sehnsucht. „You’re the last seven minutes that I see before I die“ – eine Zeile, die alles trägt: Verlust, Hoffnung, Erlösung. Das lyrische Ich fürchtet das Ende nicht, es erwartet es. Der Tod ist hier kein Gegner, sondern eine Schwelle zurück zur Liebe. Zwischen Himmel und Hölle, Schmerz und Frieden bleibt nur dieses Verlangen, noch einmal Licht, Wärme und Nähe zu spüren.
Musikalisch ist der Song kraftvoll und hymnisch, getragen von einer Stimme, die gleichzeitig brennt und tröstet. Rory singt mit einer Intensität, die Gänsehaut auslöst – dieser Wille, diese Hingabe, diese spürbare Liebe. „Meet The Reaper“ ist ein Liebeslied an die Ewigkeit, ja – aber vor allem ist es ein Beweis dafür, dass selbst im Ende noch Schönheit liegt.
„Forgotten Ghost“ ist der himmlische Abschied eines Albums, das sich mit all seinen Schatten versöhnt. Der Song entstand bereits im September 2024 – als einer der ersten – und sollte sich bewusst leicht und melodisch anfühlen, ohne den typischen Dayseeker-Kern zu verlieren. Minimalismus statt Überladenheit: weiche Sub-Kicks, tiefe Bassflächen, rohe Vocals, kaum Effekte. Das Ergebnis ist ein Stück, das sich pur und ehrlich anfühlt – wie ein letzter, stiller Blick zurück.
Inhaltlich geht es ums Loslassen und um das Gefühl, ersetzt oder vergessen zu werden. Rory beschreibt die Leere, die bleibt, wenn sich jemand plötzlich zurückzieht – und das schmerzliche Eingeständnis, dass Distanz manchmal notwendig ist. „So if you leave, then don’t come home“ ist keine Drohung, sondern Akzeptanz. Ein letzter Gruß an jemanden, der einmal wichtig war, verbunden mit der Erkenntnis, dass Liebe manchmal im Loslassen weiterlebt.
„Forgotten Ghost“ klingt verletzlich und warm zugleich – eine liebevoll-melodische Hymne, die ohne Bitterkeit auskommt. Der Schmerz wird nicht verleugnet, aber in Frieden verwandelt. So schließt sich der Kreis: Nach all den inneren Kämpfen, den Versuchungen, Verlusten und Fragen endet das Album nicht in Dunkelheit, sondern in sanfter Klarheit.
Mit „Creature In The Black Night“ haben Dayseeker ein Werk geschaffen, das sich anfühlt wie eine Nacht, die nicht enden will – und vor allem nicht soll. Zwischen Schmerz und Schönheit, zwischen Versuchung und Erkenntnis führen sie den Hörer an den Punkt, an dem Dunkelheit Vertrauen schafft und Verletzlichkeit zur Stärke heranwächst.
Es ist mehr als nur das nächste Kapitel einer Band, die längst ihren eigenen Klang gefunden hat. Dieses Album ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit allem, was uns antreibt und zerstört – mit Angst, Lust, Verlust und dem Wunsch, zu fühlen, selbst wenn es weh tut. Dayseeker sind nicht einfach Teil einer neuen Generation moderner Rockbands – sie sind ihre bittersüße Seele.
Tracklist DAYSEEKER – „Creature In The Black Night“:
- Pale Moonlight
- Creature In The Black Night
- Crawl Back To My Coffin
- Shapeshift
- Soulburn
- Bloodlust
- Cemetery Blues
- Nocturnal Remedy
- The Living Dead
- Meet The Reaper
- Forgotten Ghost
Termine DAYSEEKER – als Special Guest von MOTIONLESS IN WHITE:
20.02.2026 Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle
21.02.2026 Hannover, Swiss Life Hall
24.02.2026 München, Zenith
25.02.2026 AT, Wien, Stadthalle
27.02.2026 Frankfurt, Myticket Jahrhunderthalle
Weblinks DAYSEEKER:
Webseite: dayseeker.band/
Facebook: @dayseeker
Instagram: @dayseeker
Entdecke mehr von Monkeypress.de
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.