Eine US-Band, die mittelgroße Hallen füllt und extra für drei Shows nach Deutschland (und wenige andere in Rest-Europa) kommt, obwohl sie kein neues Material präsentieren muss? Gibt es nicht allzu oft, aber gibt es. Jimmy Eat World sind seit ihrem Durchbruchsalbum Clarity von 1999 regelmäßige Gäste in Deutschland und freuen sich stets über gut besuchte Clubs und Hallen. Das Konzert in der Turbinenhalle war auf Wochen im Voraus ausverkauft, gleiches galt für die Show in Wiesbaden am Vorabend. Die meisten Fans wünschen sich von Jim Adkins & Co. möglichst viele Stücke von den Alben Clarity, Bleed American und Futures – und, soviel sei vorne weg verraten – sie sollten nicht enttäuscht werden.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Zunächst eröffneten Pup überpünktlich um 20 Uhr. Die Kanadier, ausgestattet mit einem coolen Backdrop, auf dem die Bandmitglieder als Comicfiguren illustriert waren, brachten viel Energie auf die Bühne. Ihr Sound liegt irgendwo zwischen Weezer und Punkrock, ist hochgradig eingängig und schnörkellos. Nach vier Songs trat Sänger Stefan Babcock erstmals an die Fans ran: “We’re not gonna do a lot of talking. We just gonna rip! Is that fine with everybody?“, fragte er – die Antwort war ein eindeutiges Ja. Also gab es viele kräftige Riffs, gute Hooks und bisweilen witzige Textzeilen und Songtitel der Güteklasse If This Tour Doesn’t Kill You, I Will.
Unüberhörbar waren einige der Anwesenden sogar sehr textsicher und schienen mit der vier Alben und drei EPs umfassenden Diskographie von Pup sehr gut vertraut zu sein. Was Babcock nicht verborgen blieb: “You are an inceptional polite crowd!“, sagte er – das sollte für den Rest dieses Konzertabends auch so bleiben. Pup hinterließen bei diejenigen, die sie noch nicht kannten, auf jeden Fall einen positiven, wilden, ungestümen Eindruck, bewiesen dabei, dass sie das Gespür für potenzielle Ohrwürmer bei all dem Vollgas nicht vermissen lassen.
Jetzt mag sich hier manch lesende Person wohl die Frage stellen, warum in diesem Artikel nur Fotos vom Merchandise-Stand gezeigt werden. Tja, das Management von Jimmy Eat World erbittet schon seit Mitte der 2010er-Jahre das vorherige Unterzeichnen eines Fotovertrags, damit bei den Live-Shows Bilder angefertigt werden können. Dieser Vertrag enthält allerdings Klauseln, denen wir von Monkeypress.de nicht guten Gewissens zustimmen konnten.
Man könnte jetzt frotzeln: Wie gut, dass Jimmy Eat World selber von ihren Fans mehr halten als deren Management von Pressefreiheit. So bediente die Formation aus dem US-Bundesstaat Arizona ihr Publikum zu 80 Prozent genau mit dem Songmaterial, dass die meisten hören wollten. Sprich: Stücke von den Alben Clarity, Bleed American und Futures.
Denn nach einem unterhaltsamen Umbau-Break mit 80er-Klassikern wie Laura Branigans Self Control gingen Adkins & Co. mit Pain direkt in die Vollen. Einer der bekanntesten Songs der Bandgeschichte und eine goldrichtige Wahl als Opener. Los ging es mit der Zeitreise in die frühen 2000er, wo man unter dem Begriff “Emo” noch Jungs mit T-Shirt und Jeans kategorisierte – und nicht das, was einige Jahre später mit überdurchschnittlich viel Kajal, Lidschatten, Seitenscheitel und schwarz-roten gestreiften Oberteilen die Welt eroberte.
Herausstechen, aber das ist bei dieser Art von Song auch kein großes Wunder, tut sicherlich Sweetness. Songs, die gefühlt zu 50 Prozent aus Wohohooohoooo-Chören bestehen, räumen einfach im Live-Setting immer ab. Hier entstanden dann auch die ersten kleinen Moshpits im vorderen Hallenteil. Insbesondere bei den großen Klassikern der Bleed American-LP versuchten auch immer wieder einige Männer, sich in der proppevollen Turbinenhalle von recht weit hinten nach recht weit vorne zu drängen, um sich an dem einen oder anderen Pit zu beteiligen. Da ist es dann wohl wieder, dieses Gefühl aus der Teenager-Zeit, als Jimmy Eat World einen Volltreffer nach dem nächsten landeten. Denn das Publikum bestand quasi ausschließlich aus Menschen irgendwo 30 und 50, die genau dann, also Ende der 90er/Anfang der 2000er, “jung” waren und sich bei ihren ersten vollwertigen Rockkonzerten die Hörner abstoßen wollten.
(Fotos von Jimmy Eat Worlds Auftritt beim Hurricane Festival 2022 findet Ihr hier.)
Durch die sehr Retro-lastige Songauswahl wollte die Stimmung nicht abebben, jeder Song wurde lautstark bejubelt. Für die allermeisten Anwesenden dürfte es auch nicht das erste JEW-Konzert gewesen sein. Hier weiß man, was man bekommt: Eine Band mit fünf Typen, die allesamt in schwarzen Hemden/T-Shirts und Jeans gekleidet mit einem durchschnittlichen Bewegungsradius von 50 Zentimeter den Fokus voll auf die Musik legen. Showelemente? Quasi nicht vorhanden. Ein statisches Backdrop mit dem Bandnamen in großen weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund, ein paar Scheinwerfer. Das war’s. Und Jim Adkins ist darüber hinaus kein Mann großer Worte. Wenn er doch mal redet, verlassen die üblichen Floskeln seinen Mund. “Thank you so very much“, “You guys are amazing“, “It’s been too long since we’ve been here …” – Moment mal, laut der Konzertenzyklopädie setlist.fm haben Jimmy Eat World noch nie in der Turbinenhalle gespielt, auch andere Quellen melden auf konkrete Suche “Fehlanzeige”. Aber wollen wir mal nicht so sein. Vielleicht meinte er ja auch Deutschland im Allgemeinen.
Zudem wurde hier einfach ein richtig gutes, schnörkelloses Rockkonzert voller kleiner Hymnen geboten, die eben auch unterschiedliche Geschmäcker bedienen können. Ein Lucky Denver Mint könnte problemlos im Hausfrauen-Formatradio laufen (könnte!), Hear You Me ist eine wunderschöne Singer-Songwriter-Ballade, Bleed American, der Titelsong des 2001er-Albums, bei dem die Bühne in passend blutrotes Licht getaucht wurde, lässt sich hingegen schon unter Post-Hardcore kategorisieren. Dazu gab es mit 23 von der Futures-LP noch “a song from our goth phase” (Zitat Adkins) – und jedes einzelne Stück sorgte für Euphorie. Bei 555, das Adkins solo und akustisch darbot, reckten einige Fans sogar Feuerzeuge in die Luft. Ja, sowas gibt es auch noch.
Ein wenig schade vielleicht: Jimmy Eat World verzichteten auf das in jüngster Vergangenheit in den USA regelmäßig gespielte Taylor-Swift-Cover We Are Never Ever Getting Back Together. Der aktuell größte Popstar des Planeten ist seit ihren Teenager-Tagen bekennender Fan von Jimmy Eat World, was die Band aus Mesa, Arizona, natürlich mehr als wohlwollend zur Kenntnis nimmt. Doch sonst bleiben eigentlich kaum bis keine Wünsche offen. Es sei denn, man wollte Songs von späteren Alben wie Damage oder Integrity Blues hören – diese Art von Fan dürfte in Bezug auf Jimmy Eat World aber eher selten sein. Es war eine gelungene und stimmungsvolle Zeitreise ins Viva-Zwei-Zeitalter, zu der sich auch eine etwas längere Anfahrt lohnte. Nicht wenige Autos auf dem Parkplatz waren niedersächsischer oder Hamburger Herkunft – den Norden der Republik hatten die Tour-Booker diesmal ignoriert.
Das Ruhrgebiet darf hingegen jubeln. Nur wenige Kilometer Luftlinie von der Turbinenhalle entfernt werden Jimmy Eat World 2025 wieder auftreten. Die Band wurde neben Acts wie Von Wegen Lisbeth und Christin Nichols für das Traumzeit Festival im Duisburger Landschaftspark Nord bestätigt. Mal sehen, ob weitere Termine im deutschsprachigen Raum folgen …
Setlist JIMMY EAT WORLD: Oberhausen, Turbinenhalle (09.11.2024)
01. Pain
02. Just Tonight…
03. If You Don’t, Don’t
04. Sweetness
05. Something Loud
06. Your House
07. Lucky Denver Mint
08. Big Casino
09. All The Way (stay)
10. Goodbye Sky Harbor
11. 555 (Jim solo)
12. Hear You Me
13. Work
14. Nothingwrong
15. Blister
16. 23
17. Bleed American
18. A Praise Chorus
19. The Middle
20. Night Drive (Z)
21. The World You Love (Z)
Weblinks JIMMY EAT WORLD
Homepage: www.jimmyeatworld.com
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Instagram: www.instagram.com/jimmyeatworld
Weblinks PUP
Homepage: www.puptheband.com
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Instagram: www.instagram.com/puptheband