Tourauftakt für Oomph! auf der “35-Jahre”-Jubiläums-Konzertreise! Derartige Shows sind ja zumeist besondere Abende: Neue Songs erklingen erstmals, die meisten Bands sind noch nicht so sehr eingespielt, manch Textzeile wird vergessen, manch Takt wird verhauen, manch Fehler seitens des Publikums verziehen und alle freuen sich auf eine Setlist voller Überraschungen, weil es eben keine Möglichkeit gibt, sich vorher via setlist.fm diesbezüglich spoilern zu lassen. Es sei denn, man heißt Oomph! Doch zu den niedersächsischen Neue-Deutsche-Härte-Pionieren kommen wir später.
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Zunächst war es an einer noch recht jungen Band, die einigen Hundert Fans in der leider bei weitem nicht ausverkauften Krefelder Kulturfabrik anzupeitschen. Und das gelang Tag My Heart mit zunehmender Dauer zweifellos. Das Trio um Frontfrau Isabel Mártin Alonso passte stilistisch gar nicht mal so sehr zur Hauptband – was sich langsam übrigens zu einer Gewohnheit entwickelt. 2023 spielten die Nu-Metaller im Vorprogramm von unter anderem Ektomorf, Lacrimas Profundere sowie A Life Divided und werden dies bei ausgesuchten Terminen letzterer Band im Januar kommenden Jahres wieder tun, bevor es dann auch noch mit den Herren Wesselsky auf Tournee geht. Eine eigene Clubtour schließt sich im Frühjahr 2025 an. Und gewiss dürften Tag My Heart da die eine oder andere Person wiedersehen, denn an Energie mangelt es ihnen ganz sicher nicht.
Limp Bizkit, Rage Against The Machine, vielleicht auch ein wenig Guano Apes (gerade wegen der weiblichen Stimme) oder alte H-Blockx – das sind wohl so die ersten Bands, die einem in den Kopf kamen, wenn man Tag My Heart in ihren knapp 40 Minuten Spielzeit so zuhörte. Bedeutet: Dicke, tief gestimmte Riffs, Rap, Shouts und cleaner Gesang ergeben eine Mischung, die vor allem zum Springen einlädt. Damit schien die Mehrheit in der Kufa zunächst ein wenig zu fremdeln, zwischen den ersten Songs versuchte Isabel eher vergeblich, insbesondere das Publikum, das nicht direkt vor der Bühne stand, entsprechend zu animieren.
Nach und nach brach aber das Eis und gegen Ende wurde bis in die hinteren Reihen geklatscht und gesprungen. Selbst die unter Schwarzvolk meist so verschmähte “Hip-Hop-Hand” bewegte sich an den passenden Stellen bei vielen hoch und runter – wahrlich ein eher seltenes Bild. Gefühlt kommt ja jede totgeglaubte Musikrichtung irgendwann mal wieder – und vielleicht sind Tag My Heart eine dieser Gruppen, die das große Nu-Metal- beziehungsweise Crossover-Revival hierzulande einläuten. Den sicher nicht ganz einfachen Auftritt vor “fachfremdem” NDH/Dark-Rock-Publikum absolvierten Isabel sowie Drummer Christian und Gitarrist Neno (beide früher bei Erdling an den Instrumenten) jedenfalls mit Bravour. Später zeigten die Drei noch Präsenz am Merch, wo das selbstbetitelte Debütalbum (veröffentlicht im Juli 2023) verkauft und auch gleich signiert wurde.
Um Punkt 21 Uhr war es dann soweit: Oomph! betraten die Bühne. Dass mittlerweile Daniel Schulz anstelle von Dero Goi am Mikro steht, dürfte keine Neuigkeit mehr sein – eine komplette Herbsttournee sowie eine Festivalsaison lang, mit großen Auftritten wie beim Mera Luna, hatten die Fans nun Zeit, sich an die neue Stimme zu gewöhnen. Hier und da scherzte der Ex-Unzucht-Sänger auch mit dem Fakt, das “Küken” der Band zu sein (“Ich war ja auch schon dabei vor 35 Jahren …haha“) und gab ein paar Schwanks aus der Vergangenheit zum Besten: “2002 spielte ich mit meiner alten Band Pinkostar auf dem Mera Luna, wir hatten auch ein solides Set, der Hangar war gut gefüllt. Aber zur Set-Mitte haute plötzlich die Hälfte ab. Und wir waren total verwirrt und traurig – bis wir dann merkten, dass alle nur gegangen sind, weil Oomph! auf der Hauptbühne anfingen.“
Endgültig gepackt hatte ihn die Gruppe mit dem damals gespielten Song Das weiße Licht – der sollte entsprechend später auch im Set auftauchen. Erst einmal ging es mit Soll das Liebe sein? vom ersten Oomph!-Album mit Daniel Schulz, Richter und Henker, los. Schnell folgten Stücke von etwas früher (Labyrinth), noch früher (Träumst du?) und am allerfrühesten (Mein Herz), nebst immer wieder eingestreuten Songs der neuen LP. Schulz hat sich längst an seine neue Rolle gewöhnt und geht voll in ihr auf, die Stimmung war gut, der Sound fett, die Lichtshow stimmig, dazu einige in passenden Momenten abgeschossene Nebenfontänen. Soweit also alles gut.
Es gab nur ein Problem, das nach und nach denjenigen auffiel, die bereits im Vorjahr bei der Richter und Henker-Tournee zu Gast waren: Oomph! spielten mit Ausnahme zweier neuer Stücke exakt die gleiche Setlist in der exakt gleichen Reihenfolge wie 2023. Das hinterlässt irgendwie einen faden Beigeschmack, wurde doch an mehreren Stellen im Rahmen der Ankündigungen ausdrücklich von Flux, Crap und Schulz betont, dass man “auf der 35-Jahre-Jubiläumstour mindestens einen Song von jedem Studioalbum spielen” würde. Das war leider geflunkert. Wieder waren es die Werke Sperm und Wunschkind, die komplett ignoriert wurden. Gerade die erneute Absenz von Songs ersterer Platte schmerzt, war Sperm doch 1994 die LP, die das Genre Neue Deutsche Härte quasi begründete. Ohne Songs wie Sex, Das ist Freiheit oder Feiert das Kreuz hätte es manch heute deutlich größere Band vielleicht nie gegeben.
Wer sich daran nicht störte, erlebte aber einen rundum unterhaltsamen und gelungenen Konzertabend, an dem Der Schulz immer wieder Persönliches zum Besten gab. So gab er nach Brennende Liebe, das er wie schon 2023 nur solo mit Gitarre und Mikro spielte, zu, dass er sich “damals beim Tourauftakt in Hannover an dieser Stelle echt in die Hose gemacht hatte. Aber hinten raus betrachtet war es einer der schönsten Momente der Tour.” Man darf mit Fug und Recht behaupten: Das war in der Seidenstadt nicht anders, diese sehr intim und verletzlich klingende Version der damals auf den Durchbruchs-Hit Augen auf! folgenden Single darf sich gern wieder dauerhaft im Live-Set festsetzen. Fan-Nähe bewies der Frontmann gegen Ende des Haupt-Sets beim donnernden Mitten ins Herz, wo er zum Crowdsurfing ins Publikum auftauchte – diese schöne Tradition hat er sich aus Unzucht-Zeiten scheinbar beibehalten.
Insgesamt fühlte sich es überhaupt nicht so an, dass Schulz erst seit etwas mehr als einem Jahr Teil von Oomph! ist. Zwischenansagen wie “Ein bisschen Blasphemie schadet nie” vor Gott ist ein Popstar hätte sein nicht nur bezüglich dieses Themas in seiner Meinung weit abgedrifteter Vorgänger auch gebracht. Alles wirkte an diesem Konzertabend, der nach etwas mehr als zwei Stunden Songs aus 35 Jahren (gute Länge, da liefern andere heutzutage oft deutlich weniger!) mit Niemand endete, wie aus einem Guss und kraftvoll. Ein zweifellos gelungener Tourauftakt – noch gibt es einige Möglichkeiten, das Programm live zu sehen:
09.10.2024 (DE) Saarbrücken – Garage
10.10.2024 (DE) Wetzlar – Eventwerkstatt
11.10.2024 (DE) Übach-Palenberg – Rockfabrik
Am 13. Juni 2025 steht übrigens das von vielen Fans in Niedersachsen lang ersehnte Heimspiel an, das auf der Jubiläumstour wegen einigen Festival-bezogenen Gebietsschutzklauseln nicht möglich war. Karten für das Konzert im Applaus Garten Braunschweig sind nun erhältlich.
Setlist OOMPH – Krefeld, Kulturfabrik (03.10.2024)
01. Soll das Liebe sein?
02. Träumst du?
03. Richter und Henker
04. Labyrinth
05. Bis der Spiegel zerbricht
06. Mein Herz
07. Nur ein Mensch
08. Sandmann
09. Nichts wird mehr gut
10. Gekreuzigt
11. Jede Reise hat ein Ende
12. Brennende Liebe
13. Wem die Stunde schlägt
14. Kein Liebeslied
15. Gott ist ein Popstar
16. Schrei nur Schrei
17. Der neue Gott
18. Kleinstadtboy
19. Das weisse Licht
20. Mitten ins Herz
21. Es ist nichts, wie es scheint
22. Augen auf!
23. Alles aus Liebe (Z)
24. Sag jetzt einfach nichts (Z)
25. Niemand (ZZ)
Weblinks OOMPH!
Homepage: www.oomph.de
Facebook: www.facebook.com/oomphband
Instagram: www.instagram.com/oomphband/
Weblinks TAG MY HEART
Homepage: tagmyheartofficial.com
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Instagram: www.instagram.com/tagmyheartofficial
Hier gibt es zudem noch weitere Fotos vom Abend: