ZEAL & ARDOR – Greif

ZEAL & ARDOR - Greif
Zeal & Ardor - Greif
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Es ist vollbracht – Zeal & Ardor präsentieren mit Greif ihr flammneues Studioalbum. So stolz, majestätisch und vielseitig wie der Greif selbst, präsentiert sich auch der neue Silberling. Doch werfen wir zunächst einen Blick zurück: Im Jahr 2013 startete Manuel Gagneux gänzlich allein mit seinem musikalischen Projekt. 2016 erschien sein Debütalbum Devil Is Fine. Für eine europaweite Tour im darauffolgenden Jahr stellte der Basler Musiker dann eine vollständige Band zusammen. Mit ihrem beispiellosen Mix aus Black Metal und Gospel bespielten Zeal & Ardor seitdem zahlreiche Bühnen und namhafte Festivals. Neue Werke erschuf der talentierte Musiker jedoch nach wie vor selbst. Doch dies sollte sich mit Greif nun grundlegend ändern. Gemeinsam mit seinen beiden Hintergrundsängern Marc Obrist und Dennis Wagner, Tiziano Volante an der Gitarre, dem Bassisten Lukas Kurmann und Drummer Marco Von Allmen ließ das Sextett Greif erwachen.

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Manuel erklärt den Veränderungsprozess: ,,Die Jungs haben diesem Projekt im Grunde sieben Jahre ihres Lebens auf Tour geschenkt, also fühlte es sich seltsam an, das Album alleine zu schreiben.” In gerade mal fünf Monaten entwickelte sich die neue Scheibe. In dieser kreativen und intensiven Zeit wurde aus Bandkollegen gute Freude. Das bisherige musikalische Spektrum wurde deutlich erweitert. Alle waren bereit, durchaus neues auszuprobieren. Was dabei entstanden ist, fasst Tiziano beeindruckt zusammen: ,,Dieses Album fühlt sich wie eine warme Heimkehr an einen Ort der Ungewissheit an. Was man als Beginn einer neuen Ära bezeichnen könnte, ist wohl eher das Erwachen einer größeren Bestie in Form eines kommunikativeren und besser organisierten Kollektivs.”

ZEAL & ARDOR - Greif

Foto © Noemi Ottilia Szabo

Wie kam es zu dem neuen Albumtitel? Ein bedeutendes Ereignis befeuerte den zündenden Gedanken. Gemeinsam mit einem “wilden Mann” und einem Löwen zieht in Basel einmal im Jahr der Gryff durch die Stadt – ein fantasievolles Mischwesen aus einem Vogel und einem Löwen. Als Symbol für die arbeitenden Menschen der Stadt, ,,dreht er den Aristokraten den Hintern zu und verspottet sie. Er spiegelt ein Stück weit die die heutige Gesellschaft wider,“ erklärt Manuel. Dann wollen wir uns dem Greif mal widmen:

The Bird, The Lion And The Wildkin eröffnet das neue Werk von Zeal & Ardor. Bereits der Opener überrascht und stimmt einen doch brillant auf das Album ein. Allein bei dem Songtitel kann man schon erahnen, dass es sich um das titelgebende Wesen handeln könnte. Und exakt wie bei der berühmten Parade in Basel, rücken engagierte Trommelrhythmen in den Fokus. Zu einer mystisch angehauchten Melodie und einem äußerst angenehmen Gitarrenpart erklingt die warme Stimme von Manuel Gagneux. Kaum setzen die Drums ein, nimmt der Track Fahrt auf und… ist auch schon zu Ende! Whoa! Was für ein Einstieg!

Manuel erklärt, was hinter Fend You Off steckt. Der Titel ,,handelt davon, wie man sich gegen eine Person wehren kann, die einen angreift. Du beißt Dir auf die Zunge bis zu dem Moment, in dem du es nicht mehr aushältst.” Ein liebliches Glockenspiel untermalt diesen zweiten Song. Doch bereits nach wenigen Worten merkt man der Stimme von Manuel eine bislang unterdrückte Emotion an. Die Zeile “I have been clenching my fists so my palms start to bleed” verdeutlicht diese unbändige Wut, die einen so sehr packt, dass aus inneren Verletzungen gar äußere werden können. Obgleich sich die Stimmung zwischendurch zu beruhigen scheint, trügt der Schein.

Dunkle, einzelne Pianoklänge deuten dies bereits an. Beim Zuhören hält man fast vor lauter Spannung den Atem an. Und dann geschieht es: Der Missmut steigert sich ins Unermessliche. Während drei Stimmen noch besänftigende, monotone Laute von sich geben, erhöht sich schlagartig das Tempo des Riffs. Manuel wiederholt die Worte “There’s a thorn in my side.” Und dann prescht die Double Bassdrum unnachgiebig los. Der eigene Herzschlag steigt analog dazu an. Mit bitteren Screams (Fend You Off!) lässt der Sänger seinen negativen Gefühlen freien Lauf. Kurz darauf endet der Track. Die Abwehr ist gelungen! Man hat sich von der Person, die einen stets angegriffen hat, befreit. Welch ein intensives Spektakel!

ZEAL & ARDOR - Fend You Off

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Kilonova scheint mit dem dumpfen Klopfen eines Herzschlages zu beginnen, der von den Saiteninstrumenten nachgeahmt wird. Ein unglaublich lässiger Rhythmus gesellt sich zu mehrstimmigem Gesang. Ganz Sanftmütig ertönt dann der Refrain. Manuel erläutert die Bedeutung des Songtitels: ,,Eine ,Kilonova’ ist eine Kollision zweier Supernovas. Es ist eine Art von Erhabenheit, die ich Anstrebe.” Und eben diese ist Zeal & Ardor hier auf eine beeindruckende Art und Weise gelungen. Direkt entstehen auch innerlich Bilder, wie die Jungs live  auf der Bühne miteinander jammen könnten.

Der Anfang von Are You The Only One Now? lässt mich unweigerlich an Kurt Cobain und Nirvanas Akustik-Set bei MTV Unplugged zurückdenken. Egal, wie oft ich den Titel starte – diesen Gedanken bekomme ich einfach nicht aus dem Kopf. Aber es gibt definitiv schlimmeres, als mit den größten Grunge-Helden überhaupt verglichen zu werden. Natürlich geht der Track von Zeal & Ardor aber seinen ganz eigenen Weg. Ruft er doch anfangs pure Seligkeit und Glücksgefühle hervor, wendet sich noch das Blatt, und zu einem heftigen Donnerwetter zeigt Manuel seine biestige Facette (die ihm übrigens auch außerordentlich gut steht). Die beruhigenden “La-la-la-la-la-Parts” werden im Hintergrund aber weitergeführt. Textlich geht es um jemanden, der über einer Menschenmenge steht, die vieles allein aufgebaut hat. Aber statt dies zu würdigen, überlässt diese Person die Gesellschaft ihrem eigenen Untergang. “Don’t scream in vain” – der letzte Schrei war nicht vergebens – denn am Ende steht der egozentrische Herrscher ganz alleine da.

Go Home My Friend kommt in der ursprünglichen Gospel-Manier der Band daher. Mehrstimmig und zeitlich versetzt spielen sich Manuel, Marc und Dennis die Lyrics zu. Eine leicht schräg wirkende, orgelähnliche Melodie sowie Beats, die klingen, als würde man abwechselnd auf den Boden stapfen und klatschen komplettieren den modernen, künstlerisch umgesetzten Stil.

Clawing Out ist laut Manuel ,,einer der härtesten Songs, die ich je geschrieben habe. Er hat einen Hardcore-Kick. Textlich geht es darum, einen Weg aus dem Trott zu finden. Du bist in einer beschissenen Situation und du kämpfst zurück.” Von der ersten Sekunde an empfindet man tiefen Respekt für diesen granatenstarken Track. Direkt legt man die Stirn in Falten und kann ein beeindrucktes “Uh!” nicht unterdrücken. Mit voller Wucht reißt einen Clawing Out unabwendbar mit. Während sich der mehrstimmige Refrain mantraartig wiederholt (“Justificatum Malum Factum”) erklingt Manuel so bestimmt und furchtgebietend, dass es einem ein Schauer über den Rücken läuft. Dazu beeindruckt der aufbäumende Sound samt gespenstisch wirkender Elemente. Vor dem inneren Auge steigen bedrohliche Sequenzen auf. Packender kann ein Song nicht sein!

ZEAL & ARDOR - Clawing out

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Völlig konträr geht es mit Disease weiter. Zeal & Ardor haben den Blues für sich entdeckt! Dazu wirkt der Gesang richtig lieblich. So fremd der Stil auch für diese Band klingen mag – man wippt direkt mit und erfreut sich über die einsetzende Entspannung, die sich nach all der Aufregung besonders wohltuend auswirkt. Wie cool kann eigentlich ein rockiger Blues-Track klingen? Auch hier wird der Mut der Jungs erneut belohnt.

Wo bitte geht’s zur nächsten Tanze? Thrill lädt einen dazu ein, eine heiße Sohle aufs Parkett hinzuschmettern. Hie und da erinnern die Gitarreneffekte an die Rock-Titanen von Muse. Der Song handelt von Nervenkitzel, der einen durch extreme Erlebnisse im Überfluss allmählich abstumpfen lässt. Sugarcoat rockt ebenfalls derbe und kommt richtig eingängig daher. Dunkle, getragene Pianoklänge begegnen uns in Solace. Bedächtig und ernst erklingt Manuels Stimme und geht dabei unter die Haut. Die Ballade wendet sich den Schattenseiten am Ende eines Lebens zu “Do you think it painless not to know what day it is? Is this really all?” Doch es bleibt auch Hoffnung:“There is solace and hope in the end of your rope. To be sharp as a blade, when the light starts to fade.” Mit seinem überraschend aufbäumendem Schluss lässt einen der Track nachdenklich zurück.

Der stilistisch bandtypischste Song des Albums begegnet uns mit Hide In Shade. Ein Song dieser Art war Manuel nochmal wichtig: „Ich wollte immer noch einen klassischen Zeal & Ardor-Moment haben. Es quasi die Verbindung zwischen alt und neu.“ Schließlich lieben die Fans ihre Band für ihren Mix aus Black Metal und den Elementen aus dem Gospel-Bereich. Beginnend mit Claps, Stomps und gemeinschaftlichem Gesang schnellt einem kurz darauf knallhart dieses Ungeheuer entgegen. Der Kontrast bestehend aus der gnadenlosen Härte mit den schauerlichen Screams und dem versöhnlichen cleanen Gesang im Refrain weiß erneut zu begeistern. Ein Track dieser Art durfte natürlich auf diesem vielschichtigen Album nicht fehlen.

ZEAL & ARDOR - Hide in Shade

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Das Album endet mit dem poetischen Closer To My Ilk – Manuels Ode an ein unterdrücktes (schwarzes) Volk? Eine wohlklingende Blues-Gitarre wird von Claps begleitet. Ein Chor umgibt den Gesang des Frontmanns. Zunächst meint man, er klinge versöhnlich. Hört man genauer hin, erkennt man aber eine tiefe Traurigkeit in der Stimme, die durchaus eine anklagende Nuancen inne hat. In dem dazugehörigen Musikvideo begegnet uns dann der Greif mit seinen majestätisch anmutenden Zügen. Im Video ist noch eine Erläuterung hinterlegt: ,,Mit dem Körper eines Löwen und den majestätischen Flügeln eines Adlers verkörpert der Greif die Essenz von Stärke und Gardeur. Er ist ein ursprüngliches Wesen und ein treuer Begleiter der Tapferen.” Hiermit schließt sich der Kreis.

ZEAL & ARDOR - to my ilk

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Ich kann eingefleischten Fans von Zeal & Ardor nur von Herzen dazu ermutigen, sich nicht von den zunächst fremd wirkenden, neuen Facetten abschrecken zu lassen. Das Kollektiv ist zusammengewachsen und deutlich gereift. Mutigen Schrittes gehen Zeal & Ardor voran und ermöglichen ihrer geballten Kreativität freie Bahn. Emotional reißt einen dieses Album auf eine außergewöhnliche Art und Weise aus der  Bahn. Man durchlebt soviele unterschiedliche Momente. Als Hörer leidet, fiebert und kämpft man innerlich mit. Dadurch erlebt man die Erholungsphasen des Albums in einer besonderen Intensität. Möge der Greif seine Schwingen ausbreiten und die Klänge von Zeal & Ardor in die Welt hinaustragen. Denn dieses Werk weiß nachhaltig zu berühren!

Tiziano ist voller Vorfreude: ,,Wir laden die Hörer ein, das ganze Spektrum der verschiedenen Seiten und Klänge zu erleben, die Zeal & Ardor ausmachen. Ich kann es kaum erwarten, die Reaktionen der Leute zu sehen.“

Greif erscheint am 23.08.2024 via Redacted und ist digital, als CD und auf Vinyl erhältlich.

Tracklist ZEAL & ARDOR – Greif:

01. The Bird, The Lion And The Wildkin
02. Fend You Off
03. Kilonova
04. Are You The Only One Now?
05. Go Home My Friend
06. Clawing Out
07. Disease
08. 369
09. Thrill
10. Une Ville Vide
11. Sugarcoat
12. Solace
13. Hide In Shade
14. To My Ilk

Wer Zeal & Ardor mitsamt einem Teil der neuen Songs live erleben möchte, sollte unbedingt die anstehende Tour von Heilung anvisieren – hier sind die Mannen als Special Guest mit von der Partie.

Termine ZEAL & ARDOR (als Special Guest HEILUNG):

29.08.2024 Hamburg, Inselpark Arena
31.08.2024 Berlin, Zitadelle Spandau
03.09.2024 Stuttgart, Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle
05.09.2024 Nürnberg, Kia Metropol Arena
13.09.2024 München, Zenith
19.09.2024 Köln, Palladium

Im Januar 2024 wurde übrigens ein Dokumentarfilm veröffentlicht, der Manuel Gagneux persönliche Reise von der Gründung von Zeal & Ardor über Live-Auftritte bis hin zu einer fordernden Zeit einer seelischen Krise zeigt. Als Person of Colour möchte er mit der Ausrichtung seiner Musik und seinen Texten eine couragierte Antwort auf rassistische Provokationen im Internet bieten. Doch der plötzliche Erfolg seiner Band überforderte den introvertierten Künstler – wurde er doch als Anführer für diese Thematik hochgepreist. Sämtliche Informationen und Links zu dem Film findet ihr auf playwiththedevil.ch/de/stream-now.

Weblinks ZEAL & ARDOR:

Website: www.zealandardor.com
Facebook: www.facebook.com/zealandardor
Instagram: www.instagram.com/zealandardor
Twitter: https://twitter.com/zealandardor

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