Bereits Ende 2021 hat Andrew-Hozier Byrne sein drittes Album angekündigt. Ganz so schnell ging es dann aber doch nicht. Seine Fans mussten noch ein Weilchen ausharren. Exakt zehn Jahre, nachdem er mit der Single Take Me To Church seinen weltweiten Durchbruch erlangt hat, steht das neue Album von Hozier nun in den Startlöchern. Es trägt den Titel Unreal Unearth. Ein paar Tracks des neuen Silberlings kennen wir bereits. Schließlich schickte der smarte Ire im März mit Eat Your Young als Vorläufer eine EP ins Rennen. Nach und nach gesellten sich weitere Singles hinzu. Auf seiner Tour im Sommer konnte man sich zudem von der Live-Qualität einzelner Neulinge überzeugen. Was hierbei durchaus auffällig war – seine Fans fielen mit einer besonderen Wärme und Herzlichkeit auf. Wobei die Musik von Hozier auch wohlig angenehm ist und absolut entschleunigend wirkt. Ist dies auf dem neuen Werk auch der Fall?
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Doch beginnen wir von vorn: Zunächst fällt einem das ungewöhnliche Cover auf. Das Bild ist mit Blumenerde übersät. Mittendrin ragt Andrews Mund heraus. Zwischen seinen Zähnen befindet sich ein einzelnes Gänseblümchen. Hat man etwas ähnliches schonmal gesehen? No way! Es weckt jedenfalls sogleich die Neugier und liefert zudem einen deutlichen Hinweis auf die Lyrics des Albums – dazu später mehr. Es ist kein Geheimnis, dass der talentierte Musiker religiös aufgewachsen ist. So ist es keine Überraschung, dass uns christliche Themen auch auf diesem Longplayer begegnen. Zudem hat Hozier zu Zeiten der Pandemie viel gelesen. Dantes Göttliche Komödie – besonders sein Inferno hat ihn sichtlich beeindruckt und durchaus inspiriert. Dante stellt sich die Unterwelt in neun Höllenkreisen vor: Die Vorhölle, Lust, Völlerei, Gier, Zorn, Häresie, Gewalt, Betrug und Verrat. Alle diese Kreise begegnen uns in den neuen Songs. Aber auch die griechische Mythologie sowie die irische Welt der Sagen prägten die aktuellen Lyrics. Wer also Zeit und Muße findet, darf Hoziers Gedankengut ruhig ein stückweit näher rücken.
Was aber keinesfalls zu kurz kommt, ist das ganz große Gefühl. Immer wieder trifft man thematisch auf die Liebe, starke Empfindungen aber auch tiefgreifende Zerrissenheit. Namensgeber für die ersten beiden Songs De Selby (Part 1 &2) war übrigens eine fiktive Romanfigur des irischen Schriftstellers Flann O’Brien. Steigen wir doch mal klanglich ein: Ganz zart und lieblich beginnt der Opener des neuen Albums. Musikalisch noch reduziert steht hier die warme Stimme Hoziers im Vordergrund. Und doch zieht einen dieses zunächst wohlig anmutende Stück allmählich in die Dunkelheit hinab. Ein einsetzender Chor verstärkt dieses Gefühl der aufkeimenden Dunkelheit. Der zweite Part klingt hingegen völlig konträr – hier erwartet uns ein amtliches Rhythm ‘n’ Blues Stück. Geprägt von tiefen Basslinien und einsetzenden Streichern, groovt der Song beachtlich. Ganz frisch erschien nun auch ein Musikvideo zu dem Track. Die Story, die man hier sieht, erinnert allerdings stark an einen Song der letzten EP: Through Me (The Flood).
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First Time thematisiert den Einfluss, den die Faszination der Liebe auf einen Menschen haben kann. Wenn man selbst nicht viel für sich übrig hatte und einem plötzlich gezeigt wird, dass man doch etwas wert sein kann. “And the soul, if that’s what you’d call it. Uneasy ally of the body. It felt nameless as a river, undiscovered underground.” Doch schnell wird aber auch deutlich, dass die Liebe eine Gefahr bedeuten kann. „And the first time that you kissed me, I drank dry the river Lethe“, heißt es. In der griechischen Mythologie ist Lethe als Fluss der Unterwelt beschrieben. Man sagt ihm nach, dass man all seine Erinnerungen verliert, wenn man eines Tages ins Reich der Toten übergeht. Nach einer anderen Überlieferung war dies jedoch notwendig, um wiedergeboren zu werden. Liebe kann einen durchaus auch verändern. Ein wenig später wird ein Hinweis auf das Cover aufgegriffen: “These days I think I owe my life to flowers, that were left here by my mother. Ain’t that like them… gifting life to you (again). This life lived mostly underground. Unknowing either sight or sound. ‘Til reaching up for sunlight. Just to be ripped out by the stem.” Da ist es wieder, das Blümchen, das endlich aus der Erde ragt und dann direkt herausgerissen wird – womit das nahende Ende des zarten Pflänzchens auch direkt besiegelt ist.
Es folgt Francesca und damit ein absolutes Highlight des Albums. Bei seinem Konzert in Köln lieferte uns Andrew den Hintergrund zu dem Song. Hier geht es nämlich um den zweiten Kreis aus Dantes Geschichte – die Hölle der Lust: “Dante comes across two lovers. They are two lovers who sort of paid their real historical figures, that actually existed. And they pay the ultimate price for having fallen in love and they were murdered for it. Dante in his kindness decided that it was a nice idea to ride them into hell, anyway. This song just tries to say the eternity arm in arm, with somebody you would literally die for and pay the ultimate price for it, is no punishment at all. It’s a decision you make time and time again.” Nach einem sanften Einstieg, entfacht im Song die pure Leidenschaft – mit der uns diese tragische, aber entschlossene Liebesgeschichte ganz nah gebracht wird.
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I, Carrion / Icarian kommt mit einer besonderen Leichtigkeit daher. Diese wird nicht nur besungen, man kann sie förmlich hören und spüren. Der Song klingt federleicht und wohltuend. Doch auch hier trügt der Schein. Icarian steht nunmal für keinen geringeren, als Ikarus aus der griechischen Mythologie. Dieser wurde gemeinsam mit seinem Vater Dädalus auf Kreta gefangen gehalten. Die beiden hatten ihre Flucht im Sinn, also baute Dädalus den beiden aus einem Gestänge zwei Paar Flügel. Mithilfe von Wachs befestigte er Federn daran. Bevor die beiden starteten, impfte er seinem Sohn ein, weder zu hoch noch zu tief zu fliegen. Ansonsten könnten sowohl die Hitze der Sonne, als auch die Feuchtigkeit des Meeres die Flügel beschädigen. Zunächst ging der Plan der beiden auf, doch als Ikarus vom Übermut gepackt wurde, stieg er zu hoch empor, so dass die Hitze der Sonne das Wachs seiner Federn schmolz. Diese lösten sich und er stürzte tief ins Meer und ertrank. Dem Mythos nach quittierten die Götter seinen Übermut und straften ihn mit seinem Tod. In dem Song ist die Geschichte leicht abgewandelt und an eine verhängnisvolle Liebe geknüpft. “And though I burn, how could I fall?… If the wind turns , if I hit a squall, allow the ground to find its brutal way to me. I only pray. Don’t fall away from me.”
Nicht weniger bitter ist die Story zu Eat Your Young. Geballt von Kritik an der Gesellschaft und am gnadenlosen Kapitalismus. Im Hinterkopf hatte Hozier hier Dantes Kreis der Völlerei. Im Vordergrund steht die unstillbare Gier der ganz Mächtigen. Der Blick in die Zukunft und auf die Ressourcen wird völlig außen vor gelassen. Auf Kosten der anderen handeln sie völlig rücksichtslos, um noch mehr Reichtum und Macht zu erzielen. Dabei wird die junge Generation gnadenlos ausgebeutet. Die Mächtigsten scheuen sich nichtmal davor, ihre eigenen Kinder in den Krieg zu schicken. Denn die Zukunft der nächsten Generationen interessiert sie keineswegs. Musikalisch hat der Song durchaus seine lässig wirkenden Momente. Mühelos begibt sich Hozier hier in die ganz hohen Stimmlagen. Und doch macht sich im Songverlauf gewisse Hektik breit – ist es in der Realität anders? Rennt uns nicht auch die Zeit davon und wäre es nicht ratsam endlich zu handeln?
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Überraschend bekannte Klänge begegnen und bei dem Song Damage Gets Done – die Atmosphäre erinnert deutlich an den Stil von U2. Diesen Titel singt Andrew gemeinsam mit der amerikanischen Singer-Songwriterin Brandi Carlile. Songs ihres Albums The Story wurden in dem Serienhit Grey’s Anatomy eingebettet – seitdem war ihr Ruhm unaufhaltsam. Die beiden Stimmen harmonieren ganz prächtig miteinander und erzeugen eine positive Stimmung. Lyrisch geht es darum, dass einem der Überfluss und zuviele Annehmlichkeiten durchaus belasten können und diese einem eine gewisse Unbeschwertheit nehmen. “I heard once it’s the comforts that make us feel numb.” Eine gewisse Sehnsucht an die sorgenlose Zeit lässt den Blick zurückwerfen: “That first car was like wings of an angel.”
Who We Are handelt von einer Partnerschaft, die ihren Zauber verloren hat. “You only feel it, when it’s lost. Getting through still has a cost. Quietly, it slips through your fingers, love. Falling from you drop by drop.” Dabei klingt der Song einfach wunderschön. Nach und nach baut sich unweigerlich eine gewisse Dramatik auf. Die Drums legen zu, eine Frauenstimme jault im Hintergrund und verstärkt noch den ernstzunehmenden Eindruck. Alex Ryan, der Bassist von Hozier komponierte das Instrumentalstück auf dem Album: Son Of Nyx. Nyx, gilt als die griechische Göttin der Nacht. Damit erweist er seinem verstorbenen Vater eine letzte, traurige Ehre als stillen Gruß in die Dunkelheit.
Es folgt eine gefühlsbetonte Ballade: All Things End – ein Song über eine gescheiterte Beziehung. Hierzu inspirierte Andrew eine Trennung, die er selbst einst durchgemacht hat. In einem Interview erklärte er sein Ansinnen in diesem Song: “I suppose, on the surface it’s kind of like a breakup song. I was trying to write something about facing into the end of something, something that can be difficult or bitter or sourful or tragic and just trying to, trying to face into it with acceptance and with a sense of grace and with a sense of courage.” Seine Stimme wirkt hier betrübt. Gegen Ende gesellt sich ein Chor hinzu, der dem Song eine gospelhafte Note verleiht. “All that we intend, is scrawled in sand or slips right through our hands.”
To Someone From a Warm Climate (Uiscefhuaraithe) widmet er seiner irischen Heimat. “Uiscefhuaraithe” kommt als eines seiner liebsten Worte darin vor. Es stammt aus dem Gälischen und steht für etwas, das durch Wasser gekühlt wird. Hozier thematisiert die kalten, feuchten Winter in Irland – und wie sehr man die Wärme eines Bettes zu schätzen lernt, wenn man dieses mit einem anderen Menschen teilen kann. Wohingegen die heißen Sommer mit ihren tropischen Nächten durchaus fordernd sein können: “In summer’s heat I learned to dread the coming out of the night. The awful things we do to make the head go quiet.” Der Kreis der Gewalt begegnet uns in Butchered Tongue. Einer beklemmenden Ballade, die von Streichern begleitet wird und in der es darum geht, mit roher Gewalt mundtot gemacht zu werden und in der Ferne, in der man völlig fremd ist seinen Weg zu finden.
Karibische Vibes stimmen einen in dem Song Anything But fröhlich. Hier entsteht direkt der Drang aufzuspringen und loszutanzen. Abstract (Psychopomp) weiß tief zu berühren. Hier mag man eher mitleiden. Unknown / NTH dringt dann noch tiefer durch einen hindurch. Beginnend mit einer verträumten Gitarrenmelodie bekennt Hozier mit warmer Stimme, dass er alles für seine Angebetete getan hätte. Doch trotz der erkennbaren Warnung wird einem gnadenlos das Herz gebrochen. Der Song impliziert, dass niemand ein Engel sei. Und der bezaubernde Schein nur trüge. Verrat sei die Folge – die Sünde des neunten Kreises.
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Doch was wäre all die Dunkelheit ohne Hoffnung? First Light singt Andrew zunächst mit getragener Stimme. Musikalisch tritt man hier nochmal voll aufs Gaspedal und eine ganze Instrumentenpalette kommt nochmal zum Einsatz. Hier kommt wieder Licht ins Dunkel. Denn so trüb das Leben manchmal auch sein mag – jeder Tag beginnt mit einem Sonnenaufgang. „One bright morning changes all things soft and easy as your breathing you wake.“
Hinter welchen Songs sich die restlichen Kreise verstecken? Na das findet ihr sicherlich selbst heraus. Hört euch das Album an – es bedarf ein paar Durchläufe, bis es einen gänzlich vereinnahmt. Mit einer 62-minütigen Spielzeit seid ihr erstmal ein Weilchen beschäftigt. Taucht gerne in die metaphorischen Texte ab – es ist lohnend, sich tiefgreifender damit auseinanderzusetzen. Was mir ein wenig fehlt, sind richtige Hits. Abgesehen von Francesca – dem absoluten Glanzstück auf dem Album – würde ich mir wünschen, dass einen mehr Songs richtig packen. Musikalisch, lyrisch und stimmlich gesehen ist das neue Werk aber auf ganz hohem Niveau angesiedelt. Ich hätte übrigens nicht gedacht, dass es so vitalisierend sein kann, einmal durch die Hölle hindurch zu gehen 😉
Unreal Unearth erscheint am 18.08.2023 vis Island Records – digital, auf CD und auch als LP.
Tracklist HOZIER – Unreal Unearth:
01. De Selby (Part 1)
02. De Selby (Part 2)
03. First Time
04. Francesca
05. I, Carrion (aka Icarian)
06. Eat Your Young
07. Damage Gets Done
08. Who We Are
09. Son Of Nyx
10. All Things End
11. To Someone From A Warm Climate (Uiscefhuaraithe)
12. Butchered Tongue
13. Anything But
14. Abstract (Psychopomp)
15. Unknown / NTH
16. Firstlight
Weblinks HOZIER:
Homepage: hozier.com
Facebook: www.facebook.com/hoziermusic
Instagram: www.instagram.com/hozier