Was für ein Erfolg: Rund 36.000 Menschen besuchten das 20. c/o pop Festival in Köln am letzten April-Wochenende – an allen Tagen konnte das Festivalbüro “ausverkauft” vermelden, das gab es vorher noch nie. Einmal mehr gelang es dem Team um Direktorin Elke Kuhlen, um die großen Acts Joris (mit dem WDR Funkhausorchester), OG Keemo und Crucchi Gang ein abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen, das nicht nur musikalische Höhepunkte setzte. So auch am abschließenden Sonntag, den wir besuchen konnten. Angekommen am Bahnhof Köln-Ehrenfeld – der Stadtteil beherbergt den Großteil aller Spielorte -, wird man direkt in die Atmosphäre reingezogen, die Stadtfest und (Pop-)Kultur-Festival gleichermaßen abbildet. Die Straßen sind voll von Food-Trucks, an denen wirklich alle Gäste etwas für ihre Geschmäcker finden konnten, gemeinnützige Organisationen informieren und laden zum Glücksrad, Theater-Mitarbeitende drücken einem Prospekte für kommende Aufführungen in die Hand und vor den einzelnen Clubs und Veranstaltungszentren bilden sich erste Schlangen. Auf der Venloer Straße – umsonst und draußen – gibt das Zauberer-Duo Siegfried und Joy, gekleidet in wundervoll violett leuchtende Glitzeranzüge, einen kleinen Einblick ins aktuelle Bühnenprogramm, unter tätiger Mithilfe verschiedener Anwesender aus dem Publikum. Dieses gehört – wie beim gesamten Festival – zum großen Teil der Kategorie “jung und erwachsen” an, Herkunft, persönliche Geschmäcker und Styles hätten aber diverser nicht sein können.
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Dieses Festival verbindet so Gruppen, die sich normal wohl eher nicht treffen würden. Das merkt man zur frühen Stunde gegen 16.30 im gut gefüllten Club Bahnhof Ehrenfeld (CBE). Ob bunt oder schwarz gekleidet, sportlich oder elegant, Popper, Punker oder Hopper, hetero oder queer: Alle feiern gemeinsam mit Liz. Die Frankfurterin präsentiert schnörkellosen Straßenrap und ging 2022 durch die wohl härtestmögliche Schule in Hip-Hop-Deutschland. Sie war bei mehreren Konzerten Support von K.I.Z – und deren Fans können Vorgruppen gegenüber bekanntlich richtig fies sein. Bei Liz lief allerdings alles glatt – mit sicherem Flow, coolen Zwischenansagen und eingängigen Hooks zog sie schon da Gros des Publikums auf ihre Seite.
Vielleicht befanden sich unter den einigen Hundert im CBE auch einige, die damals schon dabei waren. Jedenfalls zeigten sich besonders die vorderen Reihen sehr textsicher – und knackten damit schon nach einigen Songs die Künstlerin, die völlig begeistert (vielleicht auch überrascht?) von all der Zuneigung war und bei aller authentischer Streetrap-Attitüde erstaunlich emotional reagierte. Stücke wie Mona Liza, #weisstduwasichmein oder Mizgeburt wurden lautstark mitgerappt, gegen Ende entstand sogar ein kleiner Moshpit, Liz mittendrin. Die bedankte sich auf ihre Art: “Ich küsse eure Nasenhaare” rief sie den Fans zu – was für ein Bonmot! Liz sollte auf der Karriereleiter noch einige Sprossen erklimmen – gerade, wenn sie eben nicht nur die “typische Straßenrap-Crowd” abholt, wie es beim c/o pop absolut der Fall war.
Hengameh Yaghoobifarah betrat den gänzlich gefüllten Raum des Artheaters in bemerkenswerter Gelassenheit. Mit dem Buch Habibitus in der Hand, gab es allerlei Gesprächsstoff zur Gegenwart. Das wirkt zwar erstmal recht groß und schwer greifbar, aber die Worte von Hengameh packen es an – ob Dumpling oder Vokuhila, ob Beobachtung oder Haltung, ob Politik oder Pop – alles mit Elementen aus dem jüngst publizierten Essayband angereichert. Mit tosendem Applaus enden die herrlich heiteren 45 Minuten aus Gesellschaftskritik und Prägnanz.
Wir bleiben im Artheater, wo der Besuchsstrom nicht abebben wollte. Allerdings verteilte sich die Masse ziemlich ungleichmäßig auf die Hauptbühne und die Kellerbühne des Clubs. Leider verirrten sich keine 50 Leute zu Lyschko. Mit Brennen brachte die Solinger Post-Punk-Band im vergangenen Spätherbst ein Debütalbum mit hoher Hitdichte raus, die Gruppe um Sängerin Lina Holzrichter konnte dieses unter anderem als Vorband von Drangsal oder beim Ox-Fest im Düsseldorfer Zakk zu Monatsbeginn live vorstellen. Ende April stand eine kleine Tour an, die nun in der Nähe der Heimat ihr Ende finden sollte. Der Sound war dabei so gut, wie er in einem Keller nur sein kann (lies: etwas dumpf und scheppernd, aber trotzdem fett), die Performance wie gewohnt hochklassig. Die Band ist eingespielt, Lina wechselt mühelos zwischen Melodiegesang und energischem Geschrei wo nötig – und die Fans gingen voll mit. Ein absolut überzeugender Auftritt einer Gruppe, die mit ihrem dunkel-melancholisch-treibenden Sound zukünftig auch auf Schwarze-Szene-Festivals Gehör finden sollte.
Vollgestopft bis unter die Decke pulsiert der große Saal des Artheaters im Rhythmus von Nand. Das Dicht an Dicht des Publikums zwingt zum gemeinsamen Tanzen, zur kollektiven Ekstase. Herrlich ist’s zwischen Wohlklang und den bunten Lichtern, die von der Bühne abstrahlen. Mit jenen leuchten die Augen der Zuhörerinnen und Zuhörer um die Wette, sie singen und summen alle Songs mit. Herzenswärme füllt den ohnehin schon hitzigen Raum. Nand versteht sich auf eingängige Beats, sorgenlose Trompetenmelodien und lakonische Lyrics – so wummert sich der Indiekünstler in die Herzen seiner Fans. Alles strahlt, alles jubelt, alles schön.
Dann wurde es mal wieder Zeit für Kulturgenuss abseits von musikalischen Performances. Mit Ines Anioli konnte das Festival-Team eine bekannte Podcasterin und Komikerin verpflichten. Was die 36-Jährige in Köln präsentieren wollte, blieb aber bis zuletzt ein Geheimnis. Dennoch oder gerade deswegen platzte der große Saal des BüzE aus allen Nähten. Letztlich entpuppte sich der “Auftritt” als lockerer Talk mit Comedian Parshad, die einigen sicher von ihren Auftritten beim ZDF Magazin Royale oder bei Nightwash bekannt ist. Da wurde viel über Alltägliches wie auch “typisch weibliche Probleme” geredet, aber auch gelacht – auf der Bühne wie beim Publikum.
Weniger zum Lachen, dafür umso mehr zum Staunen lud das Drag-Ensemble Say My Name I Can’t Live Without The Fame ein. Im Bumann & Sohn bewegten sich die Artists 30 Minuten lang zu Songs von unter anderem Beyonce in lasziver Manier, kunstvolle Verrenkungen auf Zirkusmanegen-Niveau inklusive. Die “Erkundung von allem, was Glamour und Gore ist“, wie es in der Ankündigung stand, kreierte Bilder zwischen Star-Dasein und dem exakten Gegenteil. Eine Performance mit viel Symbolcharakter, die vom Publikum mit lautstarkem Applaus honoriert wurde.
Danach ging es zum krönenden Abschluss zurück ins BüzE. Letzter Act des diesjährigen Festivals waren Steintor Herrenchor. Drei Jungs aus Hannover, die ursprünglich eher aus der Rap-Szene stammen (was man zumindest der Art des Vokalvortrags auch noch anhört), nun aber mit Wave-Sounds Karriere machen wollen. Dies, ohne in Pressemitteilungen oder Social Media preiszugeben, wer sie sind. Gemessen an der Schlange, die sich ab kurz nach 20 Uhr vor dem Bürgerzentrum bildete, zeigen sich viele von dem diesem unkonventionellen Weg überzeugt. Auch von größeren technischen Problemen zu Setbeginn ließ sich das Trio nicht aus der Ruhe bringen. Als nach einigen Minuten, die der Sänger – was gäben wir Schreiberlinge für einen Namen – mit lockerem Small-Talk sympathisch rumbrachte, endlich auch die Gitarre funktionierte, nahm die Party ihren Lauf. Songs wie Luisa, Nur das eine Mal oder Postkarten klingen zwar alle recht ähnlich, doch im Sog störte das gefühlt niemanden. Ein gelungener Festivalabschluss mit einer Band, der durchaus eine größere Zukunft bevorstehen könnte.
Man darf gespannt sein, wem das c/o pop 2024 eine Bühne bieten wird. Bis zu den ersten Line-up-Wellen wird es noch einige Monate dauern. Fest steht allerdings bereits der Termin: 24.-28. April. Dann zum 21. Mal – ganz sicher wieder mit vielen tollen Newcomern zum Entdecken. Alle Infos gibt’s jedenfalls hier.
Texte und Fotos: Claudia Helmert / Patrick Friedland