FEVER RAY – Köln, E-Werk (04.04.2023)

FEVER RAY - Köln, E-Werk (04.04.2023)
FEVER RAY, E-Werk, Köln 2023
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FEVER RAY Live: Kein Platz für Gender-Normen

Die lang antizipierte Tour (There’s No Place I’d Rather Be) von The Knife-Frontfrau Karin Dreijer, alias Fever Ray, kam endlich wieder nach Köln, um mit patriarchalen Geschlechterrollen im Zeitalter industriellen Kapitalismus abzurechnen – mit einer bombastischen Show voller Normbrüche, regenbogen-bunten Lichtern, und einer einzigartigen Performance!

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Für den Abend des 4. April 2023 sah es im E-Werk aus wie bei einer queeren Party, voll von tollen Menschen, die sich nicht von oppressiven Gesellschaftsnormen in ihrem Ausdruck einschränken lassen wollen und dort so frei sein durften, wie sie sich fühlten! Waren die Toiletten im E-Werk schon immer all-gender? Egal, wen interssiert’s! Die auffällig nonbinäre Crowd des Abends auf jeden Fall nicht.

Eingeleitet wurde der Abend passend von der französischen Band Heimat. Deren ambivalente kulturelle Signatur sorgte zu Beginn des Auftritts für eine ausreichende Portion Verwirrung. Das Elektro-Duo bestach durch einen minimalistischen, stets leicht dissonanten Sound, der mehr vom 80er-Jahre-Goth hatte als vom modernen Avantgarde-Elektro-Pop – irgendwo zwischen Lebanon Hanover und Nina Hagen. Mit einer Prise Antifa-Flair und nihilistischen Stoizismus ausgestattet, besticht ihr Sound durch eine rauchige Stimme, welche das Echo einer Generation widerspiegelt, die die Schnauze voll vom Driss der Welt hat. Wenn “Kein Bock” eine Stimme hätte, würde sie bei Heimat singen.

Zu schade, dass die Vorband nur eine halbe Stunde zur Verfügung gestellt bekam.

Weblinks HEIMAT

Bandcamp: https://meineheimat.bandcamp.com
Instagram: https://www.instagram.com/heimatmusic
Facebook: https://www.facebook.com/heimatofficiel

Aus dem Nebel der Maschine traten schließlich die Frauen von Fever Ray auf die Bühne – alle fünf in ihrem eigenen Style, auf ihren festen Positionen, bereit für ihr gut eingeprobtes Synchronspiel von einer Stunde und 20 Minuten. Die Bühne selbst war streng achsensymetrisch gestaltet, aber sehr minimalistisch – so gab es keine großen Bühnenelemente außer eine Reihe von heftig lauten LED-Leisten und Punkt-Strahlern, die akribisch genau von der Mitte der Bühne nach links und rechts identisch aufgebaut waren, als stünde ein riesiger Spiegel genau zentral auf ihr. Die Bandmitglieder positionierten sich angemessen zu dieser Symmetrie. Das einzige Element, welches diese Symetrie, scheinbar komplett ohne Grund, zerstörte, war ein einzelnes Bühnenelement: Eine Laterne stand leicht off-center rechts von Karin herself und strahlte in den gleichen grellen LED-Lichtern wie der Rest. Ein sehr aufdringlicher, einzelner Bruch in der Gleichstellung der restlichen Umgebung ist ein perfektes Sinnbild für den Normbruch, den queere Menschen in unserer heutigen hetero-cis-normativen Gesellschaft stellen: Abseits von dem, was sein sollte, aber standhaft und anwesend und ohne Entschuldigung für ihre Existenz!

Karin Dreijer trat, wie bereits in Promo-Bildern und Musik-Videos vom neuen Album, Radical Romantics, in ihrem Cosplay des männliches Patriarches auf: Als hätte Riff Raff aus der Rocky Horror Show einen Bürojob angenommen und nach 10 Jahren hartem Grind für seine ausbeuterische Firma den Großteil seines Lebenssinns aufgegeben. Bleich und dünnhaarig, mit im Mittelscheitel gestyltem grauem Kurzhaar, im übergroßen weißen Anzug mit roter Krawatte. So stand sie seicht gestikulierend für die Zeit des Konzert meist an ihrem Spot beim Mikro, mit einem unscheinbaren Mono-Lisa-Lächeln im Gesicht das halb aufgelegt, halb hämisch sich über etwas Fiktives zu amüsieren schien – über was, niemand weiß es. Oft ließ sie während des Auftritts eine Hand lässig in der einen Tasche hängen, während sie mit der anderen vorsichtig ihre minimalistische Tanz-Einlage vorlegte.

Der Rest des Live-Personals in wilden anderen Stilen, die schwer objektiv zu bewerten sind und nur im Kontext der Performer-eigenen Interpretation Sinn machen würden. 30er-Jahre Business-Frau von außen, mit einem hautfarbenen Full-Body drunter, bestückt mit astronomischen Zeichen? Okay. 90s Industrial Goth-Rock in Lack und Leder, mit Strapse und Domina-Look? Okay! Futuristisches Afro-Punk Outfit mit konzentrischem Heiligenschein und viel Gold? Sehr cool! Einfach mal eine Mighty Glow Cloud (All Hail!) auf dem Kopf und mit viel Glitter im Gesicht? Auf jeden Fall! Vorbildlich zeigt sich jedes Mitglied in einem Gewand, welches ihr selbst entspricht, ohne Erklärung oder Rechtfertigung – sie stehen selbst für sich und benötigen keinen externen Kontext, um sich zu bestätigen. Feministische Ikonen!

Wer den einmaligen Sound von Fever Ray nicht kennt, wäre wohl überrascht über den homogenen Flow der gesamten Akustik, vom gemächlichen Tempo über die frech-aufdringliche Singstimme, welche sich nicht zu beeilen scheint, aber auch niemals stehen bleibt! Das ganze Konzert ging ohne jegliche Unterbrechung, ohne irgendeine Moderation vonstatten. Die Choreographie bestach nicht durch ihre Komplexität oder durch schnelle Bewegung oder akrobatische Einsätze, sondern durch ihre rhythmisch gleichmäßige, gar subtile Abfolge von primär Arm- und Handgesten und gelegentlichen Drehungen und Schmeichelungen. Wie eine Unterhaltung in Gebärdensprache, aber in Zeitlupe: hypnotisch und voller visuellem Ambiente. Die Songs selbst wurden teilweise dieser homogenen Atmosphäre angepasst, wenn nötig, das Tempo verringert oder ein paar Beats hinzugefügt, wo es nötig war, um dem Ambiente des Gesamtwerkes gerecht zu werden. Selten habe ich ein Konzert erlebt, das so aus einem Guss zu kommen schien, obwohl die Songs 15 Jahre und 3 Alben überbrückten.

Die Fans waren sich auch einig: Das Konzert war Bombe, die Stimmung durchgehend gleichmäßig gehoben, und alle fühlten sich wohl und sicher. Respektvoll und ohne jegliche Offensive verließen alle mit freudiger Genugtuung den Abend, der sich definitiv bei allen als Gefühl, nicht als Erinnerung, auf ewig eingeprägt hat.

Setlist FEVER RAY @ E-Werk, Köln (04.04.2023)
  1. What They Call Us
  2. New Utensils
  3. When I Grow Up
  4. Mustn’t Hurry
  5. Triangle Walks
  6. To the Moon and Back
  7. Shiver
  8. Kandy
  9. Even It Out
  10. An Itch
  11. I’m Not Done (Still Not Done Mix)
  12. Carbon Dioxide
  13. Now’s the Only Time I Know
  14. Tapping Fingers
  15. If I Had a Heart
  16. Coconut (Z)
Weblinks FEVER RAY

Homepage: https://feverray.com
YouTube: https://www.youtube.com/@FeverRayMusic
Facebook: https://www.facebook.com/FeverRay
Instagram: https://www.instagram.com/feverray

(Anmerkung zu Pronomen: Als Autor habe ich bewusst weibliche Pronomen für die Künstlerinnen verwendet. Mindestens Karin Dreijer hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, geschlechtsneutrale Pronomen zu verwenden, im Englischen speziell they/them. Natürlich aber hat sie kein deutschsprachiges Äquivalent dafür angeben können, daher musste ich eine redaktionelle Entscheidung treffen. Die Wahl fiel gezielt auf weibliche Pronomen, um wenigstens männliche Dominanz in der deutschen Sprache entgegenzuwirken und weiblicher Präsenz mehr Platz zu gewährleisten. Ich denke, das wäre im Sinne von Karin und die Entscheidung entstand aus meinem Respekt für ihre Leistungen und Ideale.)

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