GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR – Leipzig, Felsenkeller (27.09.2022)

Fotos: GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
Godspeed You Black Emperor, © Claudia Helmert
Geschätzte Lesezeit: 2 Minute(n)

Ohne Worte

Unter zwei riesigen Kronleuchter erstreckt sich der Ballsaal des Leipziger Felsenkellers. Oberhalb der Schaltzentrale für die Tontechnik türmen sich vier 16mm Projektoren auf, daneben eine kleine Kleiderstange für herunterbaumelnde Filmbänder. Sicher umzäunt, verheißt bereits die Lichttechnik Großes und zieht die herannahenden Besucher:innen bei ihrem Weg zur Bühnenmitte an. Gespannt auf alles, was da kommt, verfliegen die Minuten in der beigen Halle – die auch bis zum Ende der Veranstaltung ihr Fassungsvermögen von 1700 Zuhörer:innen nicht erreichen wird. Mehr Raum für die gute Stimmung, die von der durchdringenden Musik von Tashi Dorji und Godspeed You! Black Emperor ausgeht.

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Positionslicht

Tashi Dorji öffnet hinter seiner umgeschwungenen Gitarre und dem Brett voller Effektgeräte den Abend. Mit anfänglichen Melodieimprovisationen tastet sich der Nordkalifornier allmählich in alle möglichen Dimensionen des Klangraumes hinein. Erst entlockt er singende Töne, bisweilen erlauben die Saiten ein Säuseln oder Flirren wahrzunehmen. Mit Stiften verschiedener Materialien bringt er seine Gitarre klangvoll zum Vibrieren. Der Musiker verfällt gänzlich, fällt auch in die Knie, um dort verträumt am Surren und Krächzen seines Instruments zu arbeiten. Ab und an lässt er den Gitarrenhals über den Boden schlieren: Die kreisenden Bewegungen im roten Scheinwerferlicht erscheinen wie ein Ritual, dass die spirituell vereinnahmende Wirkung der Musik in den Mittelpunkt rückt. Nach seiner etwa dreißigminütigen, noisy Performance klatscht das bis dahin gebannt schauende Publikum energisch. Der Musiker wertschätzt, dankt ohne Mikrophon für die erhaltene Aufmerksamkeit und eilt seinem Schatten voraus, der sich in aller Größe über die weiße Bühnenwand bewegt und verschwindet.

Katarakt

Die Musik stürzt im Katarakt auf uns ein. Was anfangs noch als Möglichkeit hinter den leuchtenden Effektgeräten lauert, offenbart sich als reißender Strom. Das erinnernde Notizbuch zeigt “Das Surren begann um 9”. Godspeed You! Black Emperor, das siebenköpfige Ensemble aus Kanada, nimmt im Halbkreis in der Bühnenmitte Platz. Nach dem schillernden, melancholischen Intro, dass die summende Violine und der vibrierende Kontrabass anleiten, folgen Gitarren und die beiden Schlagwerke in die eröffneten Klangwelten. Die vollkommene Vereinnahmung durch die Musik gelingt mit brummenden, flirrenden, wabernden, zuckenden und anhaltenden drängenden Tönen. Unterstützt von irrer Lautstärke stülpt sich das Konglomerat der Klänge gleich eines dichten, kaum zu durchdringenden und faszinierenden Nebels in den Leipziger Konzertsaal. Dort stehen gebannt Lauschende, teilweise in gespannter Regungslosigkeit, bisweilen mit nickenden Kopfbewegungen im Dunkel. Folgen die Kopfbewegungen nicht dem Rhythmus der Musik, folgt er zumeist dem Flimmer der 16mm-Projektoren: Der Lichttechniker am anderen Saalende erweitert den Hörgenuss visuell. Hinter, an und zwischen den Projektoren passt er die sich überlagernden Filmrollen mit den Klangwänden ab. Das schafft er, in dem er mit flinken Handbewegungen das Projektionslicht im Pulsieren der Musik unterbricht Farbfilter nutzt, um die Tonfolgen bedrohlich rot oder erhellend weiß zu untermalen. Der Schimmer der Videos auf der Bühnenleinwand gibt die Musiker:innen lediglich als dunkle Silhouetten zu erkennen, bebildert stattdessen vieles Bedrohliche der Gesellschaft: Endlos hohe Häuserfassaden, trübe Gewaltszenarien oder Wasserwerfer, die den sich auftürmenden Menschenmassen entgegnen.

Nicht nur der Durchzug im Raum sorgt für Gänsehaut auch die dichtgestrickten Klangnebel berühren enorm. Applaus und Jubelströme des Publikums sind der konsentierte Weg, um nach der Selbstvergessenheit das Erlebte, diese beeindruckend erzählende Livemusik, zu verarbeiten.

Setlist Godspeed You! Black Emperor:

01. Hope Drone
02. Job’s Lament
03. First of the Last Glaciers
04. Bosses Hang
05. Cliffs Gaze
06. Rockets Fall on Rocket Falls
07. The Sad Mafioso

Weblinks Godspeed You! Black Emperor:

Homepage: godspeedyoublackemperor.bandcamp.com/
Facebook: www.facebook.com/100044315892195

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