An der Bewusstseinsfassade rütteln – Interview mit JA, PANIK (Teil 2)

An der Bewusstseinsfassade rütteln - Interview mit JA, PANIK (Teil 1)
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Über Möglichkeitswelten und Ungreifbares im Musikalischen, unerfüllte Sehnsüchte ohne Außen, Wunder und Worte:

Mit einem klassischen Start aus technischen Schwierigkeiten stürzten wir uns in die Videokonferenz mit Andreas Spechtl, Texte und Musiker der österreichischen Gruppe Ja, Panik, die jüngst mit der Veröffentlichung ihrer Platte Die Gruppe bezauberten. Mit der Vorstellungsrunde ist die Prämisse klar: Gemeinsam mit Patrick von laut.de, der schon bei der Erarbeitung des Reviews unterstützte, haben wir unsere verschiedenen Blickwinkel aus Kulturwissenschaften sowie der Soziologie und Psychologie erläutert und im selben Atemzug bemerkt, das jene akademische Einordnung für die Gruppe angebracht erschienen. Dann starteten wir in den zweite Teil des Fragekanons zu Inhalt, zur Musik und zur Sprache:

Patrick Binder (PB): Der Song 1998, was hat es mit der Jahreszahl auf sich?

Andreas Spechtl (AS): Vielleicht gar nicht so arg die Frage nach der Jahreszahl ist relevant. Da ist man wieder beim Digitalen und so. Ich habe lange versucht, ein Stück zu schreiben, das für mich elementar das Phänomen Internet beleuchtet. Das ist schwierig und natürlich wahnsinnig schnell mit Platituden besetzt. Die Sprache, die man dafür findet, hat etwas bräsiges, hatte ich das Gefühl. Ich konnte keine interessanten Bilder dafür finden, es ist viel zu groß, weil es sich zu sehr über alles drüberstülpt und zu sehr Teil der analogen Welt ist. Ich habe ganz lang herumgetextet, bis ich auf diesen kleinen Kniff gekommen bin, mich auf vollkommen naive Art dem Phänomen zu nähern, mich zeichentechnisch-unbefleckt dahin zurückzuversetzen: wie ich als 14-Jähriges Kind zum ersten Mal im Internet war, als ich noch gar keine Worte dafür hatte, noch gar keine Vorstellung davon und Dinge hineinprojiziert habe, als es die Platituden dem Thema gegenüber noch gar nicht gab, auch in mir noch nicht. Das wollte ich zeitlich analog setzen. Das finde ich an meiner Generation oder den Leuten in meinem Alter so interessant, dass man eine Kindheit ohne das Internet hatte und das Internet zeitgleich passiert mit der eigenen Pubertät – es ist quasi das gleiche. 1998 war ich 14 und das erste Mal im Internet, da hat sich für mich als Mensch, pubertätsmäßig, die Welt geöffnet, man ist herausgetreten aus dem Kindheitsdasein und gleichzeitig hat sich für die Welt eine noch größere Neuheit geöffnet, nämlich das Internet. Diese Analogie wollte ich darstellen, daher auch dieser „Countryboy“, das Zurückdenken, wie man das erste Mal im Internet war, wie es war. Daher kommt auch der Riss in der Welt, worüber wir vorhin gesprochen haben.

PB: Das ist ja auch ein gewisser hauntologischer Moment.

AS: Das ist auch das, was ich eingangs meinte. Gewisse Themen, bei denen man die Hauntologie fast wie so eine Gebrauchsanweisung nutzt, oder eine Form des Denkens, an die Dinge heranzugehen, wie ich das für mich begreife und anwende. Das ist ein gutes Beispiel für die Eingangsfrage.

CH: Ich versuche noch die Verbindung nachzuvollziehen: Das Gespenstische, die großen Ideen in Worte und Gedanken zu fassen, aber immer die Schwebe lassen, wie es das Konzept verlangt, regt zum Nachdenken an! Als Nachfrage zur Musik: Woher kommt das Saxophon und warum wirkt es für uns so gespenstisch?

AS: Zwischen den Ja, Panik Platten habe ich drei Soloplatten gemacht, da habe ich mich schon viel mit dem Saxophon beschäftigt und mit der Musikerin Rabea Erradi, die es eben spielt, viel aufgenommen. Ich habe das in den Ja, Panik Kosmos irgendwie überführt. Die Frage war, wie man gleichzeitig Ja, Panik, das was es ist, ernst nehmen und aufrechterhalten kann, als Rockband, und gewisse Formen zu sprengen, mit Instrumenten zu arbeiten, die musikalisch wo ganz anders hinverweisen. Daher kommen die vielen Drones, die Synthesizerflächen. Die haben für mich auf der Platte eine Verabredung – ich finde, das ist eine Ebene. Alles Elektronische, die Synthesizersachen und das Saxophon gehören für mich irgendwie zusammen – dann sind da die alten Ja, Panik, die sich da so treffen. Das fand ich interessant im soundtechnischen Arbeiten. Ich sehe das Saxophon auch immer als Komplementärstimme zur gesungenen Stimme. Es gibt ganz wenig Stellen, wo jene sich überschneiden. Sie haben eher eine Verabredung, es ist eine Kommunikation zwischen den beiden. Das Saxophon ist neben der Stimme das zweite lyrische Element auf der Platte. Es führt die Hörenden so ein bisschen da durch. Ganz viele Gedanken haben wir uns zum Einstieg der Platte gemacht: Für mich funktionieren die ersten vier Stücke hintereinander, wie ein Ganzes, die auch ganz eng aneinandergebaut sind und übereinander gehen. Das Saxophon nimmt einen da hinein, in diese Welt. Spätestens ab dem Stück On Livestream ist die Welt etabliert, dann kann man sich darin bewegen. Ich finde, dann wird die Platte auch offener, die Stücke offener, es wird auch formal offener, es ist ein bisschen mehr möglich. Gerade für den Anfang der Platte hat also das Saxophon eine wichtige Rolle.

PB: Zwischenfrage dazu: Ich musste da ein bisschen an Twin Peaks denken, war das ein bewusster Einfluss für Dich? Da gibt es ja auch diese Zwischenwelt.

AS: Interessant, darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich habe in meinen Zwanziger viel von der Sängerin Cruise (Julee Cruise hat Auftritte in Twin Peaks, Anmerkung C. H.) gehört. Man weiß gar nicht, was einen beeinflusst, oder es beeinflusst einen so viel mehr, da sind wir wieder beim Hauntologischen: Ich kann es mir schon vorstellen, aber es war keine bewusste Entscheidung, es solle wie Twin Peaks klingen. Aber es ist doch auch das popkulturelle an Twin Peaks spannend und die Auseinandersetzung, dass es so etwas Hauntologisches, Gespenstisches, Uneindeutiges hat. Es ist ja immer noch eine relevante Geschichte.

Zu dem werden, was fehlt

CH: Noch eine Frage zum Anschluss: Wie kommt man auf dieses umfassende, so relevante wie interessante Thema der Hauntologie? Wann war der erste Berührungspunkt?

AS: Wie man darauf kommt? Wer mir das erste Mal das Buch in die Hand gedrückt hat? Hm, ich kann das ziemlich genau sagen: Zu der Zeit als ich DMD KIU LIDT geschrieben habe, also das sehr lange Stück, erschien zeitgleich das Capitalism oder Hauntologie Buch von Mark Fisher, also nach der Veröffentlichung. Ich kannte die Bücher noch gar nicht, jene wurden mir in die Hand gedrückt und gesagt: Schau mal, ich habe das Gefühl, zu dem Thema, mit dem Du dich beschäftigst, schreibt dieser Theoretiker aus England! Dann habe ich die Schriften gelesen und war vollkommen geflasht. Ich habe mich wiedergefunden, habe viele Gedankengänge viel besser ausgedrückt gefunden. Hab das insofern mit mir herumgetragen, eine Zeit lang, wie so eine kleine Bibel, um es abzuklären, zu vergewissern, Inspiration zu suchen. Gerade wenn man sich dem Thema von Mark Fisher aus nähert, ist es für einen Musiker oder jemanden, der aus der Popkultur kommt, natürlich sehr fruchtbar, weil der Autor es auch immer an den Kontext der Popkultur geknüpft hat. Es ist einfach so passiert und seitdem beschäftigt es mich sehr und ich sehe eine große Verwandtschaft: Die Depression, die Vereinzelung, der Mensch, der sich allein gelassen fühlt – das tröstende Element dagegen zu halten, was ich vorher schon meinte, mit dem Capitalism-Satz, dass all unsere Probleme, unsere Depressionen im allerseltensten Fall in uns stattfinden, sondern dass es ein Symptom unserer Gesellschaft ist, in der wir leben. Das finde ich auch sehr interessant. Gerade mit dieser traurigen, ultimativen Konsequenz. Wenn man sich sehr viel damit beschäftigt, muss man aufpassen – da sind wir wieder bei der Frage, wie einen Ausweg oder das Außen finden: Es hat auch etwas Gefährliches, dass man der ultimative Ausweg auch suizidal sein kann. Ich kann das schon verstehen und den politischen Moment im Suizid sehen. Das ist das Gefährlichste von diesem außenlosen Dasein in diesem System, das kein Außen zulässt. Das merke ich auch an mir. Es hat mich wahnsinnig berührt, diese Nachricht von Mark Fisher (sein Suizid, Anm. d. Red.) zu lesen, weil ich es zu einem gewissen Grad in den Texten nachlesen kann. Es ist anmaßend das zu sagen, aber es lässt sich da schon etwas nachzeichnen.

CH: Wir sind leider schon am zeitlichen Ende angelangt.

AS: Ja, ich wollte es gerade sagen, es war sehr interessant!

CH: Vielen Dank für die Zeit, wir hätten sicher noch viele Fragen gehabt, einen schönen Tag!AS: Euch auch!

Teil 1 über das Gespenstische in den Texten, mehr popkulturellen Input, mehr Referenzen und Namen, Gedanken und Gefühlen könnt ihr hier nachlesen.

Weblinks JA, PANIK

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