Die Musik von Kauan sind kalte Weiten.
Über die 16 Jahre, die es das russische Musikprojekt um Anton Belov nun schon gibt, wurden diese kalten Weiten in all ihren Facetten beschrieben. Sorni Nai (2015) nimmt uns mit auf eine Expedition ins Ural Gebirge auf den Dyatlov Pass. Wir befinden uns im Winter 1959 und erleben die Sinfonie eines cineastischen Panoramas aus Schnee, Eis, Bergen und Wald. Die Musik spielt Forscherdrang, Begeisterung für die Schönheit der Natur, Freundschaft, aber auch Beklemmung, Horror, Angst und viele unbeantwortete Fragen. Sorni Nai lässt uns die machtvollen, kalten Weiten in ihren entgrenzten Gegensätzen spüren; ein expressives Album. Kaiho (2017) das letzte Album der Band behandelt Kälte und Landschaft als biographische Erfahrung, als biographischen Rahmen nahezu komplett introspektiv. Wir erfahren, wie unsere Wahrnehmung des Außen unser Innen auf verschiedene Arten, im Verlauf der Zeit prägen kann, ohne seine Form zu verändern. Es geht um Wirkung, Orte, Verinnerlichung: das Meer, den Strand, den Wind, ein Hauchen. Auf Kaiho traten denn auch alle den Sound von Kauan bis dahin noch bestimmenden Metal-Einflüsse komplett zurück.
Das ändert sich auf Ice Fleet wieder ein wenig. Wir spüren alte Sorni Nai in den Songs. Und noch etwas hat Ice Fleet mit dem 2015er Signature-Album gemeinsam: Es wird eine zusammenhängende Geschichte erzählt und es ist eine nicht minder mysteriöse. Der Plot startet dieses Mal in den 1930er Jahren. Wir befinden uns in der Sowjetunion am nördlichen Polarkreis. Eine Gruppe von Geologen stößt zufällig auf eine kleine Flotte im Eis gefangener Schiffe. Ihre hastig geführten Untersuchungen fördern Merkwürdiges zu Tage, das wohl lieber hätte verborgen bleiben sollen. Die Geschichte basiert auf Briefwechseln, Artikeln und Augenzeugenberichten. Kauan haben es bei Ice Fleet nicht bei den sieben Songs belassen. Zum Album gehört ein Libretto (Szenenbuch mit Text) und ein (festhalten!) Tabletop Role Playing Book. Ja, man kann die Story als Rollenspiel nachspielen und dabei die dichte Atmosphäre des Albums als eine Art Soundtrack nebenher laufen lassen.
Wobei wir beim Wesentlichen wären. Ice Fleet ist selbstverständlich vor diesem Hintergrund als Konzeptalbum zu verstehen. Es ergibt wenig Sinn, sich einzelne Songs herauszupicken. Beschrieben werden die Stationen der Geschichte, die erzählt werden soll. Und so entrollen Anton Belov und Kolleg*innen vor uns eine Soundleinwand cineastischer sinfonischer Dichtung. Die punktgenaue, beinahe schon perfektionistische Palette reicht von breit fließenden Shoegaze-Strömen, über diese typischen, schlichten kleinen Piano-Miniaturen, an denen man sofort Belovs Handschrift erkennt, bis hin zu dröhnenden, harschen und beklemmenden Doom-Ausuferungen, zu denen sich auch wieder die altbekannten, lang nicht mehr gebrauchten Growls gesellen.
Mit all dem freuen wir uns, dass Kauan nach vier Jahren zurück sind und verzeihen, dass die Russen, die nun in Tallinn leben und immer noch ihre Texte auf finnisch verfassen, trotz ihrer kleinodmäßigen Verschrobenheit mit ihrem neuen Album unsere und ihre Welt nicht aus den Angeln heben. Ice Fleet ist ein konsequentes Album, das seine Geschichte radikal zu Ende denkt. Es ist kompositorisch großartig umgesetzt, atmosphärisch dicht und mitreißend.
Was will man mehr?
Ice Fleet ist am 09. April bei Artoffact erschienen. Wie bereits erwähnt, gibt es das Album in unterschiedlichen, ganz außergewöhnlichen Versionen, die einen zusätzlichen Blick verdienen.
Tracklist KAUAN – Ice Fleet:
01. Enne
02. Taistelu
03. Maanpako
04. Kutsu
05. Raivo
06. Ote
07. Hauta
Weblinks KAUAN:
Official: https://kauanmusic.com/
Facebook: https://www.facebook.com/kauanmusic/
Soundcloud: https://soundcloud.com/kauan
Bandcamp: https://kauan.bandcamp.com/album/ice-fleet
Instagram: https://www.instagram.com/kauanmusic/