Ronan Harris hat gut lachen. Endlich darf er mit VNV Nation wieder live auftreten – und dann gleich an zwei aufeinanderfolgenden Abenden vor einem ausverkauften SparkassenPark zu Mönchengladbach. Vor der ersten der beiden Shows im Rahmen der „Strandkorb Open Air“-Reihe empfing uns der gut aufgelegte Frontmann und Songwriter im angenehm kühlen Backstage-Raum und beantwortete Fragen zur aktuellen Situation rund um ihn und VNV Nation. Einen vorsichtigen Blick in die Zukunft wagte der Wahl-Hamburger ebenfalls.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Ronan, erzähl uns doch erst einmal etwas zu deiner aktuellen Gefühlslage.
Da muss ich etwas ausholen. Schon im Januar sagte ich zu meiner Freundin, was in den nächsten Monaten passieren wird, wenn sich das wirklich zu einer ernsthaften Sache entwickelt. Leider ist alles so eingetroffen wie befürchtet. Ich ahnte irgendwie, dass die Natur irgendwas kreiert und uns herausfordert. Ich hoffe, dass wir nun mal merken, wie wir als Menschen eigentlich sein sollten. Wie wir reagieren, wenn andere Hilfe brauchen. Wie wir reagieren, wenn wir alle verängstigt sind. In den vergangenen 20,30,40 Jahren war vieles zu sehr von Egoismus geprägt. Ich bin happy darüber, wie die deutsche Regierung reagiert hat. Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Regierungen haben sie einen großartigen Job gemacht. Merkels TV-Ansprache zeigte sie als Menschen, es war keine typische politische Rede. Ich glaube aber, dass das Volk von all dem langsam müde ist. Obwohl das, was wir gerade durchmacgen, eigentlich nicht hart ist. Wenn du etwas über richtig hartes Leben erfahren willst, frag deine Großeltern. Ich habe schon mit vielen älteren Leuten in ganz Europa über die 40er- und 50er-Jahre geredet. Die hatten nichts, einmal am Tag oder vielleicht auch nur jeden zweiten Tag etwas zu essen. Also: Wir müssen da jetzt durch, und wir werden da auch durchkommen. In Deutschland wahrscheinlich besser als in vielen anderen Ländern.
“Ich glaube, dass Fake News unser größter Feind sind”
Welche Erfahrungen mit deiner Umwelt hast du seit dem Corona-Ausbruch gemacht?
Verschieden. Corona holt sowohl das Beste, als auch das Schlechteste bei Menschen hervor. Viele sind frustriert, haben Angst wegen ihrer Zukunft. Es hat einen psychologischen Einfluss auf viele, es löst oft Depressionen und antisoziales Verhalten aus. Aber ich denke, dass Corona auch eine Möglichkeit lässt, die Welt zu einer besseren zu machen. Ich stelle bei vielen den Wunsch danach fest. Vielleicht eine Art „grüne Revolution“. Ökonomisch wird sich auch was ändern. Das Geld ist nicht mehr so da, um so viel Bullshit zu kaufen wie früher. Wenn man mich fragt, wer mit den Auswirkungen der Restriktionen am besten zurechtkommt, sage ich: Ostdeutsche, die älter sind als 40. Die wissen noch, wie das ist.
Vor zwei Jahren sagtest du in einem Interview mit uns, dass sich zu viele Menschen auf unwichtige Dinge konzentrieren. Siehst du seit März, dass sich daran etwas ändert?
Bei manchen ja. Sie merken, dass Freunde und Familie das wirklich Wichtige sind und kommen auch gut durch die Krise. Wer hingegen ständig nur noch in der virtuellen Welt herumhängt, dem fehlen meist die emotionalen Fähigkeiten, mit der Situation irgendwie angemessen umzugehen. Das ist nicht deren Fehler, sie sind einfach Opfer der Zeit, in der sie aufgewachsen sind. Ich habe viele Freunde, auch in den Zwanzigern, denen es Probleme bereitet, so super vorsichtig sein zu müssen. Gerade, weil es da draußen so viele Falschinformationen gibt. Ich glaube, unser größter Feind sind die ganzen Fake News im Internet. Es würde mich auch nicht überraschen, wenn manche Regierungen die Situation zu deren Vorteil nutzen würden. Wir wissen halt nicht, wie wir auf die Situation reagieren sollen, weil es eine solche Pandemie seit 1918 nicht mehr gab. Deutschland mit der starken Ökonomie wird da besser rauskommen als viele andere Länder. Lasst uns abwarten und hoffen, dass eine Heilung gefunden und alles gut wird.
Wie hast du die Shutdown-Wochen verbracht?
Wir durften ja noch vor die Tür. Ich war öfter in meinem Studio, an dem die noch geplanten Aufbauarbeiten gestoppt wurden. Aber ich habe weitergearbeitet, alles dauerte halt vier Monate länger als geplant. Und: Wir fanden die grünsten Ecken Hamburgs, die uns vorher nie wirklich aufgefallen sind, wundervolle Plätze. Da war niemand. Wir haben uns aber auch gescheut, zum Beispiel nach Schleswig-Holstein an die Strände zu fahren. Wir wollten ja keine Regeln brechen. Durchhalten war und ist immer noch das Motto.
“Ich denke nicht, dass Streamingshows für uns dauerhaft funktionieren”
Wie helfen Konzerte wie die hier vor Strandkörben oder wie die Autokino-Shows beim Durchhalten?
Da gibt es mehrere Faktoren. Erstens sehe ich endlich meine Band und Crew wieder, was mehrere Monate nicht ging. Dann die Sorge, was mit denen allen passiert, wenn es bis irgendwann in 2021 keine Shows mehr gibt. Ich entschied, die Einnahmen all dieser Shows an die Crew zu geben, weil einige von ihnen gar kein Einkommen mehr hatten. Die KSK macht es Freiberuflern verdammt schwer, zusätzlich Jobs anzunehmen. Wer damit mehr als 5000 Euro im Jahr macht, fliegt raus. So können sie kein Geld verdienen. Ich fand es sensationell und großartig, dass unsere Fans gesammelt haben. In ein paar Tagen sammelten sie 8700 Euro. Schön, dass wir endlich wieder spielen können. Auch wenn das Organisieren der Konzerte schwierig ist, weil es in jeder Stadt andere Regeln umzusetzen gilt.
Ein weiteres spezielles Konzert steht für Ende August im Kalender: eine Streamingshow in Düsseldorf. Hat dieses Konzept eine Zukunftsperspektive?
Einige Bands waren damit ziemlich erfolgreich. Aber ich denke nicht, dass das dauerhaft für uns funktioniert. Nun nehmen es die Leute gut an, weil sie verzweifelt eine Show sehen wollen. Aber unsere Konzerte haben immer ein hohes Maß an Interaktion und Energieaustausch. Das geht online natürlich nicht so einfach. Aber es wird ein besonderes Konzert mit einigen coolen Ideen. Wir werden bekannte Lieder anders spielen, wir werden Raritäten spielen. Es wird nicht nur ein Abend sein, an dem ich von links nach rechts renne und schwitze. Wer dabei ist, darf sich in einem Live-Feed zu Wort melden. Die Kommentare werden auf eine große Leinwand projiziert, die wir von der Bühne aus sehen. So können wir uns humorvoll mit den Fans austauschen. Dazu haben wir viele Kameras und mehr Equipment als sonst.
“Kaum zu glauben, wer mich nach der Resonance-Platte kontaktierte”
Blicken wir nochmal weiter in die Zukunft: Wenn alles glatt läuft – was gibt’s von VNV Nation in 2021?
Ich habe viele Ideen, Melodien und Notizen für ein neues Album, an denen ich in meinem dann fertigen neuen Studio arbeiten werde. Die Frage ist nur, wann das alles fertig wird. Geplant waren ursprünglich auch einige Re-Releases, die wurden aber auf unbestimmte Zeit verschoben. In einem Fall war es besonders ärgerlich, wir hatten ein Box-Set geplant – und die Items da drin blieben am Zoll hängen und wurden zurückgeschickt. Besonders blöd ist es dann natürlich, wenn ein Online-Händler das Ding anpreist, schon Vorbestellungen annimmt und die Fans dann später mit einem Gutschein abspeist, nachdem klar wurde, dass wir das nicht veröffentlichen können.
Und wie sieht es mit Live-Plänen aus?
Die Show zum 30. Geburtstag in Gelsenkirchen wird gespickt sein mit Überraschungen. Wir haben außerdem Termine reserviert, für die Zeit, nach der die Festivals durch sind, also Ende 2021. Natürlich müssen wir abwarten, was geht. Ich kann zwei Dinge dazu sagen: Erstens haben wir große Inspirationen für kommende Shows aus dem gezogen, was Opernhäuser zuletzt in Sachen Bühnenshow zeigten – wenngleich wir natürlich nicht deren Budget haben. Zweitens werde ich ein neues Album, wenn es denn irgendwann fertig wird, nicht neun, nicht sechs und auch nicht schon drei Monate vor einem Tourstart herausbringen. An weitere Streamingshows denke ich eher nicht. Interessant wird auch sein, welche Locations überhaupt noch da sein werden. In den USA hat sich das in den letzten 20 Jahren schon sehr zum Schlechten entwickelt.
Geplant ist zudem eine besondere Klassik-Show beim Mera Luna. Wie kam es dazu?
Ursprünglich war der Plan schon vor längerer Zeit, weitere orchestrale Konzerte zu spielen. Dann kam Noire, die lange Tour und später der Punkt, an dem ich merkte, dass ich eine Pause brauche. Es war einfach irgendwann zu viel. Aber auf die Show beim Mera Luna freue ich mich besonders. Ich machte den Veranstaltern den Vorschlag. Ich liebe klassische, orchestrale Musik. Kaum zu glauben, welche Plattenfirma mich nach Resonance kontaktierten. „Willst du nicht bei uns unterschreiben?“, fragten sie – und meine Antwort war stets ein klares Nein. Ich bin unabhängig. Schön war, dass wir damit hoch charteten, obwohl es der Tag in dem Jahr war, wo die Major-Labels ihre meisten Platten herausbrachten. Man hört heute immer öfter, dass Chartplatzierungen egal sind. Stimmt nicht. Hohe Platzierungen öffnen Türen. Promoter sehen dadurch, dass die Künstler Musik machen, die die Menschen mögen. Bei der Streamingshow war es auch so, die kontaktierten uns. Hier in Mönchengladbach ebenfalls. Niemand hier von der Crew kennt uns. Der Promoter aber war sich sicher, dass das funktionieren wird.
Karten für die Streaming-Show am 29. August bekommt ihr hier.