FEINE SAHNE FISCHFILET – Berlin, Columbiahalle (16.03.2018)

Fotos: FEINE SAHNE FISCHFILET
Feine Sahne Fischfilet, © Carsten Thesing
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Als Sänger Jan “Monchi” Gorkow zum ersten Mal am Abend die Bühne betritt, jubelt das Publikum sofort in totaler Euphorie. Doch vorerst will er “nur” die Supportband Not On Tour persönlich ankündigen. Hammerhart feiern die Jungs von Feine Sahne Fischfilet die junge Band aus Tel Aviv, so Monchi, und wünscht viel Spaß. Für Not on Tour, die sonst in deutlich kleineren Clubs wie dem Cassiopeia spielen, ist eine an zwei Tagen komplett ausverkaufte Columbiahalle, heißt insgesamt etwa 7.000 Leute, eine Riesenchance. Sie wissen es. Und sie geben alles. Sängerin Sima Brami tönt kraftvoll und wunderbar melodisch. Dabei springt sie wild zu launig harten, rasend schnell gespielten Stücken über die Bühne. So ganz will der Funke dennoch nicht überspringen. Das wird noch klarer als Not On Tour nur wenige Takte der FSF-Hymne Komplett im Arsch anspielt und der Saal direkt lauthals einsteigt und vor allem kaum wieder zu bremsen zu ist.

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Vorsichtig gesagt, ist es nämlich so: Feine Sahne Fischfilet brauchen eigentlich gar keine Vorband. Als nach Not On Tour ein riesiger schwarzer Vorhang mit den Bandinitialen fällt, der den Blick zur Bühne für den Umbau verhängt, laufen ein bisschen Dead Kennedys, Die Toten Hosen und ähnliches vom Band und der Saal springt sofort und buchstäblich in den Partymodus. Der Pogo tobt voller Vorfreude – beachtlich. Kurze Zeit später fällt der Vorhang in aller Theatralik und wie das neue Album beginnt der Abend mit einem dröhnenden „Es geht los, es geht los heute Nacht!“ Sturm & Dreck ist ein Album, das förmlich danach schreit, live gespielt zu werden. Wie gemacht für ein Konzert mit einem tausende Stimmen zählenden Publikumschor, der jeden Song Wort für Wort mitsingt. Vom ersten Konzert dieser Tour an war das so, sagt Monchi, und in Berlin ist es nicht anders. Man sieht ihm an, dass er noch immer ungläubig staunt über den Riesenerfolg.

Umso mehr scheint die Band etwas zurückgeben zu wollen und zwar mit einer Mega-Party-Show: Alles auf Rausch in einer explosiven Mischung aus neuen und alten Songs! Dem Publikum wird derart eingeheizt, dass sich der Saal bis nach ganz hinten in einen einzigen Moshpit verwandelt. Trompeter Max Bobzin schwimmt auf einer aufblasbaren Riesenbanane durch den Saal, und zu Geschichten aus Jarmen springen sein Vater und seine Schwester mit auf die Bühne, um schließlich ebenfalls auf Händen quer durch den Saal zu verschwinden. Es wird mit Bier von der Bühne geduscht, mal aus der Flasche, mal prustet Monchi es fontänenartig in die Gesichter hinter dem Graben. Und apropos Graben, dort steht eine ganze Armada von Ordnern, die emsig damit beschäftigt sind, diejenigen aus dem Pulk zu hieven, die vom Publikum getragen, glücklich einmal bis nach vorn getaucht sind. Irgendwann kreist Monchi mit Pfeffi durch die ersten Reihen. Sein nackter Bauch wird beklatscht. Bobzin springt aus dem Rang ins Publikum. Alles tobt. Aber eben nicht nur das.

Party ist die eine Seite der Medaille, die andere heißt politische Haltung. Dieser Balanceakt ist Teil der Band und er funktioniert auch an diesem Abend. Als Alerta-Rufe durch den Raum schallen, ruft Monchi dazu auf, nicht nur auf Konzerten Parolen zu rufen oder im anonymen Rückhalt des Internets kluge Kommentare zu schreiben, sondern dort Gesicht zu zeigen, wo es auch mal weh tun kann – auf der Straße! Den Song Solange es brennt widmet er all jenen, die sich das täglich trauen. So auch Angst frisst Seele auf, der mit viel Emotion von Band-Freundin Katharina König-Preuss erzählt, die als Abgeordnete für DIE LINKE im thüringischen Landtag für die Aufklärung des NSU-Komplexes eintritt und für ihr Engagement Morddrohungen von rechts kassierte. Noch wutgeladener und immer noch zutiefst erschüttert leitet Monchi den Song Suruç ein, dessen Quelle ein persönlich erlebter Anschlag in dem gleichnamigen türkischen Ort nahe der syrischen Grenze auf linke Aktivisten war. In diesen Reden schwingt einerseits viel Pathos, man weiß aber eben auch, dass hier aus gelebter politischer und solidarischer Praxis erzählt wird. In dieser Glaubwürdigkeit liegt eine unglaubliche Kraft, die sich auf die Bühne und Publikum überträgt, sobald die Musik beginnt. Treibend, nach vorne – und alles ist sofort wieder ein einziger wahnsinniger Rausch.

“Es war der Knaller”, ruft Monchi als er sich zur zweiten Zugabe zum Publikum auf den Boden setzt und mit Weit hinaus nochmals einen älteren Song anstimmt. Ganz zum Schluss regnet es donnernd glitzerndes Konfetti auf verschwitzte Körper und in glücksstrahlende Gesichter. Alles staunt. Ich auch.

Setlist FEINE SAHNE FISCHFILET @ Berlin, Columbiahalle (16.03.2018):

Intro (Dead Kennedys – California über alles)
Intermission (Zugezogen Maskulin – Plattenbau O.S.T.)
Intermission (Knochenfabrik – Filmriss)
Intermission (Die Toten Hosen – Halbstark)
Zurück in unserer Stadt
01. Für diese eine Nacht
02. Alles auf Rausch
03. Solange es brennt
04. Schlaflos in Marseille
05. Mit Dir
06. Ich mag kein Alkohol
07. Angst frisst Seele auf
08. Dorffeste im Herbst
09. Alles anders
10. Niemand wie ihr
11. Geschichten aus Jarmen
12. Ostrava / Solidarität
13. Suruç
14. Wut
15. Zuhause
16. Komplett im Arsch
17. Dreck der Zeit (Z)
18. Lass uns gehen (Z)
19. Warten auf das Meer (Z)
20. Wo niemals Ebbe ist (Z)
21. Wir haben immer noch uns (Z)
22. Weit hinaus (Z)

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