Das Album ist für sich genommen schon eine kleine Ansammlung von Superlativen. Nach sieben Veröffentlichungen und stetiger Entwicklung nach oben, markiert Automatic For The People wohl den Schaffenshöhepunkt der Band. Kein anderes Album von R.E.M. verkaufte sich häufiger. Bis heute wird Automatic For The People als beste Scheibe des Alternative Rock überhaupt, jedoch zumindest der 90er Jahre gewertet. Kaum eine von wem auch immer geschriebene Top 100 Alben “von irgendwas, in irgendwas, für irgendwas” kommt ohne Automatic For The People aus.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Ich weiß noch, wie fanatisch abgöttisch ich dieses Album geliebt habe. Jede Textzeile der zwölf Songs konnte ich im Schlaf rezitieren. Automatic For The People stand für mich als “alternative” Teenagerin, für meine zelebrierte Abkehr vom konventionellen Einheitsbrei des Euro-Dance, war Soundtrack meiner erwachenden, immer ein wenig bemühten Intellektualität, die melancholisch verständnisvolle Umarmung meines Weltschmerzes. Ungezählt sind die Tränen, die ich zu Find The River vergossen habe, ich wollte nachts (nackt) Schwimmen gehen mit Michael Stipe, ihm dabei in seine sensiblen, blauen Augen schauen.
25 Jahre sind seitdem vergangen. Michael Stipe hat zwar immer noch dieselben blauen Augen, aber auch einen veritablen weißen Bart bekommen. Ich bin der Pubertät raus, ewig schon und deutlich weniger empfänglich für Schwärmereien. Meine musikalische Sozialisation hat sich weiterbewegt in den letzten 20 Jahren und das weitestgehend unabhängig von R.E.M. Automatic For The People hatte ich mindestens eben so lange nicht mehr gehört. Und so ging ich mit unterschiedlichen Gefühlen an die Geburtstagsedition heran. Eins davon war Neugier, das andere lässt sich am besten mit dem Gefühl vergleichen, das einen befällt, wenn man sich selbst auf alten Fotos als Heranwachsende(n) sieht oder selbstverfasste Gedichte aus jener Zeit liest.
Aber was soll ich sagen? Automatic For The People ist auch heute noch ein fantastisches, zeitloses Juwel, abseits jeglicher Weltverbesserungsattitüde. Das Vierteljahrhundert merkt man der Ausnahmescheibe nicht an. Das ist es, was wahrscheinlich ihre Anziehungskraft ausmacht. Mit der Distanz zweier Dekaden, fällt einem beim ersten Hören auf, wie folk-lastig und naturalistisch das Album eigentlich ist und wie viel von jedem einzelnen, beteiligten Musiker darin zu stecken scheint.
Eine tiefe Melancholie ist spüren, die dadurch am intensivsten zu Tage tritt, weil sich die Songs aus den tiefsten und intimsten Wurzeln der Künstler speisen. Es gibt so viel Country- und Südstaaten-Folk zu hören, dass man die Schwüle der Region, ihren Spirit und ihre breit und träge dahinfließenden gelb-braunen Flüsse aus Songs wie Sweetness Follows oder Try Not To Breath herausfühlen kann. Zwar wurden vor 25 Jahren andere Songs zur Auskopplungen gewählt, die schlussendlich auch für den kommerziellen Erfolg des Albums verantwortlich waren. Würde mich jedoch heute jemand fragen, was tatsächlich die Seele von Automatic For The People ausmacht: Für mich sind es diese beiden Songs.
Dass man dieses Werk nun mit einer 25th Anniversary Edition noch einmal würdigt, scheint angesichts seiner Qualität und seines Einflusses auf das Genre evident. Crafts Recordings entschied sich bei der Wiederveröffentlichung für drei unterschiedliche Editionen: die 2-CD-Box (Album plus Aufnahme eines Live-Auftritts aus 1992), einer Vinyl-Pressung und der Luxus-Box (Album plus Buch plus Live-Aufnahme plus 20 unveröffentliche Demos plus Album auf Blu-Ray in revolutionärer Dolby-Atmos Qualität). Automatic For The People selbst wurde zum Geburtstag noch einmal durch die Post-Produktions-Maschine gejagt und ordentlich von Patina befreit. Das hört man der Aufnahme auch an: der Sound ist deutlich moderner, voller und wärmer, als das 25 Jahren möglich war.
Mir lag zur Rezension die 2-CD-Box vor. Auf den ersten Blick kommt diese ein wenig lieblos und einfach daher, auf den zweiten leider auch. Beide CDs sind lediglich in simple Papphüllen geschoben, deren Klebung dem zweckgebundenen Hantieren damit nicht lange standhalten konnten. Da hat sich offenbar jemand Gedanken gemacht … (Ironie: aus). Diese Art von Gleichgültigkeit, die bei Veröffentlichungen “in die Breite” leider sehr oft anzutreffen ist, zeugt nicht gerade von Respekt gegenüber einer künstlerischen Leistung. Da agieren kleinere Labels mit deutlich geringeren Auflagezahlen sichtbar wertschätzender und auch nachhaltiger. Weiterhin mit dabei sind ein Booklet mit Zitaten der Band- und Produktionsmitgliedern aus der Zeit der Veröffentlichung und vier quadratische, einfache schwarz-weiß Drucke von Fotos aus dem damaligen Booklet. Hinzu kommt ein Mini-Poster, das allerdings für die dem CD-Format geschuldete Größe gefaltet wurde, so dass man eher weniger damit anfangen kann.
Kommen wir zur Bonus-CD. Hierbei handelt es sich um einen gut abgemischten Mitschnitt des einzigen Konzerts, das R.E.M. 1992 gegeben haben. Der Auftritt fand am 19.November, kurz nach Veröffentlichung von Automatic For The People statt und einige Songs wurden dort wahrscheinlich zum allerersten Mal gespielt. Obwohl ich mit R.E.M. als Live-Band so meine Probleme habe, ist die Aufzeichnung vor allem auch ein interessantes Zeit-Dokument. So fand das Konzert auf einer von Greenpeace ausgerichteten Veranstaltung statt, vor deren Wagen sich die einzelnen Mitglieder der Band heute vielleicht nicht mehr so einfach spannen lassen würden. Weiterhin ist der Mitschnitt garniert mit einigen, zum Teil sehr amüsanten, aber immer sympathisch vorgetragenen Anekdoten, die Fans sicherlich die Tränen der Rührung in die Augen treiben werden.
Automatic For The People (25th Anniversary Edition) ist am 10. November bei Craft Recordings erschienen.
Anpieltipps:
Vor 25 Jahren: Drive, Man On The Moon, Find The River
Heute: Try Not To Breath, Man On The Moon, Sweetness Follows
Tracklist R.E.M. – Automatic For The People (25th Anniversary Edition):
01. Drive
02. Try Not To Breathe
03. The Sidewinder Sleeps Tonite
04. Everybody Hurts
05. New Orleans Instrumental No. 1
06. Sweetness Follows
07. Monty Got A Raw Deal
08. Ignoreland
09. Star Me Kitten
10. Mon On The Moon
11. Nightswimming
12. Find The River
Tracklist R.E.M. – Live At The 40 Watt Club 11/19/92:
01. Drive
02. Monty Got A Raw Deal
03. Everybody Hurts
04. Man On The Moon
05. Losing My Relgion
06. Country Feedback
07. Begin The Begin
08. Fall On Me
09. Me In Honey
10. Finest Worksong
11. Love Is All Around
12. Funtime
13. Radio Free Europe
Weblinks R.E.M.:
Official: http://www.remhq.com/
Facebook: https://www.facebook.com/REMhq/